Herrschaft durch Angst

Vorbei die Zeit, in der Politiker versuchten, die Menschen durch die Aussicht auf eine bessere Zukunft von sich zu überzeugen. Heute ist Angst der sicherste Weg zur Macht – und zum Verlust unserer Freiheit.

„Und ich schau zum Turm der Herrschaft…“

Wir alle werden sterben. Eine Gewissheit, welche die wenigsten von uns mit Freude erfüllt, aber doch seit Jahrtausenden die Grundlage unterschiedlichster Herrschaftsmodelle ist. Lange Zeit war die Angst vor dem Tod die Geschäftsgrundlage religiöser Gruppen. Sie versprachen oftmals ein Leben nach dem Tod – aber das sollte es auf angenehme Weise nur geben, wenn man sich ihrem Diktat unterwarf und ein irgendwie geartetes gottgefälliges Leben führte – und dabei die finanzielle Unterstützung für die religiöse Institution nicht aus den Augen verlor. Merkwürdigerweise waren sich fast alle religiösen Gruppen darin einig, dass Gott jemand ist, der vor allem Trieb- und Lustverzicht honorierte. Auf einen lässigen Gott, dessen Lehre lautete „Hey, ich hab dieses ganze Universum und diesen wirklich netten Planeten erschaffen, damit ihr Spaß habt. Ich hab es gut mit euch gemeint, genießt es! Und wenn es vorbei ist, geht die Party im Paradies weiter!“ kam niemand. Eine solche Lehre hätte allerdings auch den Nachteil gehabt, dass man keine Kirche benötigt hätte. Und deren Geschäft war und ist die Angst und der Verkauf von Rezepten gegen die Angst.

Angst legitimierte die Macht der Kirchen. Und Angst legitimiert heute zusehends die Macht der Politik und des Staates.

Sicher, dass mit der Angst der Menschen Politik gemacht wurde, ist nichts Neues. Vor allem autoritäre Parteien und Gruppierungen präsentierten sich schon immer als Schutzgemeinschaften in einer Welt voller Gefahren. Der Einzelne war für sie noch nie ein selbstbestimmtes, freies Wesen, sondern immer jemand, der, wenn man ihn lässt, nur Unsinn macht. Ein unmündiges Kind, das eine strenge Hand braucht, um auf dem richtigen Weg zu bleiben.

 

Alle anderen versuchten die Menschen anders zu überzeugen. Nicht mit Angst, sondern mit der Idee einer besseren Zukunft. Willy Brandt wollte mehr Demokratie wagen, Helmut Kohl versprach blühende Landschaften in der grauen Ostzone. Die Zukunft, so das Versprechen, würde besser werden als die Gegenwart. Und dieses Versprechen wurde in den vergangenen Jahrzehnten weitgehend eingehalten. Die Lebenserwartung war noch nie so hoch, die Umwelt seit der Industrialisierung nie so intakt und der Osten ist deutlich wohlhabender als zur Zeit der Wiedervereinigung. Und ein demokratischeres, offeneres Land ist Deutschland auch geworden.  Ganz nebenbei steigt seit Jahrzehnten die Lebenserwartung.

 

Doch ausgerechnet in einer Zeit, in der es so wenig Gründe gibt, Angst zu haben wie heute, versucht die Politik uns diese einzureden. Überall lauern Gefahren, vor denen wir beschützt werden sollen: Terror, Klimawandel, Gesundheitsrisiken, Armut, Facebook, das Internet – uns wird Angst gemacht, damit wir denen folgen, die vorgeben, uns schützen zu wollen. Und wir müssen ihnen nur eines geben, um den Schutz zu erlangen: Macht. Und nur eines aufgeben, um in Sicherheit zu sein: Freiheit.

 

Ganze Generationen von Politikern sahen ihre Aufgabe darin, sich dafür einzusetzen, dass unsere persönlichen Freiräume größer werden, die Teilhabe am Wohlstand gerechter verteilt und unsinnige Regeln abgebaut werden. Das ist vorbei. Die sich immer stärker in Untergruppen aufteilende Gesellschaft, so der Glaube der Politiker, lasse sich nicht mehr für gemeinsame, in die Zukunft weisende Projekte begeistern. Die Zukunft ist zunehmend etwas, was man mit sich selbst ausmacht. Ob der Nachbar dabei ist oder nicht, scheint kaum noch zu interessieren. Und den Politikern traut auch kaum noch jemand zu, solche Projekte formulieren, verschweige denn umsetzen zu können.

