Nach zweiwöchiger Pause haben sich unsere Autoren Peter Hesse und Robin Patzwaldt in dieser Woche wieder einmal etwas ausführlicher über die aktuelle Lage im Profifußball unterhalten. Diesmal ging es u.a. um die schwindende Strahlkraft der Nationalmannschaft und die Aussichten der Bundesliga nach der leidigen Corona-Pandemie.
Peter Hesse: Lieber Robin, diesmal möchte ich in unser Fußballvorschau mal den Fokus auf die Boulevard-Themen beim Fußball lenken, die in regelmäßigem Abstand immer wieder mit voller Wucht zuschlagen. Was haben wir nicht alles erlebt: Michael Skibbe wurde sein Handy geklaut – und weil dort pikante Nackt-Fotos entdeckt wurden, ist er erpresst worden. Dazu die Kokain-Affäre von Christof Daum oder die Steuerhinterziehung-Arie von Uli Hoeneß. In den letzten 30 Jahren ist wirklich unfassbar viel Dämliches, Tragisches und auch Erheiterndes passiert. Welcher Fall hat dich besonders angefasst?
Robin Patzwaldt: Hallo Peter! Hmmm. da erwischt du mich auf dem falschen Fuß. Diese Themen interessieren mich kaum einmal. Ich bin da eher auf das rein Sportliche fixiert. Beim Thema Boulevard erreichen mich wirklich nur die allergrößten ‚Aufreger‘. Das mit Skibbe ist mir zum Beispiel entgangen. Das Thema Daum war hingegen so groß, daran kam man damals ja gar nicht vorbei. Das war natürlich ein echter Aufreger. Zuallererst war ich sauer auf Hoeneß, der das Gerücht ja befeuert hatte. Aber nachdem er tatsächlich recht hatte, stand er bei mir dann wieder etwas besser dar. Die Steuer-Affäre vom Uli, die fand ich auch ein großes Thema. Aber viel mehr fällt mir da jetzt gerade spontan auch nicht ein. Welche Beispiele hast du denn noch, die dich aufgeregt haben. Vielleicht erinnere ich mich dann ja auch wieder daran. Leg mal vor….
Peter Hesse: Letzte Woche war doch erst wieder so ein Fall. Auf dem Platz gelang der deutschen Nationalmannschaft der mühsam erkämpfte erste Heimsieg im Jahr 2020, nur bei den TV-Quoten steckte das Team am vergangenen Mittwochabend eine schallende Niederlage ein. Das 1:0 im Freundschaftsspiel gegen Tschechien, bei dem wegen der großen Belastungen überwiegend Ersatzspieler zum Einsatz kamen, sahen laut dem Mediendienst ›dwdl‹ weniger Zuschauer als die ZDF-Sendung „Bares für Rares“ – was für ein Trash! Oder denk mal an die ganzen Skandale, die dein „Spezialfreund“ Kevin Großkreutz in den vergangenen Jahren abgezogen hat: der Dönerwurf von Köln, die ›Pinkelaffäre‹ in einem Berliner Hotel oder die Schlägerei an der Stuttgarter Bordellmeile, in die Kevin mit Jugendfußballern verwickelt war. Kevin erwägt nun, nachdem sein Vertrag mit dem KFC Uerdingen nicht verlängert worden ist, in den Amateurfußball zu wechseln – das wird sicher wieder vom Boulevard befeuert werden. Auch die Affäre um Christoph Metzelder schlug in diesem Jahr hohe Wellen, wie hast du die Berichterstattung dazu wahrgenommen?
Robin Patzwaldt: Kevin Großkreutz ist echt ein Sonderfall. Den haben wir ja auch hier im Blog schon mehrfach thematisiert. Er gehört in die Kategorie von Spielern, die längst nicht das aus ihrer Karriere gemacht haben, was möglich gewesen sein dürfte. Klar, er hat dem WM-Titel 2014 auf seiner Visitenkarte, aber da weiß streng genommen ja bis heute noch niemand, wie das entstanden ist. Und vielleicht war auch das der Knackpunkt in seinem Leben. seither scheint es für ihn ja nur noch abwärts zu gehen. Das ist schade. Er hätte das Zeug zu einer echten BVB-Legende gehabt. Aber heute dürften die Vereinsvertreter in Dortmund wohl lieber auf die Nennung des Namens Großkreutz verzichten. Das ist traurig. Noch trauriger ist das, was man über Metzelder lesen musste. Juristisch kann und will ich das nicht bewerten. Ich weiß einfach nicht, inwieweit die Vorwürfe stimmen, was da genau los war. Fakt ist, dass die Szene mit ihm einen echt guten Fußball-Experten im TV und einen smarten Typen verloren hat. Das finde ich sehr bedauerlich. Ich mochte ihn immer sehr gerne, habe ich vor Jahren auch mal für die Ruhrbarone interviewt, weil er echt immer was zu sagen hatte. Wie schätzt du die beiden Personalien ein?
