„Ihr verstrahlt unsere Bevölkerung“

Warnschild am radioaktiv verseuchten Fluss Techa bei Majak, dem Zielort deutscher Castortransporte

Der russische Umwelt-Aktivist Vladimir Slivyak klagt an: Weil Deutschland nach mehr als 50 Jahren Atomenergie seinen nuklearen Schrott immer noch nicht lagern kann, transportiert die deutsche Atomindustrie ihren radioaktiven Müll  nach Russland.

Nun sollen 951 Brennelemente aus dem nordrhein-westfälischen Zwischenlager Ahaus in drei Castor-Transporten nach Russland gebracht werden. Dagegen protestieren Umweltaktivisten, Bürger, Parteien und Verbände am Sonntagmorgen in Ahaus.

Herr Slivyak, möglicherweise soll deutscher Atommüll von Ahaus ins russische Majak transportiert werden. Wie sieht es in der zentralrussischen Gegend aus?

Vladimir Slivyak: Die Stadt ist für Deutsche unvorstellbar. Hier wurde zu Sowjetzeiten Plutonium für das russische Atomwaffenprojekt hergestellt – damals fand sich die geheime Stadt auf keiner Karte. Viele Unfälle haben die Gegend verstrahlt. Heute wird dort der Atomschrott der ganzen Welt verarbeitet. Eine Mauer mit elektronischen Zäunen wie etwa an der ehemaligen DDR-Grenze umgibt die Stadt. Ohne spezielle Zulassung darf sie niemand betreten, es sei denn man besticht die Wachleute. Die gesamte Gegend ist etwa so verstrahlt wie die Tschernobyl-Region.

Warum?

In Majak landet der Atom-Schrott der gesamten Welt. Die veraltete Aufbereitungsanlage lässt ihr radioaktives Wasser in den Fluss ab, der erst 240 Kilometer später in einen See mündet. Und überall an den Ufern leben Menschen. Sie haben dort ihr Haus, die meisten sind arm und bauen auf den verseuchten Feldern ihr Gemüse an. Fast jeder leidet dort unter der Strahlung. Die Menschen haben Leukämie und verschiedene Krebsarten, auch die Kinder. Es gibt keine Gesunden in Majak.

Warum leben die Menschen noch dort?

Weil es dort sehr günstig ist, sie können es sich nicht leisten umzuziehen und wurden in der Region geboren. Die meisten von ihnen arbeiten für die Atomindustrie. Die russische Regierung hat zwar inzwischen Umsiedelungen für die Menschen am Fluss beschlossen, aber die Gelder kommen nicht in Majak an, sie versickern in korrupten Ämtern. Und so essen die Menschen dort weiter verstrahltes Gemüse und leben in einer radioaktiven Welt.

Kamen deutsche Politiker oder Ingenieure schon einmal nach Majak?

"Eine menschliche Tragödie" - der russische Aktivist Vladimir Slivyak in Gorleben

Die Deutschen schauen weg. Es ist eine menschliche Tragödie. Es ist eine Scham, dass die russische Regierung dies erlaubt und unglaublich, dass Deutschland die Transporte dorthin erlaubt. Beide sind verantwortlich. Niemand kann so tun als wüsste er nicht was da hinten passiert. Es waren schon viele Journalisten vor Ort, jeder kann wissen wie verheerend die nuklearen Mülltransporte für die russische Bevölkerung sind.

Wie hat die russische Bevölkerung von den möglichen Castortransporten nach Majak erfahren?

Sie hat es aus deutschen Medien erfahren – die russischen schweigen darüber. Selbst wenn Journalisten bei der russischen Regierung anfragen, erhalten sie keine Antwort. Erst wenn der strahlende Müll rollt wird es öffentlich. Aber unsere geheimen Quellen im Ministerium sagen uns, dass selbst die Amerikaner Druck machen, die deutschen Castoren schnell rollen zu lassen. Denn wenn sich der deutsche Transport verzögert, müssen die Amerikaner mit ihrem Schrott länger warten. Es gibt nur ein spezielles Schiff, das den Müll transportieren kann. Viele Länder wollen ihren gefährlichen Müll bei uns abladen.

Wie reagiert die russische Bevölkerung darauf?

Laut einer Gallup-Umfrage sind 97 Prozent der Russen dagegen, Atommüll zu importieren. Und sie setzen ihre Hoffnung auf Deutschland. Es war eine gute Entscheidung, die Laufzeit der Atomkraftwerke zu begrenzen. Schade, dass sie jetzt wieder verlängert wurde – denn dann geht der Gifttransport weiter. Und drüben sterben die Menschen. Atomenergie ist nicht ohne menschliche Opfer zu haben. Irgendjemand muss immer dafür bezahlen. Wir müssen diese Verrücktheit stoppen.

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BfS
BfS
14 Jahre zuvor

Es geht hier nicht um „nuklearen Schrott“, der in Deutschland nicht gelagert werden kann, sondern die Grundlage für den Transport ist ein Abkommen zwischen Russland, den USA und der Internationalen Atombehörde über die Rückholung von Brennelementen aus Forschungsreaktoren, die einst von der Sowjetunion bestückt worden waren. Die angesprochenen Brennstäbe sind aus einem DDR-Forschungsreaktor und werden derzeit in Ahaus zwischengelagert.

Soviel zu dem in vielen Artikeln (auch in diesem) latent anklingenden Vorwurf, hier würde eine billige Möglichkeit genutzt, nach und nach den „deutschen Atommüll“ (Zitat) nach Russland zu exportieren.

Deutscher
Deutscher
14 Jahre zuvor

„Die Deutschen“ schauen weg? Ist das nicht ein wenig pauschal? Sollte man nicht differenzieren zwischen Deutschen, die Täter im politischen Sinne sind, und solchen, die selbst Opfer im politischen Sinne sind? Auch ich bin ein Deutscher, und wenn ich entsprechend Einfluss nehmen könnte, dann würde sich so einiges sehr schnell ändern, auch die von Ihnen im Artikel angesprochenen unerhörten