„Ich bin Minderheit“

Foto: gesichtzeigen.de
Foto: gesichtzeigen.de

Der Verein „Gesicht zeigen“ hat eine neue Kampagne gegen Diskriminierung gestartet. Mit prominenter Unterstützung werden in Berlin Plakate mit „ungewöhnlich provokanten Aussagen“ gekleistert. Doch bei manchen dürften diese eher für Irritationen sorgen.

„Ich bin Muslima. Wenn du was gegen Muslime hast“, prangt etwa auf dem Motiv, dem die Journalistin Astrid Frohloff ihr Gesicht leiht. Ulrich Wickert ist plötzlich Jude („Wenn du was gegen Juden hast“), Klaus Wowereit, der ja eigentlich schwul ist, auch wenn man nichts dagegen hat, ist Migrant. So geht es munter weiter. Klar gibt es auch noch „Schwarze“, „Türken“ und andere.

Der tiefere Sinn der Aktion bleibt ein wenig im Verborgenen. „Mein Name ist XYZ und ich zeige Gesicht: für Respekt, für ein weltoffenes Deutschland und für deine Würde. Denn meine Freiheit ist auch deine Freiheit. (…).“ Darum soll’s gehen. Aber muss man, um „Minderheiten“ zu schützen, gleich deren Identitäten annehmen? Oder besser: Sie sich ausleihen? Natürlich ist Astrid Frohloff keine Muslima. Und den diskriminierten (echten) Muslimas ist wohl kaum geholfen, wenn sie kurz tut, als wäre sie eine. Und wer Juden hasst, wird sich bestimmt nicht von einem Ulrich Wickert davon abbringen lassen.

Rassismus-Prävention kann funktionieren. Das aber klappt am besten, wenn signalisiert wird: Wir als Gesamtgesellschaft ächten Rassismus, Homophobie und jede andere Form von Diskriminierung. Man muss nicht selbst betroffen sein, um „Gesicht zu zeigen“ und andere in Schutz zu nehmen. Denn die meisten Leute, die Diskriminierung im Alltag erfahren, wollen nur eines: Von der Gesellschaft akzeptiert werden als Individuen in einem pluralistischen Kollektiv. Sie wollen eben keine „exotische“ oder „schrille“ Sonderstellung haben, sondern als Menschen wahrgenommen werden. Nicht als Juden, Türken, Schwule oder sonst was. Durch die neue Plakatkampagne wird leider gerade das Trennende (über)betont.

 

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Launisch
Launisch
11 Jahre zuvor

„Denn die meisten Leute, die Diskriminierung im Alltag erfahren, wollen nur eines: Von der Gesellschaft akzeptiert werden als Individuen in einem pluralistischen Kollektiv.“

Ich würde eher sagen: Die meisten Leute, die Diskriminierung erfahren, wollen einfach nur einen guten Lebensstandard erreichen und ihre Ruhe haben. Berufsempörer gibt es unter Migranten auffallend wenige. Dafür muss man sich nur mal das Klientel auf „Anti-Nazi-Demos ansehen“ – ein bunter Haufen verwöhnter Kinder aus reichem Hause. Diese Instrumentalisierung von Opfergruppen ist mindestens genauso verhöhnend wie diese alberne Plakatkampagne. Nichts gegen demokratisches Engagement, denn ohne wäre unsere Gesellschaft ganz schön arm, aber der ganze Kampf-Gegen-Rechts ist in meinen migrantischen Augen ein ziemlicher Affenzirkus. Opfer von Diskriminierung sind meiner Meinung nach gut beraten, an einem ausreichenden Selbstbewusstsein zu arbeiten und sich die Frage zu stellen: Was macht mich wirklich glücklich und brauche ich die Akzeptanz dieses „pluralistischen Kollektivs“, um meinen Frieden zu finden? Ich orientiere mich da an fernöstlichen Kulturen, die sich reichlich wenig aus der Meinung anderer Leute machen. Warum? Denen ist eine gesunde „Scheißegalhaltung“ in die Wiege gelegt worden (Stichwort Taoismus, Buddhismus). Meine islamisch geprägten Mit-Diskriminierten sind da deutlich sensibler. Kein Wunder, wenn die Grundaussage des Glaubens ist: Meine Einstellung, Werte, Religion sind die einzig wahren und über alles andere erhaben.

