„Kapieren Sie“, fragt Albrecht Müller auf seinen Nachdenkseiten, „was schlimm daran sein soll, dass Geißler Goebbels `Wollt ihr den totalen Krieg?` zitiert?“ Ja, ich kapiere das; es ist ja auch nicht allzu schwer. „Ich nicht“, schreibt Müller, ohne dabei den Eindruck erwecken zu wollen, sich diesbezüglich allzu große Mühe zu geben. Im Gegenteil: Müller kritisiert die Kapierer der Geißler-Kritiker; denn genau darum geht es ihm ja. „Dutzende von aufgeblasenen Artikeln“, und warum?! Albrecht Müller: „Die Sache selbst ist unbedeutend. Der Gebrauch des Goebbels-Zitats ist eine lässliche Sünde.“ Na klar. „Dass Geißler Goebbels zitiert und dies auch noch ziemlich unpassend“, wie Müller konzediert, sicher, das hätte nicht unbedingt sein müssen. Aber wie dies in der Presse aufgeblasen wird?!
„Die Badische Zeitung meint, das Kriegszitat entlarve Geißler. Medien und Netz sind voll von ähnlichen Attacken und Einlassungen.“ Und tatsächlich, die Badische Zeitung hatte wirklich geschrieben: „Kriegszitat entlarvt Geißler“, und zwar schon in der Überschrift. Um direkt daran dranzuhängen, also ebenfalls in der Überschrift: „aber nicht als Nazi“. Dass Albrecht Müller hier unvollständig zitiert hat, ist kein Versehen, sondern Absicht. Müller hat grob irreführend zitiert, in einem Beitrag, mit dem die kritischen Nachdenkseiten die ach so unkritischen Gedankenlosseiten vorführen wollten. Dieses Vorgehen, das nicht als lässliche Sünde abgehakt werden kann, sagt einiges über Albrecht Müller und seine Nachdenkseiten aus, ist aber auch Anlass, über Geißlers Sportpalast-Zitat … nachzudenken.
Man gelangt dann zu Einsichten, die sich bspw. wie folgt formulieren lassen: „Das Nazi-Zitat Heiner Geißlers sagt einiges über diesen selbst und über Stuttgart 21 aus … Gegen Nazi-Vergleiche gibt es einen prinzipiellen Einwand: Sie führen angesichts der Monstrosität der Verbrechen unter Hitler ausnahmslos in die Irre. Aber auch unabhängig davon beschreibt das Wort vom totalen Krieg in Bezug auf Stuttgart 21 eine Eskalation, die weder gewollt sein kann noch real vorhanden ist. Es ist grob fahrlässig, von Krieg zu reden, wo unter tausenden friedlichen Demonstranten allenfalls ein paar hundert gewaltbereite Gegner sind. Und es beleidigt den Rechtsstaat, wenn der Schutz der legitimen Belange des Bauherrn mit der Kriegsmetapher belegt wird (Bei allem Mitgefühl mit den Opfern des überharten Polizeieinsatzes vom Herbst: Ein Krieg war die damalige Räumung des Schlossgartens nicht).“ Quelle des Zitats: der von Albrecht Müller vorsätzlich grob irreführend zitierte Artikel aus der Badischen Zeitung.
Wer einen Konflikt um den Umbau eines Bahnhofs meint, mit dem von Goebbels beschworenen und von Nazideutschland exekutierten „totalen Krieg“ in Zusammenhang bringen zu müssen, hat sich bestenfalls im Ton vergriffen, nicht aber – wie Geißler anfangs nachschob – „wohl überlegt“ geäußert. Anstatt für sich, wie einst für seinen damaligen Chef Kohl, einen Blackout geltend zu machen, zog Geißler es vor, seine Kritiker einer typisch deutschen Nazihysterie zu bezichtigen. Am Mittwoch fand er dann in der Passauer Neuen Presse die in der Tat recht amüsante Formulierung: „Wenn ich in der Nähe von Goebbels bin, ist der Playboy das Mitteilungsblatt des Vatikans.“ Nun habe ich nicht die „Dutzende“ (Müller) von Kommentare zum Thema gelesen und weiß daher nicht, ob irgendjemand Geißler in die Nähe der Nazis gerückt hatte. Sollte dem so gewesen sein, steht es Geißler selbstverständlich frei, solch einen absurden Anwurf zurückzuweisen.
