Gleichschalten – abschalten – ausschalten

Foto©Daniel Dorra
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Rede zur Eröffnung des Projektes „Steinbruch Demokratie“, Gelsenkirchen, 26.4.13

Liebe Gäste, liebe Asylsuchende im Container, liebe anderweitig Unbehauste in einer Demokratie, die systematisch fortfährt, sich ebenso abzuschaffen wie abschaffen zu lassen, indem sie ihre urteilsfähige Bürgerschaft als politisches Subjekt entsorgt,
liebe Teilnehmer unserer Gemeinwesen-Simulation mit begrenzter Restlaufzeit,

ich habe mein öffentliches Nachdenken heute mit dem Titel versehen: „Gleichschalten – abschalten – ausschalten“. Im Rahmen dieses beklemmenden Dreischritts, dieser sich abzeichnenden gesellschaftlichen Perspektive bewegen sich die folgenden Überlegungen zu neoliberaler Manipulation von Sprache und Denken, zur systematisch betriebenen Ökonomisierung/Verbetriebswirtschaftlichung aller Lebensbereiche.
In diesem Rahmen bewegt sich mein Kopfzerbrechen über die Tristesse von Verhältnissen, in denen Menschen allein mit den Augen des Geldes gesehen werden, mein Erschrecken über das allmähliche Verschwinden von Demokratie, Kultur sowie meine nur knapp an Resignation vorbeischrammenden Hoffnungen zu Möglichkeiten der Gegenwehr.

Wenn wir uns heute zugleich im Vorfeld des 80. Jahrestages an die Bücherverbrennung des 10. Mai 1933 erinnern … lassen, dann birgt diese Fixierung auf ein Datum auch ein Dilemma, das Dilemma nämlich, dass die Bücherverbrennung als „Symbol der Kulturbarbarei den Blick“ verstellen könnte auf all jene „Entscheidungsabläufe, die zur Etablierung einer nationalsozialistischen Literaturpolitik führten“. Davor warnt genau so Jan-Pieter Barbian, der Direktor der Duisburger Stadtbibliothek, in seinem Buch „Literaturpolitik und NS-Staat. Von der Gleichschaltung bis zum Ruin“. Und weiter: „Die Beseitigung eines bedeutenden Teils der Literatur der Weimarer Moderne und ihrer Protagonisten war nur das öffentliche Vorspiel zu einem umfassenden Prozess, in dem staatliche Behörden und Parteidienststellen politischen Einfluss auf die Produktion und Verteilung von Literatur nahmen.“

Foto©B. König-Bargel
Foto©B. König-Bargel

Gleichschaltungs-Varianten
Unheilvolle politische Einflussnahme auf die Produktion und Verbreitung von Literatur gab es nicht nur im NS-Staat, es gab und gibt sie in allen totalitären Systemen. Diese die Autoren und Leser gleichermaßen verachtenden Prozesse werden heute meist als „Gleichschaltung“ beschrieben und sollten einer Demokratie fremd sein. Doch immer einschneidender laufen sie auch in unserem eigenen politischen System ab. Ein System, das zwar die Frage „Wollt ihr den totalen Markt?“ nie öffentlich gestellt, sie dennoch aber de facto in der Praxis längst mit einem „Ja!“ beantwortet hat.
Und so führt die grassierende Gleichschaltung mittels vorgeschobener Geldzwänge in unserer eigenen asozialen Marktwirtschaft, in unserer Wirtschaftslobby-Demokratie pars pro toto, konkret und lokal auch zu Schließung oder Teilabschaltung von öffentlich geförderten Bibliotheken – und damit zur eingeschränkten Verbreitung auch widerständiger Literatur, in gar nicht so ferner Zukunft vielleicht zu ihrer Unsichtbarkeit im nicht-kommerziellen öffentlichen Raum, abseits von Fun- und Fitnessfassaden.
Die Voraussetzungen dafür liegen in der konsequenten Logik dessen, was Kanzlerin Merkel sich als marktkonforme Demokratie denkt – eine Begriffschimäre, mit der sie bewusst auszublenden versucht, dass es dazu auch eine Alternative geben könnte, nämlich demokratiekonforme Märkte (Ingo Schulze).

Primat und Primaten
Was wir zurzeit sehen, ist, dass der Kasinokapitalismus, die vollends entfesselten Finanzmärkte nicht nur Prekariat, Mittelschicht und Mittelstand, Kommunen oder Regionen in den Ruin treiben, sondern immer öfter ganze Staaten – für uns näher rückend vor allem in Südeuropa. Aus dem Primat der Ökonomie ist sichtbar und doch geschickt verschleiert eine Ökonomie der Primaten geworden, in der es vor allem jenen coolen Egoman(n)schaften gut geht, die oben auf dem Affenfelsen in der Nähe der mächtigsten Männchen sitzen, mögen sie nun zu Hegdefonds-Managern, Fußball-Vereinspräsidenten oder sonst zur selbsternannten Elite gehören.

Vier Hedgefond-Manager haben im Jahr 2012 jeweils mehr als eine Milliarde Dollar eingenommen. Insgesamt haben die fünfundzwanzig bestbezahlten zusammen vierzehn Milliarden Dollar eingestrichen, das entspricht etwa dem Bruttoinlandsprodukt von Jamaika, einem Land mit drei Millionen Einwohnern. Laut dem jährlichen Ranking der Gehälter von Hedgefonds-Managern, das Institutional Investor’s Alpha (…) veröffentlichte, hatte der Chef von Appaloosa Management, David Tepper, insgesamt 2,2 Milliarden Dollar verdient, hauptsächlich durch eine Erhöhung des Preises wichtiger Aktien wie die der Citigroup, Apple und US Airways.“

Wirtschaftliche Potenz und ihre Potentaten hebeln global soziale Strukturen aus, entsolidarisieren die Menschen, lassen sie geistig/seelisch/körperlich verkümmern, entziehen ihnen die für Analyse und Kritik der laufenden Entdemokratisierung nötige Bildung und den Mut dazu sowieso. Doch wer jetzt nicht selbst zu denken beginnt, nicht selbst denken kann oder darf, für den denken andere bis seiner nicht mehr gedacht werden wird.

TUIs
Und leider fehlt es oft selbst jenen, die ihre eigene Stimme durchaus erheben könnten, an Kompetenz, Courage oder einfach auch nur an Mitgefühl, um den Herstellern der herrschenden Verhältnisse, den Betreibern der Verblödungsmaschinerie und ihrer massenhaften Fabrikation von Dummheit zu widersprechen. Zumeist haben wir es dagegen mit TUIs zu tun, wie Brecht sie nannte, mit den Kopflangern und Mitläufern des großen Geldes: „Der TUI ist der Intellektuelle dieser Zeit der Märkte und Waren. Der Vermieter des Intellekts.“
Pierre Bourdieu hat dagegen gefordert, es sei „die Aufgabe des Intellektuellen, den Anschein von Einstimmigkeit zu durchbrechen.“ Doch viele, auch viele von uns – hoffen wir mal! – gediegen Mittelmäßigen folgen der Devise „Rette sich, wer kann!“ Wir retten uns ins Haus, ins Private, ins Verdrängen, in die Rente oder ins Gold  –  vergessen, dass wir Rechte, die wir nicht verteidigen, verlieren werden.

Aufbau_23.4.2013©Baerbel Koenig-Bargel
Foto©B.König-Bargel

Abgründe und Unernst
In Analogie zu einer Interviewantwort des Wiener Schriftstellers Robert Menasse darf man getrost formulieren: ‚Es (geht gar, G.H.) nicht vor allem um die Abgründe, sondern eher darum, wie unernst wir uns verhalten, wenn wir in die Abgründe schauen. Wie wir mit Sprache umgehen, wie wir sie missbrauchen, was wir vorgeben aus ihr gelernt zu haben, was wir uns weigern aus ihr zu lernen, wie wir sie oft hilflos nachsprechen, wie wir mit Hilfe der Sprache missbrauchen und missbraucht werden.‘
Einer wie Robert Menasse macht in seinen Texten etwas, das heute als Intervention in öffentlichen Debatten wenig erwünscht ist. Er stellt frappierende Zusammenhänge her, zwischen Intimität, Privatheit und Gesellschaft, zwischen Macht und Ohnmacht, zwischen den veröffentlichten und den unbeschriebenen, den verschwiegenen Welten, der unterschlagenen Wirklichkeit. Er legt also Macht- und Gewalt-Verhältnisse bloß, wo doch in der Regel das einzelne Ich an zersplitterten Verhältnissen sprachlos oder Worthülsen stotternd nur zu zerbrechen droht und wohl auch zerbrechen soll.

Engagement hat viele Gesichter
Menasse rekonstruiert z.B. den Begriff „Engagement“ suversiver als wir es gewohnt sind: Indem er nämlich jedes naive Verständnis von „Engagement“ radikal zerpflückt, jeden Glauben an Erlöser und ihre Himmel, an Geschichtsautomatismen – und mögen sie am Ende gar „Diktatur des Proletariats“ heißen, die sich nun wirklich niemand wünschen sollte.
Menasse macht deutlich, dass Engagement weder eine homogene Zielgruppe hat – und nötig hat, noch ein gleichbleibendes historisch handelndes Subjekt, noch ein fixes Ziel, noch eine verdummende politische Rhetorik.
Engagement, das sollte heute eher so etwas sein wie die Zerstörung von Ideologien, des Glaubens an diese oder jene künstlich hergestellte Wirklichkeit in Leben und Sprache, an starre Systeme, von denen Jean Paul einmal gesagt hat: Ein System kennt keine Ferien.
Sich heute zu engagieren, das könnte meinen: vom Glauben zum Wissen zu konvertieren, zu recherchieren, Ketzerei gegen geschlossene Weltbilder im Alltag zu üben, sie aufzulösen.

