„Ich habe immer gedacht, so wie man lebt, das ist politisch“

Robert Frank bei der Eröffnung der Ausstellung Robert Frank. HOLD STILL – keep going, 10.12.2000 Foto: Museum Folkwang, Jens Nober

Diesen November vor fünf Jahren starb Robert Frank, und die Welt schien den Atem anzuhalten, doch schon ist es wieder still geworden um den Avantgardekünstler – außer wenn es ums Geld geht: Heute ist Franks Fotoserie „The Americans“ mit einem vom Fotografen selbst noch ergänzten 84. Bild über zehn Millionen Euro wert.

Die Kölner Galerie Zander zeigt sie bis 17. Januar 2025. Bis Juli 2025 ist die ikonische Fotoserie wohlfeil, die unter den deutschen Museen dem Museum Folkwang mit seiner renommierten Fotosammlung am Besten zu Gesicht stünde, zumal Robert Frank dem Museum Folkwang und Ute Eskildsen, der Leiterin der Fotografischen Sammlung bis 2012, schon seit den 1980er Jahren eng verbunden war.

Nach drei Präsentationen seines foto- und filmkünstlerischen Schaffens zwischen 1987 und 2008 und dem Experimentalfilm „Hunter“, den der Avantgarde-Filmer 1989 im Ruhrgebiet drehte, erinnert gegenwärtig zu seinem 100. Geburtstag die Ausstellung „Be Happy“ mit Fotografien, Briefen und Dokumenten aus den Sammlungsbeständen an das Lebenswerk des Ausnahmekünstlers. Mit der gesamten Folge „From the Bus“, die 2010 für die Museumssammlung erworben wurde, und einer Auswahl von Fotografien aus Franks Schlüsselserie „The Americans“ wartet die aktuelle Schau in Essen auf. Grund genug, noch einmal genauer hinzuschauen.

Robert Frank U.S. 90, En route to Del Rio, Texas, 1955 Aus der Serie The Americans Silbergelatineabzug, 37,7 x 24,4 cm © The June Leaf and Robert Frank Foundation

Es ging um Authentizität, Unabhängigkeit und den freien Willen: Was in den Nachkriegsjahren junge amerikanische Künstler sich in Paris erhofften, trieb in entgegengesetzter Richtung Robert Frank nach New York. 1947 kam der Abkömmling einer jüdischen Züricher Familie, gerade mal 23 Jahre alt, in eine vorwärts rasende Weltstadt an, während im alten Europa eine zweijährige Friedenszeit die Spuren der Verwüstung noch längst nicht hatte tilgen können. Hektische Nervosität herrschte zwischen den Wolkenkratzern, und Robert Frank stürzte sich hinein in die Kulturwirtschaft, eignete sich Wissen über Illustration an, probierte Modefotografie und lernte schnell die Tricks der gewerblichen Fotografie. Bald kannte er sich aus, aber ihm war klar, dass er dieses Wissen verlernen musste, um sich selbst gerecht zu werden. Ein authentisches Bild der amerikanischen Gesellschaft wollte er sich verschaffen. Schon seine ersten in Zeitungen veröffentlichten Lichtbilder weckten die Aufmerksamkeit von Walker Evans, der ihn bei seiner Bewerbung um ein Stipendium unterstützte. „Das Erstellen eines umfassenden, voluminösen Bildspeichers aller amerikanischen Dinge, in Vergangenheit und Gegenwart“ beschreibt Frank als Ziel sein Vorhaben. Sein Projekt sei im Kern die visuelle Studie einer Zivilisation. aber nur teils dokumentarisch zu nennen: Eines der Ziele sei eher künstlerisch.

Während Frank in einem gebrauchten Volkswagen zu zweijährigen Erkundungen durch die Vereinigten Staaten kurvte, kehrten in entgegengesetzter Richtung um 1950 herum junge amerikanische Kriegsveteranen über ein US-Bildungsprogramm nach Paris zurück, um Kunst zu studieren. Sie entflohen einem tristen Dasein, dessen Zeuge Robert Frank mit der Kamera wurde. Das glamouröse Paris entpuppte sich für sie als eine ramponierte Stadt, die nach vierjähriger Nazi-Herrschaft gezeichnet war von Baugerüsten, gesperrten Straßen und Mangel. Dennoch sprach ihnen der Kunsthändler Jean-Robert Arnaud wohl aus der Seele mit seiner Feststellung “Paris right after the war was a myth, the great myth”, and the myth lasted about seven or eight years.“ Jean Fournier stellte die jungen amerikanischen Künstler als einer der ersten in seiner Galerie in der Rue du Bac aus, die zu einer Anlaufstelle für Expats wurde. Europäische und amerikanische Künstler tauschten sich dort aus und inspirierten sich. gegenseitig.

