"Jazz, Jazz, Jazz" ließ Helge Schneider einst im sinnigerweise "Jazz" betitelten Film skandieren und Jazz, Jazz, Jazz – ich kann es nicht mehr hören und lesen. Scrollt man diese Seite entlang erschlägt das Moerser Jazzfestival den Ruhrbaron. Deshalb soll das Kontrastprogramm am Pfingstwochenende nicht zu kurz kommen: Im Gelsenkirchener Amphitheater setzte das RockHard-Festival an drei Tagen lautstarke Kontrapunkte zum Gefiedel am Niederrhein. Und, mal ehrlich: Als Ruhrbaron muss man sich die Finger schmutzig machen dürfen, Jazz ist was für feine Damen, für Bayern-Fans, für Kaufhausdetektive.
Drei Tage schmutzige lange Haare, Jeanskutten, Bikerboots, schwarze Hosen, schwarze T-Shirts, schwarze Fingernägel – das war das RockHard-Festival, in dessen Verlauf rund 6000 Metalanhänger in Gelsenkirchen feierten, als seien 50 Jahre ohne Meistertitel ein Klacks. Als sei es ein Signal mussten die in Originalbesetzung reformierten Thrash-Metaller von Testament zum Auftakt am Freitagabend auf ihren begnadeten und in seinem anderen Leben als Kopf eines Jazz-Trios agierenden Gitarristen Alex Skolnick verzichten. Der Gute war irgendwie abhanden gekommen, auf dem Jazzfestival soll er aber nicht gesichtet worden sein. Am Samstag dominierte dann zwischen Emscher und Rhein-Herne-Kanal der 80er Metal (Helstar / Exciter) und die Pandabärenschau von Immortal, die mit ihren weiß-schwarz geschminkten Gesichter im Duisburger Zoo für eine Knut-Mania gesorgt hätten. Am Sonntag ging es schließlich gemäßigter zu und lediglich die Dauerproleten von Napalm Death ließen Jazzatmosphäre aufkommen. Ihre (De-)Kadenzen hätten einem Freejazzer a la Ornette Coleman zur Ehre gereicht. Alle Musiker spielten unterschiedliche Stücke in unterschiedlichen Tonarten – zusammen. Klingt komisch, war aber so. Besser machten es die Skandinavier Volbeat, deren "We love the sun"-Rufe vor allem den Dunkelmetallern übel aufgestoßen sein dürften – wenn diese just in dem Moment aus ihren Särgen geblinzelt hätten. Haben Sie aber nicht und so ging mit lautem Getöse von Iced Earth einmal mehr ein friedliches, ja familiäres Hardrockfestival zu Ende, bei dem erneut galt, dass bei diesem stimmungsvollen Event die Musik prinzipiell egal ist – wenn es kein Jazz ist natürlich. Fotoimpressionen zum Festival gibt es auf hier!
nicht, dass es zwingend meine Musik wäre, die da im Amphitheater zelebriert wurde – finds dennoch wohltuend, dass es im Ruhrgebiet scheinbar über Pfingsten doch noch was Erwähnenswertes gab neben diesem überdurchschnittlich mit Blogbeiträgen bedachten Jazz-Festival 😉
>überdurchschnittlich mit Blogbeiträgen bedachten Jazz-Festival
Ach. Ralle, Marcus und ich sind nur Enthusiasten. Übrigens ging es uns in Moers gar nicht um Jazz. Sondern um Improvisation und Liveblogging.
Ich persönlich – der ich seit ein paar Dekaden über Pfingsten in Moers bin – fand das Klischee mit der feingeistigen Kopfmusik schon immer fad. Musik ist immer nur gut oder schlecht. Gute Kunst hat immer eine unikative Formensprache.
Dann hab‘ ich in Moers heuer das erste Mal live ‚Battles‘ gehört. Exellent, aus meiner Sicht.
https://www.zeit.de/online/2007/19/battles
https://www.myspace.com/battlestheband
https://www.laut.de/lautstark/cd-reviews/b/battles/mirrored/index.htm
Jetzt höre ich den Tonträger, den ich mir im Moerser Plattenzelt gekauft hab. Der energetische Level der Studiostücke auf der CD ist ungefähr nur ein Fünftel so hoch wie auf dem Konzi in Moers.
Selbst das würde unter Headbangern, den Provinzlern mit den schwarzen Fingernägeln, die im durch ein Dylankonzert geheiligten Gelsenkirchener Amphitheater durch ihren Müll wateten, als höchstes der Gefühle durchgehen. (-;
Ich habe ja auf dem Deathmetal-Festival in Gelsenkirchen die schwarze Hüpfburg für Kinder vermißt, die mir vor ein paar Jahren aufgefallen ist. Hab ich die übersehen oder gibt es die nicht mehr?