Peter Hesse: Im Falle von Großkreutz merkt man auch ganz klar noch die untrügliche Handschrift von Jürgen Klopp – denn ein Trainer muss Spieler auch besser machen können. Der Coach muss bestimme Prozentzahlen aus ihm heraus kitzeln, die noch im Niemandsland verschüttet liegen und die dann zu Tage fördern – so wie das eben bei Kuba, Subotic oder eben im großen Stil bei Großkreutz geklappt hat. Unter Klopp ist Kevin Nationalspieler geworden und als Tuchel kam, konnte der mit der Art von Kevin nichts mehr anfangen – und so begann sein schleichender Abstieg. Kevin Großkreutz trifft sich jetzt noch einmal mit Vertretern von KFC Uerdingen vor dem Arbeitsgericht, danach wird sich zeigen wie es mit ihm weitergeht. Der Fall Metzelder hat mich auch ganz traurig gemacht, ich hatte in den letzten 12 Jahren mehrfach mit ihm zu tun – und hab ihn ebenfalls als sehr intelligenten Spieler auch neben dem Platz empfunden. Er ist aus der Agentur gefolgen, die er mitgegründet hat, seine Stiftung hat die Arbeit eingestellt und kein Ex-Spieler ist ihm zur Seite gesprungen. Alles ganz schön heftig. Themawechsel: Eintracht Frankfurt hat heute die bekannt gegeben, wie groß das Loch bei Ihnen in der Kasse ist: durch die Corona-Pandemie fehlen bislang in dieser Saison etwa 15 bis 20 Millionen Euro. Wenn die Rückrunde genauso wie bisher weiterverkauft, werden es vielleicht 80 bis 90 Millionen Euro sein, die bei der Eintracht in der Kasse fehlen. Fredi Bobic als Vertreter von Eintracht Frankfurt hat heute bekannt gegeben, dass die Lizenz-Spieler nun einem Gehaltsverzicht bis zum Saisonende zugestimmt haben. Eine in meinen Augen vernünftige Entscheidung, oder?
Robin Patzwaldt: Beim BVB soll das erwartete Minus für diese Saison ja auch über 70 Mio. liegen. Und das, obwohl der Klub Champions League spielt. Die Eintracht ist dieses ja ja gar nicht international dabei. Gehaltsverzicht ist da aus meiner Sicht das mindeste, was die Spieler da erwartet. In anderen Sportarten, wie im Eishockey, sind die Folgen ja noch deutlich dramatischer. Da geht es jetzt schon um die Zukunft von Vereinen und Liga. davon ist die Fußball-Bundesliga aktuell ja noch ein Stück weit entfernt. Aber ewig kann sich die Buli das auch nicht leisten. Und die Perspektiven sind finster, was man so hört. Auch in 2021 werden die Stadien nicht wieder wirklich voll sein können. Und ich stelle fest, dass meine Begeisterung nach und nach zurückgeht. Fußball ist mir aktuell längst nicht mehr so wichtig wie vor Corona. Und das wird ja nicht nur mir so gehen. Wie sich das dann auch nach Corona auf Dauer auswirkt auf die Einnahmen der Teams, das müssen wir abwarten. Wie hat sich das denn bei dir bisher verändert? Bist du noch so engagiert beim Fußball, wie zuvor?
Peter Hesse: Ich war seit März eigentlich nur beim Amateurfußball – wie zum Beispiel bei Wanne-Eickel oder beim Wuppertaler SV in der Regionalliga West. In einem Stadion mit 300 Personen zu sitzen macht mir keinen Spaß – auch die Jammerei der Bundesliga nicht. Oder das die Nationalelf gestern ein Spiel bestritten hat, obwohl im Umfeld des Teams aus der Ukraine gleich mehrere positive Corona Fälle gaben – vier Spieler und ein Betreuer mussten in Quarantäne. Ich finde das absolut verantwortungslos und es geht mir auch tierisch an – und auf die Nerven, wie trotzdem an solchen Spielen festgehalten wird. Die deutsche Nationalmannschaft spielt am kommenden Dienstag gegen Spanien um den Gruppensieg in der Nations League – und dann ausgerechnet im Risikogebiet Sevilla. Schon jetzt ist klar, dass ich dieses Spiel nicht schauen werde. Du wahrscheinlich auch nicht, oder?