„Nervöse Märkte“
Und dieses Auflösen muss auch bei der Sprache ansetzen, weil das Denken eben oft zuerst über die Sprache korrumpiert wird. Viktor Klemperer schrieb in seinem Buch „LTI. (Lingua Tertii Imperii. Sprache des Dritten Reiches) Notizbuch eines Philologen“: „Worte können sein wie winzige Arsendosen: sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.“
Sprachkritik als Praxis kritischen Denkens gehört so also nicht nur zu den überlebensnotwendigen Aufgaben aller dem Gemeinwesen verpflichteten Intellektuellen, sie gehört zu den Aufgaben jeder vormundlosen Bürgerin, jedes mündigen Bürgers.
Beim Kampf um die kulturelle Hegemonie in allen gesellschaftlichen Bereichen wird vor allem und oft zuerst die Sprache missbraucht. Hohle Phrasen, Einschüchterungsrhetorik, Sprachmuster erzeugen dann die Denkmuster, die unser Handeln bestimmen. Dabei verklärt vieles von dem, was heute locker-flockig oder expertenhaft-heilig als sprachliche Mode daherkommt, als Imponiervokabel, Bläh- und Dummdeutsch oder als bewusste Lüge, verklärt den Blick auf gesellschaftliche Missstände mehr, als dass es Zusammenhänge beleuchtet.

Nehmen wir nur einmal die allgegenwärtige Floskel von den „nervösen Märkten“, die uns heute aus allen Politik- und Medienkanälen unkommentiert entgegenquillt.
Was soll denn das sein, ein nervöser Markt? Kann ein Markt überhaupt nervös sein oder eben doch nur die Menschen, die sich auf diesem Markt herumtreiben, ihn betreiben und steuern?
Und vor allen Dingen: Wenn wir erst einmal annehmen, dass es ihn gäbe, den „nervösen Markt“, wenn wir hinnehmen, dass er nicht Sprachbild, nicht Fiktion ist, sondern Wirklichkeit, dass er gar das Maß aller Dinge ist: Was müssen wir dann von ihm wissen, wie mit ihm umgehen? Wie denkt, was fühlt er, was will er von uns?

Der Markt liest die Leviten
Ich habe für Sie einmal einen „nervösen Markt“ hautnah über längere Zeit beobachtet, ihm vor allem zugehört. Gleich werde ich Ihnen die Zusammenfassung eines heimlichen Mitschnittes dessen präsentieren, was der Markt über sich selbst sagt, wenn man ihn privatim sprechen lässt. Aber denken Sie daran: Wer nichts weiß, muss alles glauben – bis er selbst dran glauben muss. Der Markt sprach also:

> Nein, zurzeit sei dies alles beileibe kein Spaß, auch für ihn nicht. Nervös, wirklich außerordentlich nervös sei er geworden und mit ihm ein ganzes Rudel freier Teil-Märkte landauf landab. In der Regel, das wisse man, seien freie Märkte extrem scheu, man könne sogar sagen „verwildert“, ja – er gebe es zu – eigentlich kaum zu zähmen. Man müsse behutsam mit ihnen umgehen. Menschen seien ihnen, den Märkten, eher fremd, nur vor einigen wenigen fremdelten sie kaum. Da müsse einer dann aber dauerhaft gelernt haben, mit ihnen zu leben, ihre Signale zu deuten, man müsse sich seiner Zuneigung sehr sicher sein. Märkte-Flüsterer wie Josef Ackermann, da gebe es eben nicht viele. Früher sei bei den meisten Märkten Nervosität eher selten gewesen und seltener noch zu beobachten. Dies sei jetzt leider verloren in Zeiten modisch gewordenen Zwangs zur Transparenz. Noch heute allerdings regelten die Märkte das allermeiste lieber unter sich, im Stillen, zurückgezogen. Die Menschen dort draußen in den Ländern würden einen Markt am helllichten Tag überhaupt nur äußerst selten zu sehen bekommen, meist erst dann, wenn er zusammengebrochen sei – wie etwa zuletzt der wildeste und aggressivste unter ihnen, der Finanzmarkt. Aber gottseidank, er habe sich wieder erholt, er habe sich aufgerappelt und behaupte sich nun seinerseits mit List und Zähigkeit gegen all jene, die ihm Böses wollten.

Auch er selbst habe zurzeit Pulsrasen, sein Macher-Herz leide unter üblen Rhythmusstörungen, seine Währungen schwankten, seine Kurse zitterten. Die freien Märkte hätten sich ihre grenzenlose Entfesselung zwar lange gewünscht, doch nun bekämen sogar sie Angst vor der eigenen Courage. Nein, nicht Angst vor der Freiheit, immer zu tun und nie zu lassen, was man wolle, sondern Angst vor sich selbst als Märkte, die gottseidank alles kontrollierten, aber die Kontrolle über sich selbst wohl ein klein wenig verloren hätten.

Dass er aber vor allem von der Politik, ja von ganzen Staatengemeinschaften ungeheuer enttäuscht worden sei, dass alle vorgäben, das Vertrauen in ihn verloren zu haben, das betrübe ihn sehr. Er fühle sich da irgendwie allein gelassen. Dass die Anleger nicht mehr anlegten wie sie müssten, dass die Konsumenten nicht mehr konsumierten, was sie sollen, das gefalle ihm ganz und gar nicht, ihm, einem vollkommen freien Markt, der letztlich alle Marktteilnehmer nur unendlich glücklich sehen wolle. Dafür müsse man ihm selbst aber bitteschön auch erlauben, glücklich zu werden. Er sei es doch, der dafür sorge, dass es mit Wohlstand und Wachstum allen gut gehe, wenn es nur ihm selbst erst wieder richtig gut gehe. Versprochen sei versprochen. Man habe sein Wort darauf.

Der Markt findet: „Alles gehöre auf den Prüfstand“ – nur er selbst auf keinen Fall
Wenn aber – wie kürzlich – frische Zypern-Hilfen für Zyperns Banken durch die EU wenige Tage verschoben würden, sei dies ein Spiel mit dem Feuer, warnt der Markt, denn er könne nun einmal als Gläubiger und Marktgläubiger auf sein Geld nicht einfach verzichten. Man müsse verstehen, wenn er da als Markt gezwungen sei, jedweden Staat zur Ordnung zu rufen, wenn er über den IWF, die EZB oder die Troika sehr deutlich erklären müsse, dass besagte Staaten erst einmal ihre Hausaufgaben zu machen hätten, bevor sie ausgerechnet von ihm, dem die Staaten rankenden Markt, etwas forderten. Nur wenn die Staaten endlich ihre Schulden, Zinsen und Zinseszinsen pünktlich zahlten, könnten die Finanzmärkte ungestört die Reviere durchstreifen, das sei Survival-of-the-fittest. Und wenn nun scheinheilig von sogenannten Demokraten gefragt würde, ob da denn nun ein einzelnes Gemeinwesen oder der globale Finanzmarkt selbst überleben solle, dann sei es einfach so, dass die Antwort nur heißen könne: Der globale Markt habe zu überleben, denn nur er gewährleiste letztlich Stabilität. Gemeinwesen kämen und gingen, das zeige gerade die jüngste Geschichte, aber der Markt sei fast so alt wie der Mensch selbst.

Markteigene Betriebe: Staaten
Ihm, dem Markt tue ein bankrotter Staat naturgemäß auch leid, nicht umsonst sei er so hypernervös in letzter Zeit, regelrecht übel sei ihm. Auch er habe schließlich Gefühle, kenne sogar Mitgefühl, demonstriere dies auch besonders gern öffentlich, habe sogar weinen müssen, als der Banken-Rettungsschirm endlich aufgespannt worden sei und es wieder viel Hoffnung gegeben habe für alle so Beschirmten. Aber deshalb gleich vice versa von den Märkten etwa zu fordern, einen Staaten-Rettungsschirm zu spannen, das gehe natürlich in die völlig falsche Richtung. So egoistisch wolle selbst das Kapital mit seinem Eigentum nicht umgehen.
Denn, schaue man sich die Schulden einzelner Staaten nämlich genau an, dann werde schnell klar, dass diese Staaten sowieso den Banken, den Finanzmärkten gehörten. Das weiß doch nun wirklich jeder seit der Immobilienblase und das kenne doch jeder von seinem kleinen Häuschen. Wenn man die Kredite nicht mehr bediene, dann komme es halt zur Zwangsversteigerung, weil das Haus schließlich dem gehöre, der es überwiegend finanziere – und das sei am Ende meistens die Bank.
Schon aus diesem Grunde, das müsse man ihm, dem Markt glauben, wolle man eigentlich nicht, dass es den Staaten als markteigenen Betrieben zu schlecht gehe. Was einem gehöre, will man recht eigentlich auch erhalten, oder? Aber über das „Wie“ müsse man schon noch reden dürfen. Staat und Gesellschaft, ja die Gesellschaft, und auch die Bürger, ja die Bürger, das sage er ganz bewusst, hätten viel zu lange über ihre Verhältnisse gewirtschaftet. Und die Verhältnisse und wie man in ihnen zu leben habe, das reguliere nun seit jeher der freie Markt, da sollten Politik und Staat sich bitte raushalten und die Freiheit der Märkte bloß nicht beschneiden. Schließlich hätte der Sozialismus jedem gezeigt, was passiere, wenn Staat und Politik die Wirtschaft steuerten oder bevormundeten: Sie ruinieren sie, die Wirtschaft. Diese Tatsache sei nicht wegzudiskutieren. Anders der Kapitalismus, er sei ohne Alternative, dies sei heute den Dümmsten klar.
Und das habe nichts mit mehr oder weniger Freiheit zu tun, nein, überhaupt nicht. Wenn erst überall der wahrhaft schlanke Staat herrsche, der den Markt vollkommen seinen Selbstheilungskräften überlasse und nur dafür Sorge trüge, dass man auf überflüssigen Ballast wie Sozial-, Kultur- und Bildungsleistungen bewusst verzichte, dann würde das Leben auch wieder erschwinglich. Man könne den Menschen viel mehr zumuten, als dies der anachronistische Sozialstaat für möglich halte. Not mache erfinderisch, kreativ, jede Krise sei tatsächlich eine große Chance für die kleinen Leute draußen in den Ländern.

