„Ich habe bis auf weiteres auch noch kein Konzept gegen diese fast tragische Dezentralisieriung und Banalisierung des Ruhrgebietes gefunden“

Widmung im Natur-Park Südgelände, in Berlin-Schöneberg Foto (Ausschnitt): OTFW Lizenz: CC BY-SA 3.0


Die IBA Emscher Park, eine Initiative, die den raumstrukturellen Wandel  im Ruhrgebiet mit innovativen Projekten ergänzen sollte damit die altindustrielle Region ihre frühere wirtschaftliche Bedeutung wieder erhält, ist weltweit bekannt. In Architekten- und Planerkreisen ist ihr Erfolg eng mit dem Namen Karl Ganser (1937-2022) verbunden. Er war von 1989 bis 1999 ihr kreativer, kommunikativer und durchsetzungsstarker Geschäftsführer. Aus Anlass seines ersten Todestages fand im Mai 2023 in Dortmund ein Gedenk-Symposium statt, um seine Leistungen für das Ruhrgebiet zu würdigen. Zu diesem Symposium in Dortmund wurden ausgewählte Gäste eingeladen und gebeten, persönliche Erinnerungen an Karl Ganser beizutragen (1). Daraus ist ein buntes Album seiner Verehrer entstanden, eine eindrucksvolle Liebeserklärung von denen, die mit ihm das Projekt IBA Emscher Park angeschoben und es mit ihm zu Erfolg brachten. Der Untertitel ist etwas irreführend. Es ist kein Buch über integratives Planen und Handeln, auch wenn dies seinen Beitrag zur Theorie der Stadt-und Regionalplanung gut beschreibt. Von unserem Gastautor Klaus Kunzmann.

Die Widmungen sind in diesen Band sind fünf Abschnitten zugeordnet „Erinnerungen“, „Aufsätze. Redemanuskripte und Korrespondenzen“. „Karl Ganser und die IBA Emscher Park: Idee. Umsetzung und Folgen“. „Karl Gansers Wirken in verschiedenen Fachdisziplinen“ und “ Von Karl Ganser und der IBA angestoßene (Folge-) Projekte“.

Hendrik Wüst, der amtierende Ministerpräsident das Landes NRW nennt in seinem kurzen Grußwort Karl Ganser eine der Persönlichkeiten, die das Land bis heute prägen. und bleibende Spuren hinterlassen haben. Mit seinen Visionen, Ideen und Konzepten habe er Maßstäbe gesetzt. Er erwähnt auch, dass die Landesregierung Karl Ganser 2003 aufgrund seines Engagements für das Ruhrgebiet den großen Staatspreis des Landes verliehen habe, den Staatspreis mit dem auch Angela Merkel (2023), Michael Schumacher (2022) Klaus Töpfer (2019), oder Pina Bausch (1990) geehrt wurden. In einem weiteren Grußwort berichtet Christoph Zöpel, – er war von 1980 bis 1990 junger Minister für Stadt-und Landesentwicklung im Kabinett von Johannes Rau-, dass er es war, der Karl Ganser als 1980 von der Bundesforschungs-anstalt für Landeskunde in Bonn-Bad Godesberg für sein Ministerium in Düsseldorf abgeworben und damit eine neue innovative Epoche der Stadtentwicklung in NRW eingeleitet habe. Er gestand auch, dass sein Erfolg als Minister davon abhing. dass er Karl Ganser gefunden und für sein Ministerium gewonnen hatte. In einem ausführlichen Interview mit den Herausgebern lobte Christoph Zöpel das immense Wissen von Karl Ganser über ökologische und soziale Zusammenhänge, seine Wachstumskritik. Er bewunderte dessen großes Organisationstalent und die Fähigkeiten als Kommunikator mit Medien und Kommunen, erwähnte aber auch, dass er mit Karl Gansers Konzept für eine kontrollierte Desindustrialisierung des Ruhrgebietes nicht übereinstimmen konnte. Bei der Herausgabe dieser Dokumentation hätten gesellschaftliche und wissenschaftliche Gründe eine Rolle gespielt. Er sei sich daher sicher, dass vor allem Studierende der Raumentwicklung bei der Lektüre dieser Erinnerungen „….. lernen, nachhaltig erfolgreich zu planen und zu projektieren und (dass) „Staats-und Stadtdiener“ einsehen, dass räumliche umd soziale Veränderungen nicht durch bürokratisches Behandeln zu erreichen sind“ (S. 10) . Christoph Zöpel erinnerte aber auch daran, dass die Regierungszeit von Johannes Rau, dem damaligen Ministerpräsidenten des Landes NRW, eine besondere Epoche gewesen sei, in der es möglich gewesen sei, fünf Milliarden DM in eine IBA zu investieren (2). Sein Nachfolger Wolfgang Clement hingegen habe es nicht verstanden. Karl Gansers Leistungen zu erkennen (3).

