Als der Hamburger Sportverein (HSV) 2014 beschloss, seine Profifußballer in eine Aktiengesellschaft auszulagern, sorgte das bei vielen Fans für Unmut. Einige brachen mit dem HSV und gründeten ihren eigenen Verein: Der HFC Falke. Der Fußballclub könnte zum Vorbild für andere Fans werden.
Büffel, das ist der Spitzname von Marco Meyer und als „Büffel“ ist er auch in der Fanszene bekannt. Er war Hooligan und Ultra, gehörte zu den Gründern der „Chosen Few“ und seit seiner Kindheit schlug sein Herz für den HSV: „Ich war bei Heimspielen, ich war bei Auswärtsspielen, ich war Mitglied des HSV. Aber ich wollte, dass der HSV ein Sportverein bleibt – der auch eine Profifußballabteilung hat.“ Das sah die Mehrheit der HSV-Mitglieder anders. Ende Mai 2014 beschloss die Mitgliederversammlung des HSV die Profifußballer in die HSV Fußball AG auszulagern.
Der HSV war damals, anders als in dieser Saison, dem Abstieg knapp entgangen. 86,9 Prozent der 9242 stimmberechtigten Mitglieder hofften, dass durch die AG der HSV erst wirtschaftlich und dann auch sportlich erfolgreicher werden würde. „Das hat nicht geklappt“, sagt Meyer, „aber auch wenn der Plan aufgegangen wäre, wäre es nicht mehr mein HSV.“
Nach der Abstimmung zogen Meyer und andere Fans in ihre Stammkneipe, die Pandora Bar in Eimsbüttel. Traurig waren sie, enttäuscht und wütend und es floss Bier. Viel Bier. Aber zwischen all den Pilsen und Schnäpsen kam auch eine Idee auf: Einen eigenen Verein zu gründen, einen Fußballverein nach ihren Wünschen. „Am nächsten Morgen ging es fast allen von uns schlecht“, erinnert sich Büffel, „aber die Idee vom eigenen Verein war noch da. Also wurde telefoniert.“
Wenige Wochen später war es soweit: am 19. Juni 2014 gründete sich der HFC Falke. Schon der Name und die Vereinsfarben waren eine Hommage an den HSV: Drei Vereine gründeten 1919 den HSV: Der Hamburger FC von 1888 und FC Falke finden sich im Namen wieder, das Trikot erinnert an den SC Germania. Vieles, was die Fans störte, wird schon in der Satzung untersagt: Werbung auf Trikots zum Beispiel oder der Verkauf des Stadionnamens – auch wenn die Falken ein solches noch nicht besitzen und für Heimspiele das Rudi-Barth-Stadion von S.C. Union 03 in Altona-Nord anmieten. Das Stadion hat der Retro-Flair, das bei den Falken hoch im Kurs steht. Liebevoll wird der Platz auf der Homepage beschrieben:Die „traditionsreichen Anlage“ lasse mit ihrem „leicht morbiden aber dennoch gepflegten Charme das Herz eines jeden Fußballromantikers schneller schlagen“ . Der etwas tiefer gelegene Rasenplatz werde an allen vier Seiten von zehn Stufen eingefasst, die der kesselartigen Anlage einen echten Stadioncharakter verleihen, heißt es. „Und wir sprechen hier nicht von sterilen Betonfertigteilen aus dem Hause Hellmich, sondern über zum Teil schon etwas windschiefe, mit Sand und Granulat verfüllte Oldschool-Stehplätze.“
Wie wichtig den Falken die Tradition ist, zeigt auch das Motto des Vereins: „Dankbar rückwärts -mutig vorwärts“ verweist auf die Herkunft aus dem Lager der HSV-Fans, „Rechtsradikale wollen sie beim HFC Falke nicht sehen, mit ehemaligen Fans von Beitar Jerusalem, die mit den vielen rassistischen Fans ihres alten Clubs nichts mehr zu tun haben wollten und die mit „Beitar Nordia“ auch ihren eigenen Verein gegründet haben, sind die Falken befreundet.
Ein Jahr später starteten die Falken in der Hamburger Kreisklasse B. „Wir wollten ein ganz normaler Fußballverein sein“, sagt Büffel. „In irgendeiner Theken- oder Alternativliga zu spielen, war für uns nie eine Alternative.
