Hat die deutsche Parteien-Demokratie ausgesorgt?

Alexas Fotos: Mädchen – gemeinfrei

Seit Jahren fehlt mir etwas in der Politik, nicht Pauschalierungen, ob ‚links‘, ‚rechts‘ oder ‚die Mitte‘, von solchen Worten gibt es durchaus genug. Mich ärgert, dass keine der Parteien die Bürger des Landes im Blick hat, allenfalls die jeweilige Parteibasis, und diese bröckelt.

Oskar Niedermayer  hatte die personelle Zusammensetzungen der Parteien statistisch analysiert, besonders mit Bezug auf den Zeitraum seit 1990. Zur Veröffentlichung kamen die Daten zunächst in der Zeitschrift für Parlamentsfragen (Heft 2/2016). Inzwischen liegt online eine aktualisierte Version vor, die 2017 im Arbeitsheft Nr. 27 des Otto-Stammer-Zentrums publiziert wurde.

Auf S.36 des verlinkten PDF-Files ist ein Schaubild zu sehen, dass die Entwicklung seit 1945 zeigt. Ab ca. 1990 nahm das Interesse der Bevölkerung an politischen Parteien radikal ab. Auf S.81 des verlinkten PDF-Files ist ein Schaubild platziert, dass die Überrepräsentation älterer Jahrgänge (ab 61 Jahre) durch Parteieneintritte seit 2008 dokumentiert. Die repräsentative Parteiendemokratie ist in Deutschland an einen Abgrund geraten.

Wie gefährlich diese Entwicklung sein kann, lässt sich am besten hypothetisch erläutern. Wenn es Parteien aufgrund des Mitgliederschwunds unmöglich geworden, die Bevölkerung zu repräsentieren, wozu gäbe es sie dann noch? Für eine demokratisch wählbare Parteien-Diktatur? Ich möchte keine vorschnelle Lösung anbieten, sondern die Leser auffordern, ein Problem zu erkennen, bevor es faktisch zu spät wäre, uns die Geschichte überrollt.

Drei konkrete Schwächen der bundesdeutschen Wirklichkeit seien von mir jedoch angefügt: (1) Es gibt immer noch keine Zivilisation (vgl. Matern, R., 2017, Über Zivilisationen und die goldenen Regeln, Duisburg); (2) Die sogenannte Wirtschaftswissenschaft ist immer noch keine empirische Wissenschaft (vgl. Talmi, K., Hg., 2016, Im Wettbewerb, Duisburg); (3) Ein Interesse an Sprache reduziert sich häufig auf ihre gesellschaftliche Verwendung. – Es grenzt an ein Wunder, dass es uns überhaupt noch gibt.

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Walter Stach
Walter Stach
6 Jahre zuvor

Reinhard Matern,
erste spontane Anmerkungen:

1,
Die Parteien sind für sehr viele Menschen Garanten überdurchschnittlicher Einkommen, einhergend mit der Besorgung sog "öffentlichem Ansehens" -Rats-, Kreistagsmitglieder, Mitglieder regionaler Parlamente, Landtagsabgeordnete, Bundestagsabgeorndete, EU-Parlamentarier, für Beamte in "höheren Funktionen", für die "Chefs" und für viele Mitarbeiter von Tochterunternehmen der Kommunen, von Gesellschaften und AG, die mehrheitlich in "Staatsbesitz" sind, ferner z.B. auch für viele leitende Mitarbeiter öffentlicher Rundfunk- und Fernsehanstalten. Vielen privaten Unternehmen und so manchem Selbständigen bieten sie weiterhin ein Eingangstor, durch das sie Zugang finden zu öffentlichen Aufträgen -nicht unbedingt korruptionsverdächtig.

Darüberhinaus sind die Parteien, richtiger wohl, sind Funktionsträgern der Parteien wichtige Kommunikatoren zwischen den Bürgern und Dritten, insbesondere in den Kommunen, z.B. dann, wenn der Bürger Probleme mit der Stadtverwaltung hat, wenn er Probleme mit Vereinen, Verbänden, kirchlichen Organisationen hat, ja oftmals auch dann, wenn es familiäre Probleme gibt.

Die unter 1. Genannten bzw. die unter 1. umschriebenen Interessen sind m.E. qualitativ so gewichtig -weit über ihre zahlenmäßige Erfassung hinaus-, daß sie als die Existenz der Parteien (mit-) absichernde politische Macht nicht außerachtgelassen werden können, wenn über Bestand/Untergang, über Gegenwart und Zukunft der Parteien diskutiert wird.

