Guten Tag Herr Dr. Bernhard Stoevesandt…

kampfradler

Auf  SternTV hat der „Kampfradler“ Bernhard Stoevesandt Radfahrer aufgefordert, bewusst die Verkehrsregeln zu übertreten – als Ziviler Ungehorsam im Kampf gegen die Autofahrer.   Unser Leser Bense Fels aus Dortmund antwortet mit einem Gastbeitrag. 

Guten Tag Herr Dr. Bernhard Stoevesandt,

sehr wahrscheinlich wird Ihr Postfach derzeit vermutlich stark überschwemmt von lauter Liebes- oder Hassbekundungen („Endlich hat es mal jemand gesagt! Denkt doch auch mal einer an die Kinder!“ und „Hey, du Pfeife, dich nehm‘ ich auch noch auf meinen Kühlergrill und du bist doch eh‘ nach einer Kippenmarke benannt!“).

Es wäre sehr nett, wenn Sie sich die Zeit nehmen würde, meine Frage(n) zu beantworten – dann vielleicht auch erst in ein paar Tagen, wenn die „erste Welle“ abgeebbt ist. Ich hätte eine Frage zu Ihrer Definition von „zivilem Ungehorsam“.

Nun ist der Aufruf zu Ordnungswidrigkeiten ja ohnehin nicht strafbar. Ziviler Ungehorsam ist aber halt ein hauptsächlich rechtsphilosophischer Begriff und hauptsächlich aus dem stark politisierten Zusammenhang bekannt, wenn sich „Schotterer“ auf der Castor-Strecke festbetonieren und Bürger Nazi-Märsche mit Sitz-Blockaden vereiteln. Ohne Ihrem Anliegen den politischen Anspruch absprechen zu wollen, muss ich dennoch einräumen, dass ein „bürgerlicher Ungehorsam“ meiner Meinung nach durch Ihre Aussage kaum gedeckt ist – vor allem wenn es um Rotlichtverstöße geht.

Nun ist auch bei weitem nicht jeder so fit und wachsam wie Sie. Ich selbst habe mit 18 den Führerschein gemacht, wurde dann wenig später nach dem Abitur Transportsoldat, habe dicke LKWs gefahren – und bin mittlerweile Rollerfahrer, da ich in der südwestlichen Innenstadt einer Großstadt (Dortmund) wohne. Als „Zweirädriger“ ohne Knautschzone möchte ich vor allem gut sichtbar sein und auch ich hatte schon Nahtoderlebnisse, weil einige Autofahrer ganz einfach pennen – zumeist beim Abbiegen, Wenden und in Vorfahrtssituationen. Zudem sorgt mein dunkelroter, schon volljähriger Zweitakter aber wenigstens auch für eine Geräuschkulisse und ein wirklich hübsch helles und sichtbares Licht, auch am Tage.

Dennoch käme es mir niemals in den Sinn, mich irgendwo durchzumögeln, einzufädeln oder sonst etwas. Ich fahre sonst, als wäre ich ein völlig normaler Autofahrer, spurmittig. Was aber auch dadurch erleichtert wird, dass mein Gefährt (legal) die 50 km/h erreicht und besser beschleunigt, als Lance Armstrong auf Epo am Berg.

Worauf ich hinausmöchte, ist: Ab wann ist es moralisch vertretbar, sich über Gesetze hinwegzusetzen? Ihre Aussage war: „Die bewusste Übertretung von ‚Regeln‘ (sprich: Gesetzen/Normen), wenn man sie für verkehrt hält.“ Mich interessiert dahingehend, ob Sie sich falsch zitiert fühlen, weil der Schnitt oder die Dramaturgie des Beitrags es so hergab. Denn eine „Regelübertretung“ umfasst dabei ja auch – so zumindest im Beitrag geschildert – ihrer Ansicht nach Rotlichtverstöße, welche nach § 315c (hier vor allem a, c, d) eindeutig strafbar sind. Es geht anscheinend auch darum, Autofahrer zu „erziehen“, indem man mehrere Runden im Kreisverkehr dreht. Mir fällt schwerlich ein Grund dafür ein, dies noch als reine Sensibilisierung für den waidwunden Radfahrer durchgehen zu lassen. Wenn ich jemanden „trollen“ möchte, gehe ich lieber ins Internet und suche perfide nach ein paar politischen Verschwörungstheorien, Boykottaufrufen oder naiven Kochfragen nach Gänsebrust. Aus allem kann man etwas Schmackhaftes zubereiten.
Nun wird es mir ebenso nicht ganz bewusst, was für eine Art von Regelübertretung Ihnen noch als maßvoll erscheint. Ich bin zwar Atheist, aber kein Anarchist, und erachte die allermeisten Verkehrsregeln und Gesetze gegen Straftaten als durchaus sinnvoll. Als Fußgänger stehe ich auch nicht um 4 Uhr morgens an einem Sonntag wie fest angewurzelt vor einer roten Ampel mitten im Nirgendwo von Ottendorf-Okrilla (in Fachkreisen: Affendorf-Gorilla), wenn die Straße auf 500 Meter einsehbar ist – und kein Auto kommt. Für Fußgänger bedeutet dies aber nur ein Bußgeld, man gefährdet mehr oder weniger nur sich selbst – es sei denn, ein tadschikischer Schächtfleischtransport mit sechs Achsen und 40 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht auf dem Weg nach Nordnorwegen katapultiert einen in Flammen stehend in das Schlafzimmer eines Waisenhauses. Ein durch die Gegend fliegendes Fahrrad stellt natürlich schon ein wesentlich größeres Bedrohungspotential dar. Im Jahr 1997 war tatsächlich ein Radfahrer einmal so selbstsüchtig, eine rote Ampel zu ignorieren, sein Lebenslicht auszuhauchen und die Karkasse seines Gefährts an mein Bein schleudern zu lassen, was heute noch als Narbe sichtbar ist.

Daher meine Frage: Ich habe nie verstanden, warum ich meine Kaugummis nicht auf den Gehweg spucken darf und warum ich meine Kippen nicht einfach irgendwohin werfen darf. Die Stadt räumt/sandstrahlt diese ohnehin weg. Ich kann auch nicht einfach auf den Gehweg defäkieren. Was manche Feingeister äußerst bedauerlich finden mögen, es könnte auch Aktionskunst sein. Wobei man dabei aber ebenso gerechtfertigt in den Bereich der tatsächlichen (Verkehrs-)Straftaten vordringen könnte. Mich würde dabei Ihre Stellungnahme interessieren, Zitat: „Uns geht es genau darum, dass die Menschen bewusst… sich bewusst machen, wenn sie die Verkehrsregeln übertreten und deswegen bewusst diese Regeln über… übertreten.“ Natürlich gibt es Schöneres, als eine solche Interview-Situation. Aber dennoch kann ich daraus irgendwie noch keine höhere moralische Rechtfertigung ableiten. Außer des hohlen Bla-Blas, welches man zur Genüge von der Politik kennt, die Stadtbezirksparlamente mit Filibusterei lahmlegen.

Natürlich gibt es verkehrsplanerisch und auch generell im Straßenverkehr so Einiges zu verbessern. Verkehrsregeln aber bewusst so zu missachten, als wären es nur grobe Empfehlung für Waldorfschulen, sind meiner Ansicht nach aber kaum ein geeignetes Mittel dazu. Nicht einmal für die Werbung in eigener Sache. Dies wäre ja so, als würde eine bestimmte Partei auf einen Schlag alle Beamten (Lehrer, ÖDies) und Künstler ausschließen und tatsächlich etwas für jemanden außerhalb ihres Klientels tun.

Daher verbleibe ich mit freundlichem Gruß

Bense

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Kampfradler Watch
11 Jahre zuvor

Das mit dem Kaugummi hatten wir auch immer als Gegen-Argument im Kopf, wird auch niemand dabei verletzt oder getötet, fliesst nicht in die Unfallstatistik mit ein und verursacht auch viel weniger CO2 als jede Kuh und jeder bescheuerte Hausfrauen-Q7 auf der Straße – trotzdem ist es irgendwie nicht gesallschaftlich akzeptiert, warum wohl ?

Gibt es eigentlich eine Norm, die Fussgängern das Kampfradlern-ins-Gesicht-Spucken untersagt ? Und wenn schon – es bleibt ja immer noch die Option „ziviler Ungehorsam“.

Sehr guter Beitrag.

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