Hokusais Welle am Rhein: Manga-Expertin Jaqueline Berndt im Gespräch

Katsushika Hokusai: Hokusai Manga, 10, 1819 © UNSODO. Inc

Japanismus traf auf eine Welle der Begeisterung in der europäischen Kunst. Impressionisten entdeckten den japanischen Künstler Katsushika Hokusai auf der Weltausstellung in Paris 1867 für sich. Jede kleine Seerose Monets atmet den Geist fernöstlicher Ästhetik. Auch heute entdeckt man Inspirationen durch japanische Drucke in der Populärkultur. Werbung, Mode, sogar Umweltverbände schmücken sich mit dem wohl berühmtesten Motiv. Die Welle von Hokusai gilt als zeitlose Ikone erhabener Schönheit. Das Japanische Kulturinstitut Köln zeigt dem Pionier der modernen Druckkunst zu Ehren die Wanderausstellung „Manga Hokusai Manga“, die unter der Leitung von Jaqueline Berndt konzipiert wurde. Sie hat an verschiedenen Universitäten in Japan, Deutschland, Singapur und Schweden gelehrt. Warum Hokusai nicht nur eine Erzählung über die bloße Gewalt der Natur, sondern auch über die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens in Hokusais Arbeiten vergegenwärtigt, das erklärt die Manga-Expertin im Gespräch.

 

Anna Maria Loffredo: Jaqueline Berndt, wer bist Du? Was machst Du?

Jaqueline Berndt: Mein Zuhause sehe ich in den Comics Studien. Mein Geld verdiene ich mit einer Professur für japanische Kultur an der Universität Stockholm.

Anna Maria Loffredo: Am 4. Oktober bist Du in Köln.

Jaqueline Berndt: Ja, weil die Ausstellung „Manga Hokusai Manga“, die ich für die Japan Foundation konzipiert habe, eröffnet wird. Die erste Station war 2016 das japanische Kulturzentrum in Rom. Geplant war eine World Traveling Exhibition für zehn Jahre. Dabei sollten weniger Originale als Drucke bzw. Reproduktionen auf Panelen zum Einsatz kommen, um sie an unterschiedlichen Orten zeigen zu können. In Spanien war sie noch nicht, in Schweden auch nicht.

Anna Maria Loffredo: Was nicht ist, kann ja noch werden. 2016 hast du die Ausstellung konzipiert und wir haben 2024 – two more years to go.

Jaqueline Berndt: Langsam müssten die Panele ein bisschen schmutzig aussehen [lacht]. Ich bin gespannt auf Freitag. Ich freue mich, dass das Japanische Kulturinstitut in Köln die Initiative ergriffen hat, die Ausstellung nach Deutschland zu holen.

Jaqueline Berndt bei einem Manga-Vortrag, Foto: privat.

Anna Maria Loffredo: Mit Hokusai hast du einen Evergreen ausgewählt. Er war 2016 aktuell, er ist 2024 aktuell. Man sieht es beispielsweise an der Alltags- und Popkultur, Fashionbrands wie Uniqlo oder H&M verkaufen …

Jaqueline Berndt: Die große Welle. Sie ist ein Icon und weltweit rezipiert. Ich kann mich noch erinnern, wir hatten 2018 anlässlich 150 Jahre diplomatischer Beziehungen in Stockholm eine Ausstellung mit Hokusais Illustrationen für längere Erzählungen in Buchform, schwarz-weiß, also viel näher an Comics, an Manga als die berühmten Farbholzschnitte, wie zum Beispiel die Einzelblätter aus der Serie „36 Ansichten des Fuji“ zu der „Die große Welle“ von Kanagawa gehört.

Anna Maria Loffredo: Bei Hokusai kommt das Publikum quasi von allein oder wie hilft man da nach?

Jaqueline Berndt: Das Poster für die Stockholmer Ausstellung zeigte die große Welle, was mit den zentralen Exponaten gar nichts zu tun hatte, aber die Leute anzog.

Anna Maria Loffredo: Hokusai läuft fast überall, letztes Jahr im Museum of Fine Arts Boston, dieses Jahr in Leiden.

