„Ich befürchte, dass der Turn-Around auf Schalke auch mit Trainer Gross nicht gelingen wird“

Viel Schatten aktuell auf Schalke. Archiv-Foto: Michael Kamps

Weihnachtspause? Mitnichten! Zwar ruht der Spielbetrieb in der Fußball-Bundesliga aktuell für ein paar Tage, doch an Themen mangelt es rund um den Profifußball auch in diesen Stunden wahrlich nicht. Ein weiterer Trainerwechsel auf Schalke, Paris trennt sich von Ex-BVB-Coach Thomas Tuchel, der Pyro-Irrsinn in Essen, etliche Überraschungen im DFB-Pokal.

Die Ruhrbarone-Autoren Peter Hesse und Robin Patzwaldt haben sich über all diese Themen auch über die Feiertage hinweg kurz ausgetauscht. Herausgekommen ist einmal mehr ein launiger, kurzangebundener Ritt durch die aktuellen Fußballthemen:

Peter Hesse: Hallo Robin, mit dem Trainerwechsel von Favre zu Terzic hat sich der BVB viel Schwung und neue Euphorie versprochen, doch die Dortmunder agierten beim DfB-Pokalspiel am Dienstag in Braunschweig über weite Strecken wie ein ideenloser Hühnerhaufen. Ohne Glanz gelangte das Team Schwarz-Gelb zur nächsten Runde, aber richtig tollen Kombinationsfußball belang dem BVB kein tolles Spiel – es fehlte der Glanz. Vielleicht helfen jetzt ein paar Tage der Regeneration, damit es im neuen Jahr frisch und fröhlich weitergehen kann. Gegenüber der Verpflichtung von Terzik warst du von Anfang an skeptisch eingestellt – wie ist dein Eindruck nach dem Braunschweig-Spiel?

Robin Patzwaldt: Hallo Peter! Ich sehe das losgelöst vom Trainer in Dortmund. Der Dienstagabend im DFB-Pokal hat auf ganzer Linie gezeigt, dass der Takt für die Profiteams aktuell zu hoch ist. Der BVB hatte zehn Spiele in 31 Tagen. Da vergeht einem nicht nur als Beobachter die Lust auf Fußball, das muss auch für die Spieler hart sein. Zu hart, wie die Spiele zum Jahresende bisher gezeigt haben. Es war ja nicht nur der BVB enttäuschend. Auch Schalke, Köln, Hoffenheim, Union Berlin, Augsburg taten sich als Erstligisten schwer. Lediglich Leipzig und Mönchengladbach haben mich am Dienstag überzeugt. Man konnte sehen, dass so ein DFB-Pokalspiel gegen vielfach unterklassige Gegner kaum ein erstliga-Spieler haben wollte. Da ist der BVB ja mit seinem 2:0-Erfolg noch ganz gut weggekommen. Hoffenheim und Union sind gegen Zweitligisten sogar im eigenen Stadion gescheitert. Da will ich als BVB-Anhänger mit einem 2:0-Auswärtsterrfolg mal zufrieden sein, auch wenn das Spiel, und da hast du natürlich völlig Recht, enttäuschend war. Was der neue Trainer bringt, werden wir aber wohl erst im Januar sehen, wenn die nächsten harten Wochen auf die Dortmunder warten. Ich bin und bleibe skeptisch. Ich fürchte, wir müssen uns irgendwie bis zum Sommer retten, bis ein hoffentlich ‚großer Name‘ den weg auf die Dortmunder Trainerbank findet. Hoffentlich wurde bis dahin nicht die neuerliche Champions League-Quali verspielt.

Peter Hesse: Wie findest du die Rolle von Watzke? Ich muss sagen, dass ich ihn seit dem Attentat auf den BVB-Bus sehr kritisch sehe. Vor dreieinhalb Jahren wurden am Abend des 11. April 2017 drei Sprengsätze gezündet, als sich die Fußballmannschaft des BVB mit dem Bus vom Mannschaftshotel auf dem Weg zum Westfalenstadion befand. Dort sollte um 20:45 Uhr das Viertelfinal-Hinspiel der UEFA Champions League gegen das Team vom AS Monaco angepfiffen werden. Durch die Explosion wurden ein Polizist und der Spieler Marc Bartra verletzt. Watzke verlangte von der Mannschaft, dass sie einen Tag später spielt, was zum Bruch zwischen ihm und Thomas Tuchel geführt hat. Watzke ist in meinen Augen jemand, der sich immer in den Dienst des Kapitalismus stellt – und bei ihm der Grundsatz ›Geldverdienen first‹ lautet – als Unternehmer macht ihn das angreifbar. Auch bei den ganzen Corona-Verordnungen ging von ihm immer der Impuls aus, dass gespielt werden müsse, damit der Kapitalfluss erhalten bleibt. Es ist schwierig zu beurteilen, wie man das besser gemacht hätte – aber die Rolle von Watzke wirkt mit seinem ›Denken-Sie-groß‹-Gehabe immer wie ein provinzieller Unternehmer aus einem Helmut Dietl-Film, der gerne mehr wäre, als er in Wirklichkeit ist. Oder – sehe ich das falsch?

