Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will Homöopathie aus den Kassenleistungen streichen. Für die Wirkung der Zuckerkügelchen gab es nie einen Beleg. Das Vorhaben Lauterbachs ist auch ein Zeichen dafür, dass die Ära der grünen Hegemonie zu Ende geht.
Haarausfall ist ein unangenehmes Problem. Die meisten Menschen sehen mit ein paar Haaren mehr auf dem Kopf etwas besser aus und die Pharmaindustrie forscht seit Jahrzehnten daran, ein Medikament gegen den Kahlkopf zu finden. Aber zum Glück gibt es unseren alten Freund den Maulwurf. Im tschechischen Zeichentrickfilm haben ihn alle geliebt, nun soll er dafür sorgen, dass die Haare wieder sprießen. Das Rezept ist ganz einfach: Man nimmt einen Maulwurf und bringt ihn um. Dann entnimmt man dem kleinen, blinden Insektenfresser etwas Haut und mischt verdünnt sie mit der zehnfachen Menge einer Mischung aus Magnesiumstearat und Weizenstärke. Die Flasche, in der die Mischung drin ist, haut man auf einen Tisch. Dann entnimmt man etwas von der Flüssigkeit, fügt wieder die zehnfache Menge Wasser, Magnesiumstearat und Weizenstärke hinzu, haut sie wieder auf den Tisch und wiederholt diese Prozedur weitere vier Male. Was dann herauskommt ist ein Medikament mit der Potenz D-6 und weil sich noch Spuren von dem kleinen Maulwurf drin befinden, ist es ein schwaches Medikament. Harter Stoff würde es erst werden, wenn man es 50.000 Mal verdünnen würde. Dann sind keine Reste vom Nager mehr zu finden. Klingt nach Unsinn? Ist es auch und dieser Unsinn hat einen Namen: Homöopathie.
Die Homöopathie wurde um den Beginn des 19. Jahrhunderts von dem sächsischen Arzt Samuel Hahnemann erdacht. Die Medizin steckte noch in ihren Kinderschuhen und war weit davon entfernt, eine Wissenschaft nach modernen Maßstäben zu sein. Die Ärzte der damaligen Zeit glaubten an die heilende Kraft von Gebeten und die Theorie der vier Säfte, deren Gleichgewicht für die Gesundheit der Menschen entscheidend sei. Bakterien und Viren waren noch nicht entdeckt– entscheidendes Grundwissen fehlte. Und so sahen auch ihre Therapien aus, die den jungen Arzt Hahnemann abstießen und ihre Patienten oft sterben ließen: Aderlässe waren auch bei Verletzungen mit starken Blutungen beliebt, den Menschen wurde Quecksilber eingeflößt und Wunden wurden ausgebrannt – zum Teil mit siedendem Öl. Viele überlebten diese Torturen nicht. Hahnemann erdachte neue medizinische Methoden und probierte sie an sich aus. Dass er dabei genaue Aufzeichnungen anfertigte, wie seine Therapie auf ihn wirkte, war neu und ein erster Schritt in Richtung Wissenschaft. Seine wichtigste Idee allerdings so hanebüchen wie fast alles, was sich Mediziner seinerzeit ausdachten: Hahnemann glaubte auf das Ähnlichkeitsprinzip. Er wollte Fieber mit Medikamenten bekämpfen, die Fieber auslösten, verdünnte sie dann aber so stark, dass der ursprüngliche Stoff kaum oder gar nicht mehr nachweisbar war. Hahnemann setzte weniger auf den Wirkstoff, als auf eine angebliche vorhandene „spezifische Arzneikraft“, die nicht nur noch vorhanden sei, wenn der Stoff nicht mehr in dem Medikament zu finden sei, sondern die besonders stark sei, je höher die Verdünnung ist. In den Globuli genannten Zuckerkügelchen, einer beliebten Darreichungsform homöopathische Mittel, ist also kein Stoff mehr, sondern sie bestehen aus reinem Glauben der Patienten.
Als klassische Medikamente können sie nicht wirken, denn sie haben keinen Inhaltsstoff mehr. Hahnemann Idee der Homöopathie steht im Widerspruch zu allen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und gehört in den Bereich des Glaubens.
Trotzdem war Hahnemann zu Anfang erfolgreicher als andere Ärzte. Er verzichtete auf die sinnlose Quälerei seiner Patienten, ließ sich Zeit für Gespräche, setzte auf frische Luft und sauberes Wasser und gab ihnen Medikamente, die zwar nicht wirkten, aber immerhin die Patienten nicht umbrachten.