Letzte Klarstellungen
Diese sogenannten sozialen Unruhen dagegen, neuerdings sogar in Europa, zeigten doch nur, wohin das Gegenteil führe, dieses Gerede von „Menschenwürde“, sozialen Menschenrechten, diese davon schwadronierenden Pseudo-Intellektuellen und Hobby-Ökonomen, diese selbsternannte Vorhut einer Neidgesellschaft, in der alle alles haben zu müssen glauben. Woher komme das nur, diese Anmaßung zu glauben, man könne sich immer überall nehmen, was man wolle? Diese ungeheure Gier, diese durch falsch verstandene Bildung und Kultur geweckten Bedürfnisse, die er, der Markt, weder erfüllen wolle noch könne, dafür sei er einfach nicht gemacht. Seine Aufgabe, sein Kerngeschäft sei es, maximale Rendite für Anleger zu erwirtschaften, das sei legitim und legal, da könne er weder dauernd auf alle anderen Marktteilnehmer Rücksicht nehmen, noch auf jene, die selbstverschuldet überhaupt nicht am Markt teilnähmen. Immerhin bleibe für diese Restgruppe der Ewiggestrigen die Möglichkeit, ihre Arbeitskraft in unternehmerischer Eigenverantwortung auf dem freien Arbeitsmarkt so teuer wie möglich zu verkaufen, dies sei nur recht und billig. Und wer das nicht wolle, wer diese Chance nicht nutze, der sei auf dem Markt letztlich auch nicht erwünscht. Dies sei eine bittere Wahrheit, aber so sei es nun einmal. Dies müsse – mit Verlaub – an dieser Stelle deutlich gesagt werden. Er wisse, damit breche er jetzt viele Tabus hierzulande, dafür werde er Prügel einstecken, o.k., dann sei es eben so, aber er wolle hier und heute Mut zeigen, so ein Wert wie Mut sei ihm sehr wichtig, denn er könne schließlich nicht jedem nach dem Munde reden. <

Anthropomorphisierung und Dehumanisierung
So weit oben der O-Ton des Marktes und jetzt haben Sie einmal fast aus erster Hand erfahren können, was so ein Markt sich so denkt, wie er fühlt, was er sich wünscht.
Und ist das nicht spannend, sogar ein wenig komisch, den Markt auch sonst sprechen zu hören, sogar, wenn er Kreide gefressen hat wie in den Medien?
Je weniger Menschlichkeit und Mitgefühl die Märkte aufbringen, desto mehr wird uns der Markt selbst in den Medien als Wesen voller Menschlichkeit und verletzlichem Gefühl präsentiert. Je inhumaner der Markt die Gemeinwesen plündert und Menschen verelenden lässt, desto bilderreicher wird uns der sogenannte „freie Markt“ selbst wiederum als reales menschliches Wesen vorgeführt.
Der Vermenschlichung des Marktes entspricht so die Entmenschlichung seiner Opfer.

Werte und Schutzvereinigungen
Da trifft es sich gut, dass gerade in Deutschland (außer in Sonntagsreden) gar nicht mehr versucht wird, die Märkte in die Verantwortung für das Gemeinwesen zu nehmen. Dass man darauf verzichtet, die Märkte politisch zu kontrollieren, darauf verzichtet, ihre obszönen Gewinne zu besteuern, von irgendwelchen Reichensteuern ganz zu schweigen. Und Gewinne gibt es im Überfluss und ‚Schutzvereinigungen’ für sie auch. Die WAZ vom 20. April 2013 meldet: „Die knapp 700 börsennotierten Unternehmen in Deutschland zahlen 2012 Dividenden von insgesamt 36,7 Milliarden Euro an ihre Aktionäre aus – fünf Prozent mehr als im Vorjahr. Das hat die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) errechnet. Den größten Teil ihrer Gewinne behielten die Konzerne jedoch für sich, kritisiert DSW-Geschäftsführerin Christiane Hölz. Die Ausschüttungsquoten lägen meist nur bei 40 Prozent, die DSW fordert die Ausschüttung der Hälfte der Gewinne.“

Die Ausschüttung der Hälfte der Gewinne, und das nicht nur an Aktionäre, sondern auch an das Gemeinwesen, das wäre doch etwas wirklich Kühnes. Da die Politik aber de facto auf Steuer-Einnahmen bei globalen Unternehmen, Konzernen, Kartellen und den (global agierenden Super-)Reichen verzichtet, muss man halt Einnahmen bei der Mittelschicht „generieren“ (wie man heute so schön sagt) oder entgangene Einnahmen ein-„sparen“ bei Ausgaben für Soziales, Bildung und Kultur. Wobei „sparen“ natürlich ein Euphemismus ist, der verschleiert, dass nicht gespart wird, sondern gekürzt, beeinträchtigt, ab- und ausgeschaltet. In letzter Konsequenz gilt, was Ernst Bloch schrieb: „Wo es nicht für alle reicht, springen die Armen ein.“

„Bibliothekendämmerung in NRW“
Bücherverbrennung, das war vorvorgestern und ist von gestern. Heute schafft man eine Mehrheit von mündigen Bürgern ab, indem man ihnen immer konsequenter soziale Sicherheit und qualifizierte Bildung entzieht. Sie wissen, was Hartz IV für eine Familie oder die baldige Massen-Arbeitslosigkeit für die Opelaner bedeutet. Sie wissen, was der sogenannte „Stärkungspakt Stadtfinanzen“ bei den freiwilligen Aufgaben und Ausgaben landauf landab bewirkt, nämlich auf Jahre hochgerechnet: die Schwächung oder Abschaffung von Kultur, Sozialem und Bildung.

Und, da die Wahrheit immer konkret ist und der Teufel in den Details stecken soll:
2012 wollten die Erbe-Institutionen der Europäischen Kulturhauptstadt 21 Vorzeige-Festivals fördern – auch nur ein einziges zur Literatur suchte man allerdings vergebens. Was nicht heißt, dass das Thema „Literaturförderung“ in den Medien und kulturpolitischen Manövern hierzulande nicht vorkäme. Die Recklinghäuser Zeitung berichtete, dass das wiederkehrende Festival „LiteraturRE“ 2012 geplatzt sei und auch 2013 findet man dazu nichts mehr im Netz.
In Bottrop (Sie erinnern sich: „Innovation City – Modellstadt Bottrop“!) schloss 2011 die zweite der vier Bibliotheken der Stadtbücherei (inkl. Kirchhellen) und mit ihr auch ein weiterer lebendiger soziokultureller Treff für Kinder und Migranten.
Die Gladbecker Stadtbücherei – so kann man in Medien und Haushaltsplänen leicht nachlesen – muss ab 2018 jedes Jahr 250.000 Euro ihres heutigen Etats ein-„sparen“. Rechnet man Inflation, Verlust der Kaufkraft hinzu, verliert Gladbecks Bücherei in den nächsten fünf Jahren rund ein weiteres Drittel ihres heutigen Etats, der ja auch schon seit Jahren schrumpft. Bisheriger Abbau von Personal (von knapp 27 auf knapp 17 Planstellen) und mögliche weitere Einschränkungen, die kommen könnten, sind hier nicht eingerechnet.
Dass bei vielen Stadtbüchereien seit langem Bücherbusse abgeschafft werden, Gebühren erhöht, Neuanschaffungsetats eingefroren, gekürzt oder ganz gestrichen werden, ist längst die Regel. Man könnte diese Tränenliste beliebig verlängern.
In mancher Kommune scheint die Kultur mittlerweile als Ganzes gefährdet. So haben wir mit Waltrop nördlich von Dortmund seit 2013 die erste kleine Mittelstadt im Ruhrgebiet, die sich keinerlei Stadtbücherei mehr leisten kann und will. Ein erschreckendes Signal auch bundesweit an alle Kommunen.

Kommunen im Koma?
Und die Kürzungen werden überall wie aus der Phrasendreschmaschine mit identischen Sprechblasen begründet: Die (kommunalen) Haushalte seien pleite, stünden unter Aufsicht, nur bei den „freiwilligen“ Leistungen, etwa der Kulturförderung, könne man noch „sparen“, woanders werde auch „gekürzt“, da könne und wolle man auch die Kultur nicht „schonen“.
Eine tiefergehende politische Analyse der Ursachen der Haushaltsnot in deutschen Kommunen fehlt vollständig. Mit dem Bankrott der kulturellen Einrichtungen erklären die meisten kommunalen Kulturpolitiker und -verweser ihren eigenen intellektuellen Bankrott immer gleich mit.
Wo man Etats kurzsichtig kürzt und öffentliche Büchereien mittelfristig in den Ruin treibt, wird der öffentliche Zugang zum kulturellen Gedächtnis der Welt und die Möglichkeit der Bürger beschnitten, sich tiefgehend auch einmal ohne kommerzielle Steuerung umfassend zu informieren und zu bilden.
Mit den Büchereien geht erneut ein Stück öffentlicher Raum verloren, Orte des Lesens, der Integration, Orte des Schweigens und des Austauschs zugleich, Orte der Besinnung abseits des Konsumismus.
Zugespitzt formuliert: Kommunen ohne Kultur werden absehbar zu Kommunen ohne geistiges Leben, und ohne geistiges Leben liegt eine Stadt so oder so im Koma.

Was tun dagegen?
In den letzten Jahren hatte ich Autorinnen und Autoren zu Gast, die auch meine Bühnenpartner waren bei Gesprächen zu ihren literarischen Texten oder Streitschriften.
Jutta Ditfurth war da mit Worum es geht – Flugschrift. Ingo Schulze kam mit seiner Dresdner Rede Unsere schönen neuen Kleider. Gegen die marktkonforme Demokratie – für demokratiekonforme Märkte. Oskar Negt war Gast mit Gesellschaftsentwurf Europa: Plädoyer für ein gerechtes Gemeinwesen und Nur noch Utopien sind realistisch: Politische Interventionen.
Zahlreiche andere Streit- und Flugschriften erschienen. Die bekanntesten sind die von Stéphane Hessel mit Empört und Engagiert Euch! Aber auch Michael Hardts & Antonio Negris Demokratie. Wofür wir kämpfen wird diskutiert oder das jüngste Buch Harald Welzers Selbst denken. Eine Anleitung zum Widerstand.

