Ja ja, im Ruhrgebiet kann man sich noch aussuchen wo man wohnt. Und wie. Aber wieso wohnen nicht alle meine Freunde in meiner Nachbarschaft? Ist doch schön hier.
Auch nett: Kreuzviertel in Dortmund. Foto: Ruhrbarone
Als meine Eltern – genauer meine Mutter und ihr damaliger Lebensabschnittsgefährte – Ende der 70er Jahre eine Wohnung in Frankfurt suchten, ging es um die Größe: Drei Zimmer sollten es sein, davon sich den Stadtteil aussuchen zu können, wagten sie selbst als Doppelverdiener nicht zu träumen. Ein paar damals ganz üble Quartiere wie Bonames, Nordweststadt oder das Gutleutviertel waren tabu, aber ansonsten wurde in der ganzen Stadt gesucht. Am Ende zogen wir nach Bornheim – Glück gehabt.
Als ich 1996 nach Bochum zog nahm ich eine Wohnung in der Nähe vom Marabo. Erst später erfuhr ich, dass ich nun im Ehrenfeld wohnte und dass etwas Tolles ist. OK, das Bermudadreieck war nicht weit entfernt und einen Supermarkt gab es auch um die Ecke. Außerdem war es ruhig.
Als meine Freundin und ich im vergangenem Sommer in Bochum begannen nach einer Wohnung zu suchen, gingen wir deutlich wählerischer vor: Ehrenfeld, Altenbochum oder am Stadtpark waren die drei Viertel, in die wir wollten. Auf Angebote aus Riemke oder Dahlhausen reagierten wir noch nicht einmal und am Ende landeten wir am Stadtpark – zu einer Miete, für die man in guten Lagen Frankfurts eine Doppelgarage nutzen kann, bekamen wir eine renovierte vier Zimmer Altbauwohnung. Bingo.
Eigentlich müssten die meisten die wir so kennen in den drei oben genannten Stadtteilen wohnen. Oder im Kreuzviertel in Dortmund, in Essen-Rüttenscheid, im Dellviertel in Duisburg. Kleine Zusammenballungen müssten entstehen, Quartiere, in denen man sich schon morgens beim Bäcker trifft und sich gegenseitig Salz ausleiht. Dörfer in der Stadt. In anderen Städten ist das so und auch, wenn es teuer ist: Vielen ist eine kleine, miese Wohnung in Köln Lindenthal lieber als eine Gehöft in der Eifel. Im Ruhrgebiet ist das anders. Mein Freundes- und Bekanntenkreis, der nicht in Bochum wohnt (Da wohnen sie fast alle in den drei Vierteln, in die es auch Irene und mich zog) verteilt sich über: Gladbeck-Ost, Gladbeck-Mitte, Dortmund-Barop, Gelsenkirchen Horst und Buer, Bottrop, Bottrop-Kirchhellen, Duisburg-Rheinhausen, Herten, Recklinghausen-Süd und Herne (Herne und Wanne!). So wird das nie was mit der Metropole – wir knubbeln uns nicht genug! Nur warum nicht? Ist dieses ungewöhnliche Siedlungsverhalten, bei dem die Mieten kaum eine Rolle spielen können, ein Beleg für die Metropole neuen Typs, von der auch hier immer mal wieder geschrieben wird, oder kommt da noch was?
>wir knubbeln uns nicht genug! Nur warum nicht?
Kluge Frage. Ich glaube, das hat was mit den historischen Zersiedelungsaspekten und ihrer Vielschichtkeit zu tun. Und daß sich daraus und damit Individualität konstituiert, spielt wohl auch eine Rolle.
Ich beispielsweise kann meine – verflossene – Werkgeschichte der publikatorischen Abarbeit über das Ruhrgebiet nur als Niederrheiner rekonstruieren; ich brauch‘ die Distanz, ich brauch‘ die linke Rheinseite von Neuss bis Arnheim, ich brauch‘ das weite grisselige Land des Niederrheines, mit dem leichten Wind, mit den Krähen, mit den Feldern. Um mich aus dieser Distanz zu verorten.