Weitere Erinnerungs-Grußworte senden Sabine Baumgart, Präsidentin (2019- 2022)  der Akademie für Raumentwicklung in der Leibniz-Gemeinschaft (ARL) (2000.2000) und Martina Oldengott, Vorsitzende der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung NRW, die lange Jahre die Emscher Genossenschaft zu einem erfolgreichen Aufmerksamkeits-Wett-bewerber des Regionalverbandes Ruhrgebiet gemacht hat. Es folgen viele persönliche Erinnerungen. Nicht alle können hier gewürdigt werden.

Den Erinnerungsreigen eröffnet Heiner Monheim, Mitarbeiter in der BFLR und zuletzt Professor für Raumentwicklung an der Universität Trier (4) . Er erinnert an Karl Gansers frühe Tätigkeit am Geographischen Institut der TU München, wo er sich sehr um die Ausbildung von angewandten Geographen zu Raumforschern bemüht habe.  In seiner ausführlichen Würdigung Karl Gansers kommt auch dessen Tätigkeit im Münchner Referat für Stadtentwicklung und die Beteiligung an der kommunalen Planung für die Olympiade in München 1972 zur Sprache. Die Rolle der angewandten Geographie wird später in dem Buch noch einmal in einem Gespräch von Heiner Monheim mit Götz von Rohr und Claus Wiegandt angesprochen, die bedauern, dass die angewandte Geographie in der Disziplin wieder etwas an Bedeutung verloren habe.

Rolf Derenbach erinnert sich an die Zeit, als der junge Karl Ganser als sein zeitweiliger Chef, die BFLR umgekrempelt, modernisiert und in seiner Arbeit immer zeitökonomisch gedacht und gehandelt. habe. Er bedaure sehr, dass Karl Ganser, vielleicht aus diesem Grund seine Biografie nicht selbst geschrieben habe.

Gerhard Seltmann, stellvertretender Geschäftsführer de IBA Emscher Park bis 1995, berichtet von üblichen Anlaufschwierigkeiten, auch, dass manche Projekte schon vor Beginn der IBA im Düsseldorfer Ministerium unter Karl Gansers Leitung in die Wege geleitet wurden. Er bewunderte Karl Gansers positiven Umgang mit Menschen und bei Gesprächen mit Vertretern von Institutionen und Kommunen.

Ulrich Borsdorf, Direktor des Ruhrlandmuseums in Essen, erinnert an den Gasometer in  Oberhausen dessen Abriss schon genehmigt war,  bevor er von Karl Ganser und   Burkhard Drescher, dem damaligen Oberbürgermeister von Oberhausen  gerettet wurde. Mit der ersten Ausstellung „Feuer und Flamme,“ wurde der Gasometer zu einem wichtigen Leuchtturm und Besuchermagnet der IBA Emscher Park  (5).

Oliver Scheytt , Professor für Kulturpolitik an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg, – er war Geschäftsführer der Ruhr 2010,-  weist darauf hin, dass ohne die IBA-Emscher Park Essen (für das Ruhrgebiet)  die Wahl zur Kulturhauptstadt Europas 2010 gegen  zehn prominente Wettbewerber nicht gewonnen hätte (6) .

Roland Günter preist Karl Gansers als  den „Genius des Rundum-Denkens“ aber vor allem  dessen Engagement für das Ende der damals praktizierten Flächenkahlschläge im Reviers und den Erhalt der inzwischen längst denkmalgeschützten Arbeitersiedlungen.

