Der Hauptgrund, warum die Linke erfunden wurde, ist für mich klar: Es ging – und geht – darum, dass es Menschen, die von ihrer Arbeit und nicht von einem Erbe oder Kapitalbesitz leben, besser gehen soll. Und auch um die, die noch nicht einmal mehr ihre Arbeitskraft verkaufen können, hat sich die Linke zu kümmern.
Einer der Gründe für den Aufstieg rechter Parteien und Bewegungen ist, dass die Linke dies nicht mehr konsequent tut. In den USA wählten viele Bergleute Trump. Didier Eribon beschrieb in „Rückkehr nach Reims“, wie die französische Arbeiterklasse zum Front National wechselte. In Österreich wählten einer großer Teil der Arbeiter bei der Präsidentenwahl den der FPÖ-Kandidaten Hofer. Und in Deutschland erreicht die AfD längst mehr Arbeiter als die SPD.
Das ist keine Tragödie, das ist das Ergebnis der Politik weiter Teile der politischen Linken der vergangenen 40 Jahre. Und wie diese Politik aussieht, können wir zur Zeit in der Auseinandersetzung über die Rodung des Hambacher Forstes sehen.
Natürlich ist es schlimm, wenn ein alter Wald gefällt wird. Aber dass dies geschieht, ist kein Zufall: Die Grünen haben den Wald geopfert, um eine Verkleinerung des Tagebaus in Garzweiler durchzusetzen – ein Prestigeobjekt.
Und dass wir überhaupt weiter Braunkohle benötigen liegt auch am Ausstieg aus der Kernenergie. Preiswerter Grundlaststrom kommt aus Kern- und Braunkohlekraftwerken. Die Erneuerbaren liefern Energie nicht dann, wann sie benötigt wird und Speichermöglichkeiten existieren nicht in der benötigten Menge und nicht zu einem vernünftigen Preis. Und der Preis ist wichtig, denn kostengünstige Energie ist schlicht eine soziale Errungenschaft – und Deutschland hat heute schon die höchsten Strompreise Europas.
Nun zu Hambach: Dort geht es nicht nur um einen Wald, es geht auch um Arbeitsplätze. Und es sind Arbeitsplätze, wie sie sich jeder Linke wünschen sollte: Gute, nach Tarif und übertariflich bezahlt. In einem Unternehmen mit einer starken Gewerkschaft. Jobs, wie sie, wenn sie einmal weggefallen sind, so schnell nicht wieder entstehen werden. Die viel zitierten „Ersatzarbeitsplätze“, die irgendwann kommen sollen, werden zu einem großen Teil schlechter bezahlt sein.
Linke müssten auf der Seite der Arbeiter und ihrer Gewerkschaft stehen. Nicht auf der Seite von Immobilienbesitzern und bürgerlichen Jugendlichen, die Rebell spielen wollen und denen der Wald im Prinzip vollkommen egal ist: Wenn Harvester sich durch Wälder fräsen, um Platz für Windräder zu machen, muss ihnen keine Hundertschaft Bereitschaftspolizei den Weg räumen.
Man kann sich natürlich auf die Seite von Leuten wie „Clumsy“ stellen, einem Österreicher im Flughörnchen-Kostüm, der seit sechs Jahren im Hambacher Forst wohnt. Das mag romantisch sein, links ist es nicht. Links wäre es, die Arbeiter zu fragen, was man tun kann, um sie zu unterstützen und ihnen zu helfen. Denn genau dafür wurde die Linke einmal erfunden. Nicht für Menschen in Flughörnchen-Kostümen.
Genug für heute: Zu Angriffen auf die Presse im Hambacher Forst ein anderes Mal mehr.
6 Jahre wohnt der Clumsy im Wald? Das wirft doch einige Fragen auf. Womit duscht der sich? wie macht er sich den Kaffee heiß? Wo kauft er ein? Hat er ein Klo, oder läßt er einfach runter fallen? Die Vorräte kommen doch nicht über Lieferando in den Wald, oder? Muß der nicht arbeiten gehen, um sein Leben zu finanzieren? Papa reich? Wahrscheinlich.
Einige Fragen werden wir beantwortet kriegen, jetzt wo rund um die Uhr Leute auf ihn warten.
Würden Konzerne wie RWE sämtliche Kosten für den Atomstrom und deren Müllbeseitigung selber tragen, dann wäre ganz schnell Schluss mit der übertariflichen Bezahlung.
@Udo Volker: Gäbe es keine Subventionen in Milliardenhöhe gäbe es weder ein Windrad noch eine Solaranlage in Deutschland. Und zu der beliebten Ökorechnung: Da müssten auch die Vorteile mit hinein, die preiswerter Strom bringt.
Es ist natürlich eine berechtigte Frage, wie viel Natur wir hier für Arbeitsplätze opfern bzw. ob wir Wildtieren wie dem Wolf eine Heimat geben wollen.
In Afrika, Asien und Südamerika erwarten wir, dass die Wälder und Wildtiere geschützt werden.
Wenn man für die Natur ist, darf man dafür auch demonstrieren und dies auch in effektvollen Kostümen.
Ist das etwas für "Die Linke"? Naja, bisher hat sie in den alten Schriften immer wieder etwas gefunden, um Aktionen zu begründen. Besonders interessant finde ich immer den Bereich Anti-Imperialismus. Dabei kommen meiner Meinung nach die meisten Vorschläge für eine korrekte Entwicklung von unabhängigen Staaten aus den Mündern von praxisfremden Wohlstandskindern, die weder die Probleme der Normalbürger hier noch die Probleme der Menschen anderer Ländern kennen.
Aber oft wollen sie dann Entwicklungshelfer werden und den erfahrenen Menschen am anderen Ende der Welt erklären, wie alles richtig ist. Natürlich als Anti-Imperialist.
@1 H Junge:
Spannend ist im Bereich der DAuer-Protestierer natürlich auch, ob sie die Sozialversicherungen etc. aus eigenen Mitteln bezahlen oder ob einfach erwartet wird, dass dies durch die Solidarität der "Werktätigen" finanziert wird. Sozial ist eigentlich anders.
Eigentlich ist es linke Tradition, die soziale Frage nicht von der Umweltfrage abzukoppeln, wie Du, Stefan Laurin, es immer wieder gerne machst, sondern beide stattdessen zusammenzudenken. Plädoyers für die Mördertechnologie Atomkraft halte ich überdies für total regressiv. Als Linke zuletzt für Atomkraft geworben haben, waren das die Hanseln von der DKP der 70er Jahre, die meinten, Atomkraft sei in den Händen der Arbeiter ungefährlich und nur in den Händen der Kapitalisten gefährlich. Eine solche Position vertreten mittlerweile nicht mal mehr die randständigsten Sekten.