Und überhaupt: Ohne den Rheinstrom und die Ruhrmündung bei Stromkilometer 780 wäre das Ganze ja gar nicht erfunden worden.
Und der Rhein kommt auch nur vom Land. Jedenfalls quelltechnisch.
Der Aspekt des Knubbelns, im warmen Mief der Gruppe den Konsens riechen, der ist mir immer fremd gewesen. Gehste nach Prenzlberg oder nach Köln, ins belgische Viertel – das sind doch alles Immis. Nur deswegen gibt es den Konsens der engen Nachbarschaft und der permantenten sozialen Kontrolle.
Dann nochwas Stefan. (-;
Nenn‘ Rheinhausen nie wieder Duisburg-Rheinhausen.
Das Kaff heißt Rheinhausen. Jedenfalls bis der letzte Eingemeindungsgegner dort weggestorben ist.
Und der werde ich sein. (-:
Jedenfalls, solange wie ich in diesem Kaff noch eine vierstellige Rufnummer habe. (Die natürlich mittlerweile per Rufumleitung wohin auch immer hingeleitet wird.)
https://de.wikipedia.org/wiki/Rheinhausen_(Duisburg)
Thomas: War Dressler nicht dafür Euch gelbe Nummernschilder zu verpassen, weil Ihr eh keine richtigen Duisburger seit? 🙂
>War Dressler nicht dafür Euch gelbe Nummernschilder zu verpassen, weil Ihr eh keine richtigen Duisburger seit?
Weiß nich. Aber schon wieder keine schlechte Idee, das mit den kaaskoppistanioden Autokennungen.
Wobei – Rheinhausen hatte niemals eine eigene Gemeindekennung. Das hieß Kreis Moers. Etwa so: MO – ST 1.
Kenne jetzt noch einige saturierte Herren, die mit einem Oldtimer mit dem alten Kennzeichen rum fahren.
Gottlob fahre ich kein Auto (wenn, dann nur Mietwagen, bzw. Stattauto).
Aber, die Idee ein kaaskopfisches Schild am Cabrio auf dem Schleichweg zu bewegen, die gefällt mir.
Hab‘ ja eh zwei Staatsbürgerschaften, und auch, äh – zwei Seelen wohnen in meiner Brust.
(Naja. Mindestens. Ich sag’s Euch.)
@ Thomas: Ihnen geht’s wie Walt Whitman (?I am large, I contain multitudes?), oder?
@ Stefan: Urbanität im Dickicht ist unser Thema hier (nicht Urbanität durch Dichte, vulgo: Knubbeln). Oder um es mit den Worten von Nobody zu sagen, dem dicken Indianer aus Jim Jarmuschs Dead Man (haben wir uns gestern, wg. Neil Young, noch mal angesehen): ?Der Adler verlor die meiste Zeit, als er von der Krähe lernen wollte.? Lasst uns also nicht nach Köln oder Frankfurt schauen!
Außerdem: Der wahre Metropolist leiht sich das Salz bei Fremden (-:
Ohne diese Diskussion bis dato verfolgt zu haben habe ich Köln und Frankfurt bei einem sehr ähnlichen Thema gestern auch genannt. *staun* Aber auch München.
Und : Der Rüttenscheider in mir nickt. Alle mal rüberkommen.
Da habe ich es ja mit dem Ehrenfeld richtig gemacht. 😉
@Jens: Bitte? In Ehrenfeld sitzen nur gute Leute? Ich staune halt dass hier (Rü) überhaupt noch was frei ist bei all den prächtigen Mitmenschen um mich herum. Oder bezog sich der Beitrag auf das „Salz der Fremden“? *Verwirrung*
Und: Was wären das überhaupt für Vergleiche: Ehrenfeld der „Adler“, Rüttenscheid die „Krähe“? Urbanität als Kampfbegriff im Berlinisierungs-Wettbewerb? Hurra! Diese Vergleiche sind fragwürdiger Trivial-Regional-Darwinismus von (möchtegern-)oben, spätestens wenn sie so diskutiert werden. Bin ich gegen. Naheliegende Vergleiche sind allerdings naheliegende Vergleiche. Man muss aber nicht gleich Propaganda (s.o.) daraus machen.
