Hinter den Kulissen der Deutschen Oper am Rhein – Einblicke mit Julia Schinke

Dramaturgin Julia Schinke in der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf, Foto: Anna Maria Loffredo

Die Deutsche Oper am Rhein, eine Theatergemeinschaft der Städte Düsseldorf und Duisburg, ist kulturelles Zentrum im Rhein-Ruhr-Gebiet, in dem nicht nur getanzt, gesungen und musiziert wird. Hinter den Kulissen arbeitet ein engagiertes Team, um Produktionen, wie aktuell das Ballett „Krabat“ nach dem gleichnamigen Jugendbuch von Otfried Preußler, zum Leben zu erwecken. Eine Schlüsselfigur in diesem kreativen Prozess ist die Dramaturgin Julia Schinke, die seit der Spielzeit 2022/23 für das Ballett am Rhein tätig ist. In einem Kurzinterview beschreibt Julia Schinke, wie das vielfältige Repertoire am Rhein, aber speziell das Stück Krabat sie herausfordert und ihre dramaturgische Arbeit bereichert.

 

Anna Maria Loffredo: Wie bitte könnte ich Grundschulkindern erklären, was du beruflich machst?

Julia Schinke: Das ist eine schwierige Frage. Die erste Antwort ist immer, jeder Dramaturg, jede Dramaturgin macht eigentlich immer ein bisschen was anderes. Das liegt daran, dass jedes Haus ein bisschen anders strukturiert ist. Ich bin aber vor allem für jede Formvon Texten zuständig, die das Publikum liest, ob das ein Programmheft ist, ob das auf der Website ist. Immer wenn es um Inhalte geht, beschreibe ich diese. Ich bin sozusagen das Bindeglied zwischen der Außen- und Innenwelt der Choreografen.

Anna Maria Loffredo: Könntest du dir trotzdem vorstellen, dass das Stück „Krabat“ ein bisschen sperrig für Zuschauer ist?

Julia Schinke: Die Erfahrung zeigt bislang, dass Krabat relativ zugänglich ist, weil es viel Pantomime oder schauspielerische Elemente hat. Manche der Bilder, die auch musikalisch präsent sind, sind sehr eindeutig. Plus, es ist ein Handlungsballett, was meist leichter als ein ganz abstraktes Ballett ist. Hier kann man erstmal einer Geschichte folgen. Es sind viele große Bilder, die emotional was auslösen. Und das ist ja das Schöne an Tanz, dass wir durch direkte Emotionen ganz viel machen können, dass man keinen Text hat, den man verstehen muss, wie aus dem Italienischen bei einer Oper. Wenn man das zulässt, kann man viel mitnehmen.

Demis Volpi „Krabat“: Márcio Mota (Krabat), Olgert Collaku, Edvin Somai, Kauan Soares, Joao Miranda (Gesellen), Foto: Daniel Senzek

Anna Maria Loffredo: Wie bist du denn zum Tanz gekommen? Ich habe mir kurz deine Vita angeschaut und da steht jetzt nicht, du hast Tanzwissenschaften studiert.

Julia Schinke: Ich habe ganz lange selbst Ballett getanzt, dann Jazz unterrichtet und habe Musikwissenschaft studiert. Und in diesem Musikwissenschaftsstudium ist mir der Beruf der Dramaturgin auch erstmals begegnet. Also das ist nichts, was man machen möchte, wenn man schon ein kleines Kind ist, weil man es eben gar nicht weiß und ehrlich gesagt, viele am Theater wissen auch nicht, was Dramaturginnen alles machen. Also neben allem, was schriftlich passiert, habe ich eine umfassende Kommunikationsaufgabe. Das heißt, ich gebe Feedback, z.B. an die Choreografin. Wenn ein neues Stück entsteht, bin ich schon mit dabei. Wenn wir z.B. einen Stoff wie Krabat auswählen, dann überlegt man gemeinsam. Man sagt über Dramaturginnen, sie seien der erste Zuschauer oder erste Zuschauerin.

Anna Maria Loffredo: Das gefällt mir. Das ist im Grunde eine interne „critical friend view“, die ich mir in einem anderen Haus zuletzt gewünscht hätte. Ich war im November in der Berliner Staatsoper bei Romeo und Julia, allein das Bühnenbild hat mich so schwer geärgert, wie man mit all den Möglichkeiten einer Staatsoper ausgerechnet sowas auf die Bühne bringt. Im Gegensatz dazu ist bei Krabat das Bühnenbild [von Katharina Schlipf] natürlich ein Kracher. Keep it simple but make it boom.

Julia Schinke: Ja genau. Man kann natürlich immer nur bis zu einem gewissen Anteil Einfluss nehmen. Inzwischen gibt es an allen Häusern auch Dramaturginnen für Tanz. Choreografen arbeiten dabei recht unterschiedlich mit Dramaturginnen zusammen. Jemand, der zwar Verständnis für die Kunst hat, aber nicht Künstler in dem Prozess ist, ist wichtig, um eine andere Perspektive zu bekommen.

Anna Maria Loffredo: Wie habt ihr euch gefunden? Weil das ist natürlich auch eine Art von Intimität, die ich zulassen muss, dass ich dir vertraue, dass ich das annehme. Diese Fähigkeit ist nicht unbedingt menschlich gegeben, vor allem nicht in beruflichen Kontexten, dass diese Spiegelung angenommen wird.