@ ke: Spricht aus der verächtlichen Gerede über angeblich "praxisfremde() Wohlstandskinder" nicht schieres Ressentiment? Und wie kommen Sie überhaupt auf die Idee, dass sich die Aktivist_innen im Hambacher Forst als Anti-Imps begreifen?
@Stefan W.: Eigentlich war es immer linke Tradition, nicht auf bürgerliche Romantik und Panikmache herein zu fallen, auch wenn sie im grünen Gewandt daher kommt. Linke waren traditionell technikfreundlich und zukunftsoptimistisch.
@ Stefan Laurin: Ich hätte nichts dagegen, wenn der nächste Atommeiler, der uns um die Ohren fliegt, das zur Abwechsung mal nicht weit weg in der Ukraine oder Japan tut, sondern in Deutschland selbst. Dann hätte sich neben dem Problem der Diffamierung berechtigter Einwände als "Panikmache" auch noch das Ding mit der neuen deutschen Großmannssucht erledigt 🙂
@6 Stefan W.
Nö, ich habe keine Ressentiments nur meine Lebenserfahrung.
Ich habe das Thema AntiImp nicht mit dem Forst verbunden, das ist ein Extra – Absatz, der sich auf linke Meinungsführer/Bekannte bezog, wie ich sie erlebt habe.
Links sein bedeutet auch progressiv sein. Und dazu gehört meiner Meinung auch, dass man eben nicht mehr der Braunkohle hinterherläuft.
"Linke waren traditionell technikfreundlich und zukunftsoptimistisch."
Kein einziger der Arbeiter, die Marx und Engels kannten, hatte je in ihrem Beisein davon gesprochen, daß sie gerne in einem Baumhaus wohnen wollten. Dafür haben die auch nicht gekrückt.
Übrigens habe auch ich selber bisher nicht einen einzigen Arbeiter oder Angestellten getroffen, der lieber im Baumhaus statt im eigenen Reihenhaus wohnen würde. Auf solche Ideen können nur übersättigte Kinder reicher Leute kommen. Wenn die das dann "links" nennen, ist das eine sozialromantische Verklärung,, denen jemand , der in der rauhen Alltagswelt leben muß, sprich 5 Uhr morgens zur Arbeit fahren, als Spinnerei erscheint.
@Niko: OK, die Grundlast wird dann mit Gas, Steinkohle oder Kernenergie hergestellt? Woher kommt die Mittellast? Gas? Fracken wir? Was machen wir mit den Ernneuerbaren? Wasserstoff als Speicher finde ich gut – aber wir groß wird der Protest bei den Pipelines? Und wer will eigentlich ein Windrad in seiner Nähe? Und dann ist da noch die Kernfusion – könnte der Gamechanger werden, aber wird auf jeden Fall noch dauern.
@Stefan W. Hachja, die Menschenverachtung der Naturfreunde. Wer hat's noch nicht erlebt….
@ #13: Mit Menschenverachtung hat mein Beitrag nichts zu tun, sondern mit Verachtung saturierter Deutscher, denen es am Arsch vorbeigeht, wenn die Folgen ihres Wirtschaftens Menschen andernorts ausbaden müssen.
Die hessische Landesregierung genehmigt regelmässig die Abholzung von Waldflächen, die größer als der Hambacher Forst sind.
Raten se mal, für was: für Windräder … und raten se mal, wer in Hessen Umweltministerin ist ….
Also auf alle genug neue Biotope für Flughörnchen!!
@ Helmut Junge: Wer verklärt denn hier was? Verklären nicht Sie das Bild der Arbeiter, wenn Sie davon sprechen, dass nur diese exklusiv "in der rauhen Alltagswelt leben"? Ich halte das Gerede von "übersättigte(n) Kinder(n) reicher Leute" für ein plumpes Vorurteil, das kaschieren soll, dass Sie in Wirklichkeit einen gefährlichen Antiintellektualismus pflegen, dass es ihnen um eine Solidarisierung mit vermeintlich ehrlicheren, hart physisch arbeitenden Subjekten vs. vermeintlich nur in Träumen schwelgenden und schmarotzenden Geistesarbeitern. Solche Vorstellungen sind nicht weit entfernt von denen, die Pegida und Co. umtreiben.
Der sog. Arbeiterklasse ist zutiefst zu misstrauen. Progressives ist von ihr nicht zu erwarten. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich die geballte Faust wieder in den Hitlergruß verwandelt.
Da muss ich schmunzeln bei dem Satz in dem Beitrag: "Links wäre es, die Arbeiter zu fragen, was man tun kann, um sie zu unterstützen und ihnen zu helfen." Gibt es sie also doch noch, die schwer links romantisch hochbeschworene "Arbeiterklasse"? Also quasi Wahlvieh von Kommunisten und dieses Wahlvieh hat selbst keine Ahnung, die Arbeiter muss man unterstützen und ihnen helfen. Da kann man auch die DKP wählen-da ist man u.a. der Meinung, dass die Arbeiterklasse gar nicht wisse, dass sie eine Arbeiterklasse sei und daher müsse man es ihnen erklären und ihnen dabei helfen, ein Klassenbewusstsein zu entwickeln.
Warum eigentlich so viele gemeine Hiebe gegenüber Menschen, die einen Wald schützen, die anders leben als man selbst?
Hier kommen in den Kommentaren einige Fragen auf, manche werden hier beantwortet:
https://hambacherforst.org/
Weil jemand im Baumhaus lebt, heisst es nicht, dass er nicht gepflegt ist. Im Umkehrschluss kann ich aus meiner aktiven Zeit in der Prostitution sagen, dass nicht jeder, der Geld hat, gepflegt ist.
Also am besten mal unter die eigene Vorhaut und die eigenen Fingernägel schauen, bevor man über die Hygiene von Waldschützern spricht.
(Hier könnte eine sehr großer, lachender, zwinkernder Smiley stehen.)
Wer ein grundsätzliche Energiewende will, kommt, sofern er Atomkraft für zu riskant hält, um eine weitere fossile Übergangsperiode nicht herum. Es wird noch eine Zeit lang dauern, bis die Speichertechnik und die smarte Energieverteilung den endgültigen Durchbruch erlangt hat. Je schneller das geht, umso besser. Aber bis dahin wird es, für einige zwar schwer zumutbare, aber doch unumgängliche Kompromisse in der Energiepolitik geben müssen.
