Heute vor genau 35 Jahren sahen wir Götz George das erste Mal in seiner Rolle als Horst Schimanski. Er frühstückte zwei rohe Eier und schon in der nächsten Szene rief er „Hör auf mit der Scheiße!“, als jemand einen Fernseher aus dem Fenster warf. Eine neue Ära hatte begonnen. Von unserem Gastautor Harald Schrapers.
Götz George ist untrennbar mit Horst Schimanski verbunden. Er hat die Figur, die im Umfeld der Münchener Filmhochschule erdacht wurde, gespielt, geprägt und entwickelt. George kam nach Duisburg und schaffte es, dem Ruhrgebiet ein neues Selbstbewusstsein zu geben. Wahrscheinlich ging es gar nicht anders, dass dies ein Berliner Schauspieler machen musste, der von außen kam und den Duisburgern einen Spiegel vorhielt. Dieses Verzagte und sich selbst Verleugnende – das kam in Schimanskis Welt nicht vor. Und Götz George war der Garant dafür.
„Ich habe eine ganz neue Sprache entwickelt für diese Figur“, sagte George in einem Interview. In den Drehbüchern habe er seine gesamten Texte umgeschrieben, jeden Satz mehrfach geändert, bis er die richtige Sprachform gefunden hatte. „Dadurch bekam der Schimanski sein Eigenleben“, so der Schauspieler. Regisseure, die der Schimanski-Figur ihren eigenen Stempel aufdrücken wollten, mochte Götz George nicht. Er gestand den Autoren und Regisseuren zu, die Figur geboren zu haben. „In der Darstellung, in der Attitüde, in den spezifischen Eigenheiten“ sei Schimanski aber sein Werk, er habe ihn entdeckt.
Offen und direkt, so war die Sprache des Horst Schimanski. Und so sehen sich viele, die im Ruhrgebiet leben. Er sprach keinen rückwärtsgewandten Ruhrpott-Akzent. Er war mit den Traditionen der Region, den grundehrlichen Menschen, der Arbeiterklasse verbunden – und gleichzeitig stand er für das Neue. Er war umstritten, auch und gerade in Duisburg. Es war die jüngere Generation, die von dem neuen Ruhrgebietsbild begeistert war, von dem Spiel des Götz George und den Kulissen, die die Stadt mit seiner ganzen Vielfalt und seinen Widersprüchen zeigten.
George räumte gemeinsam mit den Autoren, Regisseuren und Produzenten den deutschen Fernsehkrimi auf und stand dabei im Mittelpunkt. Nicht mehr Kriminalfall, der vom Ermittler nüchtern und objektiv gelöst wurde, war der Kern einer Tatort-Folge, sondern der Kriminalhauptkommissar mit all seinen Verstrickungen. Die 68er-Generation war im Sonntagabendprogramm des Deutschen Fernsehens angekommen, und Götz George schien die Idealbesetzung zu sein. Doch eigentlich gehörte er gar nicht zu denen, die im Umfeld des neuen deutschen Films groß geworden waren und als Statement zuerst den Fernseher aus dem Fenster warfen. Er galt damals als ein Schauspieler der sechziger Jahre, wo er unter anderem in Karl-May-Verfilmungen mitwirkte. Doch Götz George widersetzte sich diesem Eindruck. Er passte zu seiner Rolle, die geprägt war von „Beschränktheit und Menschlichkeit, Fairness und Gerechtigkeitsfanatismus“, wie es George selbst beschrieb. Er mochte die politische Haltung, die zu der Figur gehörte, die mal subtil war, und mal unverkennbar. In zwei Folgen trug Schimanski den Gelbe-Hand-Button „Mach‘ meinen Kumpel nicht an“ als Statement gegen Fremdenfeindlichkeit.
„Alles ist politisch!“, sagte George in einem Interview anlässlich seines letzten Schimanski-Auftritts. „Wenn du in Duisburg drehst, musst du politisch sein. Wie haben wir damals mitgebrüllt gegen die Mächtigen von ThyssenKrupp, wir sind mit den Stahlarbeitern auf die Straße gegangen. Wir haben ja sogar für die Streikkasse gesammelt. Aber selbst mir als alten SPD-Mann war immer schon klar: Die Massenentlassungen waren abgemachte Sache, die Politik hat längst entschieden“, hatte der Götz George die Abwärtsentwicklung im Ruhrrevier miterlebt.
Duisburg hatte er in den achtziger Jahren kennengelernt. Bis zu drei Wochen dauerten damals die Dreharbeiten für einen Tatort. Er mochte die Stadt. Die späteren Entwicklungen sah er nur noch flüchtig. Es wurde immer häufiger in München und später in Köln gedreht, auf Duisburg entfielen dann nur noch zwei oder drei Drehtage. Duisburg sehe inzwischen aus wie Düsseldorf oder Köln, lamentierte George, sei teils aufgehübscht, teils traurig verwahrlost. „Dieses alte Duisburg gibt es nicht mehr. Aber da gehört Schimanski hin“, sprach der Schauspieler aus Sicht seiner Figur.
George spielte sie in 27 TV-Tatortfolgen, zwei Kinofilmen und 17 Folgen der Reihe „Schimanski“. Er wurde alt mit seiner Figur, und hob sich damit wohltuend von den Filmreihen ab, in denen die Hauptdarsteller zeitlos dargestellt werden. 2013, George war inzwischen 75 Jahre alt und die Figur des Schimanski kaum jünger, sahen wir den Duisburger Ex-Polizisten das letzte Mal im Fernsehen. Am Ende lief er durch das Ruhrorter ArcelorMittal-Werk, der glühende Stahl beleuchtete die Szenerie und bot die Kulisse für einen mythischen Ruhrgebietsort. Ein melancholischer Schimanski haderte wie so oft in seinem Leben mit dem Widerspruch zwischen Recht und Gerechtigkeit, als er die sichergestellte Tatwaffe im Stahl verschwinden ließ. Anschließend ging er nach Hause und schrieb „Ich liebe dich“ auf seine neue Couchgarnitur. Das sei eine „schöne, doppeldeutige Erklärung“ gewesen, die sich nicht nur auf die Lebensgefährtin Marie-Claire, sondern auch auf die Figur Schimanski beziehe, sagte Götz George ein Jahr später. „Dieser Typ tritt so leise ab, wie er laut angefangen hat“, erklärte der Schauspieler bereits 2014 seinen Abschied von seiner Paraderolle, denn er habe nicht mehr die Kraft von Schimanski. Jetzt ist Götz George gestorben. Wir haben einen ganz großen Schauspieler verloren.
„Dieses alte Duisburg gibt es nicht mehr. Aber da gehört Schimanski hin“
die wollten dort nicht mehr drehen weil dort jetzt Kosovo ist. Das hätte sich der toughe Sozialdemokrat Schimanski aber nicht zu sagen getraut.
[…] Publikum ist heute gemischt und, ich glaube, jünger als damals. Götz George – aka Horst Schimanski – war hier bereits Kunde. Hape Kerkeling […]