Mit dem unter 2. angesprochenen Wirken der Parteien -ihrer Funktionäre-insbesondere in den Kommunen, wollte ich lediglich zu Beginn einer hoffentlich stattfinden Diskussion über den Gastbeitrag daran erinnern, daß die Parteien in Deutschland mittlerweile -nicht nur "vor Ort"- eine gesellschaftspolitische Bedeutung haben -für jedermann ?-, die weit über das hinausgeht, was nach der Verfassung -sh.Art. 21 GG- ihre Funktion ist, nämlich bei der politischen Willensbildung mitzuwirken.

Ist eine freiheitlich-pluralistische Gesellschaft und auf sie aufbauend eine freiheitliche Demokratie in Deutschland ohne Parteien denkbar, wenn das dieserhalb Denkbare von praktischer Vernunft bestimmt wird und nicht von irgend welchen Utopien?
Nein, so meine ich.

2.
"Auf einem anderen Blatt" als dem unter 1.beschriebenen steht für mich die Frage nach der Zukunft der Demokratie als Staatsform schlechthin unabhängig davon, wie sie organisiert ist und diese Frage würde die Zusatzfrage implizieren, was denn neben dem Formalen -Wahlen, Parlament, Zweikammersystem, Parteien- die wesentlichsten materiellen Element einer Demokratie sein sollen -bleiben bzw. werden sollten. Dazu gehört die Diskussion darüber, ob und inwieweit die Demokratie ihre Schranken zu finden hat in den einen Rechtstaat ausmachenden wesentlichen Elementen -Menschenrechte, Gewaltenteilung, unabhängige Gerichte und Richter-.

Die konkrete Frage des Gastautors, ob die Parteien-(Demokratie) ausgesorgt haben könnte, führt m.E. zwangsläufig dazu, diese Frage um Überlegungen zu erweitern, wie ich sie hier unter 2. angestellt haben.

3.
Auf einem anderen Blatt als dem unter 1. beschriebenen steht für mich zudem die Frage nach der Zukunft der derzeit existierenden Parteien, insbesondere der derzeit im Bundestag vertretenen.

Wird es in 2o/3o Jahren diese Parteien noch geben?

Wie werden sie, wenn es sie noch gibt, dann ihre Inhalte, ihre Ziele definieren? Wie werden sie sich, wenn es sie dann noch geben sollten, dann organisiert haben? Wie wird dann die parteipolitische Machtkonstellation aussehen -in den Parlamenten und außerparlamentarisch?

Wird es gänzlich neue Parteien geben?

Nicht nur die aktuell äußerst problematische erscheinende "Lage der SPD" macht deutlich, daß es für keine Partei -auch nicht für eine mit einer mehr als 15o jährigen Vergangenheit- eine "Ewig-keitsgarantie" gibt.
Das Führungspersonal in den etablierten (Volks-) Parteien scheint vom Gegenteil überzeugt zu sein.
Zu dieser Erkenntnis könnte man jedenfalls mit Blick auf das Tun und Lassen, auf die Worte und die Taten mancher "führender Akteure" in den Parteien kommen -nicht nur bezogen auf die SPD.

Reinhard Matern,
die Frage, inwieweit "der " Sprache als solche ( ihre Qualität, ihre Ausformung), inwieweit der Art des miteinander Sprechens ( direkt von Mensch zu Mensch oder -nur noch- via Internet – substantielle Bedeutung zukommet, wenn über die von ihnen skizzierte Problematik nachgedacht und diskutiert wird, wäre aufzugreifen, ist aufzugreifen – vordringlich oder nur nebenbei und unter anderen?Ich suche jetzt und hier in einer ersten spontanen Einlassung auf Ihren Gastkommentar nicht Antworten auf diese Frage zu finden.

Walter Stach
Walter Stach
6 Jahre zuvor

Reinhard,
"Und Sprache interessiert keine Sau"……
Darüber wäre, wegen der Gewichtigkeit dieser Aussage ,nachzudenken und zu diskutieren -oder gilt auch insofern: "Interessiert keine Sau?".
Gewichtig, das gilt für jedes Individuum und für die gesamtgesellschaftlichen Prozesse, das Politische eingeschlossen -hier konkret bezogen auf die Parteien, auf die sie ausmachende (-und bestimmen sollenden -Mitglieder , also primär für das Ob und Wie der innerparteilichen Kommunikation mittels Sprache.

