Heringe mit Köpfen

Camping Foto Bundesarchiv, Bild 183 – 1990-0802-408 / Sindermann, Jürgen Lizenz: CC-BY-SA 3.0

Der passionierte Campingliebhaber Björn Staschen legt mit „Gebrauchsanweisung fürs Camping“ ein großartiges Praxishandbuch für das angewandte Übernachten in freier Natur vor.

Während wir im vergangenen Corona-Jahr ausgiebig die Gelegenheit hatten, in unserem Home-Office sämtliche Erhebungen der heimischen Rauhfasertapete einzeln zu zählen, nach Wänden geordnet zu kartografieren und als Landschaftskunstwerke auf Instagram zu vermarkten, wird es jetzt Zeit, endlich mal wieder vor die Tür zu kommen. Gelegenheit also für den nächsten Urlaub in der freien Natur.

Der Autor Björn Staschen ist ein Kenner der alternativen deutschen Campingszene. Sein Campingführer „Camping-Glück. 80 außergewöhnliche Plätze in Deutschland“ (Prestel-Verlag 2019, 26 €) weist dem Leser den Weg zu atmosphärischen Campingplätzen jenseits der Massenplätze. Im Gegensatz zu den Testern des Platzhirschen „ADAC-Campingführer“ hat er nicht nur alle Plätze besucht, sondern dort auch übernachtet. Der Mann weiß, worüber er schreibt. So startet „Gebrauchsanweisung fürs Camping“ mit den Vorbereitungen für einen gelungenen Campingurlaub: Staschen klärt auf über die Vor- und Nachteile der verschiedenen Zelttypen; vom Kuppelzelt, Kreuzkuppelzelt, Tunnelzelt, Geodäten und weiteren. Direkt in diesem ersten Kapitel verweist er auch auf seinen Tutor und Dealer, den Campingprofi Daniel Wrede aus dem Globetrotter-Shop in Hamburg-Barnbek, der „eine Antwort auf nahezu jede Frage weiß“. Wenn man bedenkt, dass ein Zelt das eigene Zuhause für die Urlaubszeit ist, dann wird klar, warum eine gute fachliche Beratung bei der Camping-Ausstattung so wichtig ist, Fehler beim Kauf rächen sich in der Praxis wortwörtlich hautnah. So sind nur Zelte mit einer Wassersäule von mindestens 3000 mm für alle Wetterbedingungen und extreme Einsatzorte geeignet. Wer hier am falschen Ende spart, sieht seine Felle schneller schwimmen als die Goldfische im heimischen Aquarium. Dasselbe gilt für Luftmatratze und Schlafsack, auch hier gibt der Autor einen Überblick über die Besonderheiten der verschiedenen Modelle und den Hintergrund der Temperaturangaben:

„Schlafsäcke werden jeweils mit Temperaturangaben verkauft, meist sogar mit drei Werten: für Komfort-, Grenz- und Extremtemperatur. Und wir wären nicht in Europa, wenn es dafür nicht sogar eine Norm gäbe. Die Europäische Norm EN 13537 (seit 2016 sogar die ISO EN 23537) legt fest, wie ermittelt wird, für welche Temperaturbereiche ein Schlafsack geeignet ist: Lebensgroße Puppen machen den Test – leider im Labor, nicht in der Natur. Der Norm Mann (25 Jahre alt, 70 kg schwer, 173 cm groß) und die Norm-Frau (25 Jahre alt, 60 kg schwer, 160 cm groß) liegen auf einer Isomatte in einer Kältekammer, bekleidet mit Unterwäsche und Mütze. Norm-Mann und Norm-Frau werden auf die Temperatur des menschlichen Körpers erwärmt; Sensoren messen, ab welcher Außentemperatur Norm-Mann und Norm-Frau kalt würde.“

Ein Vergleich zwischen Schlafsäcken mit Kunstfaserfüllung und Daunenschlafsäcken beendet das Kapitel. Das Für und Wider weiteren Zubehörs wie Klapphocker, Wassersack, Taschenlampe und Laterne beenden den ersten Teil der Urlaubsreisevorbereitung und Überlegungen zur Campingausstattung. Eine Ausnahme bildet die Campingküche, der ein eigenes Kapitel gewidmet ist, welches das Buch beschließt.

