Nach langen Jahren voller Konflikte stehen die Zeichen zwischen Griechenland und der Türkei auf Annäherung im Eiltempo. Unser Gastautor Macit Karaahmetoglu begrüßt die jüngsten Beschlüsse der beiden Länder und sieht darin ein mögliches Vorbild für das türkisch-europäische Verhältnis.
Griechenland und die Türkei haben eine umfangreiche Freundschaftserklärung unterzeichnet – nur ein Jahr nachdem der türkische Präsident Erdogan dem Land mit Kriegsrhetorik begegnete und dem griechischen Ministerpräsidenten Mitsotakis seine Existenz absprach.
Genau diesem Mitsotakis hat er, zusammen mit zahlreichen Ministern nun einen Besuch abgestattet und gestern Kooperationspläne präsentiert. Das zeigt einerseits, wie flexibel Erdogan in seinem Populismus ist, wenn man etwas anzubieten hat, was er haben möchte. Vom angedrohten Krieg in der Ägäis bis zur großen Freundschaft sind es bei ihm nur wenige strategische Gedankengänge. Sein Populismus, so schockierend er oftmals anmutet, ist ohne jede Substanz. Erscheint es Erdogan opportun, ist er jederzeit bereit einen „u-turn“ hinzulegen.
Die Gespräche und ihre Ergebnisse unterstreichen aber auch, wie weit man mit einem gesunden Pragmatismus und dem gerechten Abgleich von Interessen kommen kann, wenn man sich nicht von Erdogans Provokationen verunsichern lässt und davon absieht über jedes Stöckchen zu springen, das er einem vor die Füße wirft.
Dass Griechenland mit touristischen Visaerleichterungen und mehr Handelsoptionen nun sogar belastbare Zusagen für eine bessere Zusammenarbeit bei der Migrationskontrolle bewirken konnte, sollte Europa den Weg weisen. Visaerleichterungen sind kein Geschenk an Erdogan, vielmehr muss man sie als Signal der Völkerverständigung verstehen. Von erhöhtem Handelsvolumen profitieren beide Seiten.
Der Preis, den man für ein kooperativeres Verhalten Erdogans zu zahlen hat, ist im Grunde überschaubar. Ja, man muss an einigen Stellen über verbale Scharmützel und Innenpolitik hinwegsehen. Wollen wir aber mit der Türkei weiterkommen, benötigt es eben deutlich mehr Pragmatismus, weniger Idealismus.
Die europäischen Staaten müssen sich fragen: verweigern wir uns einem Dialog aufgrund rechtstaatlicher Missstände im System Erdogan, die wir aber auch dann nicht ändern können? Oder schauen wir uns nüchtern an, was wir uns jeweils Gutes tun können, um die Beziehungen zu stärken, sie verlässlicher zu machen? Es geht schlussendlich auch darum, das Verhältnis auf stabile Füße für die Zeit nach Erdogan zu stellen.
Die Unberechenbarkeit des amtierenden Präsidenten kann nur mit einem aufrichtigen Austausch und verbindlichen Beschlüssen im Interesse aller Beteiligten eingedämmt werden.
Das zeigt auch noch einmal, wie richtig die Entscheidung des Bundeskanzlers war, den türkischen Präsidenten in Berlin zu empfangen. Dialog ermöglicht Einfluss und auf diesen können Deutschland und Europa nicht verzichten. Gleichzeitig hat man der Türkei genug zu bieten, um selbstbewusst in solchen Gesprächen auftreten zu können. Die Türkei kann sich schon aus wirtschaftlicher Sicht keine weitere Verschlechterung ihres Verhältnisses zu Europa leisten. Investitionen und Kooperationen, zum Beispiel im Bereich der Energiewirtschaft und damit zusammenhängender Lieferketten, wird es nur geben, wenn die Türkei bereit ist, weniger Störenfried und mehr Partner für Europa zu sein. Das weiß auch Erdogan, wie seine atmosphärische Kehrtwende in Sachen Griechenland wieder einmal eindrucksvoll beweist.
Zur Person: Macit Karaahmetoğlu wurde 1968 in Rize (Türkei) geboren und kam mit 11 Jahren nach Deutschland. Nach mittlerer Reife und Abitur absolvierte er ein Jurastudium und gründete 1997 seine eigene Kanzlei in Ditzingen. Karaahmetoğlu ist Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht und seit 2021 Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Ludwigsburg. Er ist ordentliches Mitglied im Rechtsausschuss sowie im Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung. Er ist zudem stv. Vorsitzender der Deutsch-Türkischen Parlamentariergruppe und Präsident der Deutsch-Türkischen Gesellschaft e.V. in Berlin.
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