Zu den Wirtschaftswissenschaften sage ich deshalb nichts, weil ich mein lebenlang Probleme damit hat, das darauf bezogene Wissenschaftliche zu erkennen bzw. zu begreifen .

Zur "faktischen Gleichbehandlung":
Vor kurzem gab es zum Thema "Gleichheit, Gleichberechtigung, Gleichbehandlung" hier bei den Ruhrbaronen 'mal einen Disput meinerseits mit Lusru, deshalb gehe ich darauf hier nicht erneut ein.
Nicht um konkreten Probleme aus dem Wege zu gehen, die sich zwangsläufig ergeben würde, wenn ich mit näher mit "faktischer Gleichbehandlung" befassen würde -eingebunden in das "sozial-" demokratische Postulat von "sozialer Gerechtigkeit", sondern um noch einmal den in diesem Zusammenhang für mich wichtigsten Grundsatz darzulegen:
"Es geht darum, allen Menschen nahezubringen, alle Menschen davon zu überzeugen, daß jeder Mensch seiner Würde wegen mit allen anderen Menschen gleich (gleichwertig) ist und deshalb als gleichwertiges Wesen durch Gesellschaft und Staat zu akzeptieren und zu "behandeln" ist.

Walter Stach
Walter Stach
6 Jahre zuvor

Reinhard,
was ist "die" Würde des Menschen? Läßt sich "Menschenwürde" definieren?
Wenn Du schreibst, traditionell ist Würde etwas Methaphysiches, dann ist dem zuzustimmen.
Ohne mich jetzt und hier, was durchaus reizvoll wäre, in einen Diskurs über "die Würde des Menschen begeben zu wollen, nur einige wenige Bemerkungen dazu, um mein Grundverständnis dazu zu verdeutlichen.

Vorweg der Hinweis auf Art. 1 GG:
"Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. "

Mit der Aufnahme des substantivistischen Ausdruckes "Würde" in den Art. 1GG folgten die Mütter und Väter des GG anderen Verfassungstexten bzw. international verbindlichen Deklarationen, u.a. in der Präambel der Charta der Vereinten Nationen von 1945 und in der Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechtevom 1o. 12. 1948. Art. 1 dieser Erklärung lautet: "Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren."
Dass "wir" Deutschen nach Ende des NS-Regimes allen Grund hatten, darüber nachzudenken, ob es etwas geben könnte, was j e d e n Menschen als solchen ausmacht, was ihn als solchen von anderer Kreatur unterscheidet, was ihn auszeichnet, was ihm niemand gegeben und was ihm durch niemanden genommen werden kann, lag nahe und ebenso nah lag es folglich, daß die "Würde des Menschen" als Erstes zum Bestandteil der Verfassung wurde. Und zwar "nach herrschender Lehrer"
nicht im Sinne der Normierung als erstes, als wichtigstes Menschenrecht, sondern als Postulierung des höchsten Rechtswertes , "als oberstes Konstitutionsprinzip allen objektiven Rechtes" ( so hat das BVerfG das 'mal formuliert.)

Um zu vermeiden, mich auf das Terrain der Theologen und Philosophen zu begeben, denn dann könnte ich schnell in die Irre geraten, obwohl der Begriff Menschenwürde weit in das Theologisches und Philosophisches hineinreicht, beziehe ich mich auf "Kommentierungen" zur "Würde des Menschen" nach Art. 1 GG, die mir stets als die verständlichsten erschienen sind und die ich mir deshalb "vor unvordenklichen Zeiten" einverleibt habe:

"Die Würde des Menschen bedarf keiner juristischen Definition. Es handelt sich um den Eigenwert, die Eigenständigkeit, die Natur des Menschen schlechthin. Würde ist Seinsgegebenheit jedes Menschen, des Menschen, der sich kraft seines Geistes abhebt von der ursprünglichen Natur und der ihn befähigt, sich seiner selbst bewußt zu werden, sich selbst zu bestimmen und sich selbst und seien Umwelt zu gestalten."

