Immer mehr Städte setzen bei der Planung von Großprojekten auf den Dialog mit den Bürgern. Und die sind nicht immer nur dagegen.
Mit dem Abstimmungsergebnis war die Stadt mehr als zufrieden: 76,5 Prozent der Remscheider, die an der Bürgerbefragung über den Bau des Designer Outlet Centers teilnahmen, sprachen sich im vergangenen Herbst für dessen Bau aus. Die Bürgerbefragung war im Rat zuvor von CDU, SPD, FDP, Bündnis90/Die Grünen und der Bürgerliste W.i.R. beschlossen worden. Mit 38,9 Prozent lag die Wahlbeteiligung höher als bei der Oberbürgermeisterwahl in Duisburg am vergangenen Sonntag.
Ob das Outlet Center, ein künstliches Dorf mit 130 verschiedenen Fachgeschäften, wirklich direkt an der A1 gebaut wird, ist damit noch längst nicht entschieden. Noch vier bis fünf Jahre kann es dauern, bis das Center eröffnet, die Bezirksregierung und das Land müssen den Planungen zustimmen. Aber schon zu Beginn des Verfahrens hat die Stadt Remscheid ihre Bürger befragt und, zusammen mit dem Betreiber, dem Unternehmen McArthur Glen, das auch das Outlet-Center im holländischen Roermond betreibt, von dem Bau überzeugt.
Größere Proteste aus der Bürgerschaft müssen nun weder Kommunalpolitik noch Investor befürchten.
Es hat sich für alle Seiten gelohnt, schon früh auf ein transparentes und offenes Verfahren zu setzen.
Das musste in Köln erst erkämpft werden: „Wir haben 2010 erfahren, dass auf dem Helios-Gelände ein Einkaufszentrum gebaut werden sollte und dann unsere Bürgerinitiative gegründet“, sagt Hanswerner Möllmann, Sprecher der Bürgerinitiative Helios. Auf dem Helios-Gelände in Köln Ehrenfeld wollte eine gemeinsame Grundstücksgesellschaft der Bauwens-Unternehmensgruppe und des Einkaufszentrumsbetreibers MFI ein Einkaufszentrum bauen. Mindestens 20.000 Quadratmeter Einkaufsfläche sollte es haben, dazu noch mal Platz für Imbissstuben und Cafés.
Das Einkaufszentrum, so die Kritiker, hätte allerdings auch einen großen Einfluss auf Ehrenfeld gehabt: An der Venloer Straße finden sich bis heute nur wenige Ketten. Selbständige Einzelhändler bestimmen das Bild. Viele davon bieten Billigware an, aber, sagt Möllmann: „Das passt ins Vedel. Hier haben immer noch sehr viele Menschen wenig Geld, auch wenn Ehrenfeld im Umbruch ist“.
Das ehemalige Arbeiterquartier, bis zur Eingemeindung nach Köln eine eigenständige Industriestadt, hat sich in den vergangenen zehn Jahren gewandelt. Erst zogen immer mehr Studenten in die damals preiswerten Wohnungen, heute sind es zunehmend die Besserbetuchten, die es in das Szenequartier mit seinen vielen Kneipen und Clubs zieht.
Aber auch die waren von der Idee, dass auf dem Gelände der ehemaligen Elektrofabrik Helios, deren markantestes Zeichen ein Leuchtturm ist, ein Einkaufszentrum gebaut wird.
„Als wir anfingen“, erinnert sich Möllmann, „waren viele sehr pessimistisch. Aber als dann auf einmal 400 Menschen auf einer Bürgerversammlung waren, kippte die Stimmung. Wir merkten, dass wir eine Chance hatten.“
Immer stärker machte eine Koalition aus Alteingesessenen, kleinen Geschäftsleuten, Kreativen und frisch zugezogenen Akademikerpärchen der Politik in Köln deutlich, dass sie auf dem Helios-Gelände kein Einkaufszentrum wollten. War es am Anfang nur die in Ehrenfeld stark verankerte und im Rat vertretene Liste „Deine Freunde“, die auf der Seite der Bürgerinitiative stand, schlossen sich ihnen bald auch SPD und Grüne an. Früh machte die SPD im Bezirk deutlich, dass beispielsweise der auf dem Helios-Gelände ansässige Club Underground erhalten bleiben soll. Das Underground bietet ein in NRW nahezu einzigartiges Konzertprogramm und ist Spielstätte zahlreicher international renommierter Independent-Bands.
Auch die anderen Nutzer des Helios-Geländes, verschiedene Künstlergruppen und kleine Studios, wollten nicht weichen. Nach langen Diskussionen entschloss sich die Stadt schließlich zu einem in NRW bislang einzigartigen Verfahren: Sie holte alle Beteiligten, die Initiative, Bürger aus dem Stadtteil, Bauwens und die Planungsbehörde an einen Tisch und veranstaltete zwei Werkstätten. In denen wurde über die Zukunft des Geländes diskutiert. „Da trafen sehr unterschiedliche Vorstellungen aufeinander. Bauwens wollte ein Einkaufszentrum, und die Bürger hatten auch sehr unterschiedliche Vorstellungen.“ Einige wünschten sich einen Park, andere, dass sich gar nichts ändert, Wohnungen sollten gebaut werden. Viele Menschen, viele unterschiedliche Wünsche. Anfang Juni, beschlossen alle gemeinsam ein Leitbild: Es soll auf dem Gelände kein Einkaufszentrum entstehen, dafür eine Schule in der behinderte und nicht behinderte Kinder gemeinsam bis zum Abitur lernen können. Eng angebunden an die Universität, die ihren Lehramtsstudenten an der Schule die erzieherische Praxis vermitteln will. Das Helios Gelände soll auch künftig Fußgängern und Radfahrern offen stehen, und die angedachte Wohnbebauung soll den Bedürfnissen aller Bevölkerungsschichten im Stadtteil entgegenkommen. Auch Einzelhandel soll es auf der Fläche geben, aber er soll Inhabergeführt sein. Die großen Ketten werden sich dort nicht niederlassen dürfen.
