Grüne greifen Baranowski wegen Ruhrstadt an

Gestern hat sich der Chef der Ruhr SPD, Frank Baranowski – gleichzeitig Oberbürgermeister von Gelsenkirchen – dafür ausgesprochen, ein Ruhrparlament zu wählen, das den Namen auch verdient. Gleichzeitig will Baranowski einen direkt gewählten Ruhrstadt-Chef durchsetzen. Eigentlich löblich, oder? Ein Weg raus aus der Kleinstaaterei hin zur Ruhrstadt. Nein, findet Börje Wichert, Chef des Grünen Bezirks Ruhr, das ist nicht löblich. Deswegen hat er folgenden Gastbeitrag geschickt:

Willkommen im Club – Der scheinbare Politikwechsel der SPD im Revier

Der Laie staunt und der Experte reibt sich verwundert die Augen. Überfliegt er auf "ruhrbarone" und "der westen", was Ruhr-SPD-Vorsitzender Baranowski zur Zukunft des Ruhrgebiets von sich gibt.

Baranowski adaptiert nämlich lediglich Versatzstücke grüner Programmatik, die dort schon seit 1996 Beschlusslage sind und die auch der langjährige Ruhr-CDU-Chef Lammert vertreten hat. Die Direktwahl eines Ruhr-OB und eines Ruhrparlaments sowie Nahverkehr aus einem Guss und nicht von 26 Nahverkehrsunternehmen mehr schlecht als recht verwaltet, um hier nur drei Dinge zu nennen.

Nun neige ich bei solch späten Erkenntnis in der Regel nicht dazu, dafür Schelte zu verteilen, denn späte Erkenntnis ist besser als gar keine. Hier allerdings kann ich mir nicht mehr auf die Zunge beißen, Reden und Handeln der SPD stehen nämlich in massiven Widerspruch.

Die SPD hat verhindert, dass ihr visionärer Ex-Städtebauminister Zöpel RVR-Chef wurde. Stattdessen kam mit Heinz-Dieter Klink der Kämmerer einer mittelgroßen Kommune, der möglicherweise etwas von Bürokratie versteht, von politischen Aushandlungsprozessen allerdings weniger.

Die SPD war im RVR in der zu Ende gehenden Legislaturperiode zumindest arithmetisch in der Lage, gemeinsam mit dem grünen Koalitionspartner und einer in diesen Fragen partiell aufgeschlossenen Landesregierung mehr Kompetenzen für den RVR zu beschließen. Erwähnt sei hier nur der Bereich Kultur. Die SPD wollte ihn nicht, jetzt – einige Wochen vor der Wahl, fordert Frank Baranowski ihn plötzlich.

Die Ruhr-SPD hat das Zeitfenster der letzten Jahre nicht genutzt. Das wird sich auf jeden Fall finanziell rächen. Wäre der Nahverkehr gemeinsam verwaltet worden, würden jetzt schon massiv Overhead-Kosten eingespart. Auch eine frühzeitige Reduktion der AGR auf ihr Kerngeschäft hätte einiges an Geld gespart. Weitere Punkte will ich an dieser Stelle nicht aufzählen.

Nun sollte man aber die Chancen von Baranowskis Vorstoß nicht ausschlagen. Machtzentren bestehen in der SPD nur noch bei den einzelnen OBs, was nicht zum Vorteil des ganzen Ruhrgebiets ist. Hier endlich wieder zu klaren, übergeordneten Strukturen und Kompetenzen zu kommen, ist nicht die Aufgabe des Koalitionspartners, wäre aber auch für ihn und das ganze Revier von Vorteil. Vielleicht bietet der Abgang manch alter Haudegen dafür eine Chance.

Die Grünen reichen für die notwendigen Umstrukturierungen die ausgestreckte Hand. Ganz klar ist aber, dass es handlungsfähige Kommunen und einen handlungsfähigen RVR braucht. Dafür ist eine sinnvolle Kompetenzabgrenzug notwendig. Die Fragen heißen: "Was macht eine Stadt oder ein Kreis am besten selbst? Welche Aufgabe hat Netzwerkcharakter und erhebliche Auswirkungen auf andere Kommunen?" Danach ist zu entscheiden, wie Aufgaben aufgeteilt werden. Es wäre dagegen ganz und gar kontraproduktiv, das Schlechteste aus der EU zu importieren, was sie zu bieten hat, nämlich das Vetorecht in der zweiten Kammer. Das ist geradezu eine Einladung zur Obstruktuktionspolitik für Profilneurotiker. Ein Oberbürgermeister allein könnte die Entwicklung des ganzen Ruhrgebietes blockieren.

