Die Auseinandersetzungen über die Postmoderne und Identitätspolitik sind der Hintergrundsound nahezu alle Debatte, die unsere Gesellschaft in den vergangenen Jahren geprägt haben. Ob die Rechte ein völkisches Denken propagiert, eine postmoderne Linke sich für das Recht Burka zu tragen ausspricht oder wir nicht mehr über Klassen reden, sondern über Religionszugehörigkeiten und Völker hat damit zu tun. Doch spätestens seit der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten 2016, dem Durchmarsch der Rechtspopulisten und immer hysterischen Debatten über politische Korrektheit an den Hochschulen und der wachsenden Bedeutung von Religionen ist klar, dass Identitätspolitik verheerende Wirkungen hat: Die liberalen und linken Kräfte sind vor lauter Anbetung des Diversitätsfetisches kaum mehr in der Lage, so etwas wie Gesellschaft überhaupt noch zu erkennen. Mühsam über Jahrhunderte erkämpfte Rechte werden auf dem Altar des Relativismus geopfert. Menschenrechte? Eine Idee alter, weißer Männer. Säkularisierung? Mangelnde Achtung vor religiösen Identitäten. Die Verhüllung von Frauen in Burka? Ein Zeichen ihrer Abwendung von der allgegenwärtigen Sexualisierung und ein Zeichen ihrer Selbstbestimmung.
Geschichte und Ideologien über die man streiten kann werden von Erzählungen abgelöst, die nebeneinanderstehen und von denen jede angeblich Respekt verdient. Ein Streben nach Wahrheit und Erkenntnis, so unvollständig beides auch bleiben muss, wird aufgegeben. Identitätspolitik ist dabei, Demokratie und Aufklärung zu vernichten.
Das von Johannes Richardt in der Edition-Novo herausgegebene Buch „Die sortierte Gesellschaft – Zur Kritik der Identitätspolitik“ hat sich dieses Themas angenommen. Autoren wie Robert Pfaller, Mark Lilla, Kenan Malik, Volker Weiß, Jordan Peterson, Michael Zürn, Frank Furedi, Jan Feddersen, Arlie Hochschild, Tobias Prüwer, Jason D. Hill und Gerd Held beschreiben von unterschiedlichsten Standpunkten aus die Verheerungen der Identitätspolitik und suchen nach Auswegen. Linke wie der Philosoph Robert Pfaller oder der Publizist Kenan Malik sprechen sich hier für eine Revitalisierung der Klassenpolitik aus, Liberale wie der Politikwissenschaftler Mark Lilla fordern die Rehabilitierung einer republikanischen Bürgergesellschaft, in der sich mit Rechten und Pflichten für das Gemeinwesen ausgestattete Individuen innerhalb der bestehenden Institutionen für das Gemeinwesen engagieren.
Dass es gelungen ist, diese sehr unterschiedlichen Autorinnen und Autoren in einem im deutschsprachigen Raum bislang einzigartigem Projekt zusammen zu bekommen zu haben, ist nicht nur eine Leistung von meinem Freund Johannes Richardt und der Zeitschrift Novo, mit der die Ruhrbarone seit vielen Jahren eng zusammen arbeiten und zahlreiche Texte und Autoren ausgetauscht haben, sondern zeigt die Dringlichkeit des Problems: Die Idee des Westen, die universalen Menschenrechte, die Demokratie, die Überzeugung, dass der Mensch ein Individuum ist und das Recht hat, sich aus den Zusammenhängen, in die er geboren wurde, zu befreien, ist in Gefahr: Sie wird zeitgleich von drei Seiten angegriffen: Dem wiedererstarkten völkischen Denken, der postmodernen Beliebigkeit und der in ihrer Bedeutung wachsenden Religionen, wobei der Islam von besonderer Aggressivität ist. Es ist ein nahezu perfekter Sturm, der das Zeug hat, die Freiheit zu vernichten.
In dem Buch ist auch ein Text von mir und darüber freue ich mich sehr. In dem Beitrag „Willkommen im Zeitalter der Postidentitätspolitik“ schreibe, warum ich der Überzeugung bin, dass die Identitätspolitik an ihr Ende gekommen ist und wir gute Chancen haben, ihre Ära zu beenden, denn sie hat keine Antworten auf die realen Probleme. Optimistisch? Was bleibt einem denn sonst…
Johannes Richardt (Hg.): Die sortierte Gesellschaft. Zur Kritik der Identitätspolitik.
