Stolpern inmitten deutscher Kontinuitäten Von unserer Gastautorin Beatrice Hentrich.
Mit seinem heutigen öffentlichen Kommentar sollte der Festzelt-affine Hubert Aiwanger der knapp eine Woche anhaltenden Debatte die vorläufige Schaumkrone aufgesetzt haben. Aber es bleibt noch Platz im Maßkrug. Die Deutschen haben sich im Festzelt versammelt. Ministerpräsident Söder hadert noch ob der Stimmung vom Stammtisch, von wem er sich das nächste Weizen ausgeben lassen soll. Eigentlich will er lieber neben Hubsi auf der Bank sitzen bleiben und weiter schunkeln.
Seitdem die Süddeutsche Zeitung letzte Woche einen Artikel über ein antisemitisches Flugblatt aus den Tasten Aiwangers Schreibmaschine veröffentlichte, überschlägt sich Täterland mit Hot takes. Kollektive Therapiestunden, deren Ausgang angesichts der unzähligen Versuche seit 1945 erwartbar erfolglos verlaufen wird. Bestärkt von Schlussstrich-Rülpsern, Jugendsünden-Barden, rechten Antisemitismus-Blinden am Biertisch und jüdischem Büttenredner, brüllt Hubsi den Kritikern „Schmutzkampagne“ entgegen. Das Festzelt jubelt.
„Einigkeit und Recht und Freiheit“
Der kollektive Unwille das Offensichtliche am Gegenstand zu benennen und zu verurteilen, bleibt auch 78 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Dachaus und dem Sieg über die Deutschen stringent. Wurde noch vor wenigen Wochen von dem Mate-Tisch im Festzelt den Jüdinnen und Juden zu diktieren versucht, warum sie den antisemitischen Ausführungen eines Kostümjuden, welcher deren Kritik auf die rechte Strafbank verschob, nachsichtig gegenüber zu sein und es schlichtweg zu akzeptieren hätten, entdecken heute damalige „Kritiker“ ihre facettenreiche Vorliebe für entlastende Einordnungsversuche. In beiden aktuelleren Fällen waren und sind die Statements wie beispielsweise des Zentralrats der Juden https://www.zentralratderjuden.de/aktuelle-meldung/artikel/news/statement-dr-schuster-zu-hubert-aiwanger/ so inbrünstig irrelevant, wie der Bierdeckelverbrauch beim Oktoberfest. Man hat sich zur Einigkeit darüber verabredet, dass der Jude nur bestimmen darf, was antisemitisch ist, wenn es nicht den eigenen Stammtisch betrifft. Gleichermaßen geltend für die Wolffs wie für die Müller-Voggs dieser Welt, welchen kein Zeichen zu schade ist, „Antisemit ist immer nur der Andere“ einen intellektuellen Hauch zu verleihen. Ob nun auf das Recht gepocht wird, den jüdischen Staat mit den Verbrechern der Shoah zu vergleichen oder auf die Freiheit zur vermeintlichen Jugendsünde des Schülers, gepflegt abhitlern gekonnt zu haben. Brüderlich mit Herz und Hand.
Gäste im Festzelt
Die deutsche Gastfreundschaft erfreut sich zu recht keiner großen Bekanntheit – auch wenn das jährliche Massengesöff in München darüber hinweg täuschen mag. Wie mit dem Selbstbetrug einer Gastfreundschaft verhält es sich mit der Aufarbeitung im guten Deutschland. Die „größte Lebenslüge der Bundesrepublik: der Glauben an eine tatsächliche Aufarbeitung der Vergangenheit“ (Salzborn) hat den Gaststatus der Nachfahren von Opfern und Überlebenden der Shoah verstetigt. Waren sie vor 1945 Fremde, die allenfalls als Lampenschirme dekorativ ins deutsche Wohnzimmer gestellt wurden, gewährt man ihnen heute zeitweilig als Gast einen Platz am Tisch. Die Nachfahren der Täter haben sich dabei darauf geeinigt, wann die Gäste willkommen sind: wenn sie deutsche Partykracher mitsingen, so wie aktuell Wolffsohn, oder zur Bestätigung der Wiedergutwerdung an Gedenktagen, wenn sie Kranzabwurfstellen mit ihrer Anwesenheit schmücken dürfen. Hauptdarsteller bleibt immer der Gastgeber.