Es ist schade, dass Frank Baranowski erst in der schlimmsten Krise, die die Kommunen hart trifft, die Wirtschaftskrise, darauf kommt, dass einem eng vernetzten Revier mit gestärkten demokratischen Elementen die Zukunft gehört. Erfreulich ist dagegen, dass es nun einflussreiche Kräfte in der SPD zu geben scheint, die im politischen Diskurs im Ruhrgebiet Anschluss finden wollen.

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Dennis
15 Jahre zuvor

Soweit ich das richtig in Erinnerung habe spricht Baranowski schon seit langem von dieser Perspektive. Einen anderen als ihn, habe ich von so einer Version öffentlich so nie reden hören.

Stefan Laurin
Admin
15 Jahre zuvor

@Dennis: Bei CDU, Grünen und FDP sind solche Aussagen seit sehr langer Zeit normal. Es war dei SPD die jeden Fortschritt blockierte – und sich jetzt den Positionen der anderen Parteien annähert.

Mit-Leser
Mit-Leser
15 Jahre zuvor

Schön, dass jetzt mehr Menschen an Rhein und Ruhr über einen gemeinsamen OB n-a-c-h-d-e-n-k-e-n.

Wann wird begonnen zu handeln?

😉

Barbara Underberg
Barbara Underberg
15 Jahre zuvor

Die Headline passt nicht ganz. Wichert begrüßt ja eindeutig den Baranowski-Vorstoß und kritisiert nur, dass es durch die „alten Haudegen“ so lange gedauert hat.

Seit Jahrzehnten lamentieren Wissenschaft und Politik über die Ruhrgebietskirchtürme als Modernisierungsverhinderer. An Erkenntnissen herrscht kein Mangel. Wie immer geht’s um Geld und Macht. Bin gespannt, ob diesmal mehr dabei rumkommt als ein schöner Diskussionsbeitrag.

Bei der RVR-Verbandsversammlung im Juni ging es um den Masterplan Bildung. Regionale Zusammenarbeit wäre hier mit Blick auf Pisa etc. ein Schritt in die richtige Richtung. Es war die Mülheimer SPD-Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld, die mehrfach eine „Entschleunigung“ (sic!) bei diesem Thema gefordert hat. Handbremse ziehen beim Thema Bildung im Ruhrgebiet – wenn das dann die politische Realität ist, muss man sich fragen, wie ernst die Kooperationsabsichten denn gemeint sind. Beziehungsweise wie die Kräfteverhältnisse innerhalb der SPD sind.

Dirk Gleba
15 Jahre zuvor

Leider war es die SPD die sich immer beinhart gegen eine Stärkung des Ruhrgebiets ausgesprochen hat. Es war auch eine SPD die den SVR zerschlagen hat und eine SPD die sich nur auf Druck in Richtung mehr Ruhgebietskompetenz und Einigkeit bewegt hat. Jetzt scheint es der wirtschaftliche Druck zu sein, die Baranowski und Co. hin zu einem stärkeren RVR drängt. Es ist halt wie immer mit der SPD, mit 10 oder 20 Jahren Verspätung kommt sie zur Einsicht. Bleibt zu hoffen, dass diese Einsicht über den Kommunalwahltermin hinaus trägt und auch ohne Druck bestehen bleibt.