Walter Siebel, einer der fünf Mitglieder des Direktoriums und einer der prominentesten Soziologen in Deutschland, hat für das Erinnerungsalbum seine Laudatio beigetragen, die er 1998 bei der Verleihung des Fritz Schumacher Preises an Karl Ganser gehalten hat. Darin erinnert er an Vorläufer der IBA Emscher Park, das Wörlitzer Gartenreich des Fürsten Pückler und an Ebenezer Howard.  Er charakterisiert Karl Gansers Wirken als „Überredungsdirigismus „und „Akapunkturplanung“. Die IBA habe immer dafür gekämpft, Innovation in nicht-innovativen Milieus zu schaffen, er und zitiert dessen wenig schmeichelhafte Aussage „Die IBA ist die Kunst der Zweckentfremdung öffentlicher Gelder“(S. 148).

Wolfgang Roters, Nachfolger von Karl Ganser im Düsseldorfer Ministerium, ist der Auffassung, dass dieser der altindustriellen Region ihre Würde zurückgeben habe. Doch ob die Region diese Würde auch heute noch mit Würde trägt, ließ er offen.

Kunibert Wachten, Kommissar des deutschen Beitrags zur Architekturbiennale 1996 in Venedig erinnert an eine Ansicht von Karl Ganser „man könne die IBA nicht ausstellen, man müsse sie erleben“. Im Gegensatz zur Ausstellung von Bahnhofsneubauten der Deutschen Bundesbahn habe die IBA unter Architekten wenig Interesse gefunden- Hans Hollein habe damals die IBA verächtlich als „den Abgesang auf den Berufstand“ (Architektur) klassifiziert (7).

Rolf Dieter Kreibich, Geschäftsführer des Sekretariat für Zukunftsforschung in Gelsenkirchen und Mitglied des Direktoriums erinnert an die Vorgeschichte seiner Berufung in das Direktorium der IBA (8) und meint, daß Karl Ganser mit der IBA „das weltweit größte Nachhaltigkeitsprojekt“ geschaffen habe und „…mit seinen Visionen und seinem Organisationstalent zu einem erfolgreichen  Gesamtkunstwerk gemacht“ habe (S. 165). Er zitiert auch eine abfällige und wenig sachkundige Bemerkung von Wolfang Clement, dem Nachfolger von Johannes Rau als Ministerpräsident das Landes NRW, die IBA habe „…weitgehend nur Radwege für Arbeitslose und Rentner geschaffen jetzt müssen wir wieder richtige Arbeitspolitik machen„(S.164).

Peter Landmann, er war Gründungsgeschäftsführer der Kultur Ruhr GmbH die Ministerpräsident Clement unterstützte und deren Aufsichtsratsvorsitzender Karl Ganser war,  überredete Gerard Mortier, der damals gerade zum Direktor der Oper in Paris ernannt worden war,  die Leitung der  gegründeten Triennale Ruhr zu akzeptieren, Diese Triennale, ein seit 2002  alle drei Jahre stattfindendes  Industriekultur-Festival  ist bis heute eine der nachhaltigsten Hinterlassenschaften der IBA. Sie wäre ohne Karl Ganser nicht Realität geworden.

Während seiner aktiven Zeit als Korrespondent der FAZ für das Ruhrgebiet, dem er ein Wahrnehmungsproblem bescheinigt, hat Andreas Rossmann  immer wieder über Geschehnisse in der Region berichtet (9), Er erinnert sich an seine Begegnungen mit Karl Ganser und dessen  aktive Pressearbeit und beschreibt das breite überregionale Presseecho, dass die IBA seinerzeit gefunden habe (10). In einem Brief an Andreas Rossmann, der auch in diesem Album wiedergegeben ist beklagt sich Karl Ganser noch im Jahre 1998 „Ich habe bis auf weiteres auch noch kein Konzept gegen diese fast tragische Dezentralisieriung und Banalisierung des Ruhrgebietes gefunden (S. 119).

Uli Paetzel erinnert daran , dass Karl Ganser sich von Anfang an sehr für das Jahrhundertprojekt  der Emscher Genossenschaft eingesetzt habe,  das die schrittweise Renaturierung der stinkenden Kloake Emscher bereits vor der IBA in Gang gesetzt hatte. Martina Oldengott stellt die IGA Metropole Ruhr 2027 vor, die Themen der Wasserwirt-schaft und Gewässerökologie aufgreift, die auch Karl Ganser immer im Auge gehabt habe.

