Nach einer Analyse des amerikanischen Soziologen Musa Al-Gharbi nimmt die Anzahl der wissenschaftlichen Veröffentlichungen zu Bereichen der Identitätspolitik ab. Sie waren die mal wissenschaftliche, mal pseudowissenschaftliche Basis der Wokeness-Welle der vergangenen Jahre.
Seit 2011 erleben Wokeness und Identitätspolitik einen Boom: Ausgehend von amerikanischen Universitäten wurden Menschen zunehmend in Gruppen eingeteilt. Die Idee des freien und selbstverantwortlichen Individuums, der Kerngedanke der Aufklärung, wurde immer häufiger und wütender als Unterdrückungsideologie „weißer, alter Männer“ verworfen. Es kam zu Protesten gegen angebliche oder nur empfundene Diskriminierungen, die Debattenkultur wurde beschädigt und neue Minderheiten traten in das Licht der Öffentlichkeit. Immer fühlten sie sich von der Mehrheit unterdrückt, immer lauter forderten sie, wahrgenommen zu werden, Safe-Spaces zu erhalten und Lehrpläne, Bücher und Filme in ihrem Sinne zu ändern. Das Ganze war auch ein gutes Geschäft: Private und öffentliche Forschungsgelder wurden umgelenkt, zahlreiche neue und gut bezahlte Stellen für Betroffenheitsbeauftragte in Behörden und Unternehmen geschaffen. Befeuert wurde die Entwicklung durch Twitter. Wer nicht spurte, drohte in das Zentrum eines Shitstorms zu geraten. Medien griffen diese dann auf und übernahmen oft deren Inhalten. Heute wird die britische Schriftstellerin J.K. Rowling in vielen Artikeln als „umstritten“ und „transphob“ beschrieben, weil sie die schlichte Biologische Tatsache vertritt, dass ein Mann in Frauenkleider keine Frau ist, auch wenn er sich selbst durch einen „Sprechakt“ selbst dazu ernannt hat. Rowling hat immer wieder betont, nichts gegen Transsexuelle zu haben. Nur möchte sie keine Männer in Frauenhäusern oder den Frauenabteilungen von Gefängnissen sehen. Und schon gar nicht will sie, dass der Begriff der Frau verwässert wird und Frauen zunehmend unsichtbar werden.
Nun gibt es nach über einem Jahrzehnt, in dem die postmoderne Stussmaschine unter Hochdampf lief, gute Nachrichten: In einem Beitrag auf Heterodoxe Akademy belegt der amerikanische Soziologe Musa Al-Gharbi, dass die Zahl der woken wissenschaftlichen Veröffentlichungen ihren Höhepunkt überschritten hat. Sie seien „in den letzten Jahren auf breiter Front deutlich zurückgegangen.“ Die Zeit des „Goldrausches“, wie Al-Gharbi den Boom identitätspolitisch motivierte Veröffentlichungen nennt, sei vorbei: „Die Produktion zu diesen Themen hat infolgedessen ein Plateau erreicht oder ist zurückgegangen – zumindest im Vergleich zu ihren bisher beispiellosen Spitzenwerten.“ Stipendien seien vergeben worden, Karrieren befeuert. Al-Gharbi Fazit: „Die Goldrausch-Mission ist erfüllt.“
Die Folgen des Goldrausches allerding noch lange spürbar sein: „… sein Hauptvermächtnis werden nicht die riesige Menge an ziemlich fragwürdiger, aber selten gelesener oder zitierter akademischer Forschung sein, die er produziert hat, sondern eher die ebenso weit verbreiteten, dramatischen und gleichzeitigen Veränderungen in Richtlinien, Verfahren, Praktiken, und Verwaltungsstrukturen – von denen viele wahrscheinlich auf absehbare Zeit bestehen bleiben werden (selbst wenn einige der extremsten und schädlichsten Veränderungen der letzten 10 Jahre schließlich rückgängig gemacht werden).“
All die Beauftragten und Professoren für irgendwas werden uns also noch eine Zeit lang beschäftigen. Auch wenn es sein könnte, dass sie langsam in die Defensive geraten.