Götz Werner: „Die Feuchtgebiete haben sich besser verkauft…“

Götz Werner hat die Drogeriemarktkette dm gegründet. Er zählt zu den reichsten Deutschen. Mit den Ruhrbaronen sprach der Anthroposoph über Geld, seinen Bestseller über das unbedingte Grundeinkommen und über …… Feuchtgebiete

Götz Werner. Foto: Urachhaus

Ruhrbarone ?: Herr Werner, glaubt man den Statistiken, steigt in Deutschland die Zahl der Armen.
Götz W. Werner: In einer Gesellschaft, die noch nie zuvor so reich war wie heute, ist ein in Armut lebender Mensch ein Skandal. Und es ist auch skandalös, wenn wir heute statistisch abstrakt über Kinderarmut oder über Altersarmut reden. Was heißt denn Kinderarmut? Kinderarmut heißt doch, dass wir an dem Ast sägen, auf dem wir sitzen. Und Altersarmut, gerne von den Politikern damit begründet, dass man die gegenwärtige Generation nicht so belasten darf und deswegen die Renten nicht anpasst, ist nichts anderes als grober Undank. Unser heutiger Wohlstand ist auf dem begründet, was die vorangegangene Generationen, die Lebenden und auch die nicht mehr Lebenden, geschaffen haben.

?: Eine Frage ist ja auch, was Armut überhaupt ist. Armut ist in Deutschland ja eine statistische Größe. Wer weniger als die Hälfte des Durchschnittseinkommens zur Verfügung hat, gilt als arm.
Werner: Für mich ein Mensch arm, der nur mit Almosen sein Leben bewältigen kann.

?: Haben wir dann denn überhaupt Armut in Deutschland? Unsere sozialen Sicherungssysteme wie Sozialhilfe oder ALG II sind ja geschaffen worden, um Armut zu verhindern und eine Grenze zu ziehen, unter die niemand fallen darf.

Werner: Theoretisch ist das so, aber machen Sie doch mal ein Hartz-IV-Praktikum. Das würde die Sache vielleicht deutlicher machen.

?: Als Student habe ich genau von solchen Summen gelebt.
Werner: Als Lehrling habe ich von weniger gelebt, aber das waren andere Zeiten. Wenn heute eine alleinerziehende Mutter auf Hartz-IV angewiesen ist, kann sie ihrem Kind nicht ermöglichen, an einer Klassenfahrt teilzunehmen. Sie ist oftmals nicht in der Lage, den Kühlschrank reparieren zu lassen oder sich eine Fahrkarte für den öffentlichen Nahverkehr zu leisten. Wie wollen Sie sich heute in der Großstadt bewegen, ohne dass Sie den öffentlichen Nahverkehr in Anspruch nehmen? Das ist persönliche Armut – und parallel dazu haben wir eine öffentliche Armut. Wieso leisten wir uns eine schadhafte Infrastruktur?

?: Weil die öffentliche Hand kein Geld hat, die Infrastruktur in Ordnung zu halten?
Werner: Das ist ein Denkproblem. Wenn eine Stadt sagt, sie habe kein Geld, um die Kanalisation zu reparieren, dann liegt das doch nicht daran, dass wir kein Geld haben. Sondern es liegt daran, dass wir das Geld als die Realität sehen und nicht die Tatsache, dass es genügend Handwerksbetriebe gibt, die in der Lage sind, die Kanalisation zu reparieren. Alles, was produziert werden kann, ist auch bezahlbar. Unser Reichtum ist doch die noch nie da gewesene Fähigkeit, Güter und Dienstleistungen in Hülle und Fülle herzustellen – Überfluss, wo Sie hinsehen. Die Frage ist, ob uns es gelingt, uns als Öffentlichkeit wie auch als einzelne Individuen den Zugang dazu zu verschaffen.

?: Sie müssen nur bezahlt werden.
Werner: Nein, sie müssen nicht bezahlt werden, sie müssen produziert werden. Und wenn sie produziert werden, dann sind sie auch bezahlbar. Wir meinen immer, der Engpass sei das Geld. Aber ohne die Produktion wäre das Geld ja gar nicht da.

?: Produziert wird im Idealfall nur das, wofür man einen Abnehmer findet.