Karl Jasper, Vorstandsvorsitzender der Industriedenkmalstiftung,  der lange Jahre im Düsseldorfer Ministerium Angelegenheiten der IBA Emscher Park und das Programm „Soziale Stadt NRW“ betreute, erinnert an „die baukulturelle und ökologische Wertschätzung“ , die Karl Ganser zum Maßstab für städtebauliche Entwicklung gemacht habe, was dann im Programm „Soziale Stadt NRW“ zu einem landesweiten Leitgedanken der Sozialen Stadtentwicklung wurde.

Marion Taube, zunächst zuständig für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der IBA, dann Bereichsleiterin für Kunst und Kultur bis zum Ende der IBA 1999 hat mit Karl Ganser dafür gesorgt, dass die IBA auf dem Feld von Kunst und Kultur bleibende Erinnerungen geschaffen hat, und sie tut dies mit einem wunderschönen und wohlformulierten Essay über die viel zu wenig beachtete Kunst-Dimension der IBA.  Britta Peters beschreibt in diesem Band auch wie es von der IBA Emscher Park zum Emscher Kunstweg gekommen sei, obwohl Karl Ganser einmal die „Verkunstung“ als Schädigung der Landschaft bezeichnet habe.

Rolf Kuhn, leitender Direktor der IBA See (2000 – 2010) rühmte die große Starthilfe, die Karl Ganser der IBA See (IBA Fürst-Pückler Land) gegeben hat. Er habe auch seinen Rat zur Gründung der Bauhaus Stiftung Dessau und der Entwicklung von Ferropolis beigetragen (11).

Weitere Beiträge in diesem reichhaltigen Erinnerungsband würdigen das ungewöhnlich breite Engagement von Karl Ganser für den Denkmalschutz (Hubert Weiger, Axel Föhl, und Udo Mainzer),  für Industriekultur (Rolf Höhmann), Timo Hauge),  Industrienatur(Jörg Dettmar), für Baukultur (Ulrike Rose) und für Geschichtskultur (Ursula Mehrfeld)- Uta Schneider schließlich  würdigt die Regionale in NRW, ein Folgeprojekt der IBA in anderen Regionen des Landes (12).

Eine Phalanx von politischen Akteuren im Ruhrgebiet,- Karl Ganser galt immer als Störenfried kommunaler Kreise-, unter ihnen zwei Oberbürgermeister ( Bern Tischler, Bottrop und Uli Sierau, Dortmund) und ein Staatssekretär (von der Mühlen),  die alle an der TU Dortmund Raumplanung studiert hatten, plädieren in ihrem gemeinsamen Beitrag für eine weitere IBA Emscher Park 4.0. doch die Chancen, dass das Land noch einmal fünf Milliarden für neue Impulse für eine weitere innovative Dekade in der Emscher Region zu investieren, sind gering, und die Chancen, einen ebenso charismatischen Direktor, wie Karl Ganser dafür zu finden, sind vermutlich noch viel geringer (13).

Über die IBA Werkstatt- Erfahrungen verantwortlicher Mitarbeiter der IBA Emscher Park (z.B. Henry Beierlorzer, oder Dieter Blase) die über lange Jahre mit dazu beigetragen haben, dass die Ideen von Karl Ganser erfolgreich verwirklicht wurden, hätten Leser des umfangreichen Erinnerungsbandes gerne noch etwas erfahren. In der langen Liste der Verehrer und Zeitzeugen findet sich auch kein Vertreter der Wirtschaft des Ruhrgebietes, nicht einmal ein Mitglied der RAG-Montan-Immobilien, die am Standort Zollverein in Essen einer der wirtschaftlichen Gewinner der IBA ist, aber auch keine Stimme des  Vereins Pro Ruhrgebiet, der ihn 1995 zum Bürger des Ruhrgebiets gemacht hatte, auch nicht eine des Regionalverbandes Ruhrgebiet, der wohl immer noch immer bedauert, dass er seinerzeit nicht (und aus Erfahrung mit Recht) mit der Durchführung der IBA beauftragt wurde.