Arnold Voß
Arnold Voß
11 Jahre zuvor

Was mache ich z.B. wenn ein Muslim oder eine Muslima oder eine Jüdin oder ein Jude was gegen mich hat, weil ich die Beschneidung von Kleinkindern kritisiert habe? Ist dann z.B. auch Herr Wickert oder Frau Frohloff gegen mich?

quef
quef
11 Jahre zuvor

Was ich von der Kampagne halte, weiß ich nicht. Seltsam finde ich aber doch manches am Kommentar von LAUNISCH. Meine islamisch geprägten Schüler_innen glauben jedenfalls größtenteils nicht, dass ihre Einstellungen über alles andere erhaben sind. Leider bin ich auch noch nicht so fernöstlich erleuchtet, dass es mir (als queerer Lehrerin) egal wäre, wenn sich die lieben Kleinen als schwul, homo, behindert oder auch Jude beleidigen. Ich denke auch, dass Yoga, Tai Chi oder Meditation im Umgang mit Nazis nicht besonders hilfreich sind.

robert
robert
11 Jahre zuvor

Ich bin Raucher.

Arnold Voss
11 Jahre zuvor

Keine Sorge Robert. Ich bin Nichtraucher, aber ich werde sofort zum Raucher, wenn einer was gegen Raucher hat! 🙂

Launisch
Launisch
11 Jahre zuvor

@QUEF

Es geht auch nicht um Kinder. Die brauchen Erziehung und solche Schimpfwörter würde ich auch nicht durchgehen lassen. Die Kernaussage meines Kommentars richtet sich gegen die Instrumentalisierung von Minderheiten, die ich besonders im „Kampf-Gegen-Rechts“ sehe. Du sagst, Yoga, Tai Chi oder Mediation seien im Umgang mit Nazis nicht besonders hilfreich. Ja, was ist denn dann hilfreich? Opfer sein? Randale? Alberne Plakataktionen? Ich denke nicht. Und genau das haben die meisten Opfer selbst schon lange erkannt. Statt ihre Zeit auf „Anti-Nazis-Demos“ zu vergeuden, hocken die in der Uni oder eröffnen die zweite Dönerbude – konstruktive Dinge eben, die einen DIREKTEN Einfluss auf ihr Leben haben. Ich kann aus meiner Erfahrung sagen, dass die Opferrolle gefährlich ist. Und doch instrumentalisiert der links-geprägte Meinungsmainstream (ja lacht ruhig, so sehe ich es) Frauen, Homosexuelle, Migranten, alte Omas, Behinderte (Menschen mit Behinderung) für den Kampf gegen Diskriminierungen jeglicher Art. Die 18-jährigen Blagen reicher Vorstadteltern toben sich dann auf den entsprechenden „politischen Veranstaltungen“ aus, haben aber kaum Kontakt zu denen, um die es da geht. Wieviele Schwarze hast du schon auf den Anti-Nazi-Demos gesehen? Wieviele Asiaten? Wo sind die alle?

Der zweite Aspekt meines Kommentars bezieht sich auf kulturellen Unterschiede. Es ist auffällig, dass meine islamischen Mitdiskriminierten (ich kenne meine Leute) eher zur Annahme der Opferrolle tendieren als Menschen aus dem asiatischen Kulturkreis. Ich sehe dort durchaus einen Zusammenhang mit der Religion: Der Islam missioniert; er ist die einzige Religion; es gibt nur einen Gott. Das Resultat: Wer diskriminiert, ist gegen meine, einzig wahre Religion und gehört bekämpft. Klar, dass man dort sensibler ist. Im asiatischen Kulturkreis, der stark vom Buddhismus und verwandten Religionen geprägt ist, gibt es dieses Verhalten kaum. Dort besinnt man sich auf das Wesentliche: Auf sich selbst statt auf Dortmunder Vorstadt-Rassisten.

Zugegeben: Das ist sicher keine detaillierte, fundierte, mit Quellen belegte Analyse. Dennoch, wie ich finde, nicht ganz uninteressant.

PS: Dass du „queer“ bist, tut nichts zur Sache.

robert
robert
11 Jahre zuvor

Wenn ich mit meiner Tochter einmal im Jahr nach Berlin fahre, buche ich neuerdings immer bei einem Schwul-Lesbisch-Heterofreundlichen Hotel im Berliner Schwulenviertel. (Gibt’s eigentlich auch heterofeindlich, oder wieso schreiben die das extra dazu? Egal, anderes Thema)

Meine Tochter hat sich beim ersten mal über meinen Anfall von Solidarität leicht gewundert, aber Ihre Mutter hatte meine wahre Intention auf Anhieb entlarvt.