Learning resistance by doing / training on the job
Empörungseuphorie und Widerstandsappelle werden sicher keine Welle zivilen Ungehorsams auslösen, dennoch liefern alle genannten Schriften Ansätze zu einer komplexeren Theorie und Praxis neuer Widerstandsformen. Wobei auch Altbekanntes, aber immer noch Gültiges nicht zu kurz kommt. Etwa ein Aspekt der Befreiungsarbeit wie ihn Jutta Ditfurth beschreibt, wenn sie sagt (S. 13): „… die erste Waffe gegen unfreie Verhältnisse, (ist) die Waffe der Kritik für den Weg aus der Unmündigkeit“.
Ditfurth (S. 46) erinnert auch an einen wichtigen Gedanken Herbert Marcuses:
„Die gesellschaftlichen Träger der Umwälzung, und das ist orthodoxer Marx, formieren sich erst in dem Prozess der Umwälzung selbst, und man kann nicht mit einer Situation rechnen, in der die revolutionären Kräfte sozusagen ready-made vorhanden sind, wenn die revolutionäre Bewegung beginnt.“
Was da gleich in Kategorien pathetischer Revolutionsfiktion heraufbeschworen wird, hat doch auch einen brauchbaren Alltagskern im Widerstand gegen die neoliberale Aushöhlung unserer Demokratie, nämlich den, sich selbst wieder ernst zu nehmen, sich selbst wieder zu finden, sich selbst neu zu erfinden. Und mit dem Sichselbsternstnehmen beginnt er erst, der Prozess, alltäglichen Widerstand und phantasiereiche Formen des Ungehorsams zu erproben.

Uns an uns selbst erinnern & mit anderen lernen
An welchen Stellen haben eigentlich wir selbst aufgehört, eine Sprache und ein Denken zu verteidigen, für die Gedanken einzutreten, mit denen unsere Sicht der Welt und unsere Erfahrung noch zu beschreiben waren? Wann haben wir aufgehört, eine solche Sprache und damit unser Denken zu erneuern?
Ingo Schulze fordert (S. 79) und Paul Baumann hat dies auf dem Flyer des Projekts „Steinbruch Demokratie“ zitiert:
„Es geht darum, sich selbst wieder ernst zu nehmen, wieder zu lernen, die Interessen unseres Gemeinwesens zu formulieren und einzufordern und nach Gleichgesinnten zu suchen. Was wir Öffentlichkeit nennen, beginnt schon mit der Sprache eines jeden von uns. (…) Unseren Willen gewaltlos kundtun, und dies – wenn nötig –auch gegen den Widerstand der demokratisch gewählten Vertreter.
Wir sollten den Einfluss der Geste und Rede auf den Zustand der Öffentlichkeit nicht geringschätzen. Aber letztlich gilt es, über das Zeichenhafte hinaus Druck zu erzeugen.“
Und dazu benötigen wir neben unserer eigenen Erfahrung, neben unserem Wissen, unserem Mitgefühl auch einen Orientierungsrahmen, der uns hilft, die Richtung für unser Nachdenken und Handeln in unruhigen Zeiten zu finden.

Vergessene und verdrängte Utopien
Einen solchen Rahmen könnte u.a. der Sozialwissenschaftler und Sozialphilosoph Oskar Negt liefern, seine Analysen sind präzise, lebendig und verständlich, er bringt auf den Begriff und ins Bild, was Mensch, Gemeinwesen und Demokratie zunehmend zerstört.
Was mich an Oskar Negts Büchern vor allem inspiriert, ist der ermutigende Versuch, den Begriff der Utopie und seine disparaten Inhalte zu rehabilitieren, an die verlorene Geschichte der Utopien, auch an vergessene oder ausgegrenzte utopische Sozialisten zu erinnern. Denn, so sagt Negt, das Scheitern einzelner Utopien sei eben nicht gleichzusetzen mit dem Ableben eines die schlechte Wirklichkeit überschreitenden Denkens überhaupt.
Negt gelingt es, Utopien als Leitsterne einer emanzipatorischen Praxis wieder sichtbar zu machen und konkrete Utopien zu entwickeln, die uns helfen könnten, Gegenöffentlichkeit und Gegenmacht aufzubauen, Bewusstseinsarbeit zu leisten, praktisches solidarisches Engagement und bewährte wie phantasievolle Formen des Widerstands neu zu beleben. Und vielleicht auch auf europäischer Ebenen zu verhindern, dass jede Phantasie gerechter Gemeinwesen verdampft über den Strohfeuern jener Geldverbrenner, die humanes Phantasieren mit idiotischem Spekulieren verwechseln.

Angela Merkels marktkonforme Demokratie ist eben nicht alternativlos, wie sie es zu suggerieren wünscht. Die Gestaltung demokratiekonformer Märkte in einem friedensfähigen Europa steht als große Aufgabe, die in vielen kleinen Schritten bewusst anzugehen wäre. Wie das geschehen könnte, dazu macht Oskar Negt Vorschläge, denn so sein großes Credo: Demokratie muss gelernt werden.

Zu groß, um zu scheitern
Too big to fail: Das sollte nicht länger für Banken gelten, die ihre Gewinne privatisieren, aber ihre Verluste den Steuerzahlern aufbürden. Lasst Banken als die „heiligen Kirchen der modernen Ökonomie“ (Olafur Grimsson, Präsident Island) endlich pleite gehen – und nicht die Demokratie.
Too big to fail, das sollte vor allem gelten für die allgemeinen und sozialen Menschenrechte, für die Menschenwürde, für Mitmenschlichkeit – global wie lokal.


(Rede zur Eröffnung des Projektes „Steinbruch Demokratie“ (Idee & Konzept: Paul Baumann) / Kultur-Container, Fritz-Rahkob-Platz, Gelsenkirchen, 26.4.2013, 19 Uhr
Die Leserinnen und Lesern der Ruhrbarone kennen einige meiner Argumente und einige Textausschnitte aus früheren Beiträgen bei den Baronen. Vieles ist aber auch neu recherchiert, zusammengefasst, aktualisiert und erscheint in einem neuen Kontext. G.H.)

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Reinhard
11 Jahre zuvor

Lieber Gerd,

den Ärger über die Bedrohung der öffentlichen Kulturhaushalte im Ruhrgebiet kann ich sehr gut nachvollziehen, aber es gibt besondere lokale und regionale Bedingungen, die man nicht unterschlagen sollte. Die wirtschaftliche Situation im Ruhrgebiet ist desaströs. Viele Städte habe keine Handlungspielraume mehr. Den (internationalen) Neoliberalismus einzuflechten, geht an diesen speziellen Bedingungen vorbei. Zwar hat die neoliberal motivierte Abwälzung von Sozialkosten vom Bund auf die Gemeinden dazu beigetragen, aber die Städte des Ruhrgebiets haben dzu beigetragen: Man hat sich der Aufgabe, Metropole zu werden, bis heute nicht gestellt!

Es hilft wenig, das Thema Kultur im Ruhrgebiet allgemein abzuhandeln, ja auf der Ebene des internationalen Neoliberalismus. Das ist auch nur Teil des Größenwahnsinns, unter dem das Ruhrgebiet zu Grunde geht. Es ginge vielmehr um Arbeitsplätze in der Region, um die Sozialkosten, um den Anspruch, Metropole zu sein, um die Kultur einer Metropole, vor allem um eine, die nicht mit einer Präsentation des 19 Jhds. endet. Diese Themen gehören alle regional zusammen. Und doch hat man das Gefühl, in einer Trümmerregion aus Fürstentümern zu leben.

Genau diese konkreten Diskussionen sind unerwünscht … Und daran wird das Ruhrgebiet tatsächlich zu Grunde gehen.

Demokrit
Demokrit
11 Jahre zuvor

Genau analysiert, Gerd. Chapeau! Eines darf noch ergänzt werden: die Frage „Cui bono“? Wem nützt die soziale und öffentliche Verschuldung mit Geld, das keines ist, aus dem Nichts geboren um zu destabilisieren. Wie sollen 65Bio. US$ realen WeldBIP, Rendite für 710Bio. US$ Derivate erwirtschaften. Nicht der monetäre Zuwachs und das Umverteilen von Unten nach Oben wird verfolgt; es wurde einzig das Werkzeug zur Entdemokratisierung ziviler Gesellschaften geschaffen, neue Wege elitären Gouvernements.

Freidenker
Freidenker
11 Jahre zuvor

Wer jetzt noch immer nicht begriffen hat, dass über Jahrzehnte angehäufte Schuldenberge – obendrein im Schnellkochtopf einer fehl konstruierten Währungsunion zu einem explosiven Süppchen verdichtet – sich nicht einfach in Luft auflösen werden, der wird aus seinem Koma wohl nicht mehr erwachen. Bezahlen muss es der Steuermichel, also die Manövriermasse größenwahnsinniger, totalitär tickender Weltregierungsträumer und Planwirtschaftspsychos.

Andreas Lichte
11 Jahre zuvor

@ Gerd Herholz

Lange, sehr lange, habe ich darauf gewartet, dass endlich jemand „Dem Markt“ seine Stimme gibt. Nun ist es endlich soweit, und ich beeindruckt, welch feines Einfühlungsvermögen du besitzt:

„… dass die Konsumenten nicht mehr konsumierten, was sie sollen, das gefalle ihm ganz und gar nicht, ihm, einem vollkommen freien Markt, der letztlich alle Marktteilnehmer nur unendlich glücklich sehen wolle.“

Andreas Lichte
11 Jahre zuvor

@ Gerd Herholz

Deine Rede gefällt mir – natürlich, siehe meinen ersten Kommentar – ich frage mich nur, ob du nicht vielleicht dein Publikum überschätzt … ich hab jedenfalls noch einmal nachgelesen (ist das richtig?):

https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45845384.html

„Tui“ — das ist bei Brecht die Abkürzung für „Tellekt-Uell-In“, und dies wiederum, das können selbst Nicht-Tuis leicht erkennen, ist ein Anagramm für „Intellektuell“.

Tuis — das sind für Brecht alle jene intellektuellen „Speichellecker“, „Bemäntler“ und „Weißwäscher“, die auf Abzahlung „Meinungen für den kleinen Mann“ verkaufen: „Eine Meinung über die politische Lage gefällig? Es kostet nur drei Yen und geht im Stehen.“

Andreas Lichte
11 Jahre zuvor

@ Reinhard #1

hilft uns das Mantra, dass es „um Arbeitsplätze in der Region geht“ ?

Demokrit
Demokrit
11 Jahre zuvor

Notstandsgesetze ist zu harmlos, Gerd. Ermächtigung trifft es, genauso demokratisch, wie Mai 33. Ich denke auch, dass sogar das personalisierte Geflecht Markt & Finanzen angsttreibend vorgeschoben werden. Das Schlimmste für elitäre pathologische Psychopathen ist ein gebildetes Volk, eine wehrfähige Demokratie.