In den folgenden vier Kapiteln beschreibt Staschen das Auffinden von traumhaften Campingplätzen, er beschreibt anschließend einige seiner Lieblingsplätze, stellt einige Campingplatzbetreiber vor, deren Pioniergeist, Erfindungsreichtum, Engagement und Idealismus zum Entstehen dieser außergewöhnlichen Plätze maßgeblich beigetragen hat und er beschreibt das Prozedere des Ankommens auf dem perfekten Plätzchen auf dem idealen Platz, also die Suche nach dem geeigneten Platz auf dem Campingplatz. Sucht man einen Anhang am Ende des Buches mit den Adressen dieser traumhaften Campingplätze, wird man enttäuscht, denn natürlich verweist Staschen bei der Beschreibung der Traumplätze auf seinen alternativen Campingplatzführer „Camping-Glück“. Demnach zu urteilen, was er in den Kapiteln über die Atmosphäre dieser Plätze schreibt, scheint die Anschaffung dieses Traumplatzführers allerdings – hier sogar ausnahmsweise ungelesenerweise – empfehlenswert.

Das Kapitel „Campingwetter“ handelt von Unwettern wie Gewittern, Monsunregen, Sturzbächen, Tsunamis und dem damit verbundenen suboptimalen Effekt auf die eigene Zeltbehausung. Nachdem ich bisher selbst so manches Gewitter im Zelt durchgestanden habe, fand ich die entsprechende Passage besonders aufschlussreich:

„Campingexperten sprechen dagegen klare Worte, habe ich später beim Nachlesen herausgefunden. Wer im Zelt schläft, ist bei Gewitter ohne Wenn und Aber in Gefahr, ein Zelt bietet keinen Schutz vor Blitzeinschlägen. Mir ist das in Fleisch und Blut übergegangen, nachdem wir zunächst doch alle dachten, so eine Zeltnacht bei Gewitter sei mehr ein Abenteuer als ein Problem. Also: Wer zu Blitz und Donner aufwacht, sollte in einem Gebäude Schutz suchen, beispielsweise im Waschhaus oder der Rezeption, oder sich ins Auto setzen, wenn das in der Nähe geparkt ist. Die Briten haben eine einprägsame Faustregel: „If thunder roars, go indoors!“ Und erst eine halbe Stunde nach dem letzten Donner geben Experten wirklich Entwarnung und halten den Rückweg ins Zelt für geboten. (…) 
Nun gibt es ja Gewitter und Gewitter, Die einen ziehen vorbei und melden sich mit fernem Donnergrollen. Die anderen wüten manchmal stundenlang direkt über der Zeltkuppel. Wann ist Vorsicht angesagt? Der Verband der Elektrotechnik VDE hat dafür einige Faustregeln aufgeschrieben. Ein erstes Donnergrollen gilt danach schon als Warnhinweis, dass das Gewitter sich im Umkreis von weniger als zehn Kilometern befindet. Besonders gefährdete Bereiche wie Gipfel, Bergkämme, offene Felder, der Waldrand oder Plätze unter einzelnen Bäumen sollten verlassen werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Blitz in einen Baum einfährt, hängt nicht von der Art des Baums ab, sondern von seiner Höhe. 
Bereits ab einem zehnsekündigen Abstand zwischen Blitz und Donner ist ein Gewitter nach VDE-Einschätzung dann ‚da‘. Ein Blitzschlag könne unmittelbar auftreten, an ungeschützten Plätzen bestehe Lebensgefahr.“

Das anschließende Kapitel über Wildcampen klärt, wann und wo man im regulierungswütigen Deutschland überhaupt wild zelten darf und macht den Leser mit dem Jedermanns:fraurecht und anderen Campinggesetzen wie etwa dem Landesforstgesetz des Landes NRW vertraut. Entspannter geht es dagegen in Skandinavien zu, wo allemansrätten (Schweden), allemannsretten (Norwegen) und jokamiehenoikeus (Finnland) es erlauben, im Wald zu zelten oder sogar Feuer zu machen. Auf unkultiviertem Land darf dort jedermann sein Zelt für ein bis zwei Nächte aufschlagen. Da staunt der Camper und der deutsche Bürokratiehengst wundert sich. Launig und amüsant erzählt Staschen von seinen eigenen Wildcampingabenteuern mitsamt Mäuseattacken, Rentier-Besuchen und Känguru-Begegnungen.