Oh je, jetzt bloggen die Enthusiasten sogar noch den Rockbeitrag kaputt 🙂 „Überdurchschnittlich bedacht“ ist übrigens eine schöne Untertreibung. Zur Hüpfburg: Keine gesehen, dennoch ist die Betitelung „Deathmetal-Festival“ völlig falsch, da es keine Hand voll Deathmetal-Bands gab. Und zum Klischee noch: Wasse sachst, bisse alles selber (zum Zitat: „Selbst das würde unter Headbangern, den Provinzlern mit den schwarzen Fingernägeln, die im durch ein Dylankonzert geheiligten Gelsenkirchener Amphitheater durch ihren Müll wateten, als höchstes der Gefühle durchgehen.“)
hehe, manchmal find ich Eure flame-wars in den Kommentaren noch besser als die eigentlichen Blog-Beiträge 😉
Jazz überschwemmt die Ruhrbarone deshalb, weil Jazz die wichtigere Musik ist. Der Name „Death-Metal“, trägt ja schon in sich, dass die Musik scheintot ist.
@Ralf: Jazz ist so wichtig oder unwichtig wie jede Musik. Nur hat Jazz das Glück, dass die, die über Subventionen und Auftrittsmöglichkeiten entscheiden, noch immer glauben, Jazz wäre was gaaaanz tolles. Jazz ist fest verankert in der sozialdemokratischen Kultur und die ist natürlich dominant. Pech, dass so wenige Punks oder Heavys in die politik gegangen sind – was aber entscheidendes über den Hipness Grad von Jazz aussagt 🙂 Ich erinnere mich an ein Andrea Nahles Interview im Tempo und die gute Dame konnte mit keinem aktuellen Namen aus der Popmusik was anfangen. Böse gesagt: Heute hört Jazz, wer schon mit 16 davon träumte eine verantwortliche Position in einer mittleren Verwaltungsbehörde zu ergattern. Aus der Hip-Intellektuellen Musik der 50er und 60er ist The Sound Of The Stempelschwinger geworden.
Dem ist nichts hinzuzufügen! Ich würd dich wählen, Stefan 🙂 zu was auch immer …
@ Ralf
Ich persönlich finde das RockHard-Festival wichtiger als das Angeber-Jazz-Festival. Da laufen nur alte Säcke rum in Moers.
@Stefan: Unanhängig davon, wer Jazz hört – ob alte Opas, Lehrer, Regierungsassistentanwärter oder Verwaltungsfachangestellte – sollte man seriöserweise darüber nachdenken können, welche Musik innovativ, komplex und ernsthaft ist, und damit eine Wichtigkeit bekommt.
Das Angenehme am Jazz ist, dass er zu wenig Breitenwirkung hat, als dass er durch Selbstdarstellungszeremonien dauerhaft infantilisiert werden kann. Man sieht an Jazzstars mit Breitenwirkung, z.B. beim späten Miles Davies, dass der große Erfolg, die Ernsthaftigkeit der Musik zerstören kann. Auf dieser Ebene wird dann nicht mehr über die Musik diskutiert, sondern z.B. darüber, wie lang die Haare und wie dick die Brillengläser von denen sind, die solche Musik hören – so wie Du das getan hast.
Natürlich wissen wir alle, dass Jazz als Musikgattung bezüglich seiner musikalischen Komplexität und Innovationsfreude fast alle anderen in die Tasche steckt. Ich behaupte mal, dass Du heimlich Jazz hörst, dich aber nicht öffentlich dazu bekennen kannst. Wobei auf meiner Liste, der diskussionswürdigen Musikgattungen Metal und Punk – leider – gar nicht auftauchen, weil das keine Musikgattungen sind sondern soziale Bewegungen. Wenn ich morgens aus dem Haus gehe, stolpere, hinfalle und dabei mit meiner Birne am Müllcontainer anstoße, gibt das ein Geräusch – ich käme aber nie auf die Idee, das Musik zu nennen.
Du hast geschrieben „Jazz ist so wichtig oder unwichtig wie jede Musik.“ Damit willst Du sagen, dass deutsche Hitparadenvolksmusik wie z.B. von den „Wildecker Herzbuben“ genauso wichtig oder unwichtig ist wie Stockhausen oder John Coltrane oder Bach. Wenn es nach mir ginge, würde ich im Rundfunk alle verdummende Unterhaltungsmusik mit einem langen akustischen Piepszeichen überdecken lassen und danach die Warnung einblenden: „Achtung! Verdummende Musik gefährdet Ihre geistige Gesundheit.“ Dazu zählen für mich die kommerzielle Deutsche Volksmusik und eben Metal, die – was ihren Ursprung und ihre Ziele anbelangt – sehr nah beieinander liegen.
