In einem Sharepic wird Saskia Esken ein Zitat untergeschoben, das im angegebenen Interview nie fiel. Wie kam es dazu?
In den letzten Tagen begannen ein paar meiner Facebookfreunde und auch einige Leute auf Twitter damit, ein Sharepic mit einem Zitat von Saskia Esken zu teilen. „Es wird Zeit, dass die Deutschen Verzicht lernen!“ Peinlich. Von oben herab. Oberlehrerhaft. Saskia Esken ist ja in der Vergangenheit häufiger mal durch unbedachte Äußerungen aufgefallen. Und das gerade jetzt, wo es doch für die SPD in den Umfragen so gut läuft.
Da wurde ich dann aber direkt schon stutzig und habe mir das Sharepic mal genauer angesehen. Ah, aus dem Februar. Etwas älter also. Aber würde sie wirklich so einen Satz raushauen? Ich habe den Satz dann mit Anführungszeichen bei Google eingegeben. Erster Treffer ist ein Blog namens Philosophia Perennis. Die Kollegen von Correctiv haben mal einen Artikel darüber geschrieben. Der Blog gehört wohl, wie ich bei Correctiv lesen darf, jemandem, der mal der AfD-Stiftung angehört hatte. Bei Belltower News kann ich dann lesen, der Blog und sein Besitzer seien Sprachrohr von AfD und identitärer Bewegung. Interessant.
Ich komme also nicht umhin, bei der Zeit direkt nachzuschauen, was in diesem Interview vom 25.02. steht. Interview ist hinter der Bezahlschranke, das hält natürlich Leute davon ab nachzuprüfen, was drin steht. Muss ich also in den sauren Apfel beißen. Auch gut. Beim Lesen des Interviews wird dann ziemlich schnell klar: Dieses Zitat steht nicht drin. Steht da einfach nicht. Saskia Esken hat das nie gesagt.
Eigentlich steht sogar das Gegenteil drin. Ob sie Kurzstreckenflüge verbieten will, wird sie gefragt. „Nein, weil Verbote nicht der richtige Weg sind, wenn wir die Gesellschaft mitnehmen wollen.“, sagt Saskia Esken. Ob wir weniger Fleisch essen sollen, wird sie gefragt. „Ich esse seit 15 Jahren kein Fleisch, aber es ist nicht mein Ansatz, anderen den Appetit darauf zu verderben.“ und „Es darf nicht so sein, dass sich am Ende nur noch die Reichen Fleisch leisten können.“, sagt Saskia Esken. Der Kontrast könnte wirklich nicht größer sein.
Woher kommt dieser Satz „Es wird Zeit, dass die Deutschen Verzicht lernen!“ also? Tatsächlich ist die chronologisch erste Erwähnung, die ich finde, der erwähnte Blog Philosophia Perennis. Der Satz ist der Titel eines Blogartikels, der das hinter der Bezahlschranke befindliche Interview in der Zeit, sagen wir mal, etwas phantasievoll zusammenfasst. Der Satz wird schon da implizit Esken untergeschoben, aber noch ohne Anführungszeichen und mit einem anderen Bild von Esken versehen, ohne Zeit-Logo, dafür mit DDR-Wappen.
Der zweite Googletreffer ist dann ein Artikel eines Blogs namens Journalistenwatch bzw. Jouwatch. Dieses Blog verwendet ebenfalls besagten Satz als Titel, schreiben aber auch explizit mit Anführungszeichen, es handle sich um ein Zitat Eskens. Als Bebilderung verwendet Journalistenwatch auch das gleiche unvorteilhafte Foto Eskens, wie es auch im Sharepic verwendet wird. Was ist nun aber Journalistenwatch bzw. Jouwatch?
Wikipedia erzählt mir, dass dieser Blog als rechtspopulistisch und rechtsextrem angesehen wird und dass zu seinen Autoren unter anderem Götz Kubitschek gehöre, den Stefan Laurin hier bei den Ruhrbaronen mal „einen der führenden Köpfe der rechtsradikalen Szene“ nannte und dass der bekannte Vertreter der Identitären Bewegung, Martin Sellner, für das Blog Videos publiziere. Aha.