@Nina: DKP-Denken wäre den Arbeitern zu sagen, was sie zu tun haben. Nichts liegt mir ferne und im Text steht es auch nicht drin. Und wie gepflegt Menschen sind, die in Baumhäuser wohnen vermag ich nicht zu beurteilen. Ein Baumhaus mit Whirlpool und Dampfbad würde ja in Hinsicht Bequemlichkeit und Hygiene keine Wünsche offen lassen. Mal schauen, was die Polizei bei ihrerRäumung so alles findet.
#16 Stefan W
Gefühlte Wahrheiten sind auch keine intelektuellen Höchstleistungen.
80 Mio Menschen in einem kleinen Land mit ein paar Braunkohlekraftwerken lösen höchstens klimarelevante Schmetterlingeffekte aus.
@6
In der BRD sind ca. 700.000 Menschen im Autoverkehr getötet wurden. Obendrauf kommen ein paar Millionen (Schwer)-)Verletzte. Und nun kommt jemand wie Sie und nennt die Atomkraft eine Mördertechnologie. Das ist die typisch Haltung eines menschenverachtenden Ignoranten.
Nebenbei: An den vielen verfehlten Klimazielen, die verschiedene Bundesregierung ausgegeben haben, kann man gut sehen, dass ohne Atomkraft die Erwärmung der Erde nicht zu stoppen ist.
Man kann nur hoffen, dass sich die Menschen auf eine technisch wissenschaftliche Zukunft einlassen. Mit den vielen grünen Parteien & Demagogen wird das nichts.
Man will ein Exempel statuieren. Während manche Menschen mit Geld, manche Konzerne, manche Intendantinnen in Bochum, manche Rechten ungestraft machen können, was sie wollen, wird hier draufgeknüppelt.
@Nina: Nein, es wird einfach nur geltendes Recht vollzogen. Die Besetzung ist illegal und die Polizei räumt – würden die 200 Besetzer, es sind ja nicht viele, nicht so ein Theater machen, wäre die ganze Nummer nach einer Stunde vorbei und alle könnten Bratwurst essen gehen.
@Nina, jetzt mußte ich auch ohne smiley lachen, denn meine Frage war doch nicht ob, sondern womit sie sich duschen. Laurin hat es erfaßt, und du hast meinen Satz auf deine Welt bezogen, aber mich nicht verstanden. Jetzt kommt (wieder mal) ein Selbstzitat, dann wirst du verstehen was ich meine.
https://www.ruhrbarone.de/wie-koennen-wir-uns-in-zukunft-noch-in-ueberheizten-sitzungssaelen-ueber-umweltfragen-ereifern-und-uns-zweimal-taeglich-warm-duschen/74138
@Stefan W., wer morgens ob Sommer oder Winter spätestens um 5Uhr, auch bei Schnee und Sturm raus muß, weil um 5.30Uhr Schichtwechsel ist, hat andere Sorgen als Sie. Glauben Sie mir. Ich neige nicht dazu, das zu verklären. Arbeiter sind über Tarifverträge in den meisten Branchen den Angestellten gleichgestellt worden. Darum ist auch ihre Zahl gesunken. Aber glauben Sie bitte nicht, daß es deswegen keinen Produktionsprozeß mehr gäbe, von dem alle, auch die, die schriftstellerisch tätig sind oder aus Mieteinnahmen oder Verkauf jeglicher Art ihr Geld kriegen leben. Auch die, die einen reichen Papa haben leben von der Arbeit derer, die an irgendeiner Produktion von Waren beteiligt sind. Ob dieser Personenkreis heute links ist, oder bei nächster Gelegenheit die Faust zum Hitlergruß erheben, oder ob sie ballen, kann ich nicht beurteilen.
Sie aber schon.
Aber wenn ich mich auf die Sichtweise von Marx und Engels beziehe, dann gelten die für mich als Urbegriff dessen, was ich unter links verstehe. Offenbar haben Sie einen anderen Linksbegriff.
Und das wäre ein Streitpunkt für eine Diskussion, die ich gerne mit Ihnen führen würde, weil Sie ja vermuten, daß ich "in Wirklichkeit einen gefährlichen Antiintellektualismus pflege."
Fangen Sie einfach an und sagen Sie, was sie unter "links" verstehen und was an meinem Bezug auf Marx und Engels, die ich für links halte, falsch ist. Ich denke dann über Ihre Position nach, und verspreche Ihne zu antworten.
@ #21: Tote gegeneinander aufrechnen: Wenn so die "technisch wissenschaftliche Zukunft" ausschaut, die Ihnen vorschwebt, dann Gute Nacht!
@ #23: Der Kommentar erinnert mich an Diederich Heßling, den braven deutschen Untertan, dem eine rein nach Befehl und Gehorsam funktionierende Ordnung über alles geht, aus Heinrich Manns Roman. Hab ich etwa eine autoritäre Wende der Ideologiekritik verpasst?
@ Michael # 21
Wenn du mit deinem Autos den Vollcrash machst, was ich natürlich fürchterlich fände, wars das für dich, dein Kiste und möglicherweise noch für ein paar andere. Wenn dasselbe mit einem Kernkraftwerk passiert, geht die Sache für eine Menge mehr Leute noch ca. 24.000 Jahre weiter. Deswegen habe ich nichts gegen Autos, aber sehr wohl was gegen Kernkraftwerke.
@ Helmut Junge: "Wer morgens ob Sommer oder Winter spätestens um 5Uhr, auch bei Schnee und Sturm raus muß, weil um 5.30Uhr Schichtwechsel ist, hat andere Sorgen als Sie. Glauben Sie mir" – das ist mir wieder zu generalisierend, und Sie verfallen schon wieder in die Dichotomie, die ich Ihnen angekreidet hatte. Bevor ich zu studieren angefangen habe, habe ich selbst jahrelang körperlich hart gearbeitet, und ich musste auch morgens früh raus. Und ich muss sagen, nach 12-15 Stunden an der Uni bin ich abends oft noch deutlich erschöpfter als früher, und das nicht von vielen Pausen, in der Cafeteria rumlungern o.ä. (um gleich den nächsten populären Ressentiments den Wind aus den Segeln zu nehmen). Ich kenne also beide Seiten, würde für mich aber nicht in Anspruch nehmen, dass mein Lebenslauf irgendwie repräsentativ wäre für "den" Arbeiter oder "den" Akademiker. Und ich fände bei Ihnen ebenso einen differenzierteren Blick gut.