Ausgewählte Texte von Karl Ganser (Veröffentlichungen, Redemanuskripte und Korrespondenzen) zur Stadtentwicklung und zur Planungskultur in Deutschland, auch sein Engagement für einem Nationalpark der Industriekultur ergänzen die Erinnerungen seine Netzwerker. Besonders der erst 2008 verfasste Beitrag “ vom Wachstumsdiktat zur Schrumpfungsrealität: Grundgedanken für eine alternative Stadt- und Regionalentwlcklung zeigt seine wachstumskritische Haltung (14).

Von Zeitzeugen zu erfahren, welche Erinnerungen sie an Karl Ganser haben, ist ein Lesespaß. Viel erfahren Leser in diesem Band auch über die Planungskultur im Ruhrgebiet und über die Schwierigkeiten, eine altindustrielle Region zu revitalisieren. Warum das im Ruhrgebiet so ist, lässt sich meist nur zwischen den Zeilen erahnen. In gewisser Hinsicht beschreibt der Band das in der Region verwurzelte Netzwerkes von Begleitern und Entscheidungsträgern, die mit Karl Ganser zu tun hatten, die mit dazu beigetragen haben, dass die IBA zu einer Erfolgsgeschichte geworden ist, und die sich heute in ihrer Einstellung zur IBA bestätigt fühlen dürfen. Karl Ganser hatte kein besonderes Interesse an internationaler Kooperation, auch nicht an den Wirkungen der IBA im Ausland. Es fällt doch auf, dass Beiträge von ausländischen Partnern in diesem Erinnerungsbuch fehlen. Zumindest ein Beitrag aus Japan, das ihm 2006 den renommierten Obayashi Prize verliehen hatte, hätte der Binnensicht ein Fenster in die Außenwelt geöffnet (15).  Auch sein Verhältnis zum akademischen Betrieb der Hochschulen war, nicht ganz unbegründet, immer etwas distanziert, daher fehlen in diesem Band vermutlich auch Beizträge aus den Universitäten im Ruhrgebiet (16).

Für eine umfassende Biographie müsste nicht nur an Karl Ganser erinnert, sondern Manches auch sachlich ergänzt werden. Sie müsste auch einen Lebenslauf und ein Schriftenverzeichnis enthalten. Der Erinnerungsband ist noch keine umfassende Würdigung der unglaublich vielen Facetten von Karl Ganser, auch kein ausgewogener Beitrag über die IBA Emscher Park,  aber er ein schöner Strauß, ein buntes Mosaik von Erinnerungen, ist ein Band des Erinnerns und der Würdigung. Es ist kein Band der beschreibt, welche Erwartungen die IBA nicht erfüllt hat, was von der IBA noch übrig ist, und welche Zukunft das Ruhrgebiet vor sich hat. Doch das opulente und beeindruckende Erinnerungsbuch liefert unendlich viele Quellen von Zeitzeugen für eine umfassendere Biographie, die erst noch geschrieben werden muss.

Uli Paetzel erinnert daran , dass Karl Ganser sich von Anfang an sehr für das Jahrhundertprojekt  der Emscher Genossenschaft eingesetzt habe,  das die schrittweise Renaturierung der stinkenden Kloake Emscher bereits vor der IBA in Gang gesetzt hatte. Martina Oldengott stellt die IGA Metropole Ruhr 2027 vor, die Themen der Wasserwirt-schaft und Gewässerökologie aufgreift, die auch Karl Ganser immer im Auge gehabt habe.

Karl Jasper, Vorstandsvorsitzender der Industriedenkmalstiftung,  der lange Jahre im Düsseldorfer Ministerium Angelegenheiten der IBA Emscher Park und das Programm „Soziale Stadt NRW“ betreute, erinnert an „die baukulturelle und ökologische Wertschätzung“ , die Karl Ganser zum Maßstab für städtebauliche Entwicklung gemacht habe, was dann im Programm „Soziale Stadt NRW“ zu einem landesweiten Leitgedanken der Sozialen Stadtentwicklung wurde.

Marion Taube, zunächst zuständig für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der IBA, dann Bereichsleiterin für Kunst und Kultur bis zum Ende der IBA 1999 hat mit Karl Ganser dafür gesorgt, dass die IBA auf dem Feld von Kunst und Kultur bleibende Erinnerungen geschaffen hat, und sie tut dies mit einem wunderschönen und wohlformulierten Essay über die viel zu wenig beachtete Kunst-Dimension der IBA.  Britta Peters beschreibt in diesem Band auch wie es von der IBA Emscher Park zum Emscher Kunstweg gekommen sei, obwohl Karl Ganser einmal die „Verkunstung“ als Schädigung der Landschaft bezeichnet habe.