Der Verein, der in der untersten Hamburger Liga antrat, bereitete sich professionell auf seine erste Saison vor. Ein erfahrener Trainer organisierte eine Spielersichtung. Mehrere Tage lang präsentierte sich über dutzende Bewerber um einen Platz in der Mannschaft. Bei Falke wollten viele dabei sein, nur wer gut war und in die Mannschaft passte, bekam eine Chance. Viele Spieler, die bereits in der Oberliga spielten, schlossen sich den Falken an. Und so startete der junge Verein mit einem starken Team – nicht nur auf dem Rasen, sondern auch hinter den Kulissen. Akribisch suchte man den Kontakt mit dem Hamburger Fußball-Verband (HFV), die ersten Spiele absolvierte man auf einem zugewiesenen Platz am Rand der Stadt und bis heute wird jeder Brief umgehend beantwortet. Längst nicht alle Vereine in den unteren Ligen werde so gut geführt wie die Falken.
Aber die unterscheiden sich nicht nur durch Spieler und Führung von den anderen Teams, sondern auch durch ihre Fans und den Erfolg. „Wir wurden schon“, sagt Meyer, „als Bayern München der Kreisliga bezeichnet“. Man merkt, dass dieser Vergleich ihm nicht nur glücklich macht. Aber wie Bayern ist Falke nicht nur dank seiner Mitglieder kein armer Verein, er bringt auch mehr Fans mit als andere Kreis- oder Bezirksligisten. Wenn sonst ein paar Rentner und Familienangehörige dem Treiben auf dem Platz folgen, besuchen über 200 Fans die Spiele der Falken. Als der Verein im vergangenen Jahr zum zweiten Mal Meister seiner Klasse wurde und aus der Kreisliga in die Bezirksliga aufstieg, verfolgten über 1300 Zuschauer das letzte Spiel der Falken gegen die zweite Mannschaft von Altona 93. Für die achte Liga war das ein Zuschauerrekord.
Die vielen Fans zeigen dem Verein, das man auf dem richtigen Weg ist. Und Meyer sagt, dass der Verein sich viel Mühe gibt, gegenüber den anderen Mannschaften kollegial zu sein: „Wenn ein Club durch unsere Zuschauerzahlen überfordert ist, übernehmen wir schon einmal den Ordnungsdienst.“ Die meisten würden sich aber freuen, wenn die Falken kämen, denn dann würden sie nicht nur mehr Eintritskarten verkaufen, sondern auch mehr Bier und Würstchen als an anderen Spieltagen. „Es gibt nur ganz wenige Vereine, die auf uns keine Lust haben und sagen: „Mehr als fünf Bier stellen wir nicht kalt. Egal wer da kommt, das haben wir noch nie gemacht.““
In diesem Jahr klappte es zum ersten Mal nicht mit dem Aufstieg. Mindestens ein weiteres Jahr werden die Falken in der Bezirksliga Nord spielen. In der Tabelle stehen sie klar hinter Eintracht Lokstedt und dem Eimsbütteler TV auf dem dritten Platz. Bedauerlich, aber kein Drama. Der Verein wird trotzdem weiter ausgebaut. Eine zweite Herrenmannschaft spielt in der Kreisklasse 6, eine Jugendabteilung wird aufgebaut. „Wenn alles gut läuft, bilden wir künftig unseren Nachwuchs selbst aus, so wie es jeder richtige Fußballverein auch tun sollte“, sagt Meyer. An dem langfristigen Ziel der Falken dem Aufstieg in die Oberliga, halte man fest. Die Vereinsgründung der Falken hat für Aufmerksamkeit in der Fanszene gesorgt. Auch bei anderen Clubs gibt es viele Anhänger, die mit einer Ausgliederung der Profis aus dem Verein nicht einverstanden sind. Traditionalisten, die sich überlegen, es den Hamburgern gleich zu tun und einen eigenen Club zu gründen. Fans viele Vereine schauten deshalb bei den Falken vorbei und erkundigten sich, wie man das macht, einen Fußballverein gründen. Ganz besonders groß, sagt Büffel-Meyer, sei das Interesse bei den Schalke-Fans gewesen.
Und die Liebe zum HSV? Die sei erkaltet. „Ich gehe zwar ab und an noch ins Stadion, aber es ist nicht mehr die Begeisterung von früher. Der HSV ist wie eine ehemalige Partnerin: Ich wünsche ihr viel Glück und alles Gute, aber die alte Liebe ist einfach nicht mehr da.“ Die gehöre jetzt den Falken.
Der Artikel erschien in ähnlicher Form bereits in der Jungle World
Schöner Artikel. Romantik am Sonntag.
Sehr schöner Artikel. Liebe kennt keine Liga. Ich glaube, dass immer mehr Leute den Lärm des Mainstreams für sich als irrelevant betrachten und ihr eigenes Ding machen. Die Technik gibt es heute her, trotzdem in Kontakt und informiert zu sein. Die auf vier Tage hingezogenen Spieltage und die 3. Liga usw. sind auch echt nicht cool. Man muss nicht alles toll finden, was im Fernsehen kommt. Gutes Beispiel hier.