Was Ihren Bezug auf Marx und Engels angeht, so will ich dazu nur kurz (zumal ich mich dazu gar nicht geäußert habe) anmerken, dass Sie ja sofort zu Linken in der Gegenwart überleiten und zu deren Wunsch, nicht in Baumhäusern zu wohnen. Das mag ja richtig sein und auch nachvollziehbar; auch ich möchte nicht in einem Baumhaus wohnen. Unter Linken zu Marxens Zeiten verstehe ich Leute, die wegen Zensur und Flucht und Barrikadenkämpfen gegen eine monarchische Allianz ganz andere Probleme hatten als sich mit Umweltzerstörung auseinanderzusetzen. Insofern ist die Analogisierung der beiden Kontexte etwas schräg. Allerdings haben Sie Recht, wenn Sie sagen, dass in der Sorge um die Natur Motive aus der Romantik eine Rolle spielen. Deren Genese ist aber nochmal ein Jahrhundert älter, und diejenigen, die daran gestrickt haben, würde ich nicht als Linke bezeichnen. Deren Kritik an der aus ihrer Sicht falschen Nutzung der Natur durch den Menschen war vielmehr noch stark religiös begründet. In Bezug auf die Gegenwart nur von Romantik zu sprechen, heißt aber auszublenden, dass heutige Gegner von Atomkraft, Kohleabbau etc. statt Religion Argumente parat haben. So große Fässer wollte ich aber gar nicht aufmachen.
Der Punkt, auf den ich hinauswollte, ist dass man die Arbeiterschaft nicht losgelöst betrachten kann von dem Wissen darum, dass sie sich im NS nicht als progressive Kraft erwiesen hat, sondern als eine, die die industrielle Vernichtung von Menschen umgesetzt hat. Ich sehe nicht, dass von der Arbeiterschaft gegenwärtig progressiveres Potenzial ausginge. Deshalb warne ich davor, Arbeiter zu aufrechteren Menschen zu stilisieren. Aussagen, wie sie derzeit an Leuten wie Seehofer zu Recht zu bemängeln sind wie die von der Migration als "Mutter aller Probleme" waren in meinem Arbeiter-Umfeld damals Usus. Man drückte sich nur noch etwas ungeschicker aus à la "Ausländer kriegen alles in den Hintern geschoben". Das soll nun wiederum nicht heißen, dass alle Arbeiter Nazis sind. Aber ein Grundmisstrauen ist da sicher nicht ganz fehl am Platz.
Jetzt ist mein Beitrag doch länger geworden als eigentlich geplant. Das passiert mir zum ersten und letzten Mal, denn ich finde es eigentlich nicht gut, die Kommentarspalte zum Koreferieren zu benutzen.
Der Artikel ist eine kluge, nüchterne Analyse. Man kann sie auch auf ander gesellschaftliche Probleme übertragen.
@Stefan W., ich hatte Sie lediglich eingeladen, mir zu erklären, was für Sie "links" bedeutet. Gleichzeitig habe ich Ihnen einen wichtigen Pfeiler meiner eigenen Gedanken zu diesem Thema genannt und Ihnen versprochen, mit Ihnen gewissermaßen eine Diskussion zu beginnen.
Sie haben sich bisher nicht über Ihre Definition über "links" geäußert.
Leider. Dafür verstehen Sie meine Anmerkungen vielleicht absichtlich so, daß Sie gut eine vorbereitete Anmerkung für alle Fälle anbringen können. Eine Antwort, die Sie auf Lager haben, wenn nur die dazu passende Behauptung im Raum steht. Nein, erstens verkläre ich die Arbeiterklasse nicht, und es waren nicht die Leute, die sich intellektuell zu Marxen Zeiten geäußert hatten, sondern damals waren es noch viele Arbeiter, die nicht " wegen Zensur und Flucht und Barrikadenkämpfen gegen eine monarchische Allianz " flüchten mußten und sich der Sozialistischen Internationale anschlossen. Nur die zahlenmäßig wenigen Intellektuellen zu zählen bringt nicht viel, wenn wir über eine Bewegung sprechen.
Ihr Art mit Diskursen umzugehen, fällt aus meiner Sicht schon unter eristische Dialektik. Aber egal, Sie empfinden Ihren Beitrag als Koreferat, und ich sehe keinen verwertbaren Erkenntnisgewinn in Ihren Kommentaren, weil Sie auf meine Fragestellung nicht antworten, denn die Frage war ja, was Sie als "links" betrachten. Jetzt habe ich auch keine Lust mehr auf eine Diskussion, weil ich nichts mehr an nachdenkenswerter Antwort Ihrerseits erwarte.
Das Recht zur Räumung und Rodung des Waldes mag unangefochten sein, es aber jetzt politisch durchzusetzen ist m.E. ein großer Fehler. Diese Maßnahme kommt Jahre zu spät. In einer Zeit, in der wir über den Kohleausstieg reden, erscheint die Abholzung eines ganzen Waldes nicht plausibel und daher auch nicht politisch vertretbar !
Neulich wurde mir ja mit Adorno „gekontert“ … irgend etwas mit Garten pflegen … 😉
Wobei ich zum Thema „Arbeiter und links sein“ eine der ersten empirischen soziologischen Stduien Deutschlands empfehle. Arbeiter und Angestellte am Vorabend des Dritten Reiches, vom Frankfurter Institut ..!
Bestimmt desillusionierende Lektüre für Linke, wenn man die Ergebnisse betrachtet.
Wer sagt, dass Gegner von Braunkohle, Kernenergie etc. (wäre nicht meine Verallgemeinerung, weil viel zu pauschal, Argumente haben und der Umweltschutz daher keine religiösen Motive und Märtyrer Praktiken hat, der hat wohl noch nie etwas von der Disziplin der Theologie gehört.
Mich erinnern die Baumschmuser an Mönche und Eremiten … nicht nur optischen und olfaktorisch, sondern auch habituell 😉
Meiner Meinung nach ist der Sozialismus ebenfalls eine in (sozial)romantischen Motiven gefangene religöse Erscheinung 😉
Yilmaz … dann wird es höchste Zeit für die Politik zu lernen, das es auch in Umweltfragen geltendes Recht gibt. Oder ist bei einheimischen Bäumen plötzlich „Populismus“ OK?
Wäre beim derzeitigen politischen Klimawandel auch eine gute Empfehlung #scnr
Die Handvoll Personen, die als Beruf "Arbeiter" ankreuzen müssen. wird von Jahr zu Jahr geringer.