200 Seiten EUR 16,00, ISBN: 978-3-944610-45-0 Novo Argumente Verlag 2017
Die skizzierten Alternativen, lassen sich all zu leicht selbst als "Identität" identifizieren, um plausibel als stringenter Gegenentwurf Akzeptanz zu finden.
Ein Teil der Identität von identitären Milieus ist die Pflege von Untergangsszenarien bei Ablehnung der konstituierenden Legenden, die es im konkreten Einzelfall jeweils und ohne weiteres erlauben Menschenrechte zur Disposition zu stellen, indem sie Eindeutigkeiten suggerieren, die gar nicht gegeben sind. Vgl. Kopftuchdebatte.
Identitätspolitik allgemein abzulehnen und dabei die sehr verschiedenen Identitätspolitiken _für_ und _gegen_ gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe bisher marginalisierter Gruppen gleichzusetzen, ist natürlich sehr bequem, wenn die eigene Identität die gesellschaftliche Norm abgibt. Ist auch viel sauberer und intellektuell ansprechender als die offen rechte Haltung, die Vorherrschaft einer Gruppe zu fordern.
Paule …."dabei die sehr verschiedenen Identitätspolitiken _für_ und _gegen_ gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe bisher marginalisierter Gruppen gleichzusetzen,"
So habe ich den Artikel nicht verstanden, daß sie gleichgesetzt werden, sondern m.E. ist gemeint, daß die genannten identitären ruppen bei aller möglichen Konkurrenz untereinander, durchaus eines gemeinsam haben. Und das ist eben die von ihnen ausgehende Gefährdung der geistigen Säulen unseres zur Zeit noch dominanten Wertesystems.
Wenn die egal(itäre)-Identität, gleich-gültig als Norm genommen wird, dann sollte man sich nicht wundern, wenn zu vermehrten Auseinandersetzungen der verschiedenen Identitäten kommt.
Eine andere nette Lektüre, um die Lücke liberalen Denkens zu schliessen:
"Zivilisierte Verachtung – Eine Anleitung zur Verteidigung unserer Freiheit." von Carlo Strenger
… und das ist alles eigentlich nur politische Meinung oder Moral.
Die egalitäre Dummokratie (Mehrheit statt Wahrheit) ist systemisch und endemisch anfällig für alle Arten von Gegnerschaften. Sie kann sogar nach ihren eigenen Spielregeln von den Spielverderbern abgeschafft werden. Und NEIN, ich meine nicht die sonst üblichen Verdächtigen.
@abraxasrgb, von der Gruppe, die auf Staatskosten lebt, wird die von dir genannte Dummokratie vermutlich nicht abgeschafft. Die Postmoderne bemüht sich ja den Staat zu okkupieren. Ohne Staat ist sie auch nicht denkbar. Die kann nur den Weg bereiten für andeere Kräfte, die sie letztlich selber ausschalten werden.Bleiben die Privaten. Die religiösen Fanatiker haben es wiederholt geschafft.
Die im Artikel beschriebenen Rechtspopulisten haben es auch wiederholt geschafft. Die mir bekannten Formen des sich seöber so bezeichneten Sozialismus, zähle ich mal als jeweils eine der beiden Gruppen.
Wen also meinst du, mit "Und NEIN, ich meine nicht die sonst üblichen Verdächtigen."
Jupp. Wenn nur die Diskriminierten mal aufhören würden, sich identitätspolitisch über ihre Diskriminierung aufzuregen, gäbe es gleich viel weniger Konflikte.
@paule t. "marginalisierter Gruppen"
Ich liebe ja solche Kampfbegriffe wie <a href= "http://maninthmiddle.blogspot.de/p/glossar.html#marginalisiert" >"marginalisierte" Gruppe</a>, da weiß man immer sofort, daß der Sprecher einen übertölpeln will. Man kann eine Gruppe übrigens nicht marginalisieren, entweder ist sie klein bzw. eine Minderheit oder nicht, aber kein Bösewicht kann eine Mehrheit zu einer Minderheit "marginalisieren". Der Begriff ist ein Musterbeispiel dafür, auf welche plumpen rhetorischen Fallen "die Linke" heute hereinfällt.