@Dirk: Der Mangel an Zentralität (Im Ruhrgebiet: Polyzentralität) sorgt für die Dominanz des Mittelmaßes im Revier. Ein wenig mehr Urbanität in der Dichte würde da nicht schaden. Und ich sehe noch nicht einmal „Dickicht“, sondern eher in weiten Teilen „Buschland“.
@ Thomas: Ihnen geht?s wie Walt Whitman (?I am large, I contain multitudes?), oder?
Whitman ist sicher einer der größten und besten Vergleichsbildner der aufgeklärten Welt. Neben Äsop. Und Ginsberg.
Aber – mir ergeht es immer wie Hunter Thompson: When the going gets weird, the weird turn pro.
Dann bin ich wiedermal mittendrin. Aber eigentlich mag ich die kalte Distanz von Dr. House. Mittendrin, aber nicht dabei.
@Stefan: Nun ja, im Falle von ?Buschland? macht es noch viel weniger Sinn, großstädtische Traditionen à la Köln, Frankfurt, Berlin nachzuahmen. Nein, wir müssen hier endlich den Urbanitätsbegriff von alten Stadtbildern lösen, damit wir aufhören, das Ruhrgebiet als diesbezüglich chronisch defizitären Raum wahrzunehmen. Denn Urbanität ist eine Lebenshaltung, die ? ich verkürz? jetzt mal ein wenig ? mit Begriffen wie Weltoffenheit, Kultiviertheit und (ACHTUNG) ?lässiger Überlegenheit? umschrieben werden kann, eine Lebenshaltung, die immer weniger mit der Frage nach einer dezidiert großstädtischen oder ländlichen Lebensumgebung verbunden ist. Urbanität ist also auch im weitläufigen ?Buschland? lebbar, vielleicht sogar auf eine Weise, die wunderbar zur gelebten Urbanität in den herkömmlichen Großstädten kontrastiert. Wie das aussehen könnte (oder bereits aussieht) ? das ist wie gesagt unser ureigenstes Thema hier.
@ Thomas: Jaja, Weirdo Thompson, auch ganz passend. In welchem Nest wollen Sie denn Sheriff werden?
@Dirk: Naja, Urbanität ist nicht nur eine Lebenshaltung – man braucht dafür auch das entsprechende Umfeld. Als ich 1996 von Gladbeck nach Bochum zog habe ich das mehr an Urbanität als Gewinn empfunden – und tue das jedesmal wieder, wenn ich meine alte Heimatstadt besuche. Wie sagen es doch Tocotronic: Aber hier leben? Nein Danke. Und etwas mehr Urbanität würde auch dem Ruhrgebiet gut tun – und dazu gehört auch Verdichtung. Das steigert nämlich auch die Attraktivität für Menschen die ins Ruhrgebiet ziehen. Die interessieren sich nicht für den Überbau, der ihnen erklärt, warum es in Marl eigentlich auch cool ist, sondern einfach eine Umgebung in der sie gerne leben.
@Namensvetter (Jens Kobler):
Ich bezog das auf die von Stefan zitierten drei Viertel.
@ Stefan, noch einmal: Es geht nicht darum, langweilige Orte zu glorifizieren, sondern sich von der Vorstellung zu verabschieden, dass ein Mehr an Urbanität in Marl, Gladbeck, Herten, Bottrop, Recklinghausen usw. mit dem Rekurrieren auf (eh nicht vorhandene) großstädtische Traditionen zu erreichen sein würde. Gerade solche Städte sind voller Beispiele von gescheiterten ?Urbanität durch Dichte?-Experimenten aus den 1960er und 1970er Jahren (den Hoch-Zeiten der Weltstadt Ruhr-Debatte) ? zumeist klägliche Versuche, die heute nur noch disziplingeschichtlich interessant sind.