Jaqueline Berndt: Hokusai ist in den letzten Jahren sehr populär gewesen, auch kunsthistorisch. Wir hatten die große Ausstellungen in Berlin, in Paris, jetzt war noch eine in London. Und bei jeder Überblicksausstellung von Hokusai in den letzten zehn findest du im Katalog das Wort „Manga“ irgendwo, offenbar um junge Leute anzuziehen. Aber die „Hokusai Manga“ haben natürlich nicht viel mit den gegenwärtigen Comics zu tun.

Anna Maria Loffredo: Wie schafft ihr dann die Brücke zwischen Hokusai damals und Manga heute?

Sawa Sakura, Portrait of Hokusai 2015 © Sawa Sakura

Jaqueline Berndt: Der Titel unserer Ausstellung lautet „Manga Hokusai Manga“: Zwei Arten von Manga rahmen Hokusai. Sein Werk heißt „Hokusai Manga“ und wir haben noch einmal Manga davor gestellt. Denn die zentrale Idee unserer Ausstellung ist, von unserer gegenwärtigen Erfahrung japanischer Comics auszugehen und von dort aus zurückzuschauen statt chronologisch vorzugehen, also nicht einfach zu unterstellen, dass die „Hokusai Manga“ der Ursprung gegenwärtiger Manga seien. Wir schlagen dem Publikum vor, Unterschiede und Ähnlichkeiten zu entdecken, ohne einen bestimmten Blick vorzuschreiben.

Anna Maria Loffredo: Die letzte Ausstellung, die ich von dir gesehen habe, war im Museum Rietberg in Zürich. Da fand ich den kleinen partizipativen Bühnenaufbau schön, um selbst eine Comicfigur inmitten einer Szene werden zu können.

Jaqueline Berndt: Ja, 2015, als wir die „Manga Hokusai Manga“-Ausstellung für die Japan Foundation entworfen haben, stand nicht zur Debatte, spielerische Elemente aufzugreifen. Anhand bildlicher Materialien haben wir versucht, einen Dialog zwischen den Generationen anzuregen: zwischen Besuchern, die sich durch die alten Holzschnitte angesprochen fühlen, und denjenigen, die mit gegenwärtigen Manga-Comics vertraut sind.

Anna Maria Loffredo: Wie kann ich mir den konkreten Aufbau der Ausstellung vorstellen?

Jaqueline Berndt: Im ersten Kapitel präsentieren wir Hokusai als Character, also als Figur in Mangaerzählungen, und zwar im vollen Spektrum japanischer Genres, d.h., von der eher realistischen, historischen Darstellung bis hin zu Boys‘ Love. Da haben wir mit zeitgenössischen Porträts Hokusai konfrontiert. Danach lenken wir die Aufmerksamkeit auf Erkennungsmerkmale von Comics: das Erzählen in Bildsequenzen, oder genauer Panel-Layouts, sowie Bewegungslinien, Sprechblasen und Sound Words. Die Ausschnitte aus den Hokusai Manga zeigen, dass es dort nicht um Erzählerisches und Sequenzielles ging. Formal gibt es eigentlich kaum Ähnlichkeiten mit heutigen Comics. Schließlich waren die Hokusai Manga ein Vorlagenbuch zum Kopieren. Und Kopieren ist genau das Stichwort für den letzten Teil. Denn wenn wir Ähnlichkeiten zwischen der heutigen und der damaligen Manga-Kultur entdecken wollen, dann wohl am ehesten in der Vielzahl von Amateuren, die selber gerne zeichnen und die kopieren, um beliebte Motive untereinander zu teilen.

Anna Maria Loffredo: Kann man das wie eine Kluft zwischen Dilettantismus und dem Künstler als Genie verstehen, ein zentrales Thema der Kunstgeschichte?

Jaqueline Berndt: Die Hokusai Manga wurden Bestseller, weil es so viele Interessenten in Japan gab, die einfach nachzeichnen und kopieren wollten, nicht um als originell herauszustechen, sondern um ein bestimmtes Reservoir an Bildern und Motiven zu teilen. Genau das findest du in der heutigen Fankultur wieder. Aus der Außenperspective finden manche, dass das was die Fans da machen, alles gleich aussieht, bar jeglicher zeichnerischer Originalität.