Rolf Kuhn, leitender Direktor der IBA See (2000 – 2010) rühmte die große Starthilfe, die Karl Ganser der IBA See (IBA Fürst-Pückler Land) gegeben hat. Er habe auch seinen Rat zur Gründung der Bauhaus Stiftung Dessau und der Entwicklung von Ferropolis beigetragen (11).

Weitere Beiträge in diesem reichhaltigen Erinnerungsband würdigen das ungewöhnlich breite Engagement von Karl Ganser für den Denkmalschutz (Hubert Weiger, Axel Föhl, und Udo Mainzer),  für Industriekultur (Rolf Höhmann), Timo Hauge),  Industrienatur(Jörg Dettmar), für Baukultur (Ulrike Rose) und für Geschichtskultur (Ursula Mehrfeld)- Uta Schneider schließlich  würdigt die Regionale in NRW, ein Folgeprojekt der IBA in anderen Regionen des Landes (12).

Eine Phalanx von politischen Akteuren im Ruhrgebiet,- Karl Ganser galt immer als Störenfried kommunaler Kreise-, unter ihnen zwei Oberbürgermeister ( Bern Tischler, Bottrop und Uli Sierau, Dortmund) und ein Staatssekretär (von der Mühlen),  die alle an der TU Dortmund Raumplanung studiert hatten, plädieren in ihrem gemeinsamen Beitrag für eine weitere IBA Emscher Park 4.0. doch die Chancen, dass das Land noch einmal fünf Milliarden für neue Impulse für eine weitere innovative Dekade in der Emscher Region zu investieren, sind gering, und die Chancen, einen ebenso charismatischen Direktor, wie Karl Ganser dafür zu finden, sind vermutlich noch viel geringer (13).

Über die IBA Werkstatt- Erfahrungen verantwortlicher Mitarbeiter der IBA Emscher Park (z.B. Henry Beierlorzer, oder Dieter Blase) die über lange Jahre mit dazu beigetragen haben, dass die Ideen von Karl Ganser erfolgreich verwirklicht wurden, hätten Leser des umfangreichen Erinnerungsbandes gerne noch etwas erfahren. In der langen Liste der Verehrer und zeitzeugen findet sich auch kein Vertreter der Wirtschaft des Ruhrgebietes, nicht einmal ein Mitglied der RAG-Montan-Immobilien, die am Standort Zollverein in Essen einer der wirtschaftlichen Gewinner der IBA ist, aber auch keine Stimme des  Vereins Pro Ruhrgebiet, der ihn 1995 zum Bürger des Ruhrgebiets gemacht hatte, auch nicht eine des Regionalverbandes Ruhrgebiet, der wohl immer noch immer bedauert, dass er seinerzeit nicht (und aus Erfahrung mit Recht) mit der Durchführung der IBA beauftragt wurde.

Ausgewählte Texte von Karl Ganser (Veröffentlichungen, Redemanuskripte und Korrespondenzen) zur Stadtentwicklung und zur Planungskultur in Deutschland, auch sein Engagement für einem Nationalpark der Industriekultur ergänzen die Erinnerungen seine Netzwerker. Besonders der erst 2008 verfasste Beitrag “ vom Wachstumsdiktat zur Schrumpfungsrealität: Grundgedanken für eine alternative Stadt- und Regionalentwlcklung zeigt seine wachstumskritische Haltung (14).

Von Zeitzeugen zu erfahren, welche Erinnerungen sie an Karl Ganser haben, ist ein Lesespaß. Viel erfahren Leser in diesem Band auch über die Planungskultur im Ruhrgebiet und über die Schwierigkeiten, eine altindustrielle Region zu revitalisieren. Warum das im Ruhrgebiet so ist, lässt sich meist nur zwischen den Zeilen erahnen. In gewisser Hinsicht beschreibt der Band das in der Region verwurzelte Netzwerkes von Begleiter und Entscheidungsträger, die mit Karl Ganser zu tun hatten, die mit dazu beigetragen haben, dass die IBA zu einer Erfolgsgeschichte geworden ist, und die sich heute in ihrer Einstellung zur IBA bestätigt fühlen dürfen. Karl Ganser hatte kein besonderes Interesse an internationaler Kooperation, auch nicht an den Wirkungen der IBA im Ausland. Es fällt doch auf, dass Beiträge von ausländischen Partnern in diesem Erinnerungsbuch fehlen. Zumindest ein Beitrag aus Japan, das ihm 2006 den renommierten Obayashi Prize verliehen hatte, hätte der Binnensicht ein Fenster in die Außenwelt geöffnet (15).  Auch sein Verhältnis zum akademischen Betrieb der Hochschulen war, nicht ganz unbegründet, immer etwas distanziert, daher fehlen in diesem Band vermutlich auch Beizträge aus den Universitäten im Ruhrgebiet (16).