Liegt dem Euro ein imperiales und am Mittelalter ausgerichtetes Konstrukt zu Grunde? Ein Imperium (wird ja gerne und häufig verwendet), das sich konstant ausdehnt und die „rückständigen“ Staaten rau „zivilisiert“?

Man wusste, dass der Euro von Anfang an NICHT funktionieren würde, um später unter dem Vorwand des Alternativlosigkeit, die gewählten Parlamente und die gewählten Regierungen zwingen zu können, der Machtergreifung der EU-Technokratie und der Finanzoligarchie zuzustimmen. Der Europäische Stabilitätsmechanismus ist demnach die logische Fortführung dieser Vorstellung. Nichts liegt ferner, als die Idee, der ESM sei der gut gemeinte Versuch die Finanzkrise zu lösen!

Die EU ist modern, demokratisch und friedlich?????
Diese EU ist gar überhaupt nicht Europa! Wir brauchen wieder das Europa von Sokrates und Platon, Schiller und Beethoven, von Schecksperre, Dante und Leonardo, Leibnitz und Kant, Adorno und Habermas…

Vor diesem Hintergrund europäischen, humanistischen Geistes liegen die Lösungen nahe. Nur so kann wahre Solidarität unter den Völkern Europas bestehen, denn imperielle Arroganz hat das Widerstandpotential der Völker schon immer falsch eingeschätzt.

Demokrit
Demokrit
11 Jahre zuvor

sorry für die Fehler…die Finger können mit dem zornigen Geist nicht mithalten!

Demokrit
Demokrit
11 Jahre zuvor

@Reinhard
Andreas Lichte hat völlig recht! Ach diese Erpressung, man erhält Arbeitsplätze, scheint alternativlos. Warum? Das seidenweiche Konstrukt „Finanzkapitalismus“ hängt von einer einzigen Komponente ab: der Geldschöpfung. Wer im Stande ist Geld zu drucken, übt regionale Macht aus. Wer jedoch im Stande ist digitales Geld (Fiat- oder auch Giralgeld genannt) zu schaffen, regiert die Welt. Nicht berechenbar, wie schnell dieses marodierende System zusammenbrechen würde, hätte es nicht mehr dieses Recht.

Man stelle sich vor, Fürstin Hannelörchen würde eine auf NRW begrenzte Binnenwährung in Umlauf bringen (de Jure darf sie es), die nur 1 Jahr gültig wäre. Die Konjunktur des Landes würde förmlich explodieren!

Reinhard
11 Jahre zuvor

@ Andreas #8

Der Strukturwandel hat das Ruhrgebiet ähnlich hart getroffen wie den Osten die Integration. Die SPD-Reformen von 2010 geschahen nur aufgrund der Situationen im Osten und im Ruhrgebiet. Dort waren die Arbeitslosen- und Sozialhilfezahlen so umfangreich, die Politik so perspektivlos, dass nichts besseres einfiel, als den Bund zu entlasten, den kommunalen Kostendruck zu erhöhen und die Schleusen ins Prekariat zu öffnen. Mit Wirtschaftspolitik hatte dies nichts zu tun. Es war Einfallslosigkeit. Ein Abschreiben von Generationen.

Der Strukturwandel hatte auch internationale Gründe: Die aufstrebenden Schwellenländer! Kohle und Stahl konnte dort preisgünstiger hergestellt werden und zu dortigen Aufschwüngen beitragen. An einer hiesigen Wirtschaftspolitik fehlt es jedoch bis heute. Nein, um ein Mantra geht es mir nicht, aber um eine Politik, die nicht stattfindet, die nicht stattfinden kann, weil Bottrop oder Gladbeck gar nichts erreichen könnten, es sei denn als Teil eines politischen Ruhrgebiets.

Der Neoliberalismus – so populär er als Angriffsfläche unter Linken auch sein mag – ist im Ruhrgebiet nicht das zentrale Problem. Die Beschränkung des Strukturwandels auf Altgelände und -gebäude durch Mittel des Landes, die fehlende Wirtschaftspolitik, die faktische Abschreibung der Menschen, und all dies durch die SPD!, man mag es kaum glauben …

Man kann sich freilich den Neoliberalismus als Feind Nr. 1 erwählen, doch damit erreicht man nichts, weil sich im Kampf gegen ihn kaum etwas ändern wird. Die Probleme sind andere, viel einfachere … Zentral fehlt es überhaupt an Politik!

Andreas Lichte
11 Jahre zuvor

@ Reinhard #12

Du schreibst: „Die Probleme sind andere, viel einfachere [als der Neo-Liberalismus] …“

Wenn die Probleme so „einfach“ sind, dann gibst du uns sicher gerne deine „einfachen“ Lösungsvorschläge …

Reinhard
11 Jahre zuvor

@ Andreas #13

Aufgrund fehlender Politik war und ist es die Wirtschaft, die sich in der Politik des Ruhrgebiets versucht. Man denke an ‚Ruhr 2030‘ des Initiativkreises: Kläglich gescheitert. Viele von den anvisierten Betrieben, die zu den heimischen Konzernen konzeptionell gepasst hätten, gingen in den Osten … um dort Cluster zu bilden …

Meine Vorschläge habe ich längst aufgeführt: Das Ruhrgebiet braucht insgesamt eine Politik und Vermarktung, auch eine Wirtschaftspolitik. Und eine solche von Seiten der Politik, nicht von der Wirtschaft, aus einem Parlament heraus.

Der Neoliberalismus bietet in diesem Kontext lediglich die Rechtfertigungsstrategie für den Sozialabbau, ist eine Verkaufs- und Abschreibungsstrategie … letztlich aufgesetzt. Ist der Fußtritt!

Helmut Junge
Helmut Junge
11 Jahre zuvor

@Reinhard,
ein Strukturwandel in dieser Geschwindigkeit ist ohne „Freie Marktwirtschaft“ noch nie unter Friedensbedingungen beobachtet worden.
Darum ist das Argument, dass die Ruhrstädte am Strukturwandel laborieren, wenn auch wahr, dann aber doch wieder von dieser „Freien Marktwirtschaft“ abhängig, in dessen finanzwirtschaftlichem Zweig eben nach Ansicht vieler Beobachter neoliberale Betriebswirtschaftler das Sagen haben.
Die von Gerd beschriebenen Entwicklungen sind übrigens nicht nur im Ruhrgebet, sondern europaweit zu beobachten.

Manfred Michael Schwirske
Manfred Michael Schwirske
11 Jahre zuvor

Blendender, nein genialer Essay. Trifft in vielen Details. Und treibt auch die Generalisierung auf die Spitze mit einer umgekehrte Ontologie des Marktes.

Bisschen lang. Literarische Qualität steht umgekehrt proportional zur Brauchbarkeit von Texten (weshalb ich auch den Pessimismus hinsichtlich der Bibliotheken nicht teile: diese werden in ihrer Bedeutung überschätzt).

Und noch eine Anmerkung: Eine Modernisierung? Das wohl nicht. Was sich da herausbildet ist eine neofeudale Variation.

Manfred Michael Schwirske
Manfred Michael Schwirske
11 Jahre zuvor

Helmut, Zustimmung. Strukturwandel ist nicht Faktum oder Prozess; ist vielmehr Programmatik und vielleicht nur ein verzweifelter Wunsch. So genannter Strukturwandel.

Auf dieser Folie den Neoliberalismus als Problem zu entsorgen, das verschlägt mir die Stimme. Absurder Versuch. Selbst der ruhrgebietstypische korrumpierende und korrumpierte Dilettantismus der politischen und oekonomischen „Eliten“ ist im Wesentlichen eine Funktion des wahnsinnig gewordenen Kapitalismus. So wird ein Schuh draus. So ist die Ordnung von Ursache und Wirkung.

Arnold Voss
Arnold Voss
11 Jahre zuvor

Leute, es gibt kaum eine Region in Europa die über die letzten Jahrzehnte so viele nationale und europäische Subventionen bekommen hat wie das Ruhrgebiet. Bis zum Stehkragen ist hier Geld von außen hinein gepumpt und versenkt worden. Der Neoliberalismus hat also im Ruhrgebiet selbst nie eine Rolle gespielt. Im Gegenteil.

Den Weltmarkt als Rahmenbedingung hat es dagegen immer gegeben, denn die Region produzierte fast von Anfang an nicht nur für Deutschland. Sie war immer Exportregion und konkurrierte damit automatisch mit Konzernen und Betrieben aus anderen Ländern und das schon zu Zeiten in denen das Wort Neoliberalismus noch gar nicht bekannt war.

Das Ruhrgebiet hätte also ohne den Weltmarkt gar nicht existieren, gschweige denn seine heutige Form und Größe entwickeln können. Wer sich aber dem Weltmarkt aussetzt der kann sich ihm auch nicht entziehen, wenn er Bedingungen setzt, die für die Region Nachteile bringen weil sie deren Wettbewerbsfähigkeit, bzw. die ihrer Produktionsstätten unter Druck setzt.

Auch das hat erst mal nichts mit Neoliberalimus zu tun sondern ist die ökonomische Grundlage jeder internationalem Produktionsweise und der dementsprechenden Arbeitsteilung und und Konkurrenz. An der würde selbst eine Weltordnung nichts ändern, die weniger neoliberal wäre als die jetztige.

Helmut Junge
Helmut Junge
11 Jahre zuvor

„Hausgemachtes“ müssen wir natürlich von der allgemein gültigen Rahmenbedingung unterscheiden.
Ich möchte auch nicht, dass die Verantwortlichen auf der kommunalen Ebene jetzt sagen, dass sie kaum verantwortlich seien, weil die Entwicklung allein auf das Konto des Neoliberalismis ginge.
Natürlich ist Geld „versenkt“ worden.
Aber man kann sich des Eindrucks doch nicht wirklich verwehren, dass die Maßnahmen, die jetzt wegen der schwierigen Finanzsituation angedacht und oft schon beschlossen wurden, einem Geist entspringt, der dadurch gekennzeichnet ist, dass er von Menschen erdacht wurde, die in der Vergangenheit bereits „marktkonform“ geprägt wurden, und Menschen in der Zukunft formen werden, die noch mehr in ihren Ansprüchen auf die Bedingungen des Marktes ausgerichtet werden.
Der Schnitt geht in den Bereich Kultur und Bildung.
Das sind aber die Bereiche, die der Mensch benötigt, um überhaupt die Chance zu haben, sich als freie Persönlichkeit zu entwickeln.
Diese geistige Haltung, die hinter all diesen Kulturvernichtungen steht, ist kein Zufall, hängt auch nicht mit dem Strukturwandel zusammen, sondern ist einfach Anpassung an eine Ideologie, die zur neoliberalen Marktwirtschaft paßt.
Es ist eine Ausrichtung, die durchaus schon funktioniert. Sie entspricht in umgekehrter Richtung natürlich,der Vorstellung der leninschen Marxisten, dass der Mensch neu geformt werden kann. Das hatte bei denen zwar nicht geklappt, aber ich bin nicht sicher, ob es für die andere Richtung auch nicht geht.
Der Prozeß, die Gesellschaft in Abermilliarden egoistische Einzelpersonen zu formen, ist schon weit fortgeschritten.