Unsinn. Natürlich kann eine Gruppe auch jenseits ihrer tatsächlichen Größe "klein gehalten" oder "an den Rand gedrängt" werden.
@ Helmut … Du hast es selbst geschrieben: Diejenigen, die den Weg bereiten und damit meine ich große Teile des politischen Personals und ebenso große Teile der "Sozialwissenschaften".
Ich habe es ja mehr mit "e pluribus unum" und Auseinandersetzung, Auf und Ab, Widerstreit und Kompromiss sind der Vielfalt und Verschiedenheit immanente Momente.
@ Paule T. Wenn die "Diskriminierten" (die meist nur wenig Differenzierte sind) mal aufhören würden, sich diskriminiert <p>zu fühlen</p> , dann gäbe es auch völlig andere (rationale und logische) Diskurse 😉
Gruppengröße: Klar, eine Minderheit der Frauen, die insgesamt statistisch / quantitativ die Mehrheit in der deutschen Gesellschaft stellen, fühlt sich stets und ständig unterdrückt und benachteiligt.
Diese marginale Sub-Gruppe setzt sogar Gewalt gegen Sprache und Geschmack ein, um ihre Leid-Unterscheidung allen anderen aufzuzwingen 😉
"… große Teile des politischen Personals und ebenso große Teile der "Sozialwissenschaften". "
Stimmt, man sollte die gemeinsam benennen, wirken sie doch zusammen.
Was das politische Personal betrifft, denke ich, daß dies oppurtunistisch dem Zeitgeist (dem jeweiligen) gehorcht. Der aber kann sich zumindest lokal schnell ändern. Wenn das geschieht, ändert sich auch etwas im Denken und Handeln beim politischen Personal, wie folgende kleine Geschichte zeigt.
In Limburg an der Lahn ist auf Wunsch einer Veganerin, das Lied "Fuchs du hast die Gans gestohlen" vom Bürgermeister aus dem städtischen Glockenspiel-Repertoire entfernt worden. Nachdem das von (vermutlichen) Fleischessern bemerkt wurde, haben die sich diesen Bürgermeister zur Brust genommen, und der hat das Lied dann doch wieder spielen lassen. Die Veganerin aber hat danach mitgeteilt, daß ihre Beschwerde an den Bürgermeister nie ernst gemeint , sondern als Scherz gemeint war.
So schnell dreht sich der Wind beim politischen Personal wenn sich nur Teile der Mehrheit gegen die diktatorischen Ansprüche von Minderheiten wehren. das Beispiel zeigt auch, daß die Mehrheitsgesellschaft ihre Minderheiten gar nicht so gängelt, wie diese es oft darstellen. Denn wenn die Mehrheitsgesellschaft wirklich intolerant gegen Minderheiten vorginge, würden diese Minderheiten gar nicht mehr wahrgenommen. Beim harmlosen Kinderliederverbot war wohl doch eine geschmacksgrenze überschritten worden.
http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/limburger-glockenspiel-fuchs-du-hast-die-gans-gestohlen-darf-wieder-gespielt-werden-a-1142988.html
Hier im Kommentarbereich wird schön sichtbar, welche (hoffentlich ungewollte) Wirkung es hat, wenn Identitätspolitiken _pauschal_ kritisiert werden (also ohne zu differenzieren, wer aus welcher Position mit welcher Intention über welche Identitäten spricht): Diejenigen, deren Identität nicht die gesellschaftliche Norm "des Bürgers" ist, stumm zu halten.
Worüber sie sprechen, sind dann nur "Gefühle" von Diskriminierung, und wenn man das endlich mal lassen würde, wären "rationalere Diskurse" möglich; wenn sie ihre Perspektiven einbringen, sind das schnell "diktatorische Ansprüche", und natürlich gibt's sofort eine Extremgeschichte, die das "belegt", statt als ein merkwürdiger Auswuchs behandelt zu werden; es droht "Gewalt gegen Sprache und Geschmack", wenn Sprache aus dieser Richtung reflektiert und kritisiert wird; und Marginalisierung gibt's gar nicht, sondern nur die reine Anzahl (wahrscheinlich waren auch Schwarze im Südafrika der Apartheid nicht gesellschaftlich marginalisiert, sie waren ja die Mehrheit).