Für eine umfassende Biographie müsste nicht nur an Karl Ganser erinnert, sondern Manches auch sachlich ergänzt werden. Sie müsste auch einen Lebenslauf und ein Schriftenverzeichnis enthalten. Der Erinnerungsband ist noch keine umfassende Würdigung der unglaublich vielen Facetten von Karl Ganser, auch kein ausgewogener Beitrag über die IBA Emscher Park,  aber er ein schöner Strauß, ein buntes Mosaik von Erinnerungen, ist ein Band des Erinnerns und der Würdigung. Es ist kein Band der beschreibt, welche Erwartungen die IBA nicht erfüllt hat, was von der IBA noch übrig ist, und welche Zukunft das Ruhrgebiet vor sich hat. Doch das opulente und beeindruckende Erinnerungsbuch liefert unendlich viele Quellen von Zeitzeugen für eine umfassendere Biographie, die erst noch geschrieben werden muss.

Anmerkungen

(1) Der Rezensent hatte Karl Ganser noch als Dozenten an der TU München erlebt, wo er 1967 im Rahmen eines Modellversuchs für ein städtebauliches Aufbaustudium lehrte und später dann wieder 1995 als Mitglied des wissenschaftlichen Beirates der IBA Emscher Park. Er war von 1995-1997 von der IBA  benanntes Mitglied im Aufsichtsrat der Kultur Ruhr GmbH Ruhr und Bürger des Ruhrgebiets 2007.

(2) Die IBA wurde seinerzeit nicht evaluiert.  Eine Evaluierung, wie sie Beratungsunter-nehmen in der Regel durchführen hätte vermutlich auch keine positiven, wirtschaftlich messbaren Ergebnisse ergeben und nur politische Unruhe verursacht. Aber das Ist Geschichte. Von den Projekten der IBA Emscher Park wird das Ruhrgebiet noch lange zehren, auch wenn es die Region nicht zur Metropolregion und nicht zu neuer wirtschaftlicher Blüte gebracht hat.

(3) Nach dem Ende der IBA hat Karl Ganser dem Ruhrgebiet schnell den Rücken gekehrt und sich in seine schwäbische Heimat zurückgezogen. Dort hat er sich für den Erhalt und die kreative Umnutzung des 2001 stillgelegten Gaswerkes in Augsburg-Oberhausen eingesetzt. Die Stadtwerke Augsburg (swa) bauen das Industriedenkmal von europäischem Rang seit 2017 zum Kultur- und Kreativquartier um. Neben der Brechtbühne des Staatstheaters Augsburg haben dort viele Kreativunternehmer, Künstler und Musiker eine neue Heimat gefunden.

(4) Monheim, H. und Ch. Zöpel., Hg,. (2008) Raum für Zukunft. Zur Innovationsfähigkeit von Stadtentwicklung  und Verkehrspolitik. Essen: Klartext.

(5) Das galt auch für die dort gezeigte Installation „The Wall“, von Christo und Jeanne-Claude zum Abschluss der IBA 1999.

(6)  Die Mitbewerber waren seinerzeit beispielsweise Münster, Augsburg, Potsdam , Lübeck oder Kassel . Karl Ganser hatte seinerzeit Augsburg beraten!

(7) Wachten K., Hrsg.  (1996) Wandel ohne Wachstum. Stadtbaukultur im 21.Jahhundert

Ruhrgebiet. Katalog der Architekturbiennale Venedig. Wiesbaden: Vieweg.

(8) Weitere Direktoren der ersten Stunde der IBA (Peter Zlonicky, Dieter Läpple, und Arno S. Schmid, haben sich in diesem Band nicht zu Wort gemeldet.