Robin Patzwaldt: Die Nationalmannschaft ist mir persönlich schon lange relativ egal. Wenn an einem Abend sonst mal nichts ist, schaue ich die Spiele hin und wieder. Aber im Regelfall sind mir die Jungs ziemlich wurscht. Das hat viele Gründe. Zum einen stehe ich eh nicht besonders auf ‚Nationalmannschaften‘. Ich bin eher für Klubteams. Zum anderen ist mir Löw suspekt. Den mochte ich von Anfang an nicht. Und die Zusammensetzung der Mannschaft tut unter ihm ein übriges bei mir. Kurz zurück zur Frage: Nein, das Spiel am Dienstag werde ich vermutlich nicht anschauen. Dass die Begegnung in Spanien stattfindet finde ich auch sehr leichtsinnig. Dass Spiel gegen die Ukraine war noch ärgerlicher, vor dem Corona-Hintergrund. Ich hoffe derzeit immer, dass diese internationalen Spiele die Bundesliga nicht ins Chaos stürzen. Denn die Bundesliga hat bei mir Vorrang. Immer. Und es wäre sehr ärgerlich, wenn diese am Ende in sportliche Schieflage geraten sollte, weil die Spitzenteams ihre Nationalspieler vermehrt in Quarantäne schicken müssten. Zuletzt war das beim BVB ja schon zwei Mal der Fall, nach der letzten Länderspielpause. Insgesamt habe ich meinen Medienkonsum durch Corona stark verändert. Die Sportnachrichten sind hinter die Weltpolitischen News zurückgefallen. Nach vielen Jahren mal wieder. Das ist für mich persönlich auch eine interessante Entwicklung in meinem Alltag. Man merkt, was wirklich wichtig ist im Leben. Dass war mir natürlich auch vorher klar, aber jetzt sehe ich die Politik wieder als spannender an. Zuvor war das lange Zeit der Sport. Da hat mich Politik gelangweilt. Jetzt ist es fast umgekehrt. Da ich damit nicht alleine sein werde, sehe ich für den Sport da schon eine echte Gefahr für die Zeit nach Corona. Wenn sich Millionen von der Bundesliga abwenden, sie sich abgewöhnen, die Folgen wären für den Profisport weitaus bedrohlicher als das Virus selber. Ich hoffe, dass des den Klubs gelingt das Interesse an ihrem Tun bei den Fans hoch zu halten. Derzeit habe ich leichte Zweifel, schlicht, weil es bei mir persönlich auch schon solche Tendenzen gibt. Und bei dir ja offensichtlich auch.
Peter Hesse: Es gab in der Geschichte der Bundesliga nur einen einzigen Skandal, der das Publikumsinteresse nach unten korrigiert hatte – und der liegt auch fast 50 Jahre zurück. Am 6. Juni 1971, einen Tag nach der Meisterfeier von Borussia Mönchengladbach und einen Tag nach dem Abstieg von Rot-Weiß Essen und Kickers Offenbach, ließ der damalige Präsident von Kicker Offenbach, Horst-Gregorio Canellas, die rhetorische Bombe platzen, dass mehrere Spiele mittels der Zahlung von „Schmiergeldern“ erkauft waren. Im Zuge der akribischen Aufklärungsarbeit wurde der Fall aufgedeckt und in allen Einzelheiten aufgeklärt. Momentan denke ich, dass dem „Größer-schneller-weiter“ der Bundesliga mal eine Gesundschrumpfung guttäte. Aber da müssten alle europäischen Ligen mitziehen – und diese Elefantenhochzeit wird nicht funktionieren. Die letzte Woche hat ja gezeigt, dass die erste und zweite Liga keine einigermaßen „gerechte“ Entscheidung hinbekommen, die Fernsehgelder „fair“ zu verteilen. Es ist eine schwierige Geschichte – und das wird es auch in der Epoche nach Corona bleiben. Denn niemand der Beteiligten will auf mögliches Geld verzichten, was er verdienen kann. Dafür ist die Strahlkraft der Bundesliga einfach viel zu attraktiv.
Robin Patzwaldt: Ich glaube auch nicht, dass sich das System dauerhaft verändern wird. Aber eine kräftige Delle wird es auf jeden Fall geben. Und ob die Stadien nach Corona auf Anhieb wieder alle randvoll sein werden, oder ob sich viele der ‚alten‘ Fans abwenden werden, zunächst neue gewonnen werden müssen, das wird spannend, denke ich. Ich hoffe zumindest sehr, dass uns die altbekannten Vereine erhalten alle bleiben, und uns nicht zum Beispiel der VfL Bochum und der FC Schalke 04 am Ende abhandenkommen werden durch diese Krise….
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