Natürlich mache ich mir Sorgen wegen des kommenden Winters. Mit Hitze habe ich kein Problem, aber mit Kälte sieht das ganz anders aus: Ich hasse es, zu frieren und der Winter ist für mich die schlimmste Zeit des Jahres. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass die Menschen in diesem Land ruhig in ihren Wohnungen sitzen bleiben, wenn Heizung oder Strom ausfallen. Oder wenn sie Angst um ihre Jobs haben, weil die Industrie aus Strommangel ihre Produktion herunterfahren muss oder in Deutschland hergestellte Produkte auf dem Weltmarkt so teuer werden, dass sie niemand mehr kauft. Dieses Land lebt vom Export, nicht von der Betroffenheitswirtschaft. Das haben leider viele vergessen. Die Berliner Soziologin Sabine Hark brachte vor ein paar Jahren einmal einen Streik der Gender-Wissenschaften ins Spiel. Auch wenn der sich über Jahrzehnte hinziehen würde, wäre er vollkommen bedeutungslos für unseren Alltag. Verkauft jedoch VW keine Autos mehr, steht die Produktion bei Bayer still und will niemand mehr die Maschinen aus dem Sauerland haben, wird es ernst.
Der nächste Winter könnte hart werden und kaum jemand von uns kann sich vorstellen, was das bedeuten könnte. Wir müssen da jetzt durch. Es ist Krieg, jeder Euro, der an Russland geht, ist ein Euro für den Feind. Es geht darum, den Westen zu verteidigen, die Freiheit und dafür ist kein Preis zu hoch. Ich wünsche mir, dass die Rüstungsproduktion hochgefahren wird und wenn die Konsequenz für mich Einschränkungen bedeutet, dann ist das nun einmal so. Alles, was uns im Winter erwartet, ist nichts im Vergleich zu dem, was die Ukrainer erleiden.
Was ich aber gerne hätte, wäre eine Perspektive für die Zeit nach dem Krieg, nach diesem Winter, das Wissen, dass es irgendwann wieder besser wird, aufwärts geht.
Nur daran glaube ich nicht. Und das ist für mich ganz persönlich das wesentlich größere Problem, denn es wird nicht mit steigenden Temperaturen im kommenden Frühling erledigt sein. In den vergangenen Jahrzehnten haben sich Deutschland und Europa in eine Sackgasse manövriert und ich sehe nicht den Willen, da wieder herauszukommen.
Seit den 70er Jahren werden Wirtschaftswachstum und technologischer Fortschritt systematisch denunziert. Verzicht und Sparsamkeit, nicht Wohlstand für alle sind zum Ideal geworden. Wir nutzen nicht alle technischen Möglichkeiten, preiswert Energie zu erzeugen, was durchaus auch mit weniger oder ohne CO2 ginge. Wir haben die Digitalisierung und die Gentechnik nicht nur verschlafen, wir haben sie abgelehnt. Europa ist kein Kontinent der Innovationen mehr, sondern einer, der davon träumt, die Regeln für den Rest der Welt festzulegen: Ob Datenschutz oder Green New Deal – auch weil man selbst erfolglos ist, will man den anderen vorschreiben, wie sie zu wirtschaften und zu forschen haben. Glaubt jemand wirklich, dass alte Hochkulturen wie China oder Indien bereitwillig übernehmen, was in Brüssel und Berlin gedacht, gesagt und gemacht wird? Dass die aufstiegswilligen Länder Afrikas sich an den Wiedergängern von Fridays for Future im Europaparlament orientieren?
Wohlstand und Demokratie hängen zusammen. Und Wohlstand muss erarbeitet werden. Der Teil Europas, der nördlich der Alpen liegt, war in der Geschichte nur in den vergangenen Jahrhunderten wohlhabend und halbwegs technisch fortschrittlich. Das Mittelmeer, China und Indien sind seit Jahrtausenden die Boom-Regionen. Hier wurden Mathematik, Philosophie und die Naturwissenschaften entwickelt. In Schweden vergrub man in jenen Zeiten angegammelten Fisch im Wald und in Deutschland lebte man zur gleichen Zeit mit Schweinen und Ziegen unter einem Dach im Langhaus.
Wir haben aber nicht nur damit aufgehört, die Technologien zu entwickeln, die Wohlstand ermöglichen, sondern den Wohlstand als Ziel denunziert. Die Postwachstumsideologie hat Schneisen der Verwüstung in den Realitätssinn vieler Menschen geschlagen. Sollte Europa verarmen, steht nicht nur das nächste iPhone auf dem Spiel, sondern die offene und freie Gesellschaft. Das mag weder den hysterischen Bürgerkindern, die sich auf Straßen festkleben, noch den Beamten in den öffentlich-rechtlichen Anstalten bewusst sein. Aber massive Wohlstandsverluste, ohne dass die Menschen den Glauben haben, dass es bald bessere Zeiten geben wird, sind toxisch und stärken die Feinde der Demokratie. Kein Wunder, dass sich heute schon AfD und Linkspartei für den kalten Winter warmlaufen.
Den wird es geben, durch ihn müssen wir durch. Aber eine verantwortungsvolle Politik würde glaubhaft machen, dass wir danach auf den Pfad von Wachstum und Fortschritt zurückkehren und aus den Fehlern gelernt haben. Leider sehe ich eine solche Politik nicht. Und das macht mir wirklich Sorgen.
„Wachstum und Fortschritt“ – auch die Grünen sind dafür. Bitte keine falschen Fronten aufbauen und gegendenunzieren. Verantwortungsvolle Politik führt insbesondere zu einer ausgeglichenen Ökobilanz – welche Indien im Übrigen derzeit noch hat.
@H.W.
Meinen Sie, unter W&F verstehen die Grünen dasselbe wie dies Herr Laurin ?