(9 ) Rossmann, A, (2012) Der Rauch verbindet die Städte nicht mehr . Ruhrgebiet: Orte, Bauten, Szenen. Mit einem Vorwort von Karl Ganser. Köln: König.

(10) z. B. Sack, M. (1999) Siebzig Kilometer Hoffnung. Die IBA Emscher-Park, Erneuerung eines Industriegebiets. München: DVA.

(11) Ferropolis ist ein Industriemuseum und Veranstaltungsort in Gräfenhainichen östlich von Dessau-Roßlau auf einer Halbinsel im Gremminer See, dem ehemaligen Tagebau Golpa-Nord. und Ankerpunkt der Europäischen Route der      Industriekultur.

(12) Siehe dazu den Band: Regionale GmbH und Wolters F. Hg. (2005) Regionale 2004: Ein Prozess. Steinfurt: Tecklenburg Verlag.

(13) Insbesondere der Stadt Dortmund hat die IBA Mut gemacht. Ohne ihr Vorbild wären wohl der Dortmunder Phoenixsee auf dem Gelände eines abgebauten und nach China verfrachteten Stahlwerks,  das modernes Stadtquartieran dessen Ufer nicht entstanden, auch nicht der 20 Jahre später eröffnete Veranstaltungskomplex  Phoenix des Lumieres.

(14)  Insbesondere das die IBA strukturierende Memorandum trägt seine Handschrift. Siehe: Minister für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen. Hrsg. (1989) Internationale Bauausstellung Emscher Park: Werkstatt für die Zukunft alter Industriegebiete: Memorandum zu Inhalt und Organisation. Der darauf folgende Projektaufruf auf den 300 Bewerbungen eingingen, hatte die Richtung vorgegeben, Bei der Auswahl der eingereichten Projekte wurde seinerzeit darauf geachtet, dass sie realisierbar waren, auch dass keine Schubladenpläne und keine akademischen Analysen ausgewählt wurden.

In dem Band ist auch ein sehr lesenswerter Beitrag enthalten, den Karl Ganser mit Thoma Sieverts in der disp: The Planning Review 1993 (Vol 29, Issue 116 S.31-37 )mit den Titel: „Vom Aufbaustab Speer bis zur Internationalen Bauausstellung Emscher Park und darüber hinaus: Planungskulturen in der Bundesrepublik Deutschland“ publiziert hatte“. Auch auf zwei Bücher sei hier noch hingewiesen: Ganser, K.; Hesse, J. J.; Zöpel, C. ,Hrsg., (1991) Die Zukunft der Städte. Baden-Baden: Nomos. und Höber, A.  und K. Ganser, Hrsg., (1999) Industriekultur: Mythos und Moderne im Ruhrgebiet. Essen: Klartext.

(15) Die Obayashi Foundation in Japan beschreibt ihre Mission auf der website wie folgt:  „The Obayashi Foundation’s Mission Statement recognizes balance in the creating of cities that foster affluent lifestyles. This is an important perspective for all who seek a sound future for Japan, and we are committed to play our part in realizing communities that are truly vibrant places for people to live, by promoting the advancement of research related to cities through our support of scholars dedicated to the study of urban functions and culture“.

(16 ) siehe dazu beispielsweise: Ache, P.  H. Bremm, K. R. Kunzmann und M. Wegener, Hrsg. (1992) Die Emscherzone: Strukturwandel, Disparitäten und eine Bauausstellung. Dortmund: Dortmunder Beiträge zur Raumplanung, Bd. 58. ; Müller, K. M. Schmals (1993) Die Moderne im Park? Ein Streitbuch zur Internationalen Bauausstellung im Emscherraum. Dortmund; Reicher, Ch., L. Niermann und A. Uttke, Hrsg. (2011), Internationale Bauausstellung Reicher Ch. und T- Schauz, Hg. (2010)  IBA Emscher Park: Die Wohnprojekte 10 Jahre danach. Essen. Klartext.Emscher Park: Impulse, lokal, regional, national, international. Essen, Klartext.;

Kloke, Anna, H. Monheim, U. Paetzel (2023) Karl Ganser-Integratives Planen und Handeln. Dortmund. Kettler Verlag. 332. S.

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