Reinhard,
ich denke, daß es letztendlich sogar relativ unwichtig ist, was im GG, was in völkerrechtlichen Deklarationen über die unantastbare Würde eines jeden Menschen und wie theologisch, philosophisch , verfassungsrechtlich "Würde" begründet, "Würde" erklärt werden.
Es geht doch nur darum, sich selbst als Mensch zu begreifen und jeden anderen Menschen gleichermaßen in diese Begrifflichkeit einzubeziehen.
Wer darüber nachzudenken beginnt und in dieser Nachdenklichkeit lebt, kann nicht wider die Menschenwürde in Wort und Tat agieren.

Aus aktuellem Anlass am heutigen Tage und im Sinne dessen, was ich vorab kurz zur Würde des Menschen angesprochen habe:

"Judenhass ist Menschenhass" .
Und jegliche Art von Menschenhass ist unvereinbar mit dem Postulat von der Unverletztlichkeit der Würde eines jeden (!!) Menschen.

abraxasrgb
abraxasrgb
6 Jahre zuvor

Frage: „Wieviele Analytische Philosophen braucht man, um eine Glühlampe zu wechseln?“

Antwort: „Keinen, es handelt sich um ein Scheinproblem. Die Glühlampe leuchtet, um Licht abzustrahlen. Wenn sie kein Licht mehr abstrahlt, ist sie keine Glühlampe mehr, oder?“

#scnr

Eule
Eule
6 Jahre zuvor

Das Bundesverfassungsgericht definiert* Menschenwürde anhand folgender Punkte:

– Jedem Menschen kommt ein individueller sozialer Wert- und Achtungsanspruch zu
– Kein Mensch darf zum bloßen Objekt staatlichen Handelns gemacht werden

Es geht also darum, immer ein Gegenüber zu gewährleisten, eine Gegenseitigkeit im Handeln zwischen Staat und Individuum, und keine Einbahnstraße nach dem Motto "ich mächtig, du nix".

* Fundstellen: BVerfGE 45, 187 (228) und 71, 1 (6)

Walter Stach
Walter Stach
6 Jahre zuvor

Eule,
wenn hier über Menschenwürde geredet wird, geht es unstreitig darum, daß der Staat, daß jeder Staat diese unantastbare, unverletztliche, unwiderrufbare Würde eines jeden Menschen zu achten und zu schützen hat.

Ich will hier nur daran erinnern, daß
a.)
diese staatliche "Achtungs-und Schutzpflicht" dauerhaft nur Bestand haben kann, wenn seine (Staats-)Angehörigen -zumindest in ihrer großen Mehrheit- jeden (!!) Menschen als ein Wesen mit einer unantastbaren Würde respektieren,
daß
b)
der sich wieder öffentlich äußernde Antisemitismus und ein zunehmender genereller Rassismus in Deutschland -in ganz Europa- Anlass liefern, darüber nachzudenken, wie es um das Bewußtsein jedes Einzelnen in der Gesellschaft über die unverletzliche Würde eines jeden (!!) (Mit-) Menschen bestellt ist und
daß es
c.)
vielen Menschen -in Deutschland, weltweit- sehr schwer fällt zu akzeptieren, daß ein Staat, z.B. der deutsche, der Würde eines jeden Menschen wegen verpflichtet ist, z.B. auch den wegen einer schweren Straftat lebenlänglich einsitzenden Strafgefangenen "menschenwürdig" zu behandeln.

Ich zitiere in diesem Sinne aus einer "Einführung in das GG" von Prof.Fabio -u.a. langjährig Richter am BVerfG- (GG -4o.Auflage -2005- Beck-Texte im dtv-:

"Das Menschenbild des Grundgesetzes ist von entscheidender Bedeutung für das Verständnis dieser Verfassung. Die Deutschen wollen eine staatliche Gemeinschaft freier Bürger sein, eine Gemeinschaft, die jeden Menschen in seiner Existenz und Würde achtet, vom ungeborenen Leben angefangen bis zum Sterbenden, ungeachtet seiner Taten und Untaten, ungeachtet seiner Staatsbürgerschaft seiner Herkunft, seines Geschlechtes seiner Religion.
Daraus folgt für die deutsche Rechtsordnung ein Mindestmaß an Respekt auch vor dem Menschen, der sich durch seine Taten der tiefen Verachtung preisgibt. Eine Gemeinschaft zieht für sich eine letzte Grenze sittlichen Anstandes, die sie unter keinen Umständen und sei es in Gefahr und großer Not, überschreiten will. Daraus folgt, daß kein Mensch zum bloßen Objekt auch der demokratischen Staatsgewalt degradiert, verächtlich gemacht werden darf. Den Menschen als Einzelwesen zu achten, weil er Teil der menschlichen Gattung ist, macht die Identität unserer Gemeinschaft aus, ist der erste und letzte Zweck des vom Grundgesetz verfaßten Staates."