Werner: Der Wert entsteht doch erst durch die Produktion, dadurch, dass ein Gut, eine Dienstleistung hervorgebracht wird, entsteht überhaupt erst das Geld. Und die Verirrung ist, dass wir glauben, das Geld wäre der Engpass. Wenn wir einerseits Straßenbau-Unternehmen haben, die mit ihren Menschen und MethodenStraßen instand setzen können, und trotz mangelhafter Infrastruktur diese Straßenbau-Unternehmen Pleite gehen, weil sie keine Aufträge haben, dann merkt man doch, dass da etwas nicht stimmt. Unser Problem ist, dass wir die Welt durch einen Geldschleier sehen.

?: Mit Ihrer Idee vom Grundeinkommen haben Sie für viel Aufmerksamkeit gesorgt. Ihr Buch Grundeinkommen für alle war ein Besteller.
Werner: Na ja, es ging. Die Feuchtgebiete von Charlotte Roche haben sich deutlich besser verkauft.

?: Immerhin ist es Ihnen gelungen, eine Idee öffentlichkeitswirksam zu positionieren und eine Debatte zu entfachen.
Werner: Ja, eine Debatte, aber eine Entscheidung in dieser Richtung gibt es noch nicht.

?: Erfüllt Hartz-IV nicht die Funktion eines Grundeinkommens?
Werner: Nein, nicht nur wegen der Höhe, sondern weil all die Leistungen, die wir heute geben, mit Ausnahme des Kindergeldes nicht bedingungslos sind. Wir erkennen nicht das Individuum an, die Tatsache, dass jemand in unserer Gesellschaft lebt, erfordert, dass ihm die Gesellschaft die Lebensgrundlage ermöglicht. Das ist aber der Grundlage für jede persönliche Freiheit. Im Römischen Reich konnten Sie einem Sklaven nur dann die Freiheit geben, wenn Sie ihm gleichzeitig auch ein Stück Land gaben. Weil die Menschen wussten, das Stück Land versetzt ihn in die Lage, sich selbst zu versorgen. Das Grundeinkommen ist das moderne Gegenstück zu dem Stück Land im Römischen Reich: Jeder hat ein Anrecht darauf. Die Tatsache, dass jemand lebt, sollte dazu führen, dass die Gemeinschaft anerkennt, weil dieser Mensch lebt, geben wir ihm die Teilhabe, damit er dann tätig werden kann. Denn wir werden nicht für unsere Arbeit bezahlt, sondern Geld ermöglicht uns erst, tätig zu werden. Wenn jemand das einmal verstanden hat, ändert sich sein Leben.

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Fenrir
Fenrir
15 Jahre zuvor

„Als Student habe ich genau von solchen Summen gelebt.“

Diese Aussage ist meiner Meinung wirklich unglaublich dämlich. Der Herr Reporter möge mal ein Jahr oder mehr vom Hartz V Satz leben, dem ständigen perversen Druck durch die Argen. Dann wird er das wohl etwas anders sehen.

Jens König
15 Jahre zuvor

Die Aussage ist nicht dämlich, da sie stimmt. Wahrheit ist nicht dämlich. Viele Studenten leben/lebten von weniger.

Allerdings:
Der Zusammenhang in dem dies angeführt wurde, ist zwar nicht dämlich, aber schon unpassend. Er hat Äpfel mit Birnen verglichen, sozusagen. Denn HartzIV wird dem erwachsenen Menschen zugemutet, der keine Arbeit hat, dem, der schon eine Ausbildung hatte (den Fall, dass keine Ausbildung gemacht wurde lasse ich mal aussen vor), einem Menschen, der also schon mit wenig Geld gelebt hat (bzw. von Erspartem gezehrt hat), aber dafür einen Beruf gelernt hat.

HartzIV ist die Station im Leben, die nach der Ausbildung kommt. Das erwachsene Leben. Das, welches andere mit einer beruflichen Tätigkeit füllen können, aber eben nicht alle, es existiert schliesslich keine Vollbeschäftigung.
HartzIV ist Familie ernähren.
HartzIV ist Leben. Teilhabe an der Gesellschaft.