Von dieser Gruppe erwarte ich auch keinen kreativen Gestaltungswillen für die Zukunft unserer Gesellschaft. Und die Beobachtung zeigt, daß deren politischer Weg eher nach Rechts zeigt, als nach Links. Und nochmal: Ich verkläre diese Gruppe nicht. Wer morgens um 5 Uhr zur Arbeit muß, ist vermutlich meistenteil Angestellter. Aber diese Menschen sind in der Produktion und jeder Cent, den wir besitzen, kommt daher und nicht anderswoher. Das ist keine Verklärung, sondern Fakt.
@abraxasrgb, "Meiner Meinung nach ist der Sozialismus ebenfalls eine in (sozial)romantischen Motiven gefangene religöse Erscheinung ?"
Ich bin da etwas hilflos. Denn erstens war nichts von allen Experimenten wirklich etwas, was den Namen verdient hätte, obwohl viele Menschen ihre Träume so hingebogen hatten, daß sie es so bezeichneten, noch hat jeder Träumer den gleichen Traum. Jetzt, wo der Typus Arbeiter verschwunden ist, der das alles hinkriegen sollte, scheitern die meisten ideologischen Träume bereits an diesem Ausgangspunkt. Mit dem Hinweis, daß wir eine reiche Gesellschaft mit respektabler Absicherung für jeden Einzelnen wären, sagte mir ein konservativer Physiker, mit dem ich heute noch befreundet bin, daß das der eigentliche Sozialismus wäre. Das war vor 1990. Dieser Satz hatte mich damals schwer beschäftigt. Denn meine eigene Vorstellung von Sozialismus basiert auf der Idee, daß es die technologische Entwicklung genügend Reichtum gibt, so daß jeder nach seiner Leistung und nach seinen Bedürfnissen leben kann. Daß Ziel war damals greifbar nahe.
Und besonders zufrieden waren damals die Arbeiter. Heute ist für mich Gelegenheit, wieder über diesen Satz nachzudenken. Denn die sziale Absicherung hat sich geändert. Viele Leute haben Angst vor der Zukunft. Diese Phase, in der der Kapitalismus wie Sozialismus aussah ist wohl vorbei.
Andere Leute dagegen machen sich über die Beeinträchtigung ihrer Gesundheit durch Umweltschäden Sorgen. Und zwischen diesen beiden Sorgen ist ein Spannungsfeld entstanden, das zu dieser Diskussion geführt hat. Die einen wollen Arbeitsplätze und die anderen Wald.
Nur wollen alle warm duschen, auch diejenigen die Wald wollen.
@ #31: Ich hatte ja ausdrücklich eingeräumt, "dass in der Sorge um die Natur Motive aus der Romantik eine Rolle spielen". Wenn Sie sich mal mit Texten der Romantik auseinandersetzen und sie mit den Argumenten von Umweltverbänden (im weitesten Sinne) vergleichen, werden auch Sie nicht drumherumkommen einzugestehen, dass sich in den 200 Jahren dazwischen eine Menge getan hat. Ich habe den Eindruck, Sie wollen einfach auf Biegen und Brechen an Ihren Ressentiments festhalten.
@ Helmut Junge: Ich habe mir erlaubt, auf Ihre Frage, was ich unter "links" verstehe, nicht zu antworten, weil ich das als nicht zielführend betrachtet hatte. Stattdessen habe ich versucht zu verdeutlichen, was mein Punkt war. Sie können da gerne anderer Auffassung sein. Finde ich völlig in Ordnung. Aber ich habe mitnichten irgendwas Vorbereitetes hervorgezogen, sondern versucht auf einige Ihrer Punkte ansatzweise einzugehen, Ihnen ja teils sogar Recht gegeben. Das auszuführen hieße einen eigenen Essay zu schreiben. Dafür ist die Kommentarspalte aber ungeeignet.
Weil es Sie aber so sehr zu interessieren scheint: Ich verstehe unter Linken ein äußerst heterogenes Spektrum von sehr autoritären bis sehr individualistischen Kollektiven und Einzelpersonen, wobei es dazwischen sehr viele Grautöne gibt. Und von der Herkunft her hat es darunter schon immer Intellektuelle (die meiner Einschätzung nach auch Arbeiter sind und die nicht weniger Druck und nicht weniger prekären Verhältnissen ausgesetzt sind als primär physisch Arbeitende) und Arbeiter im proletarischen Sinne gegeben. Linkssein ist ein Attribut, dass sich jeder nach Gutdünken anheften und von dem sich jeder genauso nach Gutdünken distanzieren kann. Oder man kann sich von bestimmten Ausdrucksformen distanzieren, z.B. von antisemitischen, und andere affirmieren. Kurz: Linkssein ist für mich was hochgradig Ambivalentes.
Hilft das jetzt irgendwie weiter? Ich wollte von Anfang an auf etwas Spezifischeres hinaus, nämlich die Verklärung der Arbeiterklasse. Wenn Sie sich davon distanzieren (#33), haben wir da gar keinen großen Dissens.
Sie geben im Ernst der Linken die Schuld am Rechtsruck?!
Sie sollten schnell zur Besinnung kommen und in ein Flughörnchen-Kostüm schlüpfen!
Wer in ein Flughörnchenkostüm schlüpft, um die Welt zu retten, war noch nie bei Besinnung. 🙂
@#15 Joachim Temmen: Wald für Windkraftanlagen wird ja auch in NRW plattgemacht, z.Zt. mehrere fußballfeld-große Flächen unweit des Hambacher Forst im Aachener Münsterwald: https://www1.wdr.de/nachrichten/landespolitik/westpol-wald-oder-windkraft-100.html
Auch hierzulande war es Rotgrün, welche diesen Kahlschlag in den Wäldern als neue Investitionmöglichkeit aufgesetzt hatten. Der ökologische "Gewinn" durch Windkraft würde ja den "Verlust" an Wald wettmachen. "Der Wald kann nicht grundsätzlich tabu sein", sagt der Altgrüne Reiner Priggen als Vorsitzender des Landesverbands Erneuerbare Energien NRW heute.
Vollends pervers wird die aktuelle politische Argumentation aber, wenn NRW-FDP-Wirtschaftsminister Pinkwart nun, gestützt auf das Aachener Beispiel, Windkraftanlagen in Wäldern wieder stoppen will, damit "..Belange von Umwelt und Mensch viel stärker Berücksichtigung finden" – während 30km entfernt im Hambacher Forst ebendiese Belange mit Knüppeln, Baggern und Polizeistiefeln niedergetreten werden.
@Stefan W., alles ok. Die Sache ist viel zu ernst, als daß Meinungsverschiedenheiten nicht ausdiskutiert werden sollten. Das sollen sie. Aber wir neigen immer mehr dazu, den Gesprächspartner mißzuverstehen. Das kann man aber klären.