Dieses Zitat ist m.E. z. B. hervorragend geeignet für jede Rede, für jeden Vortrag z.B. anläßlich aller Gedenkveranstaltungen zum Holocaust, aber auch für jeden einschlägigen "Politik-Unterricht" an den Schulen, denn allein damit und ohne weitere Erklärungen wird der entscheidende Unterschied zwischen der Verfaßtheit des NS-Staates, des Hitler-Regimes und der Verfaßtheit der Bundesrepublik Deutschland jedermann bewußt gemacht.
In diesem Sinne habe ich unter -5- abschließend formuliert:
"Judenhass ist Menschenhass".

Leider, leider, muß ich konstatieren, daß nicht nur vielen Funktionäre der AFD dieses Verfassungsverständnis fremd ist, daß sie ihm sogar öffentlich, vorsätzlich, gezielt widersprechen (insofern darf man sie Verfassungsfeinde nennen), sondern daß -zunehmend?- auch vielen Menschen außerhalb der AFD dieses Verfassungsverständnis fehlt -mit welchen Folgen für Gesellschaft und Staat in Deutschland?

Eule
Eule
6 Jahre zuvor

@ Walter Stach #9:
Vorsicht bei b), denn die Menschenwürde als Verfassungsziel bindet den Staat, nicht aber Bürger oder Einwohner untereinander weil diese der Verfassung nicht unterworfen sind. Nur der Staat kann aufgrund des Machtgefälles die Menschenwürde verletzen, nicht aber andere Personen.
Der Punkt c) ist hingegen sehr richtig beobachtet, und das zu vermitteln ist auch ständig aufs neue ein heftiges Stück Arbeit im Politikunterricht.

@ Reinhard Matern #10:
Naja, "in jüngerer Zeit". Die eine BVerfG-Entscheidung ist immerhin schon von 1977… Und klar kann man daran herumdeuten wie man will, letztendlich ist für die Praxis allerdings die Definition des BVerfG ausschlaggebend und verbindlich.

B
B
6 Jahre zuvor

Eule,
habe ich mich unter -9-a mißverständlcih ausgedrückt?

Abgesehen davon, daß jeder, der in Deutschland lebt, "der Verfassung unterworfen ist" -was der eine oder der andere konkret erfährt, wenn er sich einer "einschlägigen" Straftat schuldig gemacht hat -, ist es unstrittig richtig, daß es eine unmittelbare(!) Bindung an die Grundrechte -eine Grundrechtswirksamkeit- nur für Staatsgewalt -die Legislative, die Exekutive, die Judikative- gibt -sh.Art. 1(3)…..GG-. Es gibt aber -ausnahmsweise – auch eine Grundrechtsbindung im Privatrecht, z.B. im Bereich der sog. Allgemeinklauseln des BGB (…gute Sitten….) sh. dazu Näheres
unter "Drittwirkung von Grundrechten".

Aber darum ging es doch bei meiner von Ihnen kritisierten Bemerkung unter 9 a.) nicht, sondern darum, meinerseits wie schon häufig geschehen, daran zu erinnern, daß Verfassungsgrundsätze -hier d i e verfassungsrechtliche Wertentscheidung des GG schlechthin (..unantastbare Menschenwürde) nur dann dauerhaften Bestand und rechtliche Wirkung haben können, wenn diese Verfassungsgrundsätze, hier die verfassungsrechtliche Wertenscheidung über die "Unantastbarkeit der Würde eines jeden Menschen", auch im Bewußtsein des einzelnen Menschen – -jedenfalls des größten Teil von ihnen- als unantastbar gelten. Denn letztendlich und Dauerhaft wird selbst ein Bundesverfassungsgericht ein stetiges Aushöhlen dieser Verfassungsgrundsätze, dieser verfassungsrechtlichen Wertentscheidung nicht aufhalten können, wenn diese "Aushöhlung" dem Willen einer "überwältigenden Mehrheit" des Volkes entsprechen würde ihr -trotz Art. 79(3) GG. Darüber haben wir ja hier vor kurzer Zeit 'mal diskutiert.