Stefan Laurin
Admin
15 Jahre zuvor

@Dirk: Für den Druck können wir ja alle gemeinsam sorgen 🙂

Thomas Nückel (FDP)
Thomas Nückel (FDP)
15 Jahre zuvor

?Die Kunde höre ich wohl, allein mir fehlt der Glaube? Als Liberaler begrüße ich zwar gerne die Bereitschaft von Frank Baranowski und der Ruhr-SPD ihre bisherige Blockade-Politik bei der Entwicklung der Metropole Ruhr aufzugeben.
Auch vor den Wahlen vor fünf Jahren gab es ähnliche Signale seitens der SPD u.a. im ?Düsseldorfer Signal?, doch nach den Wahlen wollten gerade die Vertreter der SPD im Ruhrgebiet davon nichts mehr hören. Klar, die meisten Punkte waren ihnen von den Grünen aufgezwungen worden, aber selbst Steinbrück hatte damals die Sache offensive vertreten.
Eine einheitlichere politische Führung für das Ruhrgebiet hätte die SPD also schon früher bekommen können, wenn sie nicht mit den kirchturmfixierten Oberbürgermeistern an der Spitze jegliche regionale Strategie im Ansatz erstickt hätte. Von der FDP über die CDU bis zu den Grünen im Ruhrgebiet waren alle bereit – nur die SPD hat bis vor wenigen Tagen gebockt.Selbst bei im Schneckentempo entwickelten kleinen Kooperationen mahnten SPD-Oberbürgermeister immer zur ?Entschleunigung?.
Auch Baranowski hat mit dazu beigetragen, dass die Wirkung des RVR auf das Niveau einer kleinen Bezirksvertretung degradiert wurde. Ich hoffe sehr, dass die Erklärung Baranowskis nicht nur Wahlkampfgetöse ist. Auf gehts. Packen wir es an.

Uwe Knüpfer
15 Jahre zuvor

Frank Baranowski hat sich die zentralen Forderungen der bürgerschaftlichen Initiative stadtruhr.de zu eigen gemacht. Bravo! Damit – und den auf ruhrbarone.de veröffentlichten Stellungnahmen anderer Parteien zufolge – sollte einer Ganz Großen Koalition für die RuhrStadt nichts mehr im Wege stehen. Vorsichtshalber werden wir (also die bürgerschaftliche Initiative) rechtzeitig zum Landtagswahlkampf eine Blaupause dafür vorlegen, wie sich innerhalb der nächsten Legislaturperiode die RuhrStadt als eine Stadt der Städte schaffen lässt – samt gewähltem Repräsentanten und Parlament: die Roadmap zur RuhrStadt. Dann müssen die gewählten Politiker nur noch tun, was sie hier und auf derwesten.de angekündigt haben. Ganz einfach eigentlich.

Mario Herrmann (GRÃœNE im RVR)

@ Barbara Underberg (#5): Die Erstellung eines Masterplans Bildung für die Metropole Ruhr ist von der Verbandsversammlung im Juni auf rot-grünen Antrag hin GEGEN die CDU auf den Weg gebracht worden. Letztere hat ihn wegen angeblicher Nichtzuständigkeit abgelehnt.

Das ist bedauerlich, denn wir sehen in der Erstellung von Masterplänen zu unterschiedlichen regional relevanten Themen die Chance, Positionen auch über die heute dem RVR zugewiesenen Handlungsfelder hinaus zu formulieren. Dies soll dazu beitragen, die schon bei der bestehenden Rechtslage möglichen Handlungsspielräume zu nutzen und den Anspruch des Verbandes als regionaler Akteur zu untermauern.

Meine Befürchtung ist aktuell eher, dass sich die SPD als Oppositionspartei der regionalen Perspektive dankenswerter Weise zu öffnen beginnt während die CDU als Regierungspartei zurückrudert. Hoffentlich irre ich mich…

Barbara Underberg
Barbara Underberg
15 Jahre zuvor

Habe mir gerade vorgestellt wie es wäre, zum Thema engere regionale Zusammenarbeit und direkt gewählter Revier-OB einen Bürgerentscheid zu machen.

Mein Tipp: Dabei käm nicht nur eine hohe Wahlbeteiligung raus, sondern auch ne satte absolute Mehrheit. Sowas soll im Ruhrgebiet früher ja durchaus üblich gewesen sein. 🙂

Dennis
15 Jahre zuvor

@ Stefan: Danke für die Info. Das war mir so nicht bewusst…

DK
DK
15 Jahre zuvor

Ein einzigen OB für das ganze Revier ist wohl „Sommerloch“ zuzuschreiben.
Diesen Ausdruck verwendeten heute der CDU OB von Duisburg und der FDP Vors. in Essen.
Wir sollten diesen Vorschlag alsbald als unnötig zu den Akten legen.
Auch viele SPD Mitglieder im Revier sind übrigens gegen diesen Vorschlag.

