Die Absage eines Vortrags der Biologin Marie-Luise Vollbrecht bei der Humboldt-Universität Berlin zeigt mal wieder die Unredlichkeit auf allen Seiten in Zeiten des Internet-Kulturkampfes. “Transaktivisten” wie “Transkritiker” (in Ermangelung besserer Begriffe) schlachten das Ereignis gleichermaßen und teilweise sogar mit den gleichen Argumenten für sich aus. Da kann man eigentlich nur der seufzende Dritte sein und sich die Debatte von außen anschauen.
Die bekannten Fakten sind dürftig: Die Humboldt-Universität hatte die Biologin Marie-Luise Vollbrecht zu einem Vortrag mit dem Titel „Geschlecht ist nicht gleich (Ge)schlecht. Sex, Gender und warum es in der Biologie nur zwei Geschlechter gibt“ zur „Langen Nacht der Wissenschaften“ eingeladen. Vollbrecht ist Mitautorin des umstrittenen „Welt“-Artikels über Transsexualität, der seinerseits starken Protest ausgelöst hatte. Die Gruppierung „Arbeitskreis kritischer Jurist*innen“ sowie der Referentinnenrat (RefRat) der Universität hatten daraufhin zu einer Demonstration gegen den Vortrag aufgerufen. Laut Universitätssprecherin seien dann auch „Gegenaktionen von Vollbrecht-Unterstützer:innen angekündigt und vorbereitet“ worden. Es habe daher Sicherheitsbedenken gegeben.
Laut FAZ sagte die Sprecherin ferner: „Grundsätzlich versteht sich die Humboldt-Universität als ein Ort, an dem kein Mensch diskriminiert werden sollte, sei es wegen seiner Religion, seiner vermeintlichen Rasse, seiner sexuellen Identität oder wegen irgendeines anderen Merkmals, das als Unterscheidungsmerkmal angesehen wird.“ Die Meinungen, die Frau Vollbrecht in dem Artikel in der Zeitung „Die Welt“ am 1. Juni vertreten habe, stünden „nicht im Einklang mit dem Leitbild der HU und den von ihr vertretenen Werten. Die HU hat sich dem ,wechselseitigen Respekt vor dem/der Anderen‘ verpflichtet. Wir distanzieren uns daher von dem Artikel und den darin geäußerten Meinungen ausdrücklich.“
Laut WELT hingegen sei die Universität von der Polizei über die Protestaktionen informiert worden und die Entscheidung sei keine inhaltliche Aussage, sondern diene der reinen Sicherheit.
Das ist deswegen interessant, weil in der Schlammschlacht zwischen Transkritikern und Transaktivisten die Sicherheitsaspekte im Vordergrund stehen. Offenbar machte der Welt-Artikel schneller die Runde als der in der FAZ. Die Kritiker verweisen entweder darauf, dass die queeren Aktivisten andere Ansichten mit Gewalt unterdrücken würden und dass eine Kultur herrsche, in der jemand, der ihrer Ideologie nicht folgt, um seine körperliche Unversehrtheit fürchten müsse. Oder aber sie verweisen darauf, dass diese Sicherheitsbedenken gar nicht näher ausgeführt wurden und dass doch gar nicht klar wäre, ob da wirklich Gefahren drohten. Die Universität solle das Rückgrat haben, die Veranstaltung durchzuziehen und notfalls müsse sie eben durch die Polizei geschützt werden. Dann liegt der Fokus nicht auf der Gewalt, sondern auf der Schwäche der Universität, die vor dem linken Mainstream einknickt.
Und das ist exakt das gleiche, naja, fast das gleiche Argument, dass auch die LGBTQ-Community vorbringt. Dort verneint man zwar, dass überhaupt eine Gefahr drohe, schließlich habe man nur friedliche Proteste angekündigt, aber auch dort wird das „Einknicken“ als leichtfertig und unbegründet geframed. Man bezeichnet die Anderen ironisch als „Snowflakes“ (ein eigentlich rechter Kampfbegriff für Übersensible), die gezielt so eine Veranstaltung absagen, um sich als Opfer zu inszenieren und die Gefahr durch Protestierende zu überhöhen. Die Sorge vor Übergriffen werde taktisch eingesetzt, obwohl sie unbegründet sei.
Das grenzt schon an Verschwörungstheorie, zumal der Vortrag ja gerade nicht von der Referentin abgesagt wurde, die dies bedauert, sondern von der Universität. Und dass jemand, der sich berufen fühlt, öffentlich über das biologische Geschlecht zu sprechen, sich heimlich darüber freut, nicht sprechen zu dürfen, nur um sich als Opfer gerieren zu können, klingt schon etwas unglaubwürdig.
Davon abgesehen ist diese Haltung der Transaktivisten unredlich, weil sie ja wirklich wollen, dass der Vortrag abgesagt wird. Sie organisieren Demonstrationen gegen den Vortrag, versuchen ihn zu verhindern, und wenn dies (vielleicht überraschend einfach) gelingt, werfen sie den auf diese Weise ruhig gestellten Gegnern vor, die würden das extra machen. Wenn die den Vortrag aber durchzögen, würden sie das selbstverständlich ebenfalls als skandalös brandmarken.