Geißler hat mit den Nazis bekanntlich nichts am Hut. Sein Problem besteht darin, in der politischen Auseinandersetzung die faschistische deutsche Vergangenheit aufzurühren, um seine Widersacher mit brauner Soße zu bespritzen. Unvergessen seine Attacke Anfang der 80er Jahre auf die deutsche Friedensbewegung, als er sich zu der Einlassung verstieg, der Pazifismus habe den Hitlerfaschismus erst möglich gemacht. Und die SPD fungiere ohnehin als fünfte Kolonne Moskaus. Damals redete sich Geißler damit heraus, er sei sich über den Inhalt des Begriffs fünfte Kolonne nicht im Klaren gewesen. Diesmal hat er fast eine Woche gebraucht, um sich zu der öffentlichen Erklärung durchringen zu können, das umstrittene Zitat „Wollt Ihr den totalen Krieg“ nicht wiederholen zu wollen. Er gab sie widerwillig ab: „Ich kann die Betroffenheit mancher Journalisten nicht ganz verstehen. Es kommt doch nicht allein auf die Vokabeln an, sondern auf die Absicht und den Inhalt. Aber ich würde es nicht wiederholen.“
Altersstarrsinn? Wenn man nur wüsste, welche Absicht Geißler mit diesem Sportpalast-Zitat verfolgt hatte. Wahrscheinlich wollte er seinem Schlichter-Vorschlag zu S21 mit einem Paukenschlag zu größter Aufmerksamkeit verhelfen. Die Welt glaubt Geißler vermeintlich jedes Wort, wenn sie ebenso affirmativ wie peinlich darlegt: „Heiner Geißler wollte die Stuttgarter Konfliktparteien mit dem Zitat daran erinnern, dass nicht viel fehlt, um sie in ihrem starrsinnigen Alles oder Nichts für ähnlich bekloppt zu halten wie Goebbels und seine Anhänger.“ Die sich daran anschließende Nazivergleichsdebatte habe „nur mit dem nervenzerrüttenden Wetter der vergangenen Wochen zusammenhängen können“, meint die Welt. Nun ja, die Stuttgarter Konfliktparteien in ihrem starrsinnigen Alles oder Nichts sind also „bekloppt“. Sehe ich auch so. Aber sieht die Welt denn nicht, dass Goebbels und seine Anhänger nicht einfach nur bekloppt waren, sondern die schlimmsten Massenmörder, die die Welt je gesehen hatte?! Und warum bin z.B. ich jetzt bekloppt, wenn ich auf diesen kleinen, aber feinen Unterschied aufmerksam mache?! Und alle anderen, die sie, wie ich finde, noch alle beisammen haben?
Weil es in der Welt steht. Okay, das erklärt einiges. Und wie ist das mit Albrecht Müller und seinen Nachdenkseiten?
Wie die Breivik Attentate in Norwegen gezeigt haben sind Nazivergleiche unbedingt notwendig. Sie müssen nur an der richtigen Stelle erfolgen.
Ach wie süß…. m(
>>>>“Geißler hat mit den Nazis bekanntlich nichts am Hut. Sein Problem besteht darin, in der politischen Auseinandersetzung die faschistische deutsche Vergangenheit aufzurühren, um seine Widersacher mit brauner Soße zu bespritzen. “
Wieso? Er hat ja das Zitat gegen die S21-Gegner gerichtet, also gegen die Guten (analog: die Polen). Von daher kann von einer Absicht, die Widersacher in die braune Ecke zu stellen, gar nicht die Rede sein. Eher stellt er sich selbst damit in die braune Ecke, was ja wohl ziemlich dämlich wäre, wenn es seine Absicht gewesen wäre, vor allem, weil er ja schon mal als Göbbels beschimpft worden ist. Wer das denn gleich noch 🙂
Wäre mal eine schöne Aufgabe für einen Deutschunterricht. Was ist ein korrekter Nazi-Vergleich
(Wobei, die FDT hat zwar die richtige Frage gestellt, aber nicht gut beantwortet)
🙂
Über das Kalkül von Heiner „Nicht-wahr“ Geißler hat nach meiner Einschätzung aus der Ferne auch die Badische Zeitung das richtige geschrieben:
„Hier inszenierte sich ein verdienter, aber geltungsbedürftiger Altpolitiker als Lichtgestalt. Und damit die Lichtgestalt bloß hell genug strahlt, konnte es ringsum gar nicht dunkel genug sein.“
Und Albrecht Müllers Motivation ist es wohl, als derjenige zu gelten, der Geißler schon immer für die Rolle als Mediator ungeeignet hielt.
Eine rhetorische Frage hat was mit der Antwort zu tun, auf die sie aus ist. Goebbels wollte auf ein tausendfaches Ja hinaus, Geißler auf ein kleinlautes Nein. Das ist doch mal ein kleiner aber feiner Unterschied.