HartzIV ist zu knapp bemessen und mit Bedingungen versehen, die ich als entwürdigend betrachte. HartzIV ist die Schande der Sozialdemokratie.
Ein bedingungsloses Grundeinkommen wäre die mindeste Entschuldigung. Es entspricht humanistischer (und auch christlicher, liebe CDU) Ideale.
Ein bedingungsloses Grundeinkommen gibt menschen Freiheit (liebe Liberale).
Und es macht den Arbeitnehmer unabhängig von der Gier der Arbeitgeber (liebe Sozialdemokraten) und der Willkür des Kapitals (liebe Linken).

Fenrir
Fenrir
15 Jahre zuvor

@stefan

Sorry. Es sind immer die gleichen meiner EMinung „dummen“ Argumente. Wer hat nicht schon in einem Job gearbeitet der mehr oder weniger knapp über dem Alg 2 Satz lag? Fragt man dann allerdings nach kommt schon noch dabei heraus das noch andere Einkünfte da gewesen sind. Was ist denn der durschnittliche Hartz IV Satz? Es sind bei jemandem der alleine lebt etwa 700 Euro, meist weniger.
Und ja, man kann von alg 2 schon eine gewisse Zeit überleben. Eine gewisse zeit! Denn Spielraum für Strom, oder anderes ist nicht drin. Der Vergelich mit niedrigverdienenden ist meines erachtens ziemlich dämlich. Denn hier drückt Alg 2 das Lohngefüge. Zudem werden Menschen gegeneinander ausgespielt, die sich nun wirklich nicht gegeneinander aufbringen lassen sollten.
Kaufkraft bei Alg 2 Empfängern? Wo?

Mit-Leser
Mit-Leser
15 Jahre zuvor

Ich fand die Grundeinkommens-Debatte zuerst auch sehr spannend. Allerdings habe ich auch starke Zweifel: Weil ein Betrag – über den jeder automatisch verfügt – auf einem Freien Markt irgendwann den Gegenwert von Null bekommen wird. Klingt jetzt vielleicht kompliziert, lässt sich aber am Beispiel der Abwrackprämie auch in der Praxis verfolgen.

Um Armut nachhaltig zu bekämpfen müsste man eher hinterfragen, ob wir es wirklich für sinnvoll erachten, dass unser Gesellschaftsmodell so angelegt ist, dass es Menschen in Gewinner und Verlierer aufteilt. Hobbes würde sagen: „Dies ist nun einmal so. So sind die Menschen.“ Das ist sicherlich eine richtige Feststellung – aber ist es wirklich schlau?

Ich persönlich habe von unserem Leistungsmodell bislang eher profitiert. Da ich dank meiner Herkunft meistens auf der Seite der Gewinner stand. Doch global betrachtet wächst in mir mehr und mehr der Unmut. Weil ich das Gefühl habe, dass wir uns in zutiefst urzeitlichen Strukturen bewegen. Armut müsste eigentlich gar nicht sein – wenn wir sie nicht wollten. Sie ist bloß ein logischer Nebeneffekt des Gesellschaftsmodells.

Syberia
15 Jahre zuvor

Das ewige „Als Student hatte ich auch nicht mehr!“-Argument der Akademiker schnarcht mich an. Als Student(in) hat man sich freiwillig in diese Situation begeben, das Ende der mageren Jahre war absehbar, da man nach dem Examen sehr gute Perspektiven hatte, darüber hinaus bot das Studium eine sinnvolle Aufgabe, reichlich soziale Kontakte und etliche Vergünstigungen (Ticket, Mensa, Nachlässe auf Eintrittskarten etc.). Nicht wenige hatten (und haben) eine wohlhabende Familie im Rücken, die im Notfall (und auch ohne) etwas dazu gab, wenn es um eine kaputte Waschmaschine oder einen Skiurlaub ging. Wie viele der Langzeitarbeitslosen haben das?

Wieso man das alles jedes Mal aufs Neue aufzählen muss? Weil über Systeme (Agenda 2010, Hartz IV, Sozialhilfe etc.) diskutiert wird, statt mit Menschen geredet.

Es haben übrigens schon etliche Redakteure versucht, einen Monat lang mit dem Hartz-IV-Regelsatz auszukommen (Stern, RTL, Mindener Tageblatt, Welt, Berliner Zeitung und so weiter, einfach mal googeln) das Fazit war immer dasselbe: geht nicht.

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