Reinhard
11 Jahre zuvor

@ # Helmut

Es wird nicht gedacht, schon gar nicht ausgedacht, es wird reagiert. Die Banken waren kurz davor, den Städten die Kredite zu streichen. Das Land fordert Nothaushalte, die Bezirkregierungen regieren längst. Einsparungen sind aber nur bei freiwilligen Leistungen möglich, nicht z.B. bei Hartz 4. Ist es immer noch nicht angekommen, dass der Ruhrpott pleite ist? In Duisburg wird schon die nächtliche Staßenbeleuchtung ausgeschaltet. In was für einer Traumwelt lebt ihr?

Helmut Junge
Helmut Junge
11 Jahre zuvor

@Reinhard,
jetzt mal keine Panik.
Solange sich Duisburg noch neue Städtepartnerschaften wie Honduras leisten kann, scheint es doch selbst denjenigen, die in der Verantwortung stehen, nicht so dringlich zu sein.
Ich war 1999 als Duisburger Ratsherr in Porthmouth und denke seitdem, dass man auf solche schönen Reisen zuerst verzichten sollte.
Stattdessen hat man dort das Programm noch ausgeweitet.

„In was für einer Traumwelt lebt ihr?“
Antwort: Dort!

„Das Land fordert Nothaushalte, die Bezirkregierungen regieren längst.“

Ja, stimmt! Und weißt Du wie lange schon?
Mindestens seit 10 Jahren.
Trotzdem machen alle Parteien (ALLE!) Personalpolitik, die viel Geld kostet.
Arnold schrieb vom (versenktem) Geld. Fährst du schon mal an der Küppersmühle vorbei?
Dieses rostende Gestell, dass mal der Glanzpunkt der Gegend werden sollte, hast Du das schon mal gesehen?
Verantwortliche?
Das sind ein paar „hausgemachte“ Beiträge.
Dennoch hat Gerd deshalb nicht unrecht mit seinem Beitrag.
Es ist leider auf „freier Wildbahn“ immer etwas komplizierter, als im Zoo.
Darum diskutieren wir hier. Wobei ich es als angenehm empfinde, dass hier selten Parteipolitiker, die selber unter Fraktionzwang stehen diskutieren, sondern Einzelpersonen, die sich Gedanken machen, und mal richtig liegen, mal falsch.

Reinhard
11 Jahre zuvor

@ Helmut

Ja, ich weiß wie hier jeden Tag weiterhin Geld versenkt wird, sogar durch die Schaffung neuer städtischer Geschäftsführerposten, um die jeweils eigenen Leute zu versorgen. Und Geldvernichtungsprojekte wie die Küppersmühle kenne ich natürlich auch. Der lokale Größenwahn! Nix Neoliberalismus! Nein, lass uns auf die Kacke hauen, wir sind New York! Den Leuten würde ich nicht einmal einen Schrebergarten anvertrauen.

Und die Bürger? Ist doch angenehm, wenn die über Neoliberalismen fantasieren … weit weg von der Empirie und der politischen Praxis. Dann sind sie wenigstens beschäftigt und kommen niemandem in die Quere …

Helmut Junge
Helmut Junge
11 Jahre zuvor

@Reinhard,
Wenn ich Dir, abgesehen vom letzten Abschnitt, Recht gebe, hoffe ich, dass Du zufrieden bist, denn ich habe angefangen zu renovieren und habe kaum Zeit zum bloggen.

Beim letzten Abschnitt habe ich allein schon deshalb Bedenken, weil ich niemandem vorgeschrieben sehen möchte, worüber er fantasieren soll, oder nicht. Mich lenkt auch nichts von wichtigen Themen ab!
Du solltest auch ganz allgemein darauf verzichten „den Bürgern“ zu unterstellen, dass sie sich ablenken lassen, obwohl das Vielen tatsächlich passiert. Journalisten beim Radio und TV machen das oft, dass sie sagen, die oder die Sache wäre für ihre Hörer, Zuschauer etc. einfach zu schwierig. Die wären dann überfordert. Da platzt mir gelegentlich der Kragen.
Ich finde es gut, dass Gerd dieses Thema anreißt.
Er kommt gedanklich aus einer Richtung zum Thema, die mir weitgehend unbekannt ist. Allein schon deswegen bin ich zufrieden mit seinem Artikel.

Reinhard
11 Jahre zuvor

@ Helmut

Viel Spaß beim renovieren.

Ich werde niemandem vorschreiben, was er einbringt. Und von den Bürgern nehme ich mich nicht aus. Es muss aber auch Kritik möglich sein, untereinander.

Mir fehlt eine Bewegung aus der Bürgerschaft, die ein Interesse am Ruhrgebiet dokumentiert. Bislang werden die Stadt-Fürsten allenfalls vom Land und den Bezirksregierungen unter Druck gesetzt, mal durch den einen oder anderen Artikel. Das ist aber viel zu wenig …

Manfred Michael Schwirske
Manfred Michael Schwirske
11 Jahre zuvor

Fast könnte das wunderschoene Argument hausgemachter Probleme einleuchten. Im Sumpf des Ruhrgebiets. Wären nicht auch fast alle Kommunen, die Länder, der Bund derart tief in der Schuldenfalle. Im uebrigen seit mehr als 25 Jahren. Um von anderen Nationalstaaten und anderen Kontinenten gar nicht erst zu reden. DAS ist das Problem, das hat System, das ist Kapitalismus und Neoliberalismus.

Helmut Junge
Helmut Junge
11 Jahre zuvor

Manfred, mein Kommentar 23 bezog sich ausschließlich auf Reinhards Kommentar 22.
von meiner Position in 15 und 19 bin ich deswegen nicht abgerückt.
Dennoch muß ich auch anerkennen, dass tatsächlich Geld versenkt wurde und wird, und dass die breite Öffentlichkeit dazu weder reagiert noch massive Forderungen an die Politiker stellt, bestimmte Sparpläne nicht zu realisieren.
Während die politischen und administrativen Instanzen voll an der Bevölkerung vorbei irre Entscheidungen fällen, was wir überall beobachten können, ist der umgekehrte Weg, nämlich genau diese Bevölkerung dazu zu bringen, für ihre eigenen Interessen einzutreten, sehr schwierig. Der Weg zur Erkenntnis für diese breiteste Schichten geht vermutlich nicht über eine Diskussion über Marktmechanismen, sondern darüber, was vor der Nase passiert.
Und da ich ein pragmatischer Mensch bin, glaube ich, dass eins zum Anderen kommt, wenn erst mal der erste Schritt getan wurde. Wenn der vor der Nase liegt, muß man dort beginnen. Aber das ist eine Diskussion, die ich noch aus meiner Jugend kenne.Wo beginnen?
Für uns hier bei den Ruhbaronen, die wir diskutieren, sieht die Ausgangslage nämlich völlig anders aus.
Wir fragen mehr nach den Ursachen als die Diskutanten im Facebookblog Duisburger Stadtpolitik, wo es eigentlich nur um Wahlkampf geht.

Und natürlich ist das Problem hinter diesem Problem des derzeitigen Kulturabbaus die die derzeitige Gesellschaftsordnung. Lebten wir im Feudalismus hätten wir andere Probleme.
Wir selbst wären andere Menschen, würden wir in einem anderem System leben.
Da hast Du völlig Recht, Manfred.

Manfred Michael Schwirske
Manfred Michael Schwirske
11 Jahre zuvor

Arnold, dem von aussen reingepumpten Milliarden steht aber das Wegbrechen eigener Einnahmen und die marode Erbschaft der desertierten Industrie entgegen. Und – wie bei der Wahnsinnspolitik der Rettungspakete (nämlich: wer rettet eigentlich wen??) landet das in dieses Loch gepumpte Staatsgeld auf wundersame Weise zielgenau in den richtigen Händen. DAS IST realer Neoliberalismus.

Freilich, am Beispiel der Hedgefonds erkennt man das System viel besser: deregulieren, um dann ungestraft zu marodieren. Kurz und gut: ich betrachte die kaputten politischen Strukturen samt ihrer Eliten im Pott als Teil dieses perversen Systems.

Reinhard
11 Jahre zuvor

@ Gerd #28

Du hast Recht, wenn du betonst, dass vielen aus Politik und Wirtschaft – zumimdest bundesweit betrachtet – die Modeerscheinung ‚Neoliberalismus‘ in Form eines Marktradikalismus zum richtigen Zeitpunkt kam. Aber mit Clement lässt sich die Situation im Ruhrgebiet nicht sprachlich erläutern oder gar kausal erklären. Clement vertrat lediglich die Strategie der staatlichen Einsparungen regional, weil es keine Einnahmen mehr gab. Kultursubventionen lassen sich z.B. nur halten, wenn es staatliche Einnahmen gibt. Ist die Industrie jedoch am Ende und kommt nichts nach, dann gibt es (fast) nichts mehr zu verteilen. Das Ruhrgebiet wäre aus Bankensicht längst pleite – und die Bandidos hätten das Sagen.