Ich setze auf Technik, weil wir keine Wahl haben. Ob die Industrie auch auf Technik setzt, zweifle ich aber an. -Schockiert? Fakt ist, daß wir mehr Energie verbrauchen als nachwächst, und sich Energie gut verkaufen läßt. Aber wir müßten weniger Energie verbrauchen, oder um unseren derzeitig viel zu hohen Energieverbrauch zu stillen, entweder mehr regenerierbare Energie einsetzen, oder neue Energiequellen finden, bzw. entwickeln. Beim Entwickeln haben wir völlig versagt. Völlig. Das zu belegen ist einfach, aber ich kann das nicht in ein paar Sätzen. Wenn ich es kurz fasse, können wir eine bestimmte Zusammensetzung innerhalb unseres Energiemix-konzeptes in den einzelnen Energiearten nicht viel varieren. Das ist das Problem. Gäbe es Enrgiespeicher, also Akkumulatoren, wäre das Problem bis zu einer berechenbaren Grenze gelöst. Da Menschen aber unersättlich sind, wären nach maximal 10 bis100 Jahren auch dann eine neue Grenzen erreicht. Einzige Lösung für das nächste Jahrtausend wäre die Kernfusionstechnologie.
Die wird nicht im erforderlichen Maße erforscht. Das ist meine Hoffnung. Wir machen aber weiter, ohne sicher zu sein können, ob wir auch nur eines der beiden Ziele jemals verwirklichen zu können. Wir wissen es einfach nicht.
Das ist die kürzeste Fassung der Energiefrage, wie ich sie sehe.
Aber wie verhalten wir uns? Die Flughörnchen wollen den Wald erhalten, und der Rest der Menschheit will sich täglich zweimal duschen, und zwar warm. Beide liegen falsch, weil wir zuviel Energie verbrauchen, aber auch nicht mehr so leben können, wie wir vor tausend Jahren gelebt haben. Dafür sind wir viel zu viele Menschen auf dem Planeten. Wir können nicht zurück.
Was könnten wir unter diesem Blickwinkel. es ist ja mein Blickwinkel, tun?
Meine Antwort ist, weil wir nicht zurück können, haben wir wir nur den Weg nach vorne.
Mehr Forschung, mehr Bildung, mehr Interesse an Forschung. Nur sehe ich das nirgendwo.
Tatsächlich neige ich gelegentlich deswegen zum Sarkasmus. Ich mag die Flughörnchen nicht, weil sie mir die Sicht auf technische Lösungsmöglichkeiten verbauen. Wir brauchen einfach mehr Forschung. Wir brauchen zwar unzählige Wohnungen und bezahlbare Mieten, Aber Baumhäuser gehören nicht in diese Kategorie. Es gäbe noch viel mehr zu sagen, nur habe ich nicht viel Einfluß auf die Köpfe derer, die mich nicht verstehen wollen.
#25 @ Stefan W.
Lieber Stefan W., schön, dass Sie die Diskussion mit Literarischem bereichern.
Allerdings: Dederich Heßling ist vor allem jemand, der Karriere nach dem "Fahrradfahrer-Prinzip" macht: nach oben buckeln und nach unten treten.
Dass man nur Gesetze befolgen sollte, die einem persönlich in den Kram passen war wohl kaum die Intention von Heinrich Mann – sondern eher die Methode mit der diejenigen aufgestiegen sind, die ihn aus dem Land gejagt haben…
Was Ihre These von der geballten Faust zum Hitlergruß angeht: Die meisten Anhänger hatten die Nazis während ihres Aufstiegs nicht im Arbeitermilieu – übrigens auch nicht in der "Bourgoisie", wie gerne kolportiert wird – sondern unter Kleinbürgern, Kleingewerbetreibende, Beamte, Ladenbesitzer…
@Stefan W. #27
Zitat: "Der Punkt, auf den ich hinauswollte, ist dass man die Arbeiterschaft nicht losgelöst betrachten kann von dem Wissen darum, dass sie sich im NS nicht als progressive Kraft erwiesen hat, sondern als eine, die die industrielle Vernichtung von Menschen umgesetzt hat." (Zitat Ende)
Das muss man sich echt auf der Zunge zergehen lassen.
Die Arbeiterschaft hat sich also nicht als "progressive Kraft" erwiesen. Während an den Universitäten aktiv Widerstand geleistet wurde, indem die jüdischen Professoren mit einer Geschwindigkeit und Begeisterung rausgeschmissen wurden, die selbst Goebbels in Erstaunen versetzte?
Der Widerstand nach der Machtergreifung war in ALLEN Bevölkerungsschichten nicht sehr ausgeprägt, aber ausgerechnet den Arbeitern – also der Schicht mit den geringsten Einflussmöglichkeiten – den Schwatten Pit zuzuschieben ist schon dreist…
@ Helmut Junge #33
Stimmt, den "klassischen Arbeiter", der in der Fabrik schafft – und dabei auskömmlich verdient – gibt es heute kaum noch, und tatsächlich hatte sich in den 80er/90er Jahre die Meinung verbreitet, dass die Gesellschaft praktisch nur noch aus Menschen vom Mittelstand aufwärts gäbe. Leider haben sich die gesellschaftlichen Verhältnisse inzwischen dahingehend verschoben, dass die Mittelschicht immer schmaler wird und sich massive Ängste ausbreiten, eines schönen Tages zum immer größeren Heer der "Abgehängten" zu gehören, neudeutsch "Prekariat" genannt. Und leider sehe ich nicht, dass sich Gewerkschaft, die SPD oder gar sich als "links" verstehende Intellektuelle sich darum bekümmern würden, im Gegenteil, ich höre da zwischen den Zeilen öfter mal Verachtung heraus, für diese komischen Gestalten, die zu wenig Gemüse essen (und dann noch nicht mal bio!), die falschen Autos fahren und zu viel Energie fürs Heizen verbrauchen…
Insofern kann man nicht sagen, dass heute die Kassiererin im Supermarkt oder der Mitarbeiter im Call-Center die Rolle des Arbeiters eingenommen hätte, das Bild wäre schief.
Nun,@Puck, Teile der Arbeiterklasse sahen sich aber als die fortschrittlichste Kraft und gebärdeten sich auch so, kündigten ein Sowjetdeutschland schon vor Hitler, dann sahen sie dieses als zwingende Folge einer kurzzeitigen und erfolglosen Hitlerregierung an, der unvermeidlich das rote Deutschland folgen würde.