Reinhard Matern
"zivilisatorisches Verhalten…."

Eine Staats-Verfassung -z.B. das GG- kann nicht für "Zivilisation bzw. für zivilisatorisches Verhalten" sorgen. Sie ist das Produkt der "jeweiligen" Zivilisation , die sich in ihr abbildet und die ihr insofern einen durch sie selbstbestimmten Rahmen setzt.

Letztendlich sind es Menschen -alle, Einige, Einzige-, die den zivilisatorischen Prozess bestimmen, beeinflussen, lenken, steuern, auszurichten versuchen -und folglich als zivilisatorisches Produkt auch die jeweilige Verfaßtheit des Staates.

Zivilisation als von Menschen geschaffener Zustand im Jahre 2o5o , und die Verfaßtheit von Gesellschaft und Staat im Jahre 2o5o, z.B. bezogen auf "Vorstellung von und Realität der Gleichheit der Menschen"?

Der bis2o5o ablaufende Prozess

( u.a. geprägt durch die sog Digitalisierung , durch die Entwicklungen in der Medizin, der Medizintechnik, durch "humanoide Maschinen"?, durch weitere radikale Veränderungen der Mittel und Möglichkeiten der Information und Kommunikation , die ja bereits jetzt das hergebrachte zivilisatorische Verhalten der Menschen radikal geändert haben – Information/Kommunikation über die sog.sozialen Netzwerke -anonym, immer öfter wider jeden Anstand und wider jeden Respekt, oftmals bar jeder Kenntnis in der Sache, so sinnlos wie wissenlos, geprägt von Halbwahrheiten, mittels gezielter Falschaussagen , mittels bewußter Lügen)

wird -selbstverständlich- im Jahre 2o5o zu einem anderen zivlisatorischen Zustand der Gesellschaft führen als wir ihn heute haben und -so ist zu vermuten- auch zu einer anders verfaßten Gesellschaft und zu einem anders verfaßten Staat als das derzeit der Fall ist.

Ende offen!

PS
Eule,
es gibt ja nicht nur das von Ihnen zitierte Urteil des BVerfG aus 1977, sondern das Verfassungsverständnis des BVerfG über die "verfassungsrechtliche Qualität und die verfassungsrechtliche Bindungswirkung " von Art. 1(1) GG "…unantastbaren Würde des Menschen" ist längst fester Bestandteil der sog. ständigen Rechtsprechnung des BVerfG geworden und ich kann nicht erkennen, ja nicht einmal erahnen, daß sich daran alsbald etwas Grundsätzliches ändern könnte. Und an diese Rechtsprechung sind nicht nur alle anderen Gerichte gebunden, sondern auch die Legislative und die Judikative. Mir ist auch nicht bekannt, daß es "namhafte" Staats-/Verfassungsrechtler gibt, die in Lehre und Wissenschaft prinzipiell eine andere Auffassung vertreten.
Ich habe unter -5- und unter -9-, sh. da u.a. das Zitat von Udo di Fabio-, versucht, das Wesentliche dieses Verfassungsverständnisses wiederzugeben, das ich nicht nur ohne Wenn und Aber teile, sondern für das ich mich als "Verfassungspatriot" auch "werbend" einzusetzen versuchen.

Insofern (!) wäret ein diesbezüglicher Streit mit Reinhard Matern überflüssig .

Das schließt einen Disput mit ihm über seine Meinung zum Inhalt es Begriffes Menschenwürde oder zu seinen Überlegungen zu "Zivlisation, zivilsatorisches Verhalten, über deren Ursachen bzw. Folgen auf bzw. für die jeweilige Staatsverfassung – und "umgekehrt"- nicht aus; im Gegenteil.