Robin Patzwaldt: Ich fand Watzke immer sympathisch und der BVB hat ihm als Retter aus der Finanzsmisere damals ja auch viel zu verdanken. Wie er und der Klub aber damals den Abgang von Tuchel umgesetzt haben, das fand ich beschämend. Für mich ist das auch der Anfang vom Niedergang des BVB, den wir heute (immer noch auf recht hohem Niveau) beklagen. Ich bin davon überzeugt, dass der BVB mit Tuchel nach 2017 mehr Erfolg gehabt hätte als mit Bosz, Stöger und Favre. Dafür ist auch Watzke mitverantwortlich. Das hat ihn bei mir viel Vertrauen gekostet. Ich sehe ihn inzwischen weit über dem Zenit. Ähnlich ist das aus meiner Sicht bei Michael Zorc. Der wurde zwar über viele Jahre für seine Transfers gefeiert, schaut man aber auch mal etwas tiefer in die Historie, dann findet man bei Zorc mindestens genauso viele Flops wie Hits. Der Verein profitiert aktuell nur noch immer davon, dass Transfers wie Dembele, Auba oder auch Alcacer sich am Ende immer irgendwie gerechnet haben. Darüber hat man die Flops dann verdrängt. Die Transferpolitik finde ich derzeit aber zumindest diskutabel. Das Beispiel Haaland zeigt ja, wie schnell es in Dortmund dünn wird, wenn mal einer dieser sportlichen Eckpfeiler wegbricht. Das hätten Zorc und Watzke eigentlich besser vorbereiten müssen.  Für die ganz großen Ansprüche des BVB reicht das aktuell einfach nicht. Wie siehst du das?

Peter Hesse: Shinji Kagawa, Robert Lewandowski (beide 2010), Pierre-Emerick Aubameyang (2013), Ousmane Dembélé (2016) oder zuletzt Jadon Sancho (2017) – alle diese Stars hat Sven Mislintat mit zu verantworten – und immer, wenn einer zu erfolgreich wird, geht er zu einem Verein, der eine Schuhnummer größer ist. Da ist man bei den Bayern besser aufgestellt, die eigentlich nur den Weggang von Toni Kroos zu Real Madrid im Jahr 2014 wegstecken mussten. 2013 musste der BVB Mario Götze für 37 Millionen verkaufen, ein Jahr später ging Robert Lewandowski ablösefrei ebenfalls zu den Bayern – und die beiden Neuzugänge Kevin Kampl und Ciro Immobile fanden nicht im Konzept von Jürgen Klopp sofort auf Pferd, so dass der Trainer auch enttäuscht hinwarf. Seitdem ist die Zündschnur kurz, wenn sich nicht der Erfolg sofort einstellt, was im Fall vom BVB mindestens die Champions League Teilnahme bedeutet. Und ob das reicht? Wo ist die Vision vom BVB, die ja immer mit dem Slogan „Echte Liebe“ werben. Und das müssten Zorc und Watzke vielleicht mal mit etwas mehr Überlegung und nötiger Tiefenschärfe beantworten. Du kannst nicht immer nur den Trainer alle Nase lang wechseln und mit der nächsten blutjungen Generation sofort mit ästhetisch schönem Power-Pressing-Fußball alles niedermähen. Stand jetzt glaube ich auch, dass Edin Terzic seinen Job im Sommer los ist – aber ich würde mir schon wünschen, dass er es schafft und den Coup hinlegt, vielleicht DFB-Pokalsieger zu werden. Das wäre mal was….