Dass ein Rückzug der Politik im Laufe der Jahre überhaupt stattfinden konnte, dass man besonders bei den Sozialkosten sparen wollte, deshalb von Seiten Schröders eine mediale Diffamierungskampagne begann, dass seit einigen Jahren als sozial gilt, was Arbeit schafft, unabhängig vom Verdienst – das Finanzamt hätte in den 90ern solche Arbeiten noch als Hobby betituliert und weiter gefragt, wovon die Personen denn leben würden – diese Veränderungen waren überhaupt nur relevant, weil es den Osten und das Ruhrgebiet gab und keine Strategie, ja nicht mal eine Perspektive …

Die Ideologie hätte politisch gar nicht Fuß fassen können, hätte es wirtschaftspolitische Perspektiven gegeben … Nimmt man die wirtschaftlichen Entwicklungen hinzu, dann bietet der fürs Ruhrgebiet relevante ‚Neoliberalismus‘ nicht mehr als eine Rechtfertigungsstrategie zur Vertuschung der eigenen Unfähigkeit, Wirtschaftspolitik zu betreiben – und dies dann auch noch als sozial zu verkaufen …!

Mich persönlich ärgert die ‚Linke Polemik‘ gegen ‚den Neoliberalismus‘, weil sie letztlich vernebelt, darauf verzichtet, zu differenzieren, schon gar nicht nach kausalen, empirischen Relationen fragt. Alles bleibt im Rahmen ideologischer Annahmen und Unterstellungen. Ich will gar nicht bestreiten, dass man Spaß dabei haben kann, mehr springt dabei jedoch nicht raus. Es bringt politisch nichts, theoretisch und aufklärerisch sowieso nichts, und praktisch auch nichts. Dabei böte doch gerade die wirtschaftspolitische Unfähigkeit und die verquarstete Sprechweise im Hinblick auf sozial eine geeignete Angriffsfläche!

Es gab nur eine politische Person, die etwas wirtschaftspolitischen Erfolg verbuchen konnte: Biedenkopf im Osten. Dies muss ich ihm auch als Linker zugestehen. Dass er dann in anderer Art und Weise größenwahnsinnig wurde, steht auf einem anderen Blatt.

Manfred Michael Schwirske
Manfred Michael Schwirske
11 Jahre zuvor

Zu diskutieren, als sei das Ruhrgebiet eine Insel, das ist ein interessantes Denkspiel. Neoliberalismus ist weder Mode noch Vorwand linker Polemik. Neoliberalismus beschreibt die Rahmenbedingung des globalen Kapitalismus der letzten Jahrzehnte und ist im übrigen ein hochentwickeltes Theoretisches Konzept der Oekonomen. Theoretischer wie faktischer Mainstream.

Aber – Denkspiel – vergessen wir das.

Reinhard
11 Jahre zuvor

Es gibt den ‚Neoliberalismus‘ überhaupt gar nicht, schon gar nicht als theoretisches Konzept von Ökonomen. Der überwiegenden Nutzung nach taugt er allenfalls als diffuser Kampfbegriff!

Stefan Laurin
Admin
11 Jahre zuvor
Reply to  Reinhard

@Rheinhard: Es gibt vor allem keinen Neoliberalismus in Deutschland. Wir haben eine Staatsquote von über 44 Prozent und die fünfthöchste Steuerbelastung Europas: https://www.welt.de/wirtschaft/article115738693/Zyprer-haben-geringere-Abgabenlast-als-Deutsche.html

Reinhard
11 Jahre zuvor

@ Stefan: Danke Stefan!

Dein Hinweis setzt freilich konzeptionell eine geringe Staatsquote vorraus und würde den Markt ins Zentrum stellen, mit diesem privates Engagement. So haben wir es oben mehr oder weniger gefasst.

Dies ist aber keinesweg ‚die Theorie‘. Ich halte von Wikipedia in der Regel nicht viel, aber in diesem Fall wird wenigstens eine Ahnung von der komplexen Lage vermittelt, auch wenn in diesem Beitrag gleich zu Beginn ein Hören und Sagen eine gewichtige Rolle spielt: https://de.wikipedia.org/wiki/Neoliberalismus

Demokrit
Demokrit
11 Jahre zuvor

@ Reinhard
Leugnen ist sinnlos! Der Neoliberalismus der Sozialen Marktwirtschaft kann nur bedeuten: Abbau des Sozialen zu Gunsten der Marktwirtschaft. Denn die Konsequenzen sind doch wohl eindeutig sichtbar, oder!?

Argumente verwirren einige Diskutanten. Sie ignorieren sie demnach und verharren in ihrer wirtschaftsreligiösen Thesensammlung, stecken jedoch zu tief im Walt und verlieren die Orientierung. Sie wollen nicht unrecht haben und lenken, fahrlässig und ohne den Willen zu erkennen, wie gefährlich das werden kann, von der Essenz der fortschreitenden Vernichtung demokratischer Werte und Rechte ab; egal wie oft sie über die Höhle aufgeklärt werden, die sie miteinander gebastelt haben.

Fast alle Symptome, die zu vielen sozialen Explosionen geführt haben, rep. noch führen, und von ihnen erkannt und genannt wurden, treffen zu, ohne Frage! Nur, es fehlen Ursprung und Motiv. Sie denken, der Krisenzustand ist lokalkoloriert und lediglich die Konsequenz vieler vermeidbarer Fehler inkompetenter Lokalpolitiker und mittelmäßiger Wirtschaftsexperten. Und die Globalisierung ist ein unvermeidlicher Fortschritt. Ihr begegnen kann man nur mit Wachstum. Das IST Ordoliberalismus Hayek’schen Populistengeistes!

Sorry für die harten Worte, aber wacht doch endlich auf. Schaut was in GR, Italien und Spanien passiert. Sogar Holland ist verloren und Deutschland das eigentliche Ziel. Welche andere Politik als die vom Neo-Neoliberalismus erzwungene wurde in NRW umgesetzt, die nicht dieselbe war, wie die in den Krisenstaaten!

Demokrit
Demokrit
11 Jahre zuvor

Wald, sorry

Manfred Michael Schwirske
Manfred Michael Schwirske
11 Jahre zuvor

Lieber Stefan, ich schätze Dich sehr, ausdruecklich aber
nicht als Experte fuer Neoliberalismus.

Reinhard
11 Jahre zuvor

@ Demokrit

Ich leuge keineswegs, dass es Worte Neoliberalismus gibt … doch das einzige wirtschaftswissenschaftliche Konzept, das damit geschaffen wurde, war eine französische Vorform der sozialen Marktwirtschaft, als ein sogenannter dritter Weg zwischen Liberalismus und Kommunismus. Etwas, dass mit der überwiegenden Verwendung gleichlautender Begriffe heute nichts mehr zu tun hat.

Was man heute lax Neoliberalismus nennt, zumeist in kritischen Kontexten, hätte man früher Liberalismus genannt. Den neuen gesellschaftlichen Sprachgebrauch sind wir hier ja gefolgt, aber man sollte nicht meinen, damit etwas Theoretisches zu bezeichnen.

Den Rest des Beitrags verstehe ich nicht.

Man kann fraglos aufhören, ökonomisch zu denken. Wir Deutsche haben damit begonnen: ein Europa maßgeblich mitzukonzeptionieren, das auf wirtschaftliche Belange keine Rücksicht nimmt, auf politische noch viel weniger, nur um der Einheit willen. Die europäische Integration war international eine Voraussetzung für die Wiedervereinigung. Wir Deutsche haben Europa auf dem Gewissen, besonders den Süden. Uns war Europa, Wirtschaft und Demokratie im Grunde egal, solange die Wiedervereinigung dabei heraussprang. Das war Kohls, mit ihm auch unser Werk!

Damit ist nicht leicht umzugehen, viel leichter mit Chimären. Warum nicht mit dem Neoliberalismus? International? Um so besser! Haben wir keinen Einfluss drauf, können wir nicht ändern! Wo ist mein Sessel – und das Bier?!

Prost 🙂

Arnold Voss
Arnold Voss
11 Jahre zuvor

Zwei Vorträge die die Diskussion weiterbringen könnten:

https://www.youtube.com/watch?v=q3PMjRlOwMQ

Demokrit
Demokrit
11 Jahre zuvor

Danke Arnold…Flassbeck, die Kapazität schlechthin! Auch Prof. Dr. Bernd Senf (ein weinig gewöhnungsbedürftig zwar) klärt auf.

Demokrit
Demokrit
11 Jahre zuvor
Reinhard
11 Jahre zuvor

Das erste Flassberg-Video sah ich gerade. Hat mir sehr gut gefallen! Ein toller Tipp !!!

Das Buch „Kritik des Neoliberalismus“ hat vor allem methodische Kritik ausgelöst. Die Autoren erbasteln sich geradezu einen Neoliberalismus:

„In ihrer „Kritik“ gehen Butterwegge und Co. selektiv und verallgemeinernd zugleich vor. Einerseits werden neoliberale Definitionen des Sozialen wie Milton Friedmans „negative Einkommenssteuer“ in wenigen Zeilen (und sinnentstellend) abgetan. Andererseits wird alles, was den Autoren nicht in den Kram passt, als „neoliberal“ geoutet – egal ob es liberal, konservativ oder neu-sozialdemokratisch ist. Und weil in den 20er und 30er Jahren, in denen die Politik von Rassen- und Klassenfragen sowie dem Wunsch nach einem „starken Staat“ bestimmt war, auch Neoliberale einen „starken Staat“ wollten, gehen Butterwegge und Co. so weit, die neoliberale Idee bis heute in die Nähe des Faschismus zu rücken.

Als Beleg für den ahistorischen Unsinn muss herhalten, dass sich das Pinochet-Regime von der Denkfabrik des Neoliberalismus in den USA, der Universität Chicago, beraten ließ, als es die chilenische Wirtschaft umkrempelte. Das mag kein Ruhmesblatt für die „Chicago Boys“ sein, aber ein Argument gegen wirtschaftsliberale Reformen in Europa ist es wirklich nicht. Nebenbei: Mit dem Aufzählen von Diktatoren, die von diesem oder jenem unterstützt wurden, sollten Linke besser nicht anfangen – die Bilanz fällt ziemlich peinlich aus.

Eine gute Polemik ist wie etwas Pfeffer auf der saftigen Erdbeere. Die „Kritik des Neoliberalismus“ ist eine schlechte Polemik: Die Autoren werfen die Kriterien sozialwissenschaftlicher Arbeiten beim Inhalt über Bord und behalten sie ausgerechnet beim Schreibstil bei. Wie schon Karl Kraus sagte: Es genügt nicht, keinen Gedanken zu haben. Man muss auch unfähig sein, ihn auszudrücken.“

https://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/kritik_des_neoliberalismus_eine_rezension/

Arnold Voss
11 Jahre zuvor

Es gibt sowohl Grenzen des Marktes als auch Grenzen der Demokratie. Sowie der Marktmechanismus keineswegs immer der angemessen Zuteilungsmechanismus ist, so kann nicht in allen Bereichen der Gesellschaft demokratisch entschieden werden.