Sehr bequem alles, man braucht sich mit den Themen gar nicht mehr im EInzelnen auseinanderzusetzen, sondern es ist schlimme Identitätspolitik, da braucht man gar nicht mehr zuzuhören.
Dass es ein Unterschied ist, ob Rechtsextremisten (wie die sog. "Identitären") eine Identitätspolitik betreiben, um alle Minderheiten klein oder am besten draußen zu halten, oder ob Minderheiten eine Identitätspolitik betreiben, um sich eine Stimme zu verschaffen (was natürlich _im konkreten Fall_, je nachdem, _wie_ es geschieht, auch nicht über Kritik erhaben sein kann), kommt dann gar nicht mehr vor. Minderheiten bleiben effektiv also draußen aus dem Diskurs.
Interessant auch: _Welche_ Identitätspolitiken dann als Beispiele kommen – und welche nicht. CSDs, schwule Buchläden und Cafes, Zeitschriften usw. – voll OK. Sich dagegen zu wehren, wenn "schwul" als Schimpfwort benutzt wird? Daran hört man kaum Kritik.
Organisation von Migranten oder PoC, die ihre Stimme hörbar machen wollen? Daraus zB die Verwendung von diskriminierenden Wörtern wie dem N-Wort kritisieren? Voll schlimme Identitätspolitik, die Geschmack und Sprache angreift.
Manche Minderheiten sind (erfreulicherweise!) also in den öffentlichen Diskurs so weit aufgenommen, dass ihre Identitätspolitik gar nicht mehr als solche auffällt, jedenfalls nicht in Frage gestellt wird. Bei anderen ist Identitätspolitik unanständig, das sollen sie gefälligst lassen – dann dürfen _Einzelpersonen_ vielleicht mitspielen ium öffentlichen Diskurs.
"Identitätspolitik -Solidarität war gestern-".
Unter dieser Überschrift gab es einen Beitrag von Frank Furendi in der NRZ v. 5. 2018 den ich über Google gefunden habe.
Für mich eine sehr informativer Beitrag, u.a. wegen der Entstehungsgeschichte des Begriffes. Ein Beitrag, der für mich als Basis für eine Diskussion über die sog. Identitätspolitik hilfreich war.
Ich bin auf den Beitrag gestoßen auf der Suche nach Materialen, um mich losgelöst vom tagtäglichen öffentlichen (medial/politisch/interessensgesteuertemGetöse um den Begriff "Identitätspolitik" mit dieser Begrifflichkeit eigenständig auseinandersetzen zu können.
Bisher war ich bezüglich des Inhaltes dieses Begriffes und bezüglich seines politischen Gebrauches (Mißbrauches),, seiner gesellschaftspolitischen Nutzungsabsicht seitens seiner Verwender, zumindest verunsichert.
Jetzt bin ich mir relativ sicher, was die jeweiligen Protagonisten -die von "Links", die von "Rechts"- zu beabsichtigen scheinen, wenn sie in gesellschaftspolitischen Debatten mit dem Begriff Identitätspolitik hantieren.
Erstes Fazit meinerseits:
Das mediale, das politische Hantieren mit diesem Begriff fördert nicht, sondern schadet m.E. ehe dem politischen Diskurs, wenn es z.B. darum geht, eine Minderheit als solche zu defnieren,wenn es darum geht, ob und inwieweit Minderheiten, und zwar ganz konkrete, in der Gesellschaft durch diese und/oder im Staat durch diesen zu wenig, zu viel beachtet , zu wenig/zu viel gefördert oder gar verfassungsrechtlich problematisch benachteiligt oder bevorteilt werden oder durch sie und ihretwegen das Mehrheitsprinzip in der Demokratie "ausgehebelt" oder dieses unter Mißachtung jeglichen Minderheitenschutzes praktiziert wird.
Warum wird darüber nicht stets konkret einzelfallbezogen, sachbezogen (vernunftbestimmt) diskutiert?
PS
Da gibt es einen Buchtitel : Identitätspolitik ist keine Politik.
Näheres fällt mir dazu im Moment nicht ein.
Walter, jeder Angestellte, Arbeiter, der Mitglied in irgendeiner Gewerkschaft ist oder war, wird seit vielen Jahrzehnten von seiner Gewerkschaftführung zur Solidarität aufgefordert. Ich bin jahrzentelang Mitglied der Gewerkschaft gewesen, bis ich mal den Kaffee so richtig auf hatte.