Für mich als "Linksliberalem" mit SPD-Parteibuch, zudem ganz wesentlich geprägt von der sog. katholischen Soziallehre, für den das "Bemühen um soziale Gerechtigkeit" stets das politische wichtigste war und ist, hat vor allem die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes große Bedeutung, in der es sich mit der "Auswirkung" des Inhaltes des Art. 1(1. )GG auf die Auslegung des Sozialstaatsprinzipes als eine der drei wesentlichen Staatszielbestimmungen des GG (Demokratie, Rechtstaat, Sozialstaat) befaßt.
Das läßt sich relativ problems nachvollziehen, wenn man sich des Begriffes von der "realen Freiheit" zu eigen macht, dh., danach verpflichtet die Würde eines jeden Menschen den Sozialstaat, jedem Menschen dieser seiner Würde wegen die Chance zu geben, sich real (!!) frei und eigenverantwortlich entwickeln und entfalten zu können -also auch die Menschen, die in sog. sozial-schwachen und bildungsfernen Schichten geboren werden und heranwachsen. Diesem Verfassungsverständnis des Bundesverfassungsgerichtes von Würde ,realer Freiheit und Sozialstaatspflichtigkeit versuchen Legislative, Exekutive und Judikative -nicht nur, aber vor allem im sog. Bildungsbereich- gerecht zu werden.
Persönlich bin ich mit dem insofern bisher Erreichten nicht zufrieden.
Denkbar, daß es auf Bundesebene in der jetzt beginnenden Legislaturperiode des Bundestages weitere, aus meiner Sicht positiven Entwicklungen geben wird -"der Würde und der realen Freiheit eines jeden Menschen wegen und dem Sozialstaatsprinzip des GG folgend.

Wolfram Obermanns
Wolfram Obermanns
6 Jahre zuvor

Für mich zielen Artikel und Kommentare am Problem vorbei.

Werte und Ausführungsbestimmungen haben zunächst mal genau gar nichts miteinander zu tun. Parteien als Organisationsform zur Kanalisierung disparater politischer Auffassungen können natürlich nur die "Wasser" kanalisieren, die sich einspeisen lassen bzw. deren Einspeisung zugelassen wird.
Als Tendenzbetrieb haben Parteien eo ipso einen Hang zu hermetischem Denken, Handeln und "kanalisieren". Setzt sich eine Partei oder ein Parteiensystem so selbst trocken genug, sucht sich das "Wasser" einen anderen Weg. Den Vorgaben des GG folgend läuft das selbstorganisiert auf eine Partei hinaus. Exemplarisch sei auf das Werden der Grünen hingewiesen, die in ihrer Gründungsphase gerade keine Partei sein und werden wollten.

Etwas anderes ist die politische Dummheit weiter Teile der Bevölkerung, die ernsthaft glauben, ohne Organisation, ohne Kooperation, ohne Kompromisse und ohne Auseinandersetzung könne Vater Staat mit magischer Hand nicht nur Volkes Meinung erahnen, sondern auch dem gemäß handeln.
"divide et impera" bedeutet was für den nicht orgnisierten, sprichwörtlichen "kleinen Mann" nicht nur in diesem Zusammenhang?

Dann ist aber auch zu fragen, welche nicht "kanalisierten Wasser" fängt die AfD auf, die Bevölkerungsteile mobilisiert hat, die bisher passiv waren? Die simplen Zuschreibungen parteinaher Medien scheinen wenig mit der Realität zu tun zu haben.

B
B
6 Jahre zuvor

Reinhard,
ich setzte nicht voraus, daß es "Zivilisation" als Istzustand gibt, jemals geben wird, sondern verstehe Zivilisation als einen permanenten Prozess, der u.a. "uns" im sog. christlichen Abendland über mehr als 2.ooo Jahre dazu gebracht hat, bestimmte Grundwerte des menschlichen Miteinanders für unverzichtbar , bestimmte Regeln und Rituale des menschlichen Miteinanders für sinnvoll zu halten und bestimme Ordnungssysteme für Gesellschaft und Staat anderen denkbaren vorzuziehen , und all das wurde und wird permanent dem jeweiligen Zivilisationsstand angepaßt und fortlaufend, geprägt von immer neuen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, von immer neuen Prozessen/Verfahren des Wirtschaftens, von gewaltigen medizinischen Neuerungen, von immer neuen "Technologien usw. und stets begleitet von Philosophen, Theologen pp., die u.a. zu erklären versuchen, warum das so und nicht anders ist, warum das "gut oder schlecht" ist was da 'mal war, was da ist und was da sein wird, und dabei stets mit bedenkend, ob man und wie man die jeweilige Staaatsverfassung beibehalten, ändern , völlig neu zu gestalten oder auf sie und damit auf den Staat an sich gänzlich verzichten sollte.
Das GG -"unsere Verfassung"- ist in seiner Festlegung bestimmter Grundwerte nichts Anderes als das Produkt eines solchen Zivilisationsprozesses über mehr als 2.ooo Jahre. Das gilt nicht zuletzt für das der Verfassung (dem GG) zugrundliegenden Menschenbild, einem Bild, nachdem der Mensch sowohl Individum als auch Gemeinschaftswesen ist und nach dem jeder einzelne Mensch wegen seines Menschseins und aus keinem anderen Grunde eine ihn ausmachende Würde besitzt oder anders formuliert, nach der "Jeder Mensch personaler Würdenträger ist." In diesem Sinne hat z.B. Thomas von Aquin sinngemäß gesagt: "Selbst der schlimmste Verbrecher, der sich (seiner Handlungsweise nach) unvernünftigen Tieren gleichgemacht hat, behält seine Personenwürde und dieses ist der Grund seiner Freiheitsrechte".