Ich fand die Nachbarschaft sehr angenehm in diesem Viertel voller Homosexueller. Entspannt, friedlich, weit und breit nichts zu sehen, was mir die Urlaubsstimmung hätte versauen können. Nicht wie im Jahr zuvor in der Nähe des Hermannplatzes.

Arnold Voss
11 Jahre zuvor

@ Launisch

Ich bin ungläubig und kann deine Argumentation gut nachvollziehen.

Frank
Frank
11 Jahre zuvor

@Launisch Danke für die offenen, erhellenden Worte. Vor allem, weil sie sich auf Erfahrungen und nicht Gedankenkonstrukte stützen.

Ich glaube an keine Kampagne, die sich nur an Kopf und Logik richtet. Rassismus baut man nur durch Selbsterfahrung ab. Viele geben sich oberflächlich und auffallend betonend „antirassistisch“, aber denen nehme ich das nicht an. Ich unterstelle denen eher, dass sie in anderen ihren eigenen Rassismus bekämpfen wollen. So wie viele homophobe Nazis und Kirchenfunktionäre in Schwulen die Angst vor der eigenen Homosexualität bekämpfen. Sie scheuen die Erfahrung, die ihnen ihre Angst und Aggression nehmen würde.

Der Rassismus ist nicht erledigt, indem man betont Partei für eine Minderheit ergreift, sondern wenn man aufgehört hat, den Unterschied zu sehen – und zu thematisieren. Und das wird immer das Ergebnis vom alltäglichen Umgang mit diesen Minderheiten sein. Nur so legen sich alle gefühlten und eingebildeten Unterschiede.

Sandra
Sandra
11 Jahre zuvor

Ich habe Organisationen wie „Gesicht zeigen“ und ähnliche Mail per mal gefragt:

Wie man auf (die Minderheit) ultra-orthodoxer Muslime zugeht, die alle, die eine andere Religion haben als Ungläubige ablehnt, Frauen als Personen 2.Klasse betrachtet, und bereits einfache Gesten der Höflichkeit wie den Handschlag mit Nichtmuslimen und Frauen (also auch mir) generell ablehnen.

Leider keine Einzelfälle, sondern mein täglicher Alltag als Jobcenter-Mitarbeiterin.

Wohl überflüssig zu erwähnen, dass ich nie eine Antwort erhalten haben.
Denn bei diesen Organisationen beschäftigt sich man nicht gerne mit der Realität das die Mehrheit oft auch unter der Minderheit leidet.

Moore
Moore
11 Jahre zuvor

@ launisch: verstehe ich sie richtig, dass für sie sich ein „opfer“ richtig verhält, wenn es sich nicht wehrt, sondern in sich geht und an sich arbeitet? mir ist am mittwoch in der leipziger innenstadt wegen meines aussehens noch eine bierflasche nachgeworfen worden, flankiert von eindeutigen sprüchen. soll ich mir dann sagen, „hey, die nehme ich nicht wichtig“. nein, ich will ohne probleme abends über die straße gehen können und mit respekt behandelt werden. mein problem ist nicht mein umgang mit diskriminierung, sondern diskriminierung an sich. und es bringt auch nichts, auf andere leute zu zeigen, die nicht-muslimischen frauen nicht die hand geben wollen. wir sollten uns nicht an denen orientieren, die auch nichts besser sind. diese kampagne will für mehr toleranz bei allen werben. keine ahnung, ob das was bringt. aber ich hoffe es.

Achim
11 Jahre zuvor

Nicht jede gut gemeinte Kunstaktion ist für uns verständlich.

Nicht jede gut gemeine antirassistische Kunstaktion ist hilfreich. Ich erinnere da mal eine Kunstaktion von Lea Ross(1) zum Thema Holocaust.