Soviel vorweg.
Über diese gewerkschaftliche Solidarität hinaus fühlen auch diejenigen, die selber nie solidarisch waren und denen es wirklich gut geht, einen gewissen Hang Gelder zu verteilen.
Und wenn solche Leute ihr Herz für eine ihnen besonders förderungswürdige öffnen, kostet das immer das Geld derjenigen, die manch hart schuften müssen, um sich und ihre Familien durchzubringen. Das ist mein persönlicher Ansatz, mit dem Thema Identitätspolitik umzugehen.
Wo es nichts kostet, lasse ich mich oft, aber nicht immer, überzeugen.
Wo es aber etwas kostet, möchte ich überzeugt werden. Weil das nicht immer gelingt, lasse ich mich auch nicht spontan von den Tränendrüsen mancher Caudia Roths beeindrucken. In solchen Fällen frage ich meist nach, ob die Angaben überhaupt stimmen.
Wenn ich das tue, also nachhaken, gibt es häufig keine konkreten angaben, sondern eben eine Beschimpfung der Form, daß es mir an Empathie mangelt. Es läßt sich auf dieser Basis tatsächlich kein Diskurs führen. Mach doch selber den Versuch und verlange einfach einmal konkrete Angaben. Ich habe das Gefühl, daß in Deutschland in bestimmten gesellschaftlichen, meist linken Kreisen, die Tränendrüsen deutlich leichter in aktion zu bringen sind, wenn sie von der "richtigen" Seite gereizt werden, als bei mir. Und bestimmte identitäre Kreise wissen, wie sie argumentieren müssen, daß manche Leute auf jeglich Überprüfung der Fakten verzichten. Ich frage halt nach. Und genau das ist meist unerwünscht.
Den "identitätspolitischen" Menschen(sic!) fehlt die Gelassenheit des alten, weißen liberalen Mannes 😉
(Wobei Mensch ja schon speziezistisch ist – bewusst!). Das Ende der Nahrungskette ist ein guter Platz, um den Überblick zu geniessen. #scnr )
Nebenbei noch angemerkt, dass es einen kategorialen Unterschied zwischen "Normalität" (Statistik / Häufigkeit) und "Normativität" (Moral und / oder Recht, vor dem dann doch alle gleich (gefühlte Identität völlig egal) sind) gibt …
Helmut,
1.
"Solidarisch-Sein" heißt für mich, daß ich mich zusammengehörig fühle mit anderen Menschen, daß ich mich ihnen verbunden fühle und daß daraus für mich die Pflicht resultiert, diesen Menschen zu helfen, wenn mir diese Hilfe geboten und sie zugleich erwünscht zu sein scheint. Diese meine ganz persönliche Solidarität kann sich materiell , aber eben auch ideell äußern.
(Ich könnte hier auch pathetisch von Brüderlichkeit, von Nächstenliebe reden.)
Soweit so einfach; denn hier geht es nur um mich, um mein Tun/mein Unterlassen, um das, was ich vor bzw. mit meinem Gewissen auszumachen habe, ohne Rechenschaft ablegen zu müssen gegenüber Dritten, gegenüber irgend welchen gesellschaftlichen Organisationen oder gar gegenüber einer staatlichen Behörde( ob und wie ich mich für Flüchtlinge , ob und wie ich mich für Kinder aus sozial-schwachen und bildungsfernen Schichten engagiere, ob ich Menschen im Altenheim betreue, oder oder oder).
2.
Nicht so einfach ist es, wenn ich zu der Auffassung komme, ich müßte mich mit anderen Menschen auf der Grundlage eines gemeinsamen Verständnisses von Solidarität und eines grundsätzlichen Einvernehmens darüber, wer oder was Objekt dieser gemeinsam gewollten und gemeinsam praktizierten Solidarität sein soll, zusammen tun -in einer Gewerkschaft, in der AWO, in der Caritas, im DRK, in der Flüchtlingshilfe vor Ort und und und und.