Für Politiker eine entsetzliche Lage, auf die sie reagieren: Wenn eine optimistische Idee für die Zukunft keine Chance mehr hat, bleibt nur doch der Konsens der Angst.

Angst ist längst zum Kitt der Gesellschaft geworden. Wer fröhlich erklärt, er habe ein paar tolle Ideen für die Zukunft und würde über die gerne mal reden, wird als Spinner abgetan. Helmut Schmidts stumpfsinniger Satz, dass der, der Visionen habe, zum Arzt gehen solle, ist längst eine der Geschäftsgrundlagen der Republik. Wer aber sagt, er hat Angst, muss nicht damit rechnen, als Spinner abgetan zu werden. Dass Risiken zum Leben dazugehören wie die Sahne zur Torte, die ja als Kalorien- und Fettbombe längst auch angstbelastet ist, wird nicht mehr akzeptiert. Befeuert wird das Ganze durch eine Art Zero-Immission-Ideologie, die kleinste Mengen gesundheitsgefährdender Stoffe zu höchsten Risiken erklärt – was ja angesichts der steigenden Lebenserwartung offenbar Unfug ist.

Aber mit der Angst lässt sich gut regieren. Gefahrenabwehr erlaubt jeden Eingriff – und wer sich dem widersetzt, gilt schnell als Asozialer, der bereit ist, Menschenleben zu gefährden. Natürlich immer ganz viele, damit das Stigma auf seiner Stirn auch deutlich genug zu erkennen ist. Es ist das Mantra der Volkserzieher aller Parteien.

Die Menschen in den westlichen Gesellschaften sind die freisten, reichsten und gesündesten Menschen, die jemals auf diesem Planeten lebten. Sie könnten sich daran machen, kühne Pläne für die Zukunft zu entwerfen und endlich dafür zu sorgen, dass ihre Mitmenschen in den anderen Gegenden der Welt an ihrem schon fast unverschämten Glück teilhaben können. Aber anstatt sich darüber Gedanken zu machen, lassen sich Menschen auf dem Höhepunkt ihrer Selbstbestimmung und ihres Wohlstandes so viel Ängste einreden, dass sie ihre Freiheit für angebliche Sicherheit und vermeintlichen Schutz aufgeben und sich einer Politik unterordnen, die nur noch eine Rechtfertigung für ihre Herrschaft zu kennen scheint: Die Angst der Beherrschten.

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Robin Patzwaldt
12 Jahre zuvor

Ein sehr interessantere Text, wie ich finde. Ganz folgen kann ich dir allerdings nicht. Es gibt schon genügend Entwicklungen in der Gesellschaft, die einem wirklich ‚Angst‘ machen können. Und zwar berechtigter Weise.

DH
DH
12 Jahre zuvor

Terror, Klimawandel, Gesundheitsrisiken, Armut, Facebook, das Internet… da fehlen noch zwei aktuelle Themen: Gentechnik und Kernkraft

Tom
Tom
12 Jahre zuvor

Stefan: Darf ich Deinem Video mal das Stück des von allen verehrten Herrn Ralph Christian Möbius dazuempfehlen:

Nansy
Nansy
12 Jahre zuvor

Je größer der Wohlstand, je gesicherter die Existenz, desto größer ist die Angst der Menschen vor dem Verlust der Sicherheit. Zur Beruhigung ist man offenbar auch bereit, die Freiheit scheibchenweise aufzugeben. Die Politik nutzt das für ihre Zwecke aus.
Umgekehrt ist in Entwicklungsländern, meiner Erfahrung nach, das Leben mehr vom hier und jetzt bestimmt und selbst die Armen können ihrem Leben positive Seiten abgewinnen.

Solwand
12 Jahre zuvor

Sehr gut geschriebener Artikel.
Das Werkzeug der Macht, die Angst, ist schon seit jeher ein wirkungsvolles Mittel um seine Leute hinter sich zu scharen, oder um von den wirklichen Problemen abzulenken.
Die Mächtigen bedienen sich dieses Instruments, weil es so schön funktioniert und sich die Massen dadurch besser steuern lassen.
Das wird sich auch nicht ändern, es sei denn, wir bekommen eine ehrliche und freie Gesellschaftsform.
Aber ich glaube das es in der Hölle eher zu schneien anfangen wird, bevor dies geschieht.