Ist das also die Strategie dahinter? Dass man Leuten, die eine latente Abneigung gegen Esken haben und viel zu gern bereit sind, so was zu glauben, ein gefälschtes Zitat unterschiebt und so, obwohl sie das sonst vielleicht nie tun würden, als unwissentliche Handlanger für Kubitschek und seine Kumpels deren Lügenmärchen verbreiten lässt? Damit sich das verfestigt und die Leute beim nächsten Mal vielleicht bereit sind, eine noch frechere Lüge zu glauben?
Wenn das die Strategie ist, scheint sie aufgegangen zu sein. Von den Leuten, die ich drauf aufmerksam gemacht habe, dass das Zitat falsch ist, hörte ich keine Bestürzung darüber, sich zum Handlanger von Lügnern gemacht zu haben, sondern ein „Aber es hätte ja sein können!“
Mir persönlich ist „hätte ja sein können“ scheißegal. Die Wahrheit hat einen Wert. Ich bin beileibe nicht Saskia Eskens größter Fan. Aber gegen Lügen von Kubitschek-Kumpels werde ich sie immer verteidigen. Sich unter Demokratinnen und Demokraten darauf – komme, was wolle – verlassen zu können, ist Grundlage unserer Demokratie. Und die ist mir wichtiger als jemandem, dessen Meinung ich vielleicht nicht teile, schnell eine mitgeben zu können.
Robert,
bitte weiter so, denn es wird noch Einiges an vorsätzlichen Falschaussagen in den a-sozialen Netzwerken bis zum Wahlsonntag auftauchen. Und diese bedürfen in jedem Falle ihrer öffentlichen Aufdeckung, der Recherche ihrer Herkunft (und Verbreitung) und jeweils eines kritischen Kommentares.
Mit dem Zitat im vorletzten Absatz Ihres Kommentars wird exakt das beschrieben, was stets mit Lügen über Personen/Persönliches bezweckt wird, eben auch "in der Politik". Das wird dann oftmals ergänzt mit " Es wird schon etwas dran sein". Das ist nicht neu, neuerdings aber ein häufiger und skrupelloser eingesetztes Mittel, die Meinungsbildung zu manipulieren (Trump uns seine Vasallen lassen grüßen).
Sehr erfreulich
-für mich (und für die politische Kultur in Deutschland?). daß auch Ali Vahid Roodsari bei t-online -1.9. /s8.15 Uhr- in einem Kommentar " Wie Falschaussagen die Bundestagswahl gefährden" auf die Problematik ausführlich eingeht nebst konkreten Hinweisen darauf, wie " man " die sog. Fake News erkennen kann und wie "man" reagiert reagieren sollte/könnte, wenn sie im eigenen Umfeld verbreitet werden.
(Warum Fake News und nicht Lüge ( bewußte Falschaussage)? ; m.E. trifft die Bezeichnung Lügner besse ins Schwarze als die Titulierung Erfnder / Verbreiter einer Falschaussagen.")
"Wenn das die Strategie ist, scheint sie aufgegangen zu sein."
Oder auch nicht, denn nachprüfen ist immer besser als kritiklos konsumieren.
Und die Urheber disqualifizieren sich nicht nur durch die "kreative"Lüge, sondern auch durch ihre Dummheit, denn bei Fr. Esken gibt's genügend echte Zitate, an denen man sich abarbeiten könnte.
Das ist ein guter Artikel und fasst die Qualität der.Meinungsbildung zusammen.
@ Robert Herr Schöner und v.a. ein notwendiger Artikel!!
Man traut den Politikern solche Aussagen zu, dasd ist das Problem.
Ob sie es nun wortwörtlich so gesagt hat, ist doch vollkomnen egal! Auf jeden Fall war das sinngemäß ihre Aussage in ihrem Interview mit der „Welt“ !
Da retten sie jetzt auch nicht mehr die regierungstreuen Schergen von „Correctiv“ oder dem sog „Faktencheck“ !
https://www.welt.de/politik/deutschland/article227091343/Vorstoss-von-Saskia-Esken-Jetzt-predigt-die-SPD-Chefin-den-Verzicht.html