Über die ökologischen Lebensgrundlagen des Menschen, wie z.B. Wasser und Luft, darf es keine rein privaten Entscheidungen geben. Aber es muss auch einen Mechanismus geben, der das demokratische Kollektiv im Zaum hält. Demokratie ist eine hohes gesellschaftliches Gut, aber weder eine Garantie für gerechte noch für richtige bzw. angemessene Entscheidungen.

Es ist nun mal so, das Sparsamkeit keine angeborene menschliche Fähigkeit ist. Menschen sind im Gegensatz zu Tieren Wunschwesen. Wir neigen deswegen alle dazu, über unsere Verhältnisse zu leben. Als Individuum und erst recht als Kollektiv. Zumindest wenn wir die Möglichkeit dazu haben.

Wer sollte denn ein demokratisches Kollektiv daran erinnern, dass diese Möglichkeiten immer begrenzt sind, bevor es das – und das immer zu spät – selber merkt? Die Rationalität der Wissenschaftler? Die Weisheit der Intellektuellen? Die Klugheit der Gebildeten? Der Mut der Engagierten? Vergesst es Leute!

Es bedarf eines Mechanismusses der jenseits der Demokratie liegt, weil sich die Wirklichkeit nun mal nicht nach unseren Wünschen, egal ob individuellen oder kollektiven, richtet. Wenn ich zu hohe Schulden mache, bzw. die Gefahr immer größer wird, dass ich sie nicht zurückzahlen kann, dann helfen dagegen nur die höheren Zinsen, bzw. der Marktmechanismus des Finanzsektors.

Genauso bedarf es eines Mechanimusses jenseits des Marktes, der eben diesem Markt Grenzen setzt. Der ihn reguliert oder auch wahlweise dereguliert. Der ihm sich nicht selbst überlässt, weil eben auch der Markt keine generelle Garantie für gerechte, geschweige den angemessene Verteilungsergebnisse ist.

So gibt es entsprechende historische Wellen der Liberalisierung oder auch Deliberalisierung in denen jeweils bestimmte Wirtschaftskonzepte und -ideologien das Sagen haben, bzw. sich deren jeweilige Protagonisten durchzusetzen versuchen. Das ist natürlich immer auch mit einem gesellschaftlichen Machtkampf verbunden, der sogar die Demokratie als solche außer Kraft setzen kann.

Und genau davor muss sich die Demokratie schützen. Genau darum müssen die Demokraten immer besorgt sein. Genau davor müssen sie rechtzeitig warnen. Deswegen jedoch den Marktmechanismus als solchen zu bekämpfen ist der falsche Weg. Das schüttet das Kind mit dem Bade aus. Das gilt auch umgekehrt für die prinzipelle Ablehnung staatlicher Umverteilungen und Grenzsetzung des Marktes. Der Markt ist, wie der Staat, weder generell gut noch generell schlecht.

Er eignet sich als Verteilungsmechanismus nur gut oder schlecht, und das hängt von dem jeweiligen Verteilungssektor, d.h. seinen Rahhmenbedingungen und Teilnehmern ab. Das Verhältnis von Markt und Staat ist deswege immer wieder neu zu bestimmen. Auch in Reaktion auf das jeweilige Marktgeschehen. Das Marktgeschen dagegen ganz abzuschaffen bedeutet das wesentliche wirtschaftliche Korrektursystem staatlicher (Über)Macht aufzugeben.

Die Planwirtschaften dieser Welt haben überdeutlich gezeigt wo das hinführt. Im Moment jedoch zeigt der sogenannte Neoliberalismus im Finanzmarkt wo zuviel Markt, sprich Deregulierung, hinführt: Zur selben Erodierung des gesamten Wirtschaftssystems und tendenziell auch zur selben Entdemokratisierung wie zuviel Planwitschaft.

Wir sind in gewisser Weise an einem historischen Moment angekommen, an dem weltweit das Verhältnis von Staat und Markt neu verhandelt werden muss, wenn wir nicht alle das Risiko eingehen wollen, das unsere Gesellschaften als ganzes den Bach runtergehen.

Reinhard
11 Jahre zuvor

Sorry. Ich sah das 2. Flassberg-Video (Eurokrise). Das kann ich uneingeschränkt weiterempfehlen. Ich hoffe, ich komme auch noch dazu, mir das erste anzuschauen (Schulden) …

Schönes Wochenende

Arnold Voss
Arnold Voss
11 Jahre zuvor

@ Gerd Herholz

Plänewirtschaft ist keine Planwirtschaft. Dass es in der Marktwirtschaft auch Pläne gibt ändert nichts an ihren Grundbedingungen. Dass Marktwirtschaft nie im Reinformat existiert (hat) auch nicht. Das Privateigentum an den Produktionsmitteln und der konkurrierenden Wettbewerb sind dadurch nicht grundsätzlich ausgehebelt und sie beide sind es, die eine Planwirtschaft von einer Marktwirtschaft unterscheiden. Das mag grob sein, ist aber trotzdem richtig. Bis heute.

An China kann man sehr gut studieren, dass es diesen Gegensatz bis heute gibt, denn dieses riesige Land versucht bewusst beide Prinzipien unter eine Hut zu bringen. Ungarn hatte das vor vielen Jahren auch versucht, aber der Einmarsch der sowjetischen Truppen hatte diesem Experiment ein brutales Ende gesetzt.

Interessant ist, das China zwar den Marktmenschanismus und das Privateigentum an den Produktionsmitteln begrenzt zulässt, nicht aber ein privates Bankensysten. Das gesamte Finanzsystem wird komplett staatlich gesteuert, was sich bislang als sehr vorteilhaft erweisen hat.

Es gibt eine leider völlig vergessene ökonomische Schule, die zentrale Planung und dezentrale Marktmechanismen als sogenannten „dritten Weg“ zu verbinden gesucht hat. Ich denke das ihre Überlegungen, natürlich auf die heutigen Bedingungen hin überarbeitet, aktuell wieder von größtem Interesse sind.

Wirtschaftliches verhalten ist auch nicht per se menschen- und oder naturfeindlich. Betriebswirtschaftliches, also nur auf die Interessen eines Betriebes bezogenes schon eher. Aber das würde sich auch nicht ändern, wenn alle Betriebe als Genossenschaften organisiert wären.

Aber Genossenschaften haben ein anderes Gewinnprinzip und sie gehören den Mitarbeitern. Das alleine wäre schon ein großer Fortschritt bei der Zähmung kurzfristiger Profitgier. Trotzdem denken auch Besitzerkollektive eher an ihre Gruppenvorteile als an die der gesamten Gesellschaft.

Der Staat ist allerdings auch keine Garant dafür, dass sich das Allgemeinwohl durchsetzt. Erst recht wenn er unter die Fuchtel des Parteifilzes gerät. Wo also ist die Instanz, die das Allgemeinwohl zu bestimmen und durchzusetzen in der Lage ist? Wie müsste eine Demokratie aussehen, die das weitestgehend sicherstellt?

Für die Umsetzung des Atomausstieges z.B. bräuchte es ein langfristigen zentralen Plan, der zwar demokratisch korregierbar sein muss, der aber in bestimmten Bereichen auf Zeit den Marktmechanismus gänzlich außer Kraft setzt. Da es aber gesellschaftiche Kräfte gibt, die davon keineswegs begeistert sind, funktioniert weder ein solcher Plan noch der Energiemarkt.

Was ist also in einer Demokratie die Lösung dieses Problems? Oder gibt es die nicht, gerade weil wir in einer Demokratie leben, bzw. leben wollen? Weil es in einer Demokratie legitim ist, dass jede Interessengruppe eben diese Interessen auch durchzusetzen versucht, es also weder ein reine Plan- noch eine reine Marktwirtschaft geben kann?

Demokrit
Demokrit
11 Jahre zuvor

Ach Arnold, ich bitte Dich! Die Hype „Hilfe Planwirtschaft im Anmarsch“ ist doch schon ausgelutscht. Zwischen „marodierender Markt“ und Planwirtschaft eröffnet sich die Mannigfaltigkeit.

Der Markt regelt rein gar nichts. Er tat es nicht und tut es nicht. Der Markt ist nichts, nur die entpersonalisierte Vokabel für Personen mit Maximalprofitgier, wogegen nichts einzuwenden ist, wenn Regeln eingehalten werden. Es gab solche Regeln, im goldenen Mittelalter zwischen 1150 und 1450 n.Ch., weithin in den Standesrechten und -pflichten enthalten. Die Wirtschaft blühte, und zwar nicht trotz, wegen der Regeln, die von allen anerkannt wurden. Und hielt sich einer nicht daran, wurde er geteert und gefedert. Keine üble Idee übrigens!

Arnold Voss
11 Jahre zuvor

@ Gerd Herholz # 48

Niemand hätte einen der betroffenen Staaten daran hindern können, die Banken pleite gehen zu lassen. Da wo Banken in der Geschichte verstaatlicht wurden, hat das bislang noch keine einzige Bank verhindern können. Ein Staat, bzw. die Politik muss es einfach nur wollen. Staaten können, anders wie private Schuldner, auch nicht gezwungen werden, ihre Schulden zurückzuzahlen. Wer könnte z.B. die amerikanische Regierung dazu zwingen, sofort alle ihre Außenstände zu begleichen.

Schon aus diesen drei Gründen führt der Satz, dass die Staaten den Banken gehören, in die ideologische Irre. Die Banken sind nur so stark wie es die Politik zulässt, den nur die Regierungen dürfen Geld drucken (lassen), nur sie machen die Gesetze und nur sie haben im Ernstfall auch die Polizeigewalt um diese durchzusetzen.

Aber selbst die Partei die Linke hat im Deutschen Bundestag nicht gegen die Bankenrettung gestimmt sondern sich klammheimlich durch Stimmenthaltung aus der Verantwortung gezogen. Offensichtlich ist es auch für explizite Antikapitalisten ein Alptraum, wenn – selbst nur für kurze Zeit – aus den Geldautomaten keine Geld mehr kommt und (ihre) Konten gesperrt werden.

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