„Wir sind“, sagt Möllmann, „mit dem Ergebnis zufrieden.“
Das ist der Kölner Bauunternehmer und Kanzlerenkel Paul Bauwens-Adenauer nicht. „Ich hätte auf dem Gelände gerne eine spannende und offene Entwicklung gehabt. Wir wollten nicht das typische Einkaufszentrum bauen, sondern experimentieren. Wohnen, arbeiten, einkaufen – aber auf dem kleinen Rest der Fläche, den wir jetzt noch entwickeln können, wird das sehr schwer.“
Auch Bauwens-Adenauer fand die Gespräche mit den Bürgern und der Helios-Initiative interessant. Daran, ob diejenigen, die daran teilgenommen haben den Willen aller Bürger repräsentiert haben, hat er allerdings seine Zweifel: „Ich hätte eine repräsentative Umfrage unter den Bürgern gehabt, aber da hatten wohl viele die Sorge, dabei könnte das falsche Ergebnis herauskommen.“
So sehr Bauwens-Adenauer auch verstehen kann, dass ein Einkaufszentrum auf Ablehnung stößt, so sehr störte ihn der Mangel an Offenheit für neue Idee: „Im Ehrenfeld gibt es auch eine Verspießerung. Einige der Anwohner wollten keine Veränderung, alles sollte so bleiben, wie es ist, aber so ist Stadt nicht. Stadt ist Veränderung und Spannung.“
Veränderungen stehen auch in Bochum an: In der Innenstadt soll ein Zentrum mit 20.000 Quadtratmetern Einzelhandelfläche entstehen, dazu die üblichen Burgerbuden und Sushi-Läden. „Bislang“, sagt, Baudezernent Ernst Kratzsch, „gab es mehrere Gesprächsrunden mit der IHK und den Einzelhändlern. Dabei haben wir uns alle auf ein Konzept geeinigt, das nun umgesetzt werden soll: Keine Blockbebauung, eine Öffnung zur Stadt und Geschäfte, die eine Ergänzung zum Angebot in der Innenstadt darstellen.“ Mit einem Wettbewerb soll ab Herbst ein Investor gesucht werden. Die Pläne sind in der Stadt bekannt. Es gibt keine Pläne, die Bürger entscheiden zu lassen und keine Initiative die darauf drängt, an den Planungen beteiligt zu werden. Für Kratzsch ist das Einkaufszentrum notwendig, um die Innenstadt attraktiv zu halten. Denn die Stadt hätte in den 60er Jahren einen Fehler begangen: „Damals wurde mit dem Ruhrpark ein sehr großes Einkaufszentrum auf der grünen Wiese gebaut, das heute Kaufkraft bindet, die wir in der Innenstadt wollen.“
Und gegen Einkaufszentren helfen nur Einkaufszentren, denkt man in Bochum. Die Bürger scheint das alles nicht zu interessieren.
Der Artikel erschien in einer ähnlichen Version bereits in der Welt am Sonntag.
Natuerlich sind transparente Verfahren und fruehe Buergerbeteiligung wuenschenswert, aber ‚der Staat‘ in seiner vielfaeltigen Form kann es sich in den genannten Beispielen auch relativ gefahrlos erlauben grosszuegig zu sein. Beim Outlet-Center und dem Helios Projekt ist ja sehr viel privates finanzielles Engagement notwendig, so dass sich schnell eine Front ‚Buerger gegen Kapital‘ auftuen koennte die erstmal ‚dem Staat‘ nicht schadet. Bleibt Ehrenfeld eben so ‚wie frueher‘ und kommt im schlimmsten Fall kein Outlet-Centre hat der Staat keinen Schaden genommen. Gleichzeitig bekommt er fuer relativ wenig Muehe sehr viel zurueck: Stimmen die Buerger in Remscheid ab, ‚darf‘ es danach nie wieder Kritik geben, denn die Buerger haben quasi auf immer und ewig eine Entscheidung legitimisiert-egal wie sich Remscheid durch den Bau des Centers veraendern wird. Diese ‚Ewigkeitsklausel‘ ist taktisch geschickt und Staedte koennen dieses Instrument nach belieben einsetzen. Und natuerlich muss man auch genauer Hinsehen wenn sich ‚Buerger‘ organisieren, welche Interessen da involviert sind, wer letztlich abstimmt und wie Abstimmungsfragen formuliert sind etc. Spannend waere es mal zu sehen, wie sich Buergerbeteiligung formiert, wenn es um unbequemere Fragen geht-aber da trauen sich viele Staedte noch nicht heran…
[…] Ruhrbarone, 05.07.2012 […]
Wird der Bürger mit Entwicklungen „Überfallen“, dann kann sich das sehr schnell gegen die Stadt und den Bau wenden.
Es reicht heute nicht mehr zu sagen die Pläne lagen ja aus. Die Bürger müssen aktive und nicht passiv informiert werden. Das ist ein ziemlich Problem bei vielen Stadtverwaltungen an dieser Stelle um zu denken. Allerdings darf die Verwaltung sich dann auch nicht wundern, wenn plötzlich Aktivbürger gegen etwas demonstrieren.