In den letzten Tagen und Wochen gab es einige Todesfällen, mutmaßliche Totschlags- oder Tötungsdelikte. Die mediale, die Debatte in den Sozialen Netzwerken folgt dabei mittlerweile dem selben Muster: es geht stets darum, wer mutmaßlich am Tod Schuld ist, welcher Gruppe er angehört, und ob man die Gruppenzugehörigkeit politisch ausschlachten kann. Und es geht darum, wie wer eben dies versucht, wer moralische Doppelstandards an den Tag legt, wer wem nachweisen kann, dass er eben auf die Todesfälle auf diese oder jene Weise reagiert, oder eben nicht. Ich bin dieses Musters müde.
Ich würde gerne einfach trauern. Ich würde gerne wieder einfach so weinen dürfen. Um Menschenleben, die gewaltsam beendet werden. Darum, dass Menschenleben generell zu früh enden. Und nein, auch ich kann dieses „zu früh“ nicht mit einer wirklich scharfen Definition ausfüllen. Ich weiss nicht, wieviel Zeit ein Mensch zum Leben haben sollte, bevor sein Ableben nicht mehr als „zu früh“ zu werten ist. Ich kann aber andersherum sagen, dass der Tod eines Kindes immer zu früh erscheint. Weil Kinder stets mein Mitgefühl verdienen.
Ich weiss nicht, wann wir verlernt haben, einfach nur zu trauern, ohne uns zu empören, über den Täter, oder diejenigen, die über den Täter berichten, oder ihn versuchen in einen größeren politischen Zusammenhang zu stellen. Ich weiss nur, dass ich persönlich trauere. Dass ich ein großes Mitgefühl empfinde, als Vater, als Mensch, wenn ich über den Tod eines Kindes lese. Ja, es schwingt aber ein horizontaler Egoismus der Betroffenheit mit, weil ich natürlich daran denke, wie schlimm es wäre, wenn eines meiner Kinder aus dem Leben gerissen würde. Egal wie, egal durch wen.
Ich würde mir wünschen, dass wir wieder die Kraft, den Mut zum Trauern finden. Ich weiss aber auch, dass das naiv ist, dass das Rad der Zeit, das auch den Stil unserer Kommunikation, gerade und auch in Sozialen Netzwerken und medialen Debatten prägt, nicht mehr zurück zu drehen ist. Aber ich habe andererseits doch auch das Bedürfnis, eben mitzuteilen, dass es mir damit geht, wie es mir eben geht. Weil ich den Eindruck habe, dass zumindest ein Teil der Menschen da draußen es noch (?) so sieht wie ich: dass sie zunächst getroffen und geschockt über den Tod eines jungen Menschen sind, bevor der unselige Reflex nach der politischen Einordnung einsetzt.
Wie der Weg dahin gehen kann? Ich weiß es nicht. Ich weiss nur eines: ich bin eben des Geschreis müde.
Da gibt es eine einfache Möglichkeit, Sebastian, und das meine ich Ernst. Entzieh Dich in solch einer traurigen Situation aktiv den sozialen Medien und lese die Berichterstattung im Nachgang nur dann, wenn Du es willst und kannst. So mache ich es auch.
Jeder trauert anders, manchmal hilft es, sich zu entziehen und ein Ritual zu halten.
Sebastian,
Danke für den Kommentar.
Besonders dem letzten Satz möchte ich mich explizit anschließen.
Ich kann "es" nicht mehr hören.
Liebe Nina,
ja, das ist der einfachste Weg. Ich bin mir eben nur noch nicht sicher, ob er auch der sinnhafteste ist…
@#3 Sebastian, ich sehe da einen Konflikt, der in Dir selbst zu liegen scheint. Die Affekte sagen "Ich will trauern.". Der Intellekt sagt "Ich will mich mit dem Geschehen _journalistisch_auseinandersetzen.". Beides simultan geht nicht. Entscheide Dich.
Es geht nicht um "einfach", "sinnhaft", "richtig", "falsch", … sondern darum, was jeder Mensch in diesem Moment verträgt.
Wir leben in einer Welt , in der Gottes Wille nicht mehr akzeptiert wird. Es muss einen Schuldigen geben. Besonders absurd wird es bei einigen Schadensersatzforderungen.
Schicksal gibt es nicht mehr.
Natürlich muss man versuchen, Unglücke zu vermeiden und sie deshalb untersuchen. Die Luftfahrt ist hier vorne.
Das sollte aber immer der 2. Schritt sein.