Thomas
12 Jahre zuvor

Der Sound dieses Essays klingt wie eine Replik Cohn-Bendits im Plasterstrand auf Horst-Eberhard Richters Thesen zu den Hochzeiten der Friedensbewegung bezgl. der German Angst. — (:

Interessanterweise ähnlich wie Dany seinerzeit im Trugschluß mündet:

>Das wird sich auch nicht ändern, es sei denn, wir bekommen eine ehrliche und freie Gesellschaftsform.

Denn da ist nichts zu bekommen, da ist nichts zu gewähren. Von wem oder was auch immer.

Da muß man schon selbst was tun. — (:

Nansy
Nansy
12 Jahre zuvor

Ja, ein guter Artikel. Und zur Ergänzung des Themas empfehle ich noch folgenden Beitrag:
„Deutschland – Land der Verbote“
https://www.novo-argumente.com/magazin.php/novo_notizen/artikel/0001070

Zitat: „Die Bürger eines der bisher freiheitlichsten Länder der Erde haben die Freiheit so satt, dass sie nach Entmündigung geradezu hungern.“

Arnold Voß
Arnold Voß
12 Jahre zuvor

Nicht alle, Nansy.

Ansonsten gilt: Der Mensch als solcher ist ängstlich*. Er unterscheidet sich nur dadurch, wie er mit dieser Lebenstatsache umgeht.

* Auch die, die behaupten sie wären es nicht.

Arnold Voss
12 Jahre zuvor

@ Thomas # 6

Stimmt. Und noch eins drauf: Wir werden nie eine ehrliche, geschweige denn freie, Gesellschaft bekommen, weil wir alle ängstlich sind und es nur bei wenigen dazu reicht, daraus Mut zu schöpfen.

Thomas
12 Jahre zuvor

@Arnold (#9):

Stimmt. q.e.d. — (:

Übrigens heißt es in einem von mir sehr geschätzten Dokument, das man im Kontext heranziehen kann: ‚Pursuit of Happiness‘. Demzufolge ist also mehr als *Streben* weder verbrieft, noch verbürgt. Noch möglich.

aristo
12 Jahre zuvor

Guter Artikel. Von 10 möglichen Punkten vergebe ich 8.

Nicht mit Angst, sondern mit der Idee einer besseren Zukunft. Willy Brandt wollte mehr Demokratie wagen, Helmut Kohl versprach blühende Landschaften in der grauen Ostzone. Die Zukunft, so das Versprechen, würde besser werden als die Gegenwart. Und dieses Versprechen wurde in den vergangenen Jahrzehnten weitgehend eingehalten. Die Lebenserwartung war noch nie so hoch, die Umwelt seit der Industrialisierung nie so intakt und der Osten ist deutlich wohlhabender als zur Zeit der Wiedervereinigung. Und ein demokratischeres, offeneres Land ist Deutschland auch geworden. Ganz nebenbei steigt seit Jahrzehnten die Lebenserwartung.

Die Lebenserwartung wurde von der rückläufigen Kindersterblichkeit geprägt und Kinderarmut ist im Osten deutlich häufiger als im Westen. Eine ganze Branche lebt von der Angst: Versicherungen Auf welchen Überlegungen die Behauptung fusst, das Deutschland ein demokratischeres und offeneres Land geworden sei, bleibt im Verborgenen. Ich behaupte mal glatt das Gegenteil. Freiheit(en), die man nicht nutzt, gehen verloren, wie ein Muskel der sich zurück bildet, wenn man ihn nicht benutzt.

Doch ausgerechnet in einer Zeit, in der es so wenig Gründe gibt, Angst zu haben wie heute, versucht die Politik uns diese einzureden.

Ich nenne mal ein paar Gründe. Altersarmut, sozialer Abstieg (Hartz IV), Arbeitslosigkeit, soziale Unruhen. Die Zahl der psychisch Erkrankten steigt seit Jahren, ebenso die Zahl der Erwerbs- bzw. Berufsunfähigen.
Ein ängstliches Volk ist einfacher zu manipulieren. Wer den Film Apocalypso gesehen hat, erinnert sich vielleicht noch an die Szene, in der der Vater seinem Sohn erklärt, das Angst haben Unfreiheit ist.