Volker Eichler
Volker Eichler
15 Jahre zuvor

Dieses kurze und knappe Papierchen habe ich im November an Oliver Wittke geschickt:

Verwaltungsstrukturreform

1. Schaffen Sie 3 Gebietskörperschaften: Rheinland, Westfalen und das Ruhrgebiet. Nennen Sie das Ruhrgebiet Metropole Ruhr, Revier oder auch einfach Ruhrgebiet, diese Frage ist zunächst sekundär.

2. Jede dieser Gebietskörperschaften wird von einem Repräsentanten/ einer Repräsentantin anstelle der bisherigen Regierungspräsidenten geführt und vertreten. Dieser Repräsentant, diese Repräsentantin ist direkt oder indirekt vom Volke der betreffenden Gebietskörperschaft zu wählen. Die bisherigen Aufgaben der Regierungspräsidenten gehen auf ihn/ sie über. Nennen Sie dieses Amt Regionalbürgermeister, Erster Bürgermeister, Regierender Bürgermeister, wie auch immer.

3. Auch die Regionalparlamente sind zukünftig durch das Volk demokratisch zu legitimieren, das heißt, wie auch alle anderen Parlamente in Deutschland werden sie bei Wahlen ermittelt und erhalten die erforderlichen Kompetenzen, die sie für ihre Arbeit benötigen, so, wie das bei allen deren Parlamenten auch der Fall ist. Bleiben Sie bei der Begrifflichkeit Regionalparlament.

4. Die Landschaftsverbände sind aufzulösen, die Aufgaben der bisherigen Landschaftsverbände werden den unter Punkt 2 und 3 aufgeführten Institutionen zugeordnet.

Note: So stelle ich mir eine neue Verwaltungsstrukturreform aus einem Guss vor. Einfach, klar, transparent, konsequent, demokratisch und identitätsstiftend.
Einfach, klar und transparent, weil sie vom Bürger nachvollzogen und verstanden werden kann. Was heutzutage in den Regierungspräsidien abläuft, kann kein normaler Bürger mehr nachvollziehen, das versteht auch niemand mehr.
Demokratisch und konsequent, weil wir in Europa auf allen Ebenen (Bezirksvertretungen, Räte, ? Regierungspräsidien ? Landesparlamente, Bundesparlament und Europaparlament) demokratisch legitimierte Vertreter haben. Nur auf der 3-ten Ebene ? die Regierungspräsidien- haben wir Beamtenapparate, deren Legitimation von der Landesregierung erteilt und deren Parlamente nicht demokratisch gewählt, sondern proportional zusammengestellt sind.
Ein Anachronismus ohne Gleichen!!!
Und last but not least ist sie identitätsstiftend, weil die Menschen ihre Vertreter besser kennen lernen, sie wählen sie. Es streiten ? um ein Beispiel aus dem Ruhrgebiet zu nehmen ? nicht mehr Dortmunder gegen Essener oder Xantener gegen Dorstener, sondern gewählte Volksvertreter der CDU mit gewählten Volksvertretern der SPD etc. und die kommen aus Dortmund, Xanten, Dorsten oder Essen. Und bei der einen Wahl wählen wir den Vertreter der Partei X aus Dortmund zu unserer Nr. 1 und beim nächsten Male die Vertreterin der Partei Y aus Xanten.

Glück auf
Volker Eichler November 2008

Walter Willer
Walter Willer
15 Jahre zuvor

Mitglied des Landesvorstandes, Vorsitzender der Ruhr-SPD und stellvertretender Vorsitzender der Landtagsfraktion bis zu seiner Wahl zum OB.
Da fällt ihm nichts Besseres ein, als ein Statement in den Räumen der WAZ in Essen abzugeben?
Wo bleiben die Vorlagen oder Anträge auf Parteitagen? Nicht mal in seinem eigenen Wahlbezirk wurde je ein Antrag zu diesem Thema eingebracht, geschweige denn diskutiert.
Nur mit öffentlichem Rumposaunen, damit kommen wir nicht weiter. Das ist nur wahltaktisches Gehabe ohne Nährwert. Soll er doch dafür sorgen, dass es zum Thema seiner Partei wird. Dann klatsche auch ich Beifall.

Nobby
Nobby
15 Jahre zuvor

David Schraven

Frank Baranowski (SPD)mitglied von Pro.Ruhrgebiet?

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[…] konnte sich die Direktwahl eines Revier-OBs vorstellen – für die Grünen eine späte Erkenntnis. Bodo Thiesen hieß der Mann der im Juli bei den Piraten für Aufregung sorgte […]

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