Aber womöglich tue ich Ihnen ohnehin unrecht, denn Ihr Eingangsbeitrag ist ja streng genommen gar kein Votum für mehr Urbanität oder Zentralität, sondern ein Plädoyer für die Verdorfung der Stadt.
@Dirk: Genau, ich will kleine Dörfer, wo die wohnen, die ich mag: Übersichtlich, fußläufig und mit ein paar netten Kneipen. Wie die Stadtteile, die ich im Text erwähnte. Und ich finde es schade, dass diese Quartiere diese Funktion nur im Ansatz erfüllen – aber immerhin, das tun sie und bieten für mich damit eine hohe Lebensqualität. Würden diese Stadtteile allerdings die Funktion als „Szenequartier“ noch stärker erfüllen, könnten sie zum einen dafür sorgen, dass eine bestimmte Kientel die Region nicht verlässt und eventuell sogar für Leute von außerhalb attraktiv sein. Die „Urbanität durch Dichte“ Experimente waren doch, auf den Gesamtraum Ruhrgebiet gesehen, doch gar keine: Über 50 kleine Zentren sind keine Verdichtung sondern der Erhalt von Kirchturmstrukturen. Ich hatte mal eine Diskussion mit Marls Bürgermeisterin über die zentralen Funktionen ihrer Stadt – sie glaubte die gäbe es und ich war der Meinung, Marl habe so etwas nicht und sollte es auch gar nicht versuchen. Motto: Kindertheater statt Klassische Konzerte, täglicher Bedarf statt Einkaufszentrum etc, dass dann aber gut. Hier gilt es noch so manchen Zahn zu ziehen.
Bis sich was auch räumlich und sozial „knubbelt“, das dauert halt. Bis vor 20 Jahren gab es noch in jeder etwas größeren Ruhrstadt ein eigene, kleine, aber häufig sehr feine Szene. Es ist heute unvorstellbar, aber im sagenumwobenen Wanne-Eickel z.B. traf sich regelmäßig in einer ganz bestimmten Kneipe fast alles was im Jazz und anrainenden Musikrichtungen in Ruhr einen Namen hatte. Im Sommer, auf der Terrasse des einzigen Restaurants am Stadtpark Eickel wurde mehr und vor allem tiefgreifende über Kunst, Philosophie und Musik gesprochen als heute in den meisten Yuppy-Kneipen Berlins. Die wenigsten der dort verkehrenden „Kreativen“ sind jedoch in Ruhr geblieben, geschweige den in Wanne-Eickel. Sie leben, sofern sie noch leben, heute in Köln, Hamburg und Berlin. Oder irgendwo auf dem Lande dazwischen. In den Süden der Republik sind die wenigsten gegangen. Dann schon eher ganz außer Landes.
Wo sind solche zentralen Treffpunkte heute in Ruhr, wenn die einzelnen Städte darüber kaum noch verfügen? Wo soll man denn als Neugierige(r) oder neugierig Gebliebene(r) heute hingehen, wenn man Seinesgleichen treffen will? Und zwar ohne spezielle Verabredung. Wo trifft man interessante Leute, die man noch nicht kennt, die man aber gerne kennenlernen würde, einfach nur so? Oder braucht man solche Orte in Zeiten der Totalindividualisierung und des Internets nicht mehr?
Was wir hier machen ist ja auch eine Art Treffen. Und wir kommunizieren ohne Zweifel sehr intensiv miteinander. Präziser und nachdenklicher, ja sogar witziger und ironischer als es je in einer Kneipe möglich wäre, weil es dort eben diese Bedenkzeit vor dem Schreiben nicht gibt und auch nicht geben kann. Aber das ist deswegen auch ziemlich unsinnlich und eindimensional.
Obwohl ….., es ist trotzdem spannend, und ich wüsste gar nicht ob ich jeden, den ich hier im Blog treffe, auch in der Realität gerne um mich hätte bzw. nahezu jeden Tag beim Bäcker um die Ecke treffen möchte.