Meinungsverschiedenheiten, Meinungsstreitigkeiten über das OB und das Wie einer im Grundsatz als Gemeinschaftwerk gewollten Solidariät "liegen in der Natur der Sache" und das Entstehen von Konflikten ist selbstverständlich; Konflikte, die ich dann nicht mehr allein mit mir auszutragen habe, sondern die der Gemeinschaft mit Anderen ausgetragen und über deren Lösung mehrheitlich befunden wird. Gegen meinen Willen? Gegen meine Vorstellung von Solidarität? Ja, das kann dann so sein und dann ist es meine Sache, ob ich und ggfls. wie ich Konsequenzen ziehe.
Das Alles gilt auch für meine Mitgliedschaft in der SPD, die für mich primär meinem Verständnis von Solidarität geschuldet ist (Solidarisch sein mit Arbeitslosen, mit Kleinstrentnerinnen, mit Wohungssuchenden, mit hilfebedürftigen Kranken und Alten, mit Geringverdienenden, mit Flüchtlingen, mit Menschen in Kriegsgebieten, mit weltweit Hungernden, mit allen Menschen, die unterdrückt, die menschenunwürdig behandelt werden -vor Ort, in der Region, im Lande, in Deutschland, in Europa, weltweit.)
3.
Und höchst kompliziert, höchst problematisch, höchst umstritten bezüglich des OB und des Wie ist es um die Solidarität bestellt, wenn sie zu einer staatlichen Sache werden soll bzw. geworden ist.
Bekanntlich ist die Idee von der Solidarität nicht unumstrittener Bestandteil originären staatlichen Tuns weltweit, aber unbedingt und bedingungslos in der Bundesrepublik, denn diese ist nach ihrem Selbstverständnis nicht nur ein demokratischer Rechtstaat, sondern eben auch ein Sozialstaat. Und dieser zwingt z.B. mich zur Solidarität mit anderen Menschen, in dem er mich zur Zahlung der Einkommensteuer verpflichtet, damit er anderen Menschen -letztlich also auch in meinem Namen- geholfen werden kann , z.B. ……………….
Helmut,
und wie bekannt, gibt es sehr unterschiedliche, ja gegensätzliche Auffassungen darüber, wer der Idee der Solidarität gemäß seitens des Staates für Andere" einzutreten und wie das zu geschehen hat. Und in einer parlamentarischen Parteiendemokratie werden diese unterschiedlichen, werden diese gegensätzlichen Auffassungen letztendlich im Parlament ausgetragen und entschieden.
Andere Wege, um über das OB und das Wie staatlichen Tuns/Unterlassen , um der Idee der Solidarität Rechnung tragen zu können gibt es in allen nicht demokratischen Staaten, es sind dann Wege, die Deutschland nicht offen stehen und hoffentlich nie mehr offen gemacht werden.
Helmut,
eine andere Problematik habe ich in meinem Beitrag -13- mit der zitierten "Überschrift" aufgegriffen: "Identitätspolitik -Solidarität war gestern".
Ich habe in meinem Beitrag anklingen lassen, daß ich mit der Begrifflichkeit der sog. Identitätspolitik Probleme hatte und weiterhin habe im Gegensatz zu meinem Verständnis von Solidarität, wie ich es vorstehend skizziert habe.
Ich neige dazu, dem von mir zitieren Buchtitel zu folgen:
"Identitätspolitik ist keine Politik".
Bedenkenswert und diskussionswürdig?! Ja, meine ich.
Interessant, zu deinem Satz "Identitätspolitik ist keine Politik".passend ist dieser Artikel in der Neuen Züricher Zeitung
https://www.nzz.ch/feuilleton/mark-lilla-ueber-die-krise-des-linksliberalismus-identitaetspolitik-ist-keine-politik-ld.130695
-17-
Helmut,
danke für den Hinweis.
Ich muß -leider – konstatieren, daß ich mich vermutlich an diesen Artikel erinnert habe und eben nicht wie von mir behauptet ,an einen Buchtitel, als ich zitiert habe: " Identitätspolitik ist keine Politik".
Walter, kein Problem, geht mir oft auch so. Interessant ist (mal wieder!), daß wir am Beispiel der USA mit Jahren? Abstand sehen können, wo welche Politik hinführt.
Übrigens ist es immer lehrreich zu beobachten, was "draußen" passiert. Die Deutschen lieben zu sehr die Nabelschau. Die Linken und die Rechten. Das ist offenbar das gemeinsame Band.