Es waren die Ankündigungen eines roten, eines Sowjetdeutschlands, dass nicht wenige Kleinbürger, Gewerbetreibende, Beamte u.a. zu den Nazis trieb, wie ich aus meiner eigenen Familie weiß. Da gab es überzeugte Hitleristen, aber eben auch solche, die einfach Angst vor den Kommis hatten. Dies ist wiederum verständlich, wenn man bspw Reden und Aufrufe von Thälmann bzw. der KPD liest.
Laut SED, die sich selbst als Avantgarde des Proletariats sah, dass als der fortschrittlichsten Teil der Gesellschaft galt,war die Arbeiterklasse der Sieger der Geschichte.
Also ist es doch legitim, mal nach der Rolle der Arbeiterklasse zu fragen. Dass der Widerstand der Arbeiter wie in allen Bevölkerungskreisen nicht sonderlich hoch war, lag neben dem überall spürbarem Naziterror natürlich auch an der Politik der Nazis. U.a. bezahlter Urlaub, Moratorium bei Mieten, KdF, beeindruckten die Menschen, ebenso die außenpolitischen Erfolge.
@ Puck: Dass spätestens mit dem sog. Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums "die jüdischen Professoren mit einer Geschwindigkeit und Begeisterung rausgeschmissen wurden, die selbst Goebbels in Erstaunen versetzte", ist mir nicht unbekannt. Ich studiere selbst an einer Uni, an der Intellektuelle sogar schon weit vor 33 in vorauseilendem Gehorsam Selbstgleichschaltung betrieben haben. Besonders die Geschichtswissenschaft, aber auch andere Disziplinen sind heutzutage aber unnachgiebig um Aufarbeitung dieser Zeit bemüht. Es erscheinen jede Menge Publikationen dazu, Tätern werden akademische Titel wieder aberkannt u.v.m. Mir ist auch klar, dass das kein Unrecht ungeschehen macht, aber auch nur ansatzweise ähnliche Bemühungen kann ich innerhalb der Arbeiter_innen-Milieus leider nicht erkennen. Ganz im Gegenteil: dort steht eher der Sinn erneut nach einem krassen Rechtsdrall, was eigentlich verwundern sollte, waren doch die Gewerkschaften eigentlich immer darum bemüht, ihrer Klientel einen antifaschistischen Konsens nahezubringen. Scheint bei diesen Milieus wohl nicht zu verfangen.
Kurz zu Diederich: Intentionen von Autor_innen halte ich in der Regel für irrelevant (es kann schon mal Kontexte geben, bei denen das anders ist, aber in erster Linie bin ich für einen primärtextzentrierten Zugang). Und ja, gerade wegen des "Radfahrersyndroms", an das mich Stefan Laurins Kommentar erinnert hat, hatte ich ihm ans Bein gepieselt – allerdings bewusst überspitzt, weil ich ihn meistens eigentlich als nicht gerade autoritätsverliebt wahrnehme. Und auch ich finde Gesetze nicht nur dann sinnvoll, wenn sie mir in den Kram passen. Gleichzeitig halte ich zivilen Ungehorsam aber manchmal für geboten. Das muss doch einander nicht ausschließen, oder?
@ Stefan W Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass gerade angelsächsische Autoren gerne betonen, wie sehr ihnen in den entsprechenden deutschen Archiven und Institutionen Hilfe und Unterstützung bei ihren Forschungsarbeiten zu Teil geworden ist. Solches Verhalten wird in den entsprechenden Kreisen gerne auch Nestbeschmutzung genannt.
@thomas Weigle #42
Lieber Thomas Weigle, bitte nehmen Sie meine Antwort nicht übel – und schon gar nicht persönlich.
Aber Erinnerungen von Verwandten sind die denkbar schlechteste Quelle für historische Betrachtungen. Das liegt schlicht daran, dass Erinnerungen eben nicht präzise abgespeichert werden wie Texte auf einer Festplatte, sondern mit der Zeit modifiziert werden durch Brüche in der eigenen Biografie, gesellschaftliche Veränderungen und dem (verständlichen) Wunsch, Denkfehler nachträglich zu erklären.
Es gibt dazu interessante Untersuchungen, u. a. von Harald Welzer. Aber das nur am Rande.
Ich glaube nicht, dass sich die Arbeiter in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts als die Speerspitze des Fortschritts begriffen haben. Die Arbeiter in den 20er Jahren waren – wie zu allen anderen Zeiten davor auch – vor allem damit beschäftigt, sich ein Auskommen zu schaffen, mit dem man einigermaßen klar kommt, also eine Wohnung, Essen, Schuhe und Wintermantel und Sonntags – wenn alles gut geht – vielleicht ein Braten auf dem Tisch, so Sachen eben.
Was die Kleingewerbetreibenden betrifft und ihre Angst vor dem Kommunismus: Klar ist, dass die "Kleinbürger" während der Hyperinflation und der Wirtschaftskrise die meisten Verluste hinnehmen mussten, was natürlich Ängste und Frustration auslöste – aber im Grund ein Popanz. Viel wichtiger für den Erfolg der Nazis war doch der Antisemitismus, der eine psychologische Klammer bildete, mit dem problemlos die Furcht vor dem Kommunismus geschürt und gleichzeitig das "Großkapital" angeprangert werden konnte – was sowohl die Furcht vor noch mehr Verlusten als auch den Neid auf die besser gestellten anstachelte.
Und die "Großkapitalisten"? Tja, die fühlten sich nicht gemeint, die waren schließlich – entgegen noch immer existierenden Vorurteilen – nicht jüdisch. Und mit diesem Pack das schwarze Stiefel zu braunen Hosen trägt würde man schon fertig.
Jetzt kann man natürlich sagen: "Ja… hinterher ist man immer klüger!"
Das stimmt.
Sagen die Optimisten.
@Stefan W. # 43
Was die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in akademischen Kreisen betrifft, das kann man aufs Schönste daran ablesen, dass niemals ein NS-Richter auch nur einen Knick in der Karriere erleiden musste.
Die Witwe des Volksgerichtshofs-Hetzers Freisler hat einen Zuschlag zur Witwenrente bekommen, weil ihr Mann durch das unglückliche Ableben während eines Bombenangriffs daran gehindert wurde, nach dem Krieg so richtig Karriere zu machen.
Und das hatte realistisch gesehen sogar eine gewisse Berechtigung.
Leider.
Und was war das für ein Gehampel, bevor die Uni Düsseldorf den Namen "Heinrich-Heine" tragen durfte… während man an der Kunstakademie anscheinend keine Probleme mit Arnold Breker hatte.