Das ist im Übrigen das Muster, das sich generell bei den Diskussionen über die sogenannte Cancel-Culture durchzieht. Konservative stellen es so dar, als würden sie sich eigentlich gar nicht mehr öffentlich äußern können, obwohl sie es offenkundig tun. Und als wären sie quasi dauernd Gewalt ausgesetzt, obwohl dies offenkundig der Ausnahmefall ist. Linke hingegen behaupten, es gäbe keine Cancel-Culture, weil ja niemand, der was „Falsches“ sagt, im Gefängnis landen müsse und überhaupt, man könne ja immer noch bei der „Achse des Guten“ veröffentlichen. Damit wenden sie aber eine radikale Definition dieses Begriffes an, bei der eine Cancel-Culture erst bei staatlich organisierter Zensur überhaupt existiert. Dabei geht es ja nicht um die Frage, ob diese Zensur vollständig etabliert ist, sondern darum, ob bei den sogenannten „Woken“ das Ziel besteht, abweichende Meinungen zu beseitigen – mal mehr, mal weniger erfolgreich. Ob bestimmte Kritik nur noch in rechten Nischenblogs überhaupt vorkommen kann. Und dass sie dieses Ziel haben, sagen sie eigentlich recht offen. Die Tatsache, dass sie es noch nicht erreicht haben, benutzen sie dann als Gegenargument gegen die Existenz einer Cancel-Culture.
Noch wird die Universität offenbar auf beiden Seiten dem nicht-woken Lager zugeordnet. Von queerer Seite also jenen, die sich als Opfer von vermeintlicher Unterdrückung inszenieren, von transkritischer Seite jenen, die von einem gewaltsamen Mob zum Schweigen gebracht werden.
Dabei könnte die Sicht bei Bedarf auch genau umgedreht werden. Das Twitter-Lauffeuer hat sich auf die Sicherheitsbedenken gestürzt und nicht auf die inhaltliche Distanzierung. Sonst würden die einen der HU nämlich vorwerfen, wissenschaftlichen Diskurs zu behindern und die anderen würden sich darauf berufen, dass auch die HU das biologische Geschlecht für eine wissenschaftliche Außenseitermeinung hält.
Es ist jedenfalls absurd, wegen angekündigten Protesten gleich Sicherheitsbedenken zu haben. Proteste und Demonstrationen gehören zum demokratischen Prozess. Die Meldungen über brennende Hörsäle, Straßenschlachten zwischen Biologen und Transmenschen oder Attentate auf Vortragende sind zumindest in meiner Erinnerung dünn gesät. Wenn man sich anschaut, unter welchen Bedingungen Fußballspiele oder AfD-Parteitage stattfinden, ist schwer nachvollziehbar, dass man einen wissenschaftlichen Vortrag nicht verantworten könnte.
Und die Veranstaltung wurde ja auch nicht von der Polizei abgesagt. Sondern von einem Veranstalter, der sich gleichzeitig von der Referentin distanziert und behauptet, die Entscheidung sei keine inhaltliche Aussage. Der Verdacht liegt nahe, dass es nicht um Sicherheit, sondern um Image geht. Welches Image sie haben will, weiß die HU möglicherweise selbst noch nicht ganz. Ein Ort des Respekts vor Anderen soll es sein. Das schließt einen Ort des Streits offenbar aus.
Das Problem besteht darin, das keine Organisiation darauf vertrauen kann durch dne Staat bei Übergriffen geschützt zu werden, oder das Täter so ausreichend sanktioniert werden, das es echten Abschreckungscharakter besitzt.
Die Verantwortung dafür trägt die Politik, deren Auszehrung der Polizei und wachsweiche Rechtsnormen eine Strafverfolgung entsprechender Täter praktisch wirkungslos macht.
Man hat Radalierer linker Coleur jahrzehntelang unbehelligt gelassen, so dass sich eine Anspruchskultur durchgesetzt hat, die erst mit dem Aufkommen rechter Gruppierungen anfängt fragwürdig zu werden.
Und das immer noch einseitig, also ob es gute und schlechte Randalierer geben würde.
Wir ernten also nur, was langfristig gesät wurde von vor allem massiver linker politischer Korruption, die bisher niemand bereit war wahrzunehmen.
Dabei ist die Korruption vor allem der SPD massiver als bei jeder anderen Partei, sie wird nur rechtlich nicht so wahrgenommen, weil das Geld formal beim Staat bleibt, in Realität aber in hochsubventionierte Dauerposten fließt, denen viele Funktionäre vorstehen, die wie bei der Bahn nicht das geringste know how dafür besitzen.
Soziale oder ökologische Einrichtungen und Stiftungen sind da heute nicht selten wie früher der Klerus, durchaus mit einer sozialen Aufgabe betraut, aber deren Effektivität und Kosten werden selten wirklich ernsthaft überprüft.
Oder so ähnlich wie die Northstream Stiftung, alles legale Korruption.
Da bleibt es unerheblich, welche Ziele offiziell verfolgt werden, solange genau das weder ausgeschlossen noch kontrolliert werden kann.
Am besten jede(r) distanziert sich von jed*wedem Wesen, dann sind alle auf der sicheren Seite. Und Gespräche bitte nur noch im eigenen Badezimmer mit dem Spiegel führen. Küchengespräche dagegen sind voll 20. Jahrhundert! Wenn sich alle an diese einfachen Regeln halten, kommen wir sicher durch das 21. Jahrhundert.