Ich möchte zum Schluß den Sozialwissenschaftler Mathias Reim zitieren, der, angesprochen auf seine 15 Millionen Euro Schulden, das gute darin gesehen hat und gesagt haben soll: „Vielleicht wäre ich sonst ein arrogantes Arschloch geworden.“
https://unterhaltung.t-online.de/c/15/04/34/12/15043412.html
Da sieht man, dass Mainstream der Tod unserer Gesellschaft ist und dass erfolglose Ernsthaftigkeit das geistige Überleben sichert.
Ich möchte anregen: Lasst uns bei den Ruhrbaronen nur noch über gute Musik schreiben, nicht mehr über Metal oder so was.
@Ralf: Die Bedeutung einer Musik macht sich nicht an ihrer Komplexität fest, ist also nicht Objektivierbar, sondern schlicht ein soziales Konstrukt: Meinungsführer bestimmen was wichtig ist und was nicht. So einen Schwachsinn wie Volksmusik im Radio zu übertönen habe ich selten gehört – wer es nicht hören will muß es nicht. Auch das Punk oder Heavy Metal für Dich keine Musikstile sind, zeigt ein Maß an Arroganz und Inkompetenz, das erschreckend ist. Ich finde ein paar Jazz Sachen ganz OK, das meiste ist – wie immer – öde, aber das schlimmste am Jazz, und Du bestätigst es, sind die Jazzfans.
Und bei den Ruhrbaronen werden wir weiterhin über jede Musik schreiben, über die wir schreiben wollen: Punk, HM, Klassik, Pop, Rock, Jazz und wenn es sein muss volkstümliche Musik.
@Ralf: Nun das Schockierende: Ich habe sogar viele bis seehr viele Jazz-CDs, die mir gut gefallen. Wer sich aber hinter solchen Wortschluchten und einfältigen pseudointellektuellen Scheinargumenten, die an Arroganz, Unkenntnis und Ignoranz nicht zu überbieten sind, versteckt, dem sollte man eigentlich keinen Kommentar auf seinen Kommentar gönnen. Wenn du „anregst“, nur noch über „gute Musik“ schreiben zu wollen, hat das diktatorische Züge – getreu dem Motto „was gut ist, bestimme ich“ – und ist gleichermaßen eindimensional wie dumm.
peinlich, wenn man darauf pocht, den guten Musikgeschmack exklusiv zu haben…ich mag übrigens Electro, EBM und Dark Wave – gehört das nicht auch irgendwie zwischen Metal und Volksmusik? 😉
>Wenn du ?anregst?, nur noch über ?gute Musik? schreiben zu wollen, hat das diktatorische Züge – getreu dem Motto ?was gut ist, bestimme ich? – und ist gleichermaßen eindimensional wie dumm.
Und beim nächsten Mal macht der Ralf dann wieder Uneigentlichkeitszeichen. (-:
@docrock
Auch wenn ich Ralfs Ignoranz in punkto Punk, HC, Metal überhaupt nicht teile, ist seine Skepsis gegenüber einem Hardrockfest, bei dem ?die Musik prinzipiell egal? ist (deine Worte) ja zumindest verständlich. In Moers hat es wenigstens ein paar künstlerische Auseinandersetzungen ? mit von den Rändern her kommenden Erneuerern ? gegeben (so lese ich die Frontberichte der drei Ruhrbarone), während in Gelsenkirchen nur ein friedlich-stimmungsvolles Familienevent, wenn auch heuer ohne schwarze Hüpfburg, stattfand. Was war denn nun die größere Spießeridylle?
Vielleicht aber haben Testament auch ohne Skolnick sogar ein bisschen was für die Wiederbelebung des Trashmetal getan und niemand hat?s gemerkt, weil keiner richtig zugehört hat (wegen ?Musik prinzipiell egal?). Hätten wahrscheinlich besser in Moers gespielt, oder?
Ansonsten: Stempelschwinger in Motörhead-T-Shirts habe ich schon ohne Ende gesehen. Posende Distinktionsgewinnler sind, lieber Stefan, (leider) nicht nur im Barjazz-Universum zu Hause.