Ich habe keinerlei Sympathie für die Kellnerin, die im Café einen Widerständler erkennt und sofort der Gestapo anzeigen muss oder dem Hausmeister der die Geschwister Scholl verraten hat, obwohl er ohne Gefahr auch hätte "übersehen" können, wer die zum Boden flatternden Flugblätter vom Geländer geschubst hat.
Aber ehrlich gesagt verachte ich mehr einen Waldemar Bonsels (schon vor 1933 berühmter und wohlhabender Autor der "Biene Maja"), der sich mit einem antisemitischen Roman beim Regime einschleimt um in die "Reichs-Schrifttumskammer" aufgenommen zu werden.
Was den "primär textzentrierten Zugang" zur Literatur betrifft stimme ich Ihnen zu, auch wenn ich das weniger pompös ausgedrückt hätte, ich sag immer: Einfach mal lesen bevor man zitiert.
Hilft!
Dann muss man sich anschließend keine Krücken basteln à la "was ich eigentlich sagen wollte"…
Das "Fahrradfahrer-Syndrom" kann ich in dem Artikel nämlich nicht ausmachen.
Ich stimme z. B. Stefan Laurin in seiner Meinung über Atomkraft überhaupt nicht zu, aber ich kann nicht erkennen, vor wem er da "buckelt". Er hat eine andere Meinung, kommt vor, auch unter intelligenten Leuten, that's life.
@ Puck: Meine Kritik in Sachen Autoritarismus bezog sich auch nur auf den Kommentar #23, nicht auf den Artikel. Gesetze grundsätzlich gutzuheißen ist das Eine. Aber muss man deshalb gleich die Polizei abfeiern?
Ansonsten sind wir, glaub ich, gar nicht so weit auseinander. Was den Umgang mit NS-Richtern angeht, d´accord. Man könnte noch viele andere Institutionen aufzählen. Der Fall Freisler und Witwe ist mir auch bekannt, ebenso d´accord. Ich hatte mich aber in erster Linie auf die Mühen der Wissenschaft bezogen, die Universitätsgeschichte auf braune Flecken hin zu untersuchen. Dass das und vieles mehr teils auf Widerstände stößt, ist wahrscheinlich richtig. Aber es gibt halt auch Forscher_innen, die da hartnäckig bleiben, und das gefällt mir sehr gut. Andererseits muss ich zugestehen, dass Ihre vielen Einwände mich durchaus meinen ursprünglichen Punkt nochmal haben überdenken lassen. Vielleicht bin ich selber dem dichotomen Denken, dass ich Helmut Junge vorgeworfen hatte, ein wenig verfallen. Vielleicht können wir uns darauf einigen, dass viel Differenzierung nötig ist?
Im Übrigen finde ich die Auseinandersetzung mit der Gedächtnisforschung und deren Befund, dass Erinnern nie einfach abbildet, sondern immer unter Einbezug von Gegenwartsinteressen konstruiert, was gewesen ist, auf den Sie hingedeutet haben (#42), ebenfalls total spannend. Ich würde Ihnen da unbedingt zustimmen.
@ Puck: Kennen Sie zum Antisemitismus eigentlich die Arbeiten von Olaf Kistenmacher? Er gehört zu den wenigen, die nicht müde werden Belege dafür zu sammeln, dass die KPD in denUntergangsjahren der Weimarer Republik der NSDAP quasi in Sachen Antisemitismus in nichts nachstehen wollte.
@ Puck Ich sehe oral history etwas anders als Sie, mindestens aber als Ergänzung herkömmlicher Geschichtsschreibung. Ob Verwandtschaft oder nicht.
Was den Fortschritt oder nicht Fortschritt der Arbeiterklasse angeht, so haben Millionen Arbeiter die von Moskau gesteuerte KPD gewählt, deren Vorsitzender Thälmann die allerwildesten Reden und Artikel von sich gab. Der wurde ernst genommen, warum auch nicht? Schließlich stand die SU hinter ihm, deren Chef Stalin ihn sogar wieder als Vorsitzenden der KP einsetzte, nachdem ihn seine Genossen wg. einer dubiosen Finanzaffaire abgesetzt hatten.
Im Netz gibt`s für kleines Geld Reden und Schriften des großen Vorsitzenden Thälmann. Man sollte Kommis schon ernst nehmen, in ihren Reden und ihren Taten, Stichwort Wissenschaftlicher Sozialismus.
Auch wenn die Aufarbeitung der NS-Zeit hierzulande lange Zeit hakte, so kam sie spätestens mit den Frankfurter Auschwitzprozessen in Gang. Eigentlich hatte schon der Ulmer Einsatzgruppenprozess 1957 für großes Aufsehen gesorgt und eine erste Bresche in die Mauer des Schweigens geschlagen.Die Verbrechen der Herren Lenin, Stalin, Mao, PolPot u.a. kommunistischer Führer harren noch einer solchen Aufarbeitung in ihren Ländern, v.a. von staatlicher Seite. Bei uns kommt zu Recht in den Knast, wer den Holocaust leugnet, in China, wer die Gräuel der Maozeit allzu genau beschreibt und die wahre Opferzahl benennt. Auch in Russland will man von den Gräueln der Stalinzeit nichts wissen, im Gegenteil, der Herr wird dort nach wie vor abgefeiert. 2006 ließ ein gewisser Herr Putin als Reaktion auf entsprechende Forderungen aus dem Baltikum verlauten: "Wir haben uns einmal entschuldigt, das muss genügen." Er meinte damit wohl die entsprechende Resolution der Volksdeputiertenkammer der SU aus dem Jahre 90, in der man sich für den Überfall auf die baltischen Länder 1940 entschuldigte und erstmals offiziell das geheime Zusatzprotokoll vom August 39 zwischen Nazideutschland und der SU bestätigte.
@Stefan W., ich und Dichotomie? Kann sein. Manchmal sogar sicher.
Aber wie nennt man das Phänomen immer auf Nazi zu kommen, egal wie das Thema heißt? Sie bringen als Erster in Kommentar 27 Nazis in die Waldabholzungsdiskussion rein.
Seitdem geht es von Kommentar zu Kommentar immer weniger um Waldabholzung und immer mehr um Nazis. Sie sind nur Stichwortgeber und natürlich nicht verantwortlich für die Folgekommentare, aber ich möchte gerne sagen, daß ich weder die Flughörnchen, noch die Polizisten als Nazis sehe.
Was die früheren Arbeiter betrifft, war keiner meiner Großväter Nazi, aber ein Onkel war bei der Waffen-SS (gezwungen, wie man mir sagte) und niemand warf ihm das vor. Solche Familien hat es sicher häufiger gegeben. Es waren Arbeiterfamilien.