Anna Maria Loffredo: Gibt es ein Lieblingsbild von dir in der Ausstellung abseits der bekannten Welle?

Jaqueline Berndt: Im letzten Teil haben wir sechs japanische Zeichnerinnen und Zeichner gefragt, ob sie uns ein Original für die Ausstellung machen können. Da sind drei Kurzgeschichten illustrationsartig entstanden, jeweils acht Seiten und drei Einzelsachen. Und was ich natürlich am spannendsten finde von den Arbeiten, ist die Kurzgeschichte von Okadaya Tetsuzoh, und zwar ganz realistisch gezeichnet.

Es sind die Minuten vor Hokusais Tod. Er sitzt mit seiner Tochter da, zeichnet und ist schon fast blind und sagt, er will eigentlich nicht sterben, weil er noch so viel zeichnen möchte. Das würde ich allen Interessierten in der Ausstellung empfehlen, sich so auf sein visuelles Leben einzulassen. Leider wollte die Foundation keine Übersetzung finanzieren. Am schönsten wäre gewesen, wie im British Museum, dass man die originalen japanischen Seiten hat und am Rand eine Übersetzung. Aber wenn du damit durch die ganze Welt gehst, musst du mit ganz vielen Sprachen arbeiten und AI war noch nicht so entwickelt. Man kann aber trotzdem mit dem eigenen Smartphone die Kamera draufhalten und Übersetzungssoftware gibt dir die nötige Orientierung.

Katsushika Hokusai: Hokusai Manga, 11, c.1823-1833 © UNSODO. Inc

Anna Maria Loffredo: Das mit dem Lesen im Japanischen ist ja sowieso so eine Sache für uns Europäer.

Jaqueline Berndt: Genau, die japanische Leserichtung ist von rechts nach links. Besonders wenn du vertikale Schrift hast, gehst du von oben nach unten und rückst von rechts nach links weiter. Also du würdest jetzt horizontal nicht mehr von rechts nach links drucken. Aber nun bestehen die Bilder aus Seiten mit Sprechblasen. Ein japanischer Besucher der Ausstellung liest diese Seiten auch von rechts nach links. Du kannst nicht einfach die Ausstellung falsch herum aufbauen, wie es den Kuratoren in Bologna passiert ist.

Anna Maria Loffredo: Du hast in der Japan Foundation, im Rietberg und dann Nicolas Mahler in Kyoto (am Manga-Museum) ausgestellt. Welches Projekt würdest du gerne in der Zukunft umsetzen?

Jaqueline Berndt: Ehrlich gesagt reizen Ausstellungen mich nicht unbedingt. Für die am Rietberg hat mir gefallen, dass ich dort auf Offenheit und Respekt für ein innovatives Konzept gestoßen bin, dass man dort einen frischen Ansatz schätzte. In Japan läuft es meistens auf Bestätigung von Bekanntem hinaus.

Anna Maria Loffredo: Da höre ich aber eine gute Prise Kritik heraus.

Jaqueline Berndt: Du weißt ja selbst, in der Wissenschaft ist es wichtig, dass wir mindestens zwei Perspektiven auf eine und dieselbe Sache berücksichtigen. Das sieht in einem kulturpolitischen Kontext oft anders aus.

Anna Maria Loffredo: Um zu einem eigenen mündigen Urteil zu gelangen. Ein guter Grund in die Ausstellung zu gehen. Danke Dir für das Gespräch, Jaqueline.

Jaqueline Berndt: Gerne. Wir sehen uns in Köln!

 

04.10.2024 – 30.11.2024

Eröffnung am Freitag, 4. Oktober 2024 um 19 Uhr
Mit einem Einführungsvortrag von Prof. Jaqueline Berndt, Stockholm University, Schweden

Manga Hokusai Manga

Ort
Japanisches Kulturinstitut
Universitätsstraße 98
50674 Köln

Eintritt frei

 

Website Prof. Dr. Jaqueline Berndt:

https://www.jberndt.net/

© Shiriagari Kotobuki 2015 © Adachi Institute of Woodcut Prints

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