Reinhard,
ich denke, ich mache jetzt Schluß mit meinen Versuchen, meine Auffassung über den Inhalt und die Bedeutung des Art. 1(1)GG zu begründen/ zu erklären, vor allem deshalb , weil auch das , wie Wolfgang Obermanns feststellt, vom Kern des von Dir in der Überschrift des Gastkommentars benannten Problems "Parteiendemokratie -ausgesorgt?" wegführt.

Dazu (!), also zu "Parteiendemokratie -ausgesorgt"

Wolfram Obermanns,

habe ich einleitend unter -1- einige spontane Anmerkungen gemacht.

Ich habe den Eindruck, daß "wir" in der Gesellschaft insgesamt uns mehr als es seit Bestehen der BRD bisher der Fall war, Gedanken machen über "Sinn und Zweck der sog. Parteiendemokratie und dabei nach meiner Wahrnehmung -mehrheitlich?- dazu neigen, trotz aller Kritik die Parteiendemokratie letztendlich nicht in Frage zu stellen, aber sehr wohl uns mehr und mehr und ohne klare Antworten kritisch fragen, ob die derzeit agierenden Parteien nach Inhalten und Zielen, aber auch aufgrund ihrer Organisation, ihres Führungspersonales den Anforderungen in Gesellschaft und Staat inGegenwart und Zukunft gewachsen sind ( "Sind die etablierten Parteien, so wie sie sind, noch die Richtigen?")

Derzeit ist es vor allem die SPD , die sich dieser kritischen Frage "notgedrungen" ganz besonders stellt, zu stellen hat und weiterhin zu stellen haben wird -ob in einer GroKo oder außerhalb-. Ich bin mir sicher, daß das "früher oder später" auch für die CDU/CSU gelten wird. Ganz und gar nicht sicher bin ich mir, was dabei letztendlich herauskommen wird -im Jahre 2o3o?

Ich hoffe sehr, daß die Wahl der neuen Parteivorsitzenden von Bündnis 9o/Die Grünen und der Inhalt ihrer Reden auf dem Parteitag der Grünen, nicht nur für ihre Partei "Aufbruch" bedeutet – -mit einem neuen Schiff, mit neuen Segeln, mit neuer Schiffsführung und zu neuen Ufern-, sondern zudem die anderen Parteien animieren wird, ihr Selbstverständnis -inhaltlich, organisatorisch, personell – mehr als bisher, auch radikaler als bisher kritisch zu hinterfragen.

Ich denke nicht, daß das gleichermaßen für die AFD gelten wird, aber ihr Dasein sollte dazu beitragen, den ohnehin fälligen Prozess eines selbstkritischen Hinterfragens der eigenen Existenzberechtigung, der Existenznotwendigkeit seitens aller anderen Parteien zu beflüglen – gut so, wenn das der Fall wäre. Das schließt selbstverständlich die Frage ein, warum rd. 13 % der Wähler nach den aktuellen Umfragen AFD wählen würden und eben nicht CDU/CSU/SPD/FDP/Bündnis9o/Die Grünen/Die Linke. Und mittlerweile gibt es ja eine Vielzahl wissenschaftlicher Untersuchungen, einschlägige Beiträge und Kommentare in den Medien, die auf diese Frage Antworten liefern mit denen man sich -sh.selbstkritisches Hinterfragen- zu befassen hat.

Walter Stach
Walter Stach
6 Jahre zuvor

B
Walter Stach
Enschuldigung an Alle für das versehentliche B. Warum? Weiß ich auch nicht.

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