Die Hoffnung, der islamische Religionsunterricht würde vor Radikalisierung schützen, hat sich nicht erfüllt.
Die grüne Bundestagsabgeordnete Lamya Kaddor dürfte die bekannteste Lehrerin für islamischen Religionsunterricht in Deutschland sein. Als das Fach noch Islamkunde hieß, der Islamische Religionsunterricht wurde an nordrhein-westfälischen Schulen erst 2011 eingeführt, arbeitete sie ab 2003 an einer Grund- und einer Hauptschule im Dinslakener Stadtteil Lohberg. „Inzwischen muss ich in den letzten zwölf Jahren weit mehr als 1000 Schülerinnen und Schüler muslimischen Glaubens unterrichtet haben“, schreibt Kaddor in ihrem 2015 erschienenen Buch „Zum Töten bereit: Warum deutsche Jugendliche in den Dschihad ziehen.“ Anlass für das Buch waren 25 Jugendliche aus dem Stadtteil, die sich dem Islamischen Staat angeschlossen hatten und als „Brigade Lohberg“ nach Syrien in den Krieg zogen. Fünf von ihnen waren ehemalige Schüler Kaddors. Der Islam habe ein großes Friedenspotenzial, schreibt Kaddor in dem Buch und glaubt trotz der eigenen Erfahrung, „dass ein religiös gebildeter Jugendlicher den Salafisten nicht so einfach in die Hände fallen würde.“
Neun Jahre später ist der Islamunterricht an nordrhein-westfälischen Schulen Alltag. Nach Angaben des Schulministeriums werden an 234 Schulen 26.020 Kinder und Jugendliche in dem Fach unterrichtet. 2013 waren es nicht einmal 2.000.
Doch das Fach, seine Lehrer und Studenten sorgen immer wieder für Diskussionen. Im Frühjahr sorgte eine Studie der Universität Münster für Aufmerksamkeit, nach der von den 252 Studenten an elf Hochschulen sich über die Hälfte von der DITIB oder Milli Görüş vertreten fühlen. 55,9 % der Befragten glauben, dass der Westen für die schlechten Bedingungen in vielen islamischen Ländern verantwortlich ist und alles daran setzt, den Islam daran zu hindern, wieder zu einer Hochkultur zu werden. Fast die Hälfte (47,2 %) ist der Ansicht, dass der Staat Israel kein Existenzrecht hat. 37,3 % betrachten Juden als ihre Feinde. Erst im November wurde ein Wuppertaler Islamlehrer kurz nach seiner Verbeamtung vom Dienst suspendiert, nachdem er sich in einer WDR-Reportage islamistisch geäußert hatte und stolz von seinen Kontakten zur mittlerweile geschlossenen Blauen Moschee in Hamburg berichtet hatte. Vor dem WDR-Bericht wusste weder ein Dienstherr noch seine Kolleg en nichts von seinen radikalen religiösen Einstellungen.
Oliver ist Lehrer an einem Gymnasium im Bergischen Land zwischen dem Ruhrgebiet und Köln. Seinen richtigen Namen möchte er nicht in der Zeitung lesen. Seiner Erfahrung nach hat der islamische Religionsunterricht gleich mehrere Probleme: „Der Wunsch, dass der bekenntnisorientierte islamische Religionsunterricht einen Beitrag dazu leistet, Radikalisierung zu verhindern, ist nicht in Erfüllung gegangen. Fallen muslimische Kinder durch religiösen Extremismus auf, gibt es meiner Ansicht nach keine Unterschiede zwischen Schülern, die an einem solchen Unterricht teilgenommen haben, und denen, die es nicht taten.“ Man müsse sich auch klar machen, welche Voraussetzungen die Lehrer erfüllen müssen, um eine Lehrerlaubnis zu erhalten. Ein erfolgreich absolviertes Studium würde nicht reichen, sie alle müssten eine Idschāza haben, eine Beauftragung zur Erteilung des islamischen Religionsunterrichts an Schulen. „Um die zu erhalten, müssen sie sich zum Beispiel in ihrem Alltag an Grundsätze des Islams halten, brauchen die Bescheinigung einer Moscheegemeinde, dass sie an deren Gemeindeleben teilnehmen, und müssen sich verpflichten, mit einer Gemeinde zusammenzuarbeiten.“ Wenn man bedenke, dass der allergrößte Teil der Moscheen in Deutschland von islamistischen und zum Teil offen radikalen Gruppen wie der DITIB, der ATIB, dem Verband der Grauen Wölfe oder Milli Görüş nahe stehen, sei allein das ein großes Problem. Er weiß von türkischstämmigen Lehrkräften an deutschen Schulen, die selbst den Grauen Wölfen nahestehen. Vielen islamistisch orientierten Eltern sei der Religionsunterricht an der Schule hingegen nicht streng genug: „Für die zählt nur, was die Kinder in der Moschee hören.“
Besser als bekenntnisorientierter Religionsunterricht sei ein Fach, das religionswissenschaftlich ausgerichtet sei: „Es wäre wichtig, wenn Kinder und Jugendliche auch etwas über andere Religionen lernen. Das fördert viel eher Toleranz als ein dogmatischer Unterricht, dessen Ziel es sei, eine Religion zu vermitteln.“
CDU und Grüne stehen trotz allem hinter dem islamischen Religionsunterricht: „Viele muslimische Eltern wollen den islamischen Religionsunterricht“, sagt Claudia Schlottmann, schulpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion im Düsseldorfer Landtag auf Anfrage: „Eine regelmäßige Evaluation ist uns hier besonders wichtig. Der Islamische Religionsunterricht in Nordrhein-Westfalen ist wie alle Fächer an die Grundprinzipien der Demokratie gebunden.“ Arne Lieb, Sprecher der Fraktion der Grünen, die zusammen mit der Union in NRW regieren, sagt: „Wir befürworten den islamischen Religionsunterricht, weil er einen wichtigen Beitrag zur Integration und Gleichberechtigung muslimischen Lebens in Deutschland leistet.“ Um islamistischen Indoktrinationen entgegenzuwirken, setze man auf eine unabhängige Gestaltung des islamischen Religionsunterrichts, die fest in den Grundwerten des demokratischen Rechtsstaats verankert ist.
Während die SPD nicht auf die Anfrage reagierte, äußerte sich die FDP kritisch. Sie fordert die Abschaffung des islamischen Religionsunterrichts und setzt sich stattdessen für die Einführung eines verpflichtenden Ethikunterrichts ein, der allen Schülern unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit zugänglich ist. „Die Entscheidung der schwarz-grünen Landesregierung, den Islamischen Religionsunterricht ohne Evaluation und trotz starker Kritik bis zum 31. Juli 2031 zu verlängern, sehen wir als einen massiven Rückschritt für eine transparente und gerechte Bildungspolitik.“
Der islamische Religionsunterricht in seiner derzeitigen Form könne ein Einfallstor für extremistische Ideologien sein.
Der Artikel erschien in ähnlicher Form bereits in der Jungle World.