Der innere Zweck der Nazipartei ist die Machtergreifung der Nazipartei.
Und wenn es ein wahrgenommenes Problem mit der Trinkwasserfloridierung der der Jodierung von Speisesalz gäbe, dann würden sie es einsetzen um an die
Fleischrträge zu kommen.
Aber da gibt es ja kein Problem, also…

Unsere allseits bekannten Verhaltensgestörten wie Markus B. und „Kameraden“ arbeiten ja nicht im luftleeren Raum. Es gibt da durchaus ein paar Konflikte…
Diese realen Konflikte lassen sich zwar irgendwie „unter den Teppich kehren“ aber dies hilft nicht.
Der Durchschnittswähler ist nicht blöd und deswegen erhielten die diversen
Naziparteien (Erst NPD und dann PEPs) im Abstand von etwa 20 Jahren immer
Mandate in westdeutschen Landtagen, und dann merkten die Wähler was…

Satte Mehrheiten von 95% und mehr lassen sich nur durch Ehrlichkeit sichern.
Eine antirassistische Kampagne, die reale Probleme oder gefühlte Probleme nicht
berücksichtigt, die ist wenig hilfreich.

Achim

(1) Lea Ross schreibt sich Lea Rosh, aber wird Lea Ross ausgesprochen.

Nansy
Nansy
11 Jahre zuvor

Rassismus – ein schwieriges Thema!
Für den Soziologen Albert Memmi dient Rassismus primär der Herrschaftssicherung, Sinn und Zweck des Rassismus liegt in der Vorherrschaft. Sekundär kompensiert er psychologische Defizite, „man festigt die eigene Position gegen den Anderen. Psychoanalytisch gesprochen ermöglicht der Rassismus eine individuelle und kollektive Stärkung des Ichs“ „Um groß zu sein, genügt es dem Rassisten, auf die Schultern eines anderen zu steigen“

Der Rassismus bezieht sich eben nicht nur auf ethnische oder religiöse Unterschiede. Deshalb ist die Aussage von @Launisch, dass im asiatischen Kulturkreis, der stark vom Buddhismus und verwandten Religionen geprägt ist, der Rassismus weniger stark ausgeprägt ist, auch nur die halbe Wahrheit. Stichwort „Herrschaftssicherung“ und „Vorherrschaft: in Asien gibt es immer wieder Konflikte mit chinesischen Minderheiten (z.B.: „Jagdszenen aus Suhartos Reich“), die in einigen asiatischen Ländern geschäftlich sehr erfolgreich sind.
In Afrika sind es oft die geschäftlich erfolgreichen Libanesen und Inder, die diskriminiert und verfolgt werden.
Diese Minderheiten haben gar keine Möglichkeit ihre „Opferrolle“ herauszukehren – sie halten sich aus nachvollziehbaren Gründen bedeckt und versuchen möglichst wenig aufzufallen.

Robert
Robert
11 Jahre zuvor

Arnold Voss „Keine Sorge Robert. Ich bin Nichtraucher, aber ich werde sofort zum Raucher, wenn einer was gegen Raucher hat!“

Oh, das lese ich jetzt erst, danke für Ihre Solidarität. 🙂

Es gibt viele Nichtraucher, die so denken. Finde sowieso, dass die meisten Leute hierzulande recht tolerant miteinander umgehen, wovon ich als Sonderling schon oft profitiert habe. Aber die ständige Penetration mit „DU HAST TOLERANT ZU SEIN!!!!“ Kampagnen – Wann habe ich denen eigentlich mein Du angeboten? – könnte bei mir irgendwann das Gegenteil bewirken. Ausserdem guckt die Frau auf dem Plakat so, als wollte sie mir gleich in die Fresse hauen, wenn ich nicht auf der Stelle so super tolerant bin wie sie. Es gibt auch Leute, die nicht nur so gucken. Finde ich dann wiederum nicht so tolerant.

Helmut Junge
Helmut Junge
11 Jahre zuvor

Es gibt ganz schlimme berufliche Diskriminierungen von alleinerziehenden Müttern.
Nur zählen die heute nicht als Minderheit.
Selber schuld, warum sind die auch so viele. Oder?
Und sagt nicht, die würden von Teilen der Gesellschaft, selbst im Alltagsleben nicht diskriminiert.

Stefan Schritt
Stefan Schritt
11 Jahre zuvor

Die Kampagne stellt in der Tat Unterschiede in den Mittelpunkt, nicht Gemeinsamkeiten. Das ist innere Abkehr von Integration und Miteinander. Wir betrachten z.B. Schwule weiterhin als minderheitliche Randgruppe statt als normale Mitbürger wie jeden anderen auch, aber im Notfall stehen wir ihnen halt mal kurz bei. Freilich gibt es Unterschiede zwischen den Menschen – jeder einzelne Mensch ist ein Unikat. Diese Unterschiede aber herauszustellen, anstatt sie als normale Bestandteile des jeweiligen Individuums zu betrachten, ist eine subtile Form der Ausgrenzung.

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