Julia Schinke: Ich habe mich beworben, nachdem ich Demis Volpi, der jetzt aber in Hamburg ist, kennengelernt habe. Mit der Chefdramaturgin Anna Melcher sind wir fünf Dramaturginnen. Ich mache nur Ballett, zwei weitere machen nur Oper und eine Kollegin macht Oper und Ballett ein bisschen. Zwischen uns passte es menschlich gut. Es menschelt ja bekanntlich viel am Theater. Dann wiederum ist es, ehrlich gesagt, jedes Mal, wenn eine Produktion startet, wieder genau die Aufgabe, den anderen so kennenzulernen, dass man immer die nötige Vertrauensbasis aufbaut. Manchmal klappt es besser, manchmal merkt man auch, man kommt nicht ganz zusammen.

Anna Maria Loffredo: Wie kriegst du das hin? Es geht schließlich um die Königsdisziplin in künstlerischen Prozessen, aber auch in jedem anderen beruflichen Umfeld. Ich habe an der Uni gearbeitet, bin jetzt in der Politik tätig, dieses Menscheln und die Eitelkeiten sind mir nicht unbekannt, bis man erst mal wirklich zur Sache kommt und sagt „come on, let’s talk straight“.

Julia Schinke: „Talk straight“, sprich Kommunikation von Anfang an, ist genau das. Also jedes Mal, wenn ich jemanden neu kennenlerne, sehe ich es als meinen Job an zu signalisieren: Ich bin hier, sag du mir, was du von mir brauchst und ich bin bereit, es dir zu geben. Ich werde Feedback geben. Manchmal ist es unangenehm und gleichzeitig merkt man manchmal, man sagt was und die andere Seite sagt sofort, was soll das, das will ich alles nicht. Am nächsten Tag ist es schon anders. Eine gute Balance finden, aus der man sich traut zu sagen, was man sieht, und man vertraut selbst auch auf die eigene Meinung und das Gefühl, was man dafür hat. Gleichzeitig darf man es nicht überstrapazieren, weil man ja immer noch gehört werden möchte.

Anna Maria Loffredo: Du sagst, du produzierst Texte, du rezipierst auch Texte, um die Wahrnehmung von Außen und Innen zu spiegeln. Was passiert, wenn ich eine verheerende Kritik über Krabat schreibe, was macht das mit dir für deinen Job?

Julia Schink: Kritik hört man sich immer an. Gleichzeitig bin ich zufrieden. Oder anders gesagt: Durch diesen langen Prozess, der meist ein Jahr vor der Aufführung startet, zu überlegen, wie gehen wir mit dem Stoff um und was machen wir. Dann arbeitet man am Bühnenbildentwurf. Man weiß, wenn das Stück zur Premiere kommt, sehr genau, wo die Schwächen liegen. Die gibt es immer wieder in Stücken. Es gibt manchmal Stücke, da hätte ich noch Dinge verändert. Und gleichzeitig gibt es Stücke, da finde ich es genauso, wie es ist, richtig. Und dafür machen wir in gewisser Weise Kunst. Nicht immer, um am Ende ein perfektes Ergebnis zu haben, sondern um Dinge auszuprobieren.

Anna Maria Loffredo: Ihr verändert wirklich Dinge mitten im Prozess, weil das Stück ist ja schon älter, Demis Volpi hat es 2013 damals in seiner Stuttgarter Zeit das erste Mal gezeigt?

Demis Volpi „Krabat“: Damián Torio (Der Meister), Ensemble Ballett am Rhein, Foto: Daniel Senzek

Julia Schinke: Klar, man feilt eher an Feinheiten, an Kleinigkeiten, an manchen Menschbeziehungen oder dass man überlegt, muss irgendwas ein bisschen kürzer oder schneller passieren. Oder wenn jemand anderes die Rolle tanzt, verändert sich das natürlich auch, kleine Eingriffe in Kostüme. Es sind auch Fragen zu Gender oder ethnischen Fragen, die in den letzten 20 Jahren weniger eine Rolle gespielt haben.

Anna Maria Loffredo: Mir ist sofort aufgefallen, dass Demis Volpi es in Eurem Interview im Programmheft anspricht, das sich der junge Krabat auch in einen der Gesellen verlieben könne. Muss das so sein, dass man Queerness genau im Woke Peak auch noch im Ballett bedient?

Julia Schinke: Unterschiedliche Perspektiven in einer Geschichte zeigen wir beispielsweise in  Aschenputtel  von Bridget Breiner in Duisburg, aber aus der Perspektive der Stiefschwester, dadurch vielleicht etwas zu entdecken, was man in der klassischen Erzählung nicht entdeckt hätte.

Anna Maria Loffredo: Es geht also vielmehr um einen Perspektivwechsel. Du stammst aus dem Süden, richtig? Wie gefällt dir das Rheinland?

Julia Schinke: [lacht] Ja, ich bin Münchnerin und in der Tat ist das Rheinland, aber auch der Standort Duisburg, so wie man darüber sagt, wahnsinnig herzlich.

Anna Maria Loffredo: [lacht nun auch zufrieden] Vielen Dank für Deine Zeit, Julia!

Julia Schinke: Gerne, und gern bis zum nächsten Mal in unserem Haus.

[Besonderer Dank geht an Monika Doll in der Pressestelle der Oper am Rhein für die Organisation des Gesprächs.]

 

 

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