@ Frank
„Und Albrecht Müllers Motivation ist es wohl, als derjenige zu gelten, der Geißler schon immer für die Rolle als Mediator ungeeignet hielt.“
richtig. Die nachdenkseiten „haben die Rolle Geißlers bei Stuttgart 21 von Anfang an kritisch begleitet“:
https://www.nachdenkseiten.de/?p=10353
„4. August 2011, Albrecht Müller
Kapieren Sie, was schlimm daran sein soll, dass Geißler Goebbels „Wollt ihr den totalen Krieg?“ zitiert? Ich nicht.
Jetzt fallen Journalisten über Geißler her. Das konnte man mit gutem Grund bisher schon tun, wenn man nach seiner Rolle bei Stuttgart 21 fragt (Was gab es da eigentlich zu schlichten??) und sich auch früher von ihm nicht blenden ließ. Wir haben die Rolle Geißlers bei Stuttgart 21 von Anfang an kritisch begleitet. Jetzt versuchen Journalisten gleich rudelweise die Wende. Spiegelredakteur Schwennicke befiehlt „Eine Entschuldigung – und zwar schnell!“. Die Badische Zeitung meint, das Kriegszitat entlarve Geißler. Medien und Netz sind voll von ähnlichen Attacken und Einlassungen. Dass Geißler Goebbels zitiert und dies auch noch ziemlich unpassend, kann die emotionale Abwendung nicht erklären. Albrecht Müller.
Möglicherweise wollen die Journalisten ihr Image als kritisch aufbessern; oder sie wollen den allenthalben hochgelobten Geißler beschädigen, weil er vielleicht doch noch mal etwas Kritisches zu Stuttgart 21 sagen könnte; oder es ist nur der Spaß daran, sich gemeinsam mit Kollegen aufzuregen.
Es ist ein unbedeutender Vorgang. Ich weise dennoch darauf hin, weil sich hier mal wieder zeigt, wie sich Meinungsmache von den sachlichen Gegebenheiten abheben kann. Die Sache selbst ist unbedeutend. Der Gebrauch des Goebells-Zitats ist eine lässliche Sünde. Aber es reicht zu Dutzenden von aufgeblasenen Artikeln.“
Ich hab Uli S. zu Werner Jurga bisher nicht verstanden, dieser „Artikel“ ist entlarvend…
Wer will schon den totalen Krieg? *efg*
https://www.youtube.com/watch?v=fFnpbJWXpKs
Wäre Geißler Satiriker, was er nicht ist…^^
Gehe einstweilen mit Kreisler Tauben vergiften.
Beste Grüße
Thomas
@Thomas Wessel:
Das ist der entscheidende Aspekt in der ganzen Debatte, und man muss sich manchmal schon fragen, wie es dazu kommen kann, dass da Leute komplette Kommentare schreiben und dabei total geschichtsvergessen diesen alles entscheidenden Aspekt ignorieren.
Eine Antwort darauf gibt es hier: https://m.youtube.com/watch?gl=DE&hl=de&client=mv-google&v=SohMW2aa9IQ
@5,
Das sehe ich genau wie Sie, möchte aber noch ergänzen, daß Geißler genau kalkuliert hat, daß auf diese Frage heutzutage niemand mehr „Ja“ rufen würde.
Es konnte nur ein empörtes „Nein“ folgen. Und dieses „Nein“ wollte Geißler hören.
Er hat sein Ziel erreicht.
Die 4 Jahre auf der Jesuitenschule hat der junge Heiner Geißler ja nicht verschlafen. Das scheint mir ein Beispiel für jesuitische Dialektik zu sein.
[…] überaus medienwirksamer “Schlichtung” durch die CDU Mumie Heiner Geissler, welche für alle Seiten mit unbefriedigenden Ergebnissen endete, haben sich nun die […]
Ähm und was soll mir diese Blogbeitrag nun – ganz konkret – sagen?
Ich persönlich fand diesen „Anwurf“ an die Gegner dieses hirnrissigen Projektes jedenfalls mehr als unpassend. Insbesondere weil er – meines Erachtens – als Vorwurf gemein war. Es passte allerdings in das Bild, welches er die ganze Schlichtung (mit wenigen Ausnahmen) abgab: Immer schön die Argumentation der Gegner mit doofen Äusserungen stören „das versteht ja keiner“ und ansonsten die Befürworten reden lassen.
Also ich hab alles Verstanden – die Vorträge der Befürworter und der Gegner. Wenn’s mal schwierig wurde, dann nur weil die Vorträge immer in den entscheidenden Punkten unterbrochen wurden.