So verwundert es nicht, wie Bierkönig Söder zur Büttenrede ans Pult schritt. Mit aller Ignoranz der erschütterten Worte Charlotte Knoblochs, welche sich an „die übelsten Hetzschriften der NS-Zeit erinnert“ https://www.br.de/nachrichten/bayern/knobloch-zu-hetzschrift-affaere-ich-bin-sprachlos-und-entsetzt,To8V6nq sieht, klopft der PR-Profi dem Bua für die gute Zusammenarbeit väterlich auf die Schulter und verkündet die gnädige Strafarbeit. Hubsi wird ein bissel auf die Schmuddelbank gesetzt, pack mas. Weiterhin im deutschen Widerstand verharrend und von Söders Gnaden bestärkt, schüttet der Bua der am Nebentisch auf die Gastbank gesetzten Charlotte Knoblauch den Bierkrug über den Kopf und verkündet selbstsicher „#Schmutzkampagnen gehen am Ende nach hinten los.“ https://twitter.com/HubertAiwanger/status/1696790163119075373. Prost.
Die als Gäste Ertragenen kennen die Post-Shoah-Gastfreundschaft. 1998 rotzte des Deutschen Lieblings-Schriftsteller Walser in der Frankfurter Paulskirche dem Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, Ignatz Bubis, sein Erbrochenes direkt vor die Füße. Auch der Anlass stimmte, irgendwas mit Versöhnung und Frieden. Das brachte dem Ex-Lieblingsredner der Deutschen schon 1933 Anerkennung ein. Während Bubis mit seiner Frau 65 Jahre später den widerlichen Gestank mit Haltung ertrug, brach es aus der Festzeltgemeinde heraus: Jubel. An den wohl noch unangefochtenen Platz 1 der Top-Büttenreden reicht die Causa Aiwanger zwar nicht heran, das Festzelt und die Stammgemeinschaft sind dieselben, der Applaus Gewiss. Ähnlich stinken dürfte es den auf die Gastplätze Verwiesenen auch.
Hubert gegen Hubert
Was sich im Fall von Hubsi noch zeigen muss ist, wie er aus dem Zelt stolpern wird. Der Stammtisch-Gemeinde versichert, verheddert er sich zunehmend beim Erklimmen der Stufen zum Podium, wo er seine Büttenrede in Form von 25 beantworteten Fragen halten wird. Das hatte ihm der Bierkönig als Strafarbeit aufgetragen. Vor wenigen Minuten bediente Jankerl-Fan Aiwanger im von Welt.de veröffentlichten Live-Statement, die bei Antisemiten beliebte Versicherung, er sei kein Antisemit. https://www.welt.de/politik/deutschland/article247196644/Hubert-Aiwanger-Ich-bin-kein-Antisemit-Ich-bin-ein-Menschenfreund.html Angesprochen auf die Erinnerung eines Schulkameraden, er hätte unter anderem den Hitlergruß gezeigt, verwies er auf vorherige Antworten, er wundere sich über die Reaktionen auf sein Handeln als 15-Jähriger und wiederholte in alter deutscher Schuldabwehr-Manier den Spin einer Schmutzkampagne. Gar Menschenfreund will Hubsi sein.
Menschenfreund derart, Jahrzehnte später nicht dem Wunsch der zu Gästen am Tisch erklärten,zum Beispiel Charlotte Knoblauchs, den Verdacht auszuräumen und zerstörtes Vertrauen mühsam wiederherzustellen, zu entsprechen.
Derweil sich die Ereignisse und Stammtisch-Erklärungen überschlagen, verbleibt nur eine Gewissheit: Wenn, wird Hubert an Hubert scheitern. Betroffene bleiben Gäste.
Ich kann verstehen, dass Walsers Attacke gegen die Juden auch noch nach seinem Tod nachhallt und dass Weigerungen, einen früheren Text des aktiven Politikers Aiwanger gegen Juden als Judenhass zu verurteilen, als Zeichen für Komplizität gedeutet wird. Mir scheint, dass dieser Text nicht nur konstatiert, dass Walser und Aiwanger fröhlich die Abrißbirne in Gang setzen, um das gemeinsam mit Juden bewohnte Deutschland abzureißen und den Juden, die sie an die Schuld Deutschlands erinnern, zu drohen, dass sie jederzeit wieder aus dem Land geworfen werden könnten, sondern dass der Text diese Gleichgültigkeit und Aggressivität gegenüber Juden auch deutet; die Komplizen Aiwangers lehnen ihre eigene Verantwortung für friedliches Zusammenleben ab; sollen die Juden doch die Hand zur Versöhnung ausstrecken.