Man muss jedoch zum Campen gar nicht sein eigenes Zelt mitnehmen: Vom Tipi über das Beduinenzelt, die Jurte bis hin zu Baumhaus und Schlafröhre reicht das vielfältige Angebot von kreativen und erfindungsreichen Campingplatzbetreibern, die ihren Gästen damit Abwechslung und Abenteuer beim Campen ermöglichen:

„Eine Art Altersruhesitz ist auch ein Glamping-Platz im Schleswig-Holstein: Hier warten ein alter, roter Mitropa-Wagen, ein Aufenthalts- und Werkstattwagen der DB AG sowie Einar, die entgleiste Sauna-Lok, auf Besucher, Bastler und Bahnfans. Oliver Victor hat in der Nähe von Ratzeburg 13,5 Kilometer Bahnanlage gekauft. Gäste können in ausrangierten Schlafwagen, Wunderwaggons und anderen Fantasiegefährten auf Schienen übernachten.“

Der Autor ist zum Zeitpunkt seines Besuchs mit Frau Jessica und den drei Söhnen Lasse, Maarten und Joon unterwegs und den Jungs gehen die Augen über vor Abenteuerglück.

„Camping auf Rädern“ beschäftigt sich mit dem Urlaub in der Dose, also den Vor- und Nachteilen des Campingmobil. Dass dieser Abschnitt zeitweise wie eine Ode an den VW Bulli klingt, verzeiht der Leser dem Autor, war doch schon in den vorangegangenen Kapiteln über die eigenen Erfahrungen auf den verschiedensten Campingplätzen immer wieder von seiner ersten großen Liebe „Phyllis“ die Rede, einem mintgrünen Miet-VW T2 und von dem ersten eigenen Bulli „Florence“, einen gebrauchten T5-Califorrnia-Bus. So gibt Staschen freimütig zu:

„Es ist eine nicht ganz rationale Verbindung, die Camper heute mit ihren VW-Bussen verbindet. Eine wiedererwachte Liebe mit viel Schwärmerei. Der Bus steht für Freiheit, für die Prilblumen-Liberalität der an sich spießigen 70er Jahre – auch wenn er schon lange nicht mehr so aussieht.“ 

So erfahren wir viel über die verschworene Gemeinschaft, die sich auf Festivals wie dem Vanfest in Great Malvern trifft und über die Geschichte des Bullis von T1 bis heute und seine Evolution durch die Firma Westfalia zum beliebtesten Campingbus. Wohnmobile als die luxuriöse Form des Campingmobil und der Caravan mit ihren Vor- und Nachteilen für den Campingurlaub sind ebenfalls Thema des Kapitels. Die spezielle Situation und entsprechenden Bedürfnisse sowie Rücksichten beim Camping mit Kindern tanzt Staschen als dreifacher Vater dem Leser rückwärts vor und im bereits oben erwähnten Abschlusskapitel erfahren wir neben der notwendigen Küchenausstattung und Campingkochbuchtipps auch noch ein paar leckere Rezepte, wie diejenigen der Autorengattin Jessica für einen campingküchentauglichen Couscous-Salat und Kichererbsen-Salat, sowie abschließende Empfehlungen in Sachen Camping-Kochbücher.

Staschen gelingt es, den Camping-Anfänger sowie dem Wiedereinsteiger auf den Stand der heutigen Möglichkeiten in Sachen Zelte, Campingausrüstung, Bulliismus und Caravaning, Wildcampen und Traumplatzsuche zu bringen. Die abwechslungsreichen Kapitel über verschiedene Traumplätze, die Campingplatzpioniere und (Alp)traumplätze sind sehr unterhaltsam bis romantisch zu lesen, sogar da, wenn es mal nicht so gut läuft:

„Obwohl Hochsaison war, lag in der Mitte des Platzes eine breite, freie Fläche. Rechts und links davon drängten sich die Zelte der vorwiegend einheimischen Urlauber auf etwas höher gelegenem Terrain. Als der Regen kam, wussten wir, warum: Ein Sturzbach schoss durch die Senke, in der unsere Zelte standen. Luftmatratzen, Äpfel und Klamotten schwammen davon. Während wir versuchten, das Nötigste zu sichern, kommentierten die französischen Campingprofis von ihren trockenen Plätzen aus hilfreich das Desaster.“  

Hier schreibt ein durchweg erfahrener Camping- Enthusiast, der den Urlaub in der Natur beharrlich sucht und findet.

Der goldene Zelthering für praxisorientierte Campingliteratur geht damit eindeutig an den Autor Björn Staschen und seine „Gebrauchsanweisung fürs Camping“. Uneingeschränkte Leseempfehlung für alle diejenigen, die im nächsten Urlaub endlich mal wieder an die frische Luft möchten.

Björn Staschen: Gebrauchsanweisung fürs Camping.
München, 02. März 2020
224 Seiten, Klappenbroschur
ISBN-13 978-3492277280 – € 15,00

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