Robin Patzwaldt: Apropos DFB-Pokal, was sagst du denn zu den Szenen, die sich da am Mittwoch in Essen abspielten, als dort offenbar hunderte ‚Fans‘ am Stadion entgegen aller AHA-Regeln wild mit Pyro den Sieg gegen Fortuna Düsseldorf feierten? Ich war total erschrocken über diese Bilder. Man kann nur hoffen, dass diese Deppen nicht die Fortsetzung des Spielbetriebs im Fußball gefährden. Wenn ich das sehe, komme ich als Fußballfan selber ins Grübeln, ob diese Sonderrolle des Fußballs in Zeiten des Lockdowns zeitgemäß ist. Omas dürfen nicht zu ihren Enkeln an Weihnachten, aber Fanatiker pfeifen egoistisch auf alle Einschränkungen und eskalieren am Stadion. Das macht mich wütend!

Peter Hesse: Konrad Adenauer sagte immer: “So sind die Menschen – andere gibt es nicht.“ Ein anderer Hobbyphilosoph ist Thomas Tuchel, von dem der Ausspruch stammt: „Wir Trainer geben das ››Was‹‹ vor – und die Mannschaft liefert den Klebstoff, damit das Gebilde hält.“ Der Klebstoff von Tuchel hat sich scheinbar in einen stinkenden Camembert verwandelt, denn der Ex-BVB-Trainer ist nun bei Paris St. Germain gefeuert worden – aber diese Trennung kommt keineswegs überraschend. Trotz aller Erfolge mit PSG, trotz des erstmaligen Einzugs ins Finale der Champions League, hatte es über Monate immer wieder Streit und Theater mit dem brasilianischen Sportdirektor von PSG gegeben. Machtgerangel um Transfers waren eine Ursache, seine ungewöhnlich harte Ansprache gegenüber Sportjournalisten eine andere. Außerdem gab es nach dem Training immer wieder außergewöhnlich viele Verletzungen im Kader. Tuchel gilt als schwierig, keine Frage, aber ich hätte ihn trotzdem gerne zurück als BVB-Trainer. Er hatte immer ein klares Konzept, seine Spielweise war erfolgreich und unter seiner Ägide konnte der BVB im Windschatten knapp hinter den Bayern mitspielen – mehr geht nicht. Was müsste deiner Ansicht nach passieren, dass Tuchel zurückkommt?

Robin Patzwaldt: Ich würde mich wahnsinnig freuen, wenn Watzke und Zorc über ihren Schatten springen könnten und sie sich mit Tuchel über eine Rückkehr nach Dortmund einigen könnten. Glauben tue ich daran aber nicht. Fakt ist jedoch, dass der BVB zum Zeitpunkt der Trennung von Tuchel noch ein wesentlich besser aufgestellter Klub war, sogar mit Tuchel nach dem Bombenattentat auf den Teambus den DFB-Pokal gewann. Das traue ich der aktuellen Mannschaft nicht zu. Egal ob unter Bosz, Stöger, Favre oder Terzic. Es spricht also viel dafür Tuchel zurück ins Ruhrgebiet zu holen. Dennoch glaube ich nicht daran. Dafür ist Watzke einfach zu stur, so wie ich ihn einschätze. Was sagst du denn zu der Verpflichtung von Chrisatian Gross auf Schalke? Ich habe mich, ehrlich gesagt schwer über die Entscheidung gewundert. Auch wenn der Trainermarkt für Schalke aktuell nicht allzu viel zu bieten schien, diese Personalie fand ich dann doch arg überraschend. Ich hoffe, dass Gross das Wunder auf Schalke schafft, aber ich bin skeptisch. Seine Zeit in Stuttgart ist mir noch in Erinnerung, und die war nicht erfolgreich, wie wir wissen….

Peter Hesse: Auch ich erinnere mich noch sehr gut an die Zeit von Gross beim VfB Stuttgart – er kam damals für Markus Babbel und seine Amtszeit währte nur 10 Monate. Zuletzt trainierte er Teams in Ägypten und Saudi-Arabien – das Ganze wirkt auf mich auch wie eine nicht ganz ausgereifte Schnapsidee – und ich befürchte, dass der Turn-Around auch mit diesem Trainer nicht gelingen wird. Schalke bräuchte in der Winterpause drei zugkräftige Verstärkungen – angenommen ein frischer Geldgeber könnte einen Spieler wie Sami Khedira nach Gelsenkirchen locken – das wäre was. Aber glauben tue ich daran auch nicht – wenn Verstärkungen kommen, dann werden sie viele Nummern kleiner sein. Immerhin gelang ein Sieg im DFB-Pokal gegen den Regionalligisten SSV Ulm 1846, so dass Schalke jetzt schon mal ins Pokal-Achtelfinale einziehen kann. Vielleicht kann Königsblau ja an diesen Sieg im neuen Jahr anknöpfen.

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