@Dirk: Man kann die Worte in Punkto „Musik prinzipiell egal“ natürlich so drehen, wie du das gemacht hast (das meine ich nicht einmal negativ). Und Spießer gibt es sicherlich bei Rockern genauso viele wie bei anderen Musikrichtungen, da stimme ich durchaus zu. Dieses neunmalkluge Gewäsch jedoch, wie wichtig Jazz für die Gesellschaft ist, richtet sich an eine bestimmte Klientel, sprich Bildungsschicht und impliziert damit wiederum, dass nur eine solche „Elite“ wichtig für die Entwicklung einer Gesellschaft ist. Und die komplette Ruhrbaron-Seite zwei Tage lang mit dem Jazzfestival zuzupflastern, spricht zwar für ein großes und beachtenswertes Engagement, erweist der Seite, die wegen ihrer Vielfalt gelesen wird, eher einen Bärendienst. Aber nu ist langsam auch gut mit der Flamerei 🙂
Vielleicht ein Schlußwort, sonst platzt der Briefkasten: Ich denke auch, dass man die Diskussion jetzt beenden kann. Die unterschiedlichen Positionen sind ja klar geworden. Dabei wollte ich mit dem, was ich geschrieben habe, niemandem vor den Kopf stoßen. Ich habe die Dinge etwas zugespitzt, weil der Eindruck vom Festival Moers noch sehr frisch und sehr prägend war.
Selber höre übrigens normalerweise keinen Jazz, ich war auch zum ersten mal überhaupt auf einem Jazzfestival. Groß geworden bin ich mit Punkmusik, Hardrock und HM. Eine meiner Lieblingsplatten nach all den Jahren ist immer noch „Never mind the Bollocks“ von den Sex Pistols – ich habe das Original auf Vinyl und höre sie in den letzten Jahren fast jede Woche. Die Musik jedoch, die von den Pistols danach kam, hat gezeigt, dass Punk eben keine Musikrichtung in dem Sinne ist. Damals hat sich beim Punk einfach ergeben, dass man mit einem Akkord genau eine interessante Platte machen kann, danach gibt es nur Wiederholungen und es wird langweilig. Oder man wird komplexer, z.B. waren die ersten Drei Platten von den Stranglers auch Punkmusik, aber eben viel musikalischer und variantenreicher – einfach spannende
Platten, auch weil die nicht nur Kraft hatten sondern ein großes musikalisches Repertoire.
Wenn ich schreibe „Punk ist keine Musik“, dann in dem Sinne, dass es doch in erster Linie um Auflehnung ging, um Verarschung des Systems. Jahre später hat sich gezeigt, wo das enden sollte: Entweder in musikalischer Reife oder in Selbstparodie. Ich habe beim Jazz Festival staunend erlebt, wie Musik auch sein kann, das hat doch nichts mit elitärem Denken zu tun sondern mit Sensibilität und musikalischem Einfühlungsvermögen.
Viele der Musiker dort, haben offenbar ihr Leben ernsthafter Musik verschrieben, was schmerzhaft sein kann: Cecil Taylor z.B. hat jahrelang als Tellerwäscher gearbeitet, weil seine Musik niemand verstanden hat und ihn niemand hören wollte. Er ist aber dran geblieben. Für mich war das wie eine Erleuchtung. Und im selben Moment, als ich dieses Jazzerlebnis hatte, war mir klar, dass ich jahrelang aufs falsche Pferd gesetzt habe, dass man speziell auf Heavy Metall sehr gut verzichten kann. Oder ohne wischi-waschi gesagt: Man sollte es auf jeden Fall verbieten, weil es menschenverachtend ist, und über die Typen, die das hören, will ich lieber nichts mehr sagen, sonst rege ich mich wieder nur auf.
Meine Pistolsplatte werde ich aufgrund der unsachlichen Kommentare schreddern. Nebenbei gesagt sind Electro, EBM und Dark Wave natürlich völlig ok, das hat mit dem Heavy-Metal-Stumpfsinn wirklich gar nichts zu tun. Wer die Zusammenhänge zwischen Heavy Metal und deutscher Fernsehvolksmusik nachvollziehen will, sollte wissen, dass zur Zeit Kooperationsgespräche zwischen Corey Taylor, Sid Wilson und Wilfried Gliem laufen. Das sagt doch alles. Ich bin zudem froh, dass Doc Rock (hinter dessen Pseudonym sich Dr. Michael Rüsenberg verbergen soll) eigentlich privat überwiegend Jazz hört. Na also. Ich denke, damit konnte ich die Ergebnisse der Diskussion ganz gut zusammenfassen.
Ups, ich höre privat auch Jazz, aber ganz und gar nicht überwiegend! Das konnte ich nicht stehen lassen, sorry.