Thomas Wessel
Admin
12 Jahre zuvor

@ Stefan Laurin | Etwas kurzatmig, die These. Sowohl religionsgeschichtlich – Todesangst hat keine Religion erfunden, sondern reflektiert – als auch republikgeschichtlich, das kennen Sie doch alles: die Angst vorm Kommunismus, die war im Westen größer als die vorm Atom, die dann selber so endzeitlich wurde wie die vorm Waldsterben usw. Die Angst – Schröder hat sie später in Politik gegossen – als der erste Golfkrieg ausbrach und man hier die weißen Laken gehisst hat. Der RAF-Terror? Die Revolution? Die Rente? Was war mit dem Öl, das ausgeht? Dem Bergwerk, das schließt? Den Deutschen, die sterben? Sei es demographisch oder von „Asylanten“ geflutet?

Im Vergleich dazu ist das heute lau. Deshalb war auch das Geschäft mit der Angst vor der Angst früher erfolgreich: Vor 40 Jahren gab es ein Buch, das hieß „Angst im Kapitalismus“, war ein echter Bestseller und selten bescheuert. Der Typ, der es geschrieben hat, hatte einfach zu tief geschürft, heute leitet er „Heilungsbiotope“ über „Heilige Matrix und Holografie“. Kostprobe: „Die neue planetarische Gemeinschaft vollzieht einen fundamentalen Systemwechsel von der Matrix der Angst zur Matrix des Vertrauens.“ – Dann doch lieber die Angst.

Helmut Junge
Helmut Junge
12 Jahre zuvor

@Thomas Wessel (12) ,
persönliche Angsterlebnisse, wie beim jungen Luther? Mit der Konsequenz Mönch zu werden?
Pilgerfahrten oder Schenkungen Gelöbnisse, für den Fall der Rettung aus einer persönlichen Katastrophe?
Leider kenne ich mich nur gut im Christentum aus. Deshalb kommt diese Religion bei mir, etwas einseitig, besonders schlecht weg. Das ist leider so.
„Tut Buße“ war die Einleitung, der Paukenschlag quasi.
Die Anhänger Jesus haben, darauf aufbauend, dann umgekehrt versprochen, dass der Mensch eben keine Angst vor der Hölle haben müßte, wenn er ihrem Glauben beitrete.
Im Mittelalter aber gab es aber dann doch wieder die Hölle mit ihren furchtbaren Qualen, sogar in endloser Zeit. Der Teufel wurde wieder aus der Kiste hervorgekramt, der eigentlich von Jesus schon besiegt wurde, und wurde sogar als Gegenspieler Gottes gesehen. Ähnlich wie im Zoroastrismus wurde das Christentum zu einer dualistischen Religion, die auf Angst beruhte.
Heute ist der Teufel wieder drin, in der Kiste, kann aber von der Institution doch jederzeit wieder recycelt werden, wenn der Zeitgeist es ermöglichen und im Sinne dieser Institution, erfordern sollte.
Vom Christentum weiß ich, dass die Angst nicht zu allen Zeiten im Vordergrund stand, aber meistens, bzw. oft genug.

Des ungeachtet bin ich mit Ihnen aber in Ihren anderen, die weltliche Angst in unserer Zeit betreffend, einer Meinung.

Solwand
12 Jahre zuvor

@Thomas „Horst-Eberhard Richters Thesen zu den Hochzeiten der Friedensbewegung bezgl. der German Angst.“
Leider kenne ich seine Thesen zur Friedensbewegung noch nicht.

„Da muß man schon selbst was tun. — (:“
Im Rahmen der eigenen Möglichkeiten, dem stimme ich gerne zu.

So lautet doch auch eine Frage, welch eine Gesellschaftsform die Mehrheit will!
Will sie mehr Freiheit, dann muss sie auf ein mehr an Sicherheit verzichten, oder will sie stattdessen mehr Sicherheit auf Kosten von Freiheit?
Was der Staat will ist klar, darum bedient er sich dem Mittel der Angst.
Angst wiederum ist eine Reaktion auf eine irreale oder mögliche Bedrohung, die aber als sehr real empfunden wird.
Und Realität ist der Zustand in unserer Wahrnehmung, über den im allgemeinen ein Konsens besteht und worüber sich die Mehrheit einig ist. Folglich obliegt die Verantwortung bei den Medien eine Realität zu erzeugen, die den gesellschaftlichen Ansprüchen genügt und sich der „Wahrheit“ so gut es geht zu nähern versucht.

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