In einer Zeit, in der Medizin mehr Schamanentum als Wissenschaft war, nicht das Schlechteste. Aber Hahnemann und seine Nachfolger hielten an seinen allen Gesetzen der Naturwissenschaft widersprechenden Gedankengebäude auch noch fest, als der medizinische Fortschritt sich ab Mitte der 19. Jahrhunderts beschleunigte und Antibiotika, verfeinerte Operationsmethoden oder Schmerzmittel den Ärzten immer breitere Behandlungsmöglichkeiten eröffneten. Mit jeder wissenschaftlichen Entdeckung, mit jedem Fortschritt, wurde der obskure Charakter der Homöopathie deutlicher. Was blieb war der Placebo Effekt, das Phänomen, das auch Medikamente ohne Wirkstoffe bei Patienten Verbesserungen ihres Zustandes herbeiführen können – nur dass der Effekt, den allein die Einnahme einer Tablette herbeiführt, auch bei Medikamenten mit Wirkstoffen zu beobachten ist und ihren Effekt noch steigert.
Doch medizinisch gesehen, gab und gibt es keine Notwendigkeit für homöopathische Mittel. Nicht umsonst steht auf ihnen „Registriertes homöopathisches Arzneimittel, daher ohne Angabe einer therapeutischen Indikation”. Es ist untersagt, diese Kügelchen und Tinkturen als Medikamente gegen Kopfschmerzen, Entzündungen oder gar Tumore zu bewerben, denn ihre Wirkung wurde nicht, wie bei konventionellen Medikamenten, in Versuchen und Testreihen belegt. Sie benötigen keinen Wirksamkeitsnachweis und da sie keine oder nur sehr geringe Inhaltsstoffe haben, ist es auch egal, welcher Stoff auf der Packung steht. Die Namen der wirkungslosen Medikamente sind reines Marketing. Die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) und das Informationsnetzwerk Homöopathie (INH) haben eines Preises in Höhe von 50.000 Euro für homöopathische Forscher bekannt gegeben. Derjenige, der als erster in zwei Durchgängen drei von ihm selbst vorher gewählte homöopathische Hochpotenz-Mittel unterscheiden und identifizieren kann und dies mit einer reproduzierbaren Verfahrensbeschreibung belegt, erhält den Preis. Die 50.000 Euro werden wohl nie ausgezahlt werden müssen. Nichts ist von Nichts schlicht nicht zu unterscheiden.
In hunderten Studien konnte nie eine Wirkung homöopathischer Mittel belegt werden, die über den Placebo-Effekt hinaus ging. Trotzdem bekommt man sie nur in der Apotheke. Auch das reines Marketing: Es gibt keinen Grund, etwas ohne Wirkstoff nur in Apotheken zu verkaufen. Homöopathische Mittel könnte es an jedem Kiosk geben neben Lakritzen und Kaugummis. Die Apothekenpflicht, die der Homöopathielobby so wichtig ist, verleiht den Zuckerkügelchen die Aura von Medikamenten. Und auch das fast alle Krankenkassen mittlerweile den Besuch beim Kügelchendoktor finanzieren, erhebt die Wirrlehre nur scheinbar auf eine Stufe mit der medizinischen Wissenschaft.
Für die Krankenkasse ist Homöopathie schlicht nur ein Mittel, um Kunden zu werben: Die Kosten sind überschaubar, die Anhänger der Homöopathie überdurchschnittlich gesundheitsbewusst und so auch weniger teuer als andere Versicherte und dann ist da noch das Tonnendenken: Viele Kunden suchen sich ihre Krankenkasse nach der Größe des Angebots aus und achten nicht auf dessen Sinnhaftigkeit. Homöopathie ist da nur ein Feature, das die Kassen zum kobern von Kunden nutzen.
Wenn Lauterbach sich durchsetzt, der Widerstand der gut vernetzten Esoterik-Lobby ist gewiss, hat er die Kassen zwar nur gering entlastet, aber sich um die Verbreitung wissenschaftlichen Denkens verdient gemacht: Bei einer Debatte um Homöopathie können ihre Anhänger nur verlieren. Es gibt kein Argument, das für die wirkungslosen Zuckerkügelchen spricht. Und vielleicht beginnt nun auch eine offene und wissenschaftlich fundierte Diskussion über Themen wie Kernenergie, Gentechnik und Fracking. Glauben und Gefühl setzte sich in den vergangenen Jahrzehnten immer stärker gegen Wissen durch. Auch das ist ein Grund, für viele der wirtschaftlichen Probleme dieses Landes. Zum Ende der grünen Hegemonie gehört auch, das Wissenschaft vor Glauben stehen muss. Die Partei selbst hat sich schon vor Jahren vorsichtig von der Quatsch-Medizin distanziert. Nun geht es an den Lifcestyle vieler ihrer Anhänger.
Aktualisierte Version eines Textes aus 2019
Der Artikel erschien in einer ähnlichen Version bereits in der Jungle World