Happy Birthday, mein Kleiner Großer!

Dein 6. – (Quelle: Sebastian Bartoschek, edited in Prisma app with Leya)

Die Aufgabe des Journalisten besteht nicht darin, die Welt so zu beschreiben, wie er sie gerne hätte, sondern so wie sie ist. Dabei dominieren zugegebenermaßen die negativen Zuschreibungen, die Berichte über das Schlimme. Es muss benannt sein. Schonungslos und fortwährend. Doch es gibt nicht nur das Schlimme, und manchmal habe ich das Gefühl, dass es für uns schwieriger ist, das Schöne zu sehen, es zu beschreiben, erst recht, wenn es im höchst persönlichen Bereich ist, und es dann noch mit starken Emotionen einher geht. Nie fühlt man sich verletztlicher als in den Momenten, in denen man Liebe und Zuneigung zeigt. Umso wichtiger finde ich, dass wir aber genau das tun, auch öffentlich, uns klar machen, wofür wir eigentlich gegen Härte, Kälte und Hass ankämpfen.

Ich habe zwei Söhne. Seit sie geboren wurden, der eine vor knapp 11, der andere genau vor 6 Jahren, schreibe ich immer einen persönlichen Text für sie zum Geburtstag. Den habe ich stets auf Facebook veröffentlicht. Da bin ich gehackt – dies das. Ich habe immer viel Zuspruch für die Texte bekommen. Neben dem Umstand, dass das meinem Ego schmeichelte, hatte ich auch immer das Gefühl, dass es dem ein oder der anderen zumindest ein kurzzeitig warmes Gefühl gab, die Texte zu lesen. Deswegen veröffentliche ich jetzt hier. Und wem das alles zu warm, zu persönlich, zu uncool ist – dem schenke ich das Lesen dieses Textes umso lieber.

„Wenn ich morgen aufwache, dann bin ich 6, und danach den Tag 7,“ sagst du lachend, schlägst dir die Decke über den Kopf. Ich mache das Licht aus, das Nachtlicht leuchtet grün, und gehe aus dem Zimmer. Später liege ich in meinem Bett wach. Ich habe das reale Gefühl an meinen Händen, meinen Fingern, zu spüren, wie Sand hindurch läuft, Zeit, die verrinnt.

6. Du wirst 6. 6 Jahre. In denen haben wir viel erlebt. Es hat sich viel verändert: bei dir, bei mir, in unserer Familie, unserem Zuhause, aber auch in der Welt. Vielleicht ist das immer so. Aber ich habe das Gefühl, dass in den letzten 6 Jahren sich mehr veränderte als in den 6 Jahren davor.

Du kennst es nicht anders. Genau das macht es manchmal so mitnehmend. Letztes Jahr warst du verwirrt, dass es einen anderen Urlaub gibt als nach Holland ans Meer zu fahren, und du wusstest auch nicht, wie eigentlich so ein Kindergeburtstag abläuft. Corona hat dir viel genommen. Es macht mich wütend, und traurig, gerade, weil ich daran nichts ändern konnte und nicht kann. Und ehrlich gesagt, war mir das alles gar nicht so bewußt, bis es anders wurde, und ich merkte, wieviel du verpasst hast. Gerade im Vergleich zu deinem großen Bruder.

Dein großer Bruder. Groß; der wird jetzt auch bald 11. Er ist anders als du, du bist anders als er. Und du schaust zu ihm auf, bewunderst ihn, und wirst manchmal auf das Schärfste von ihm geärgert, bekommst hier und da einen mitgegeben. „LINUUUUUUS,“ schreist du dann, mal wütend, mal verzweifelt, manchmal beides. Ich stelle es mir nicht leicht vor, klein zu sein, größer sein zu wollen, aber immer wieder zu merken, dass man es noch nicht ist.

Für mich, und deine Mama auch, hättest du noch ein wenig länger klein bleiben können. Wenn du dir jetzt jeden Morgen den Schultornister auf die Schultern hievst, deine Haare werden dann immer durchgeschüttelt, und das Ding ist wirklich größer als dein gesamter Oberkörper, sehe ich dir jedes Mal an, wie stolz du bist, zur Schule zu gehen. „In der Kita war besser, dass ich spielen konnte, wann ich wollte,“ sagtest du mir, den Daumen weder nach oben noch nach unten sondern zur Seite deutend, auf meine Frage, wie Schule so ist. Das widerspricht einander nicht. Nur Erwachsene glauben, dass Gefühle eindimensional sein müssen.

Vorletzten Samstag haben wir zusammen übernachtet, und einen Film geschaut. Nur wir beide. Jasper und Papa. Einen deutschen Film über einen Yeti im Haushalt einer alleinerziehenden Mutter. Ich hätte diesen Film nach 5 min ausgemacht – hätte ich ihn ohne dich geschaut. Mit dir war ich traurig als er vorbei war; dein Glucksen, dein Lachen, dein Angespanntschauen, dein Staunen haben mich verzaubert.

Danach lagen wir nebeneinander, wie schon lange nicht mehr. Du hast langsam geatmet, dich an mich gekuschelt, und ich habe deinen Kopf gestreichelt, und dann sind wir eingeschlafen. Es ist so unfassbar schön, diese Zeit mit dir zu erleben. Denn es gab und gibt immer noch lautere Zeiten. Deine Wut hast du von mir; du kannst laut werden, zornig. Schreist, schimpfst, und manchmal haust du sogar noch. Und ja, ich bekam und bekomme es nicht immer hin, darauf anders als mit Wut zu reagieren. In einem deutschen Film wäre das eine kurze Sequenz von einer halben Minute, gefolgt von viel Lachen, und gegenseitigen Umarmen. Das Leben ist kein deutscher Film. Aber im letzten Jahr haben wir uns in großen Schritten zumindest auf diesen Weg begeben. Und es tut uns beiden gut.

Heute morgen kamst du in die Küche. Alles war für dich vorbereitet. „Das wäre toll, wenn ich in die Küche käme, und dann wäre da so Nebel und Konfetti und Licht und so,“ hattest du deiner Mama mit deinen weit aufgerissenen Augen begeistert erzählt, wie du dir einen Geburtstagsmorgen wünschen würdest. Katja grinste. Ich holte Konfettipistolen. (Früher hatte ich eine Nebelmaschine. Vielleicht hole ich echt wieder eine.) Rolf Zuckowski singt „Heute kann es regnen….“, die Küchentür geht auf, du trittst ein, schaust auf den Tisch mit all den Geschenken, und dann regnet es buntes, rundes, metallisch anmutendes Konfetti. Deine Augen glänzen vor Lachen, ein glückseliges Lächeln will gar nicht mehr aus deinem Gesicht weichen.

Ich könnte Dir stundenlang zusehen, wie du die Verzauberung der Welt durch den einen besonderen Moment bestaunst. Ich bin dir so dankbar dafür.

Bevor du gestern einschliefst, trankst du noch einige Schlucke aus deinem Nachttrinken in einer blauen Plastikflasche. Plötzlich hörte ich das Geräusch, das du beim Saugen des Wasser aus der Flasche machtest, deine Augen gingen langsam halb zu, und wieder auf, und halb zu. Und beim Absetzen der Flasche war da, für einen Sekundenbruchteil, ein zufriedenes Schmatzgeräusch, das warscheinlich ausser deiner Mama und mir niemand bemerkt hätte.

Ich musste lächeln.
Happy Birthday, mein Kleiner Großer!

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