 

Nach zwei Jahren rastloser Erkundungen hatte Robert Frank 27 000 Aufnahmen im Kasten. 83 Bilder fanden den Weg in sein Fotobuch „The Americans“. Unvoreingenommen, unparteilich, unbestechlich dokumentierten die Schwarz-Weiß-Bilder die Wirklichkeit eines Landes, dem seit den Fluchtbewegungen der Puritaner im 17. Jahrhundert der Ruf vorauseilte, frei zu sein:

Radikale, ungeschminkte Lichtbilder, unscharf, mit grobem Korn, hartem Schwarz-weiß-Kontrast und ungewöhnlichem Blickwinkel, die eine weitverbreitete schönfärberische Ästhetik herausforderten. Die Aufnahmen, die vom sozial und politisch unruhigen Nachkriegsamerika zeugen und von Franks eigener bitteren Enttäuschung über soziale Missstände und die verstörende Entfremdung überall wurden ihm als Fakes vorgeworfen: „Sinnlose Unschärfen“, fanden Kritiker,  „ein trauriges Gedicht für kranke Menschen“. Dabei war der Rassismus im Lande schwarz auf weiß zu sehen, etwa auf jener ikonischen Aufnahme von den Fahrgästen eines zweistöckigen Stadtbusses, die nach Hautfarbe sortiert, durch die offenen Fenster schauen. Was der Neuling da in seinem Fotoband „The Americans“ veröffentlichen wollte, stimmte nicht mit dem Selbstbild vieler Amerikaner überein. Er fand keinen Verleger und brachte das Buch 1958 in Paris heraus. Erst ein Jahr später erschien es in New York, und ab 1960 war erst einmal Schluss mit der Fotografie. Frank hatte sich in seinem Fotobuch als Künstler zu erkennen gegeben, nun gehörte er zur Beatnik-Szene und experimentierte gattungsübergreifend mit Film- und Videomaterial sowie Sprachfragmenten.

“Up you go, little smoke” singt Jack Kerouac den kleinen Pablo in den Schlaf. Wir wissen das, weil Robert Frank als junger Vater die Szene in seinem Film „Pull my daisy“ festgehalten hat. Rauch-Zeichen sind Zeit-Zeichen. Dokumentarische Filmsentenzen übers Filmhandwerk werden in „Me and my brother“ in die Handlung integriert.

Ende der 1968er Jahre zerbricht seine erste Ehe und die Familie; die beiden Kinder Pablo und Andrea leben fortan im Internat. In „Conversations in Vermont“ (1969) verarbeitet Frank sein eigenes Bedauern und fragt den Sohn nach dessen Schmerz.

Anfang der 1970er Jahre wendet er dem Metropolentrubel den Rücken zu und wandert mit seiner späteren Ehefrau Joan Leaf auf die kanadische Insel Nova Scotia aus. Sie finden einen neuen Ruhepol nahe dem Dorf Mabou in einem kleinen Holzhaus über den Klippen von Cape Breton. Hier sind öffentliches und privates Leben untrennbar miteinander verschränkt, Frank operiert mit der Videokamera und ist wieder mit einer kleinen, leichten Kamera unterwegs. Die Fotografie Mabou (Words, Nova Scotia, 1977) zeigt Fotoabzüge, die zum Trocknen an einer durchs Motiv laufenden Leine hängen. Es entsteht das Video „Home Improvements (1985), das vermutlich den Ursprung biografischer Home-Videos markiert. Seine Sichtweise beeinflusste vermutlich maßgeblich bedeutende Künstler wie Nan Goldin und Cindy Sherman. Frank thematisiert Übergänge: vom Sehen zum Lesen, zwischen Einheit und Vielheit, Standpunkt und Gesichtskreis. Das „Dazwischen“ war sein Reich. Er entdeckt die Fotocollage für sich. Beschädigt muten diese Motive an, abgenutzt, fragil wie Sinnbilder der tragischen Geschichte seiner Familie, des Suizids seines Sohnes Paco und des Unfalltods seiner Tochter Andrea. In seinem Todesjahr 2019 bringt Frank sein letztes Fotobuch „Good days Quiet“ heraus. Einer seiner Grundsätze lautete: “I am always looking outside trying to look inside”

Irmgard Bernrieder

 

Dir gefällt vielleicht auch:

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
0 Comments
Oldest
Newest
Inline Feedbacks
View all comments
Werbung