Vor über 10.000 Stahlarbeitern legte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck am Mittwoch in Duisburg ein Bekenntnis zur Zukunft des Industriestandorts Deutschland ab. Er sprach von Arbeit, Stolz und einer grünen Zukunft.
Wer wissen will, wie eine deindustrialisierte Stadt aussieht, steigt am besten am Duisburger Hauptbahnhof in die Straßenbahn der Linie 901 und macht sich auf den Weg in den Stadtteil Bruckhausen. Die Fahrt führt vorbei an leerstehenden Ladenlokalen, Bergen von Abfall auf Bürgersteigen und heruntergekommenen Häusern, von denen viele nicht mehr bewohnt sind. Irgendwann war Duisburg reich, man kann es immer noch irgendwo nachlesen, aber mit der Gegenwart hat das alles nichts mehr zu tun. Duisburg ist arm und ohne Zukunft. Die über 10.000 Arbeiter, die am Mittwoch auf der Kundgebung der IG Metall vor der Zentrale von Thyssenkrupp Stahl in Bruckhausen für die Zukunft ihres und der anderen Stahlstandorte in Deutschland demonstrierten wussten also sehr genau, worum es für sie und ihre Familien geht. Sie haben das Elend jeden Tag vor Augen.
Thyssenkrupp, die ganze deutsche Stahlindustrie, soll grün werden. Wo heute noch Stahl mit Koks gewonnen wird, soll zukünftig Wasserstoff eingesetzt werden. Das ist teuer, es kostet Milliarden.
Die Arbeiter und ihre Gewerkschaft wollen diesen Weg mitgehen. „Unser Herz aus Stahl hat eine grüne Zukunft“, kann man auf der Bühnen-Videowand lesen. Wenn irgendwer an das grüne Wachstum glaubt, dann ist es die IG Metall. Sollte sich dieser Glaube als Traum erweisen, steht die Gewerkschaft vor einem Glaubwürdigkeitsproblem, die Arbeiter jedoch vor dem Verlust ihrer wirtschaftlichen Existenz.
Thyssenkrupp ist bereit, gut zwei Milliarden Euro in die grüne Stahlproduktion zu investieren. Dieselbe Summe sollen Bund und Land aufbringen. Der Konzern setzt wie die IG Metall auf Hilfe vom Staat. Denn grün zu werden ist teuer. Grün muss subventioniert werden, vor allem in einem Land wie Deutschland, in dem die Energiepreise noch höher sind als die Löhne und die Umweltauflagen. „Kein Unternehmen kann das alleine schaffen“, sagt Tekin Nasikkol, der Gesamtbetriebsratschef der Thyssenkrupp-Stahlsparte, „Die Politik muss helfen“. 700 Millionen Euro wird das Land zum grünen Umbau von Thyssenkrupp dazu geben. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und die Landeswirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) werden von den Stahlarbeitern gestern in Duisburg dafür gefeiert, dass sie ihre Zusage eingehalten haben. Von Nasikkol bekam Wüst dafür bereits ein Herz aus Stahl geschenkt. Ss soll auf dem Schreibtisch des Ministerpräsidenten stehen. Für Habeck hält der Gewerkschafter ein anderes Präsent bereit: Den Stahlhammer. Nasikkol hält ihn hoch. Die Menge jubelt. Habeck steht da schon auf der Bühne. Wenn sein Name fällt buhen viele. Einige rufen sogar „Habeck muss weg“. Nasikkol sagt viele kluge Dinge. Auch solche, die Habeck ganz sicher nicht hörten will: Die Politik baue in Deutschland bürokratische Monster auf, andere Länder wie die USA würden in ihre Industrie investieren, in Deutschland und der Europäischen Union hingegen würde man vor allem regulieren.
Dann geht Habeck ans Mikrofon. Er wahrt Distanz, was ihn angenehm von anderen Grünen unterscheidet, die versuchen, sich an Arbeiter anzubiedern. Habeck siezt das Publikum und spricht es auch nicht als „Kolleginnen und Kollegen“ an. Habeck ist Apothekersohn. Er hat Philosophie studiert und als Schriftsteller gearbeitet. Sollte er jemals so etwas wie Kollegen gehabt haben, trugen sie ganz gewiss keinen Helm. Der Wirtschaftsminister macht sich in Duisburg nicht lächerlich.
Er sei eigentlich gekommen, um sich „neben sie zu stellen“, sagt Habeck. Stahl stünde für Wohlstand und Stolz auf Arbeit: „Der Stolz auf die Arbeit hat Deutschland stark gemacht“, sagt der grüne Vizekanzler. Er habe seit anderthalb Jahren daran gearbeitet, dass künftig grüner Stahl in Duisburg produziert werden kann. Das sei auch eine Frage der Souveränität, denn deutscher Stahl sei nach wie vor der Grundstoff für viele Industrien: „Ihre Arbeit sorgt dafür, dass Deutschlands Wirtschaft robust bleibt.“ Habeck stellt heraus, was Klimaklebern und Lützi-Besetzern vollkommen egal ist: Die Bedeutung von Arbeitsplätzen in Unternehmen wie Thyssenkrupp, in denen es Tarifverträge, Mitbestimmung und starke Betriebsräte gibt. Der Wirtschaftsminister lobt den Standort Deutschland. Unternehmen aus dem Ausland würden investieren. Dass das Land in einer Rezession steckt und Industriebetriebe ins Ausland abwandern, sagt er nicht.
Allerdings sei der Vertrag mit der Zusage über 1,3 Milliarden Euro vom Bund für den Umbau der Stahlproduktion in Duisburg noch nicht da. Es gäbe zwar eine Zusicherung aus Brüssel, dass die EU die Zahlung genehmige, aber da Thyssenkrupp den Antrag erweitert hätte, müsse nun nachgearbeitet werden. Das Unternehmen glaube an den Standort. „Das ist supergut“, sagt Habeck begeistert und verspricht: „Wir werden das im Sommer hinkriegen.“
Die Protest-Inszenierung der IG Metall sieht nach der Rede Habecks vor, dass Nasikkol dem Minister noch kein Herz aus Stahl überreicht, aber immerhin ein rotes Metaller T-Shirt. Das ganze hat viel von Theater. Von schlechtem Theater.
Die Arbeiter sind hin- und hergerissen. Mal klatschen sie, mal buhen sie. Gefragt, ob er Habeck glaubt, sagt einer von ihnen, der seinen Namen nicht nennen möchte: „Ich vertraue ihm nicht. Er wird das Geld nicht für die Stahlindustrie ausgeben. Nicht weil er es nicht kann, er will es nicht.“ Wenn es so käme, Habeck könnte sich in Zukunft nicht nur in Duisburg nicht mehr sehen lassen, sondern in keinem Industriebetrieb Deutschlands. Er wird alles tun, um die Industrie in Deutschland zu halten. Aber wird es ihm gelingen? Die Politik hat, getrieben auch durch die Grünen und den ihnen nahestehenden Verbänden, Deutschland längst in eine Sackgasse getrieben, aus der auch Habeck kaum rauskommen kann: Der Ausstieg aus Kohle und Kernkraft, die gesamte Energiewende, sollte mit Gas aus Russland aufgefangen werden, das nicht mehr zur Verfügung steht. Als Ziel gilt, das Land und seine Wirtschaft ausschließlich mit erneuerbarer Energie zu versorgen. Kernkraft, Fracking oder auch die Abscheidung und Lagerung von CO2 sind bislang tabu. Deutsche Energie- und Wirtschaftspolitik ist nicht pragmatisch, sie ist religiös. Deutschland hat sich auf einen Sonderweg begeben, auf dem ihm kein anderes Industrieland der Welt folgt.
Im Umfeld der Grünen, bei den selbsternannten Thinktanks die sie beraten, steht die Idee einer Postwachstumsökonomie hoch im Kurs. Habecks geschasster Staatssekretär Patrick Graichen sah für die Grundstoffindustrie in Deutschland keine Perspektive. Deutschland sei nicht in der Lage, genug grünen Wasserstoff zu produzieren und der Import aus Australien, Afrika oder Arabien wäre zu teuer. Habeck rennt nun wie ein Getriebener gegen eine Wirklichkeit an, die seine Partei und ihr Umfeld geschaffen haben. Er kann jetzt in einen endlosen Subventionswettlauf einsteigen oder sich vor seine eigenen Leute stellen und ihnen erklären, dass seine Partei in den vergangenen Jahrzehnten viele populistische Märchen erzählt hat, die im Falle ihrer Umsetzung zum Zusammenbruch der Wirtschaft führen würden. Dass Habeck das hohe, asoziale und dumme Lied der Postwachstumsökonomie singen wird, ist ausgeschlossen. Sie ist allerdings die zwingende Konsequenz grüner Träume.
Die Hilfen zahlt ja nicht der Staat, sondern der Steuerzahler. Aber erst mal werden Schulden gemacht zusätzlich zu den angehäuften aus der Corona-Krise. Mit der Konjunktur sieht es auch nicht gut aus. Bleibt spannend wie die Schulden später dann vom Bürger eingetrieben werden, oder was dann umgebaut wird (zum Nachteil des Bürgers, z.B. Krankenhausschließungen die gerade laufen, Bargeldabschaffung etc.), um als Land oder Staat wieder effizient zu werden. Die Politiker müssen doch irgendein Konzept haben, wie das aussehen soll, gerade bei den schlechten Aussichten für die Konjunktur in Deutschland. Alle fordern nur irgendwelche Hilfen ohne nachzudenken, wie das bezahlt werden soll. Die Jobs müssen erhalten bleiben, dass ist richtig. Aber Deutschland als Vorreiter und Vorbild für den Klimaschutz mit seinen 2% CO² Ausstoß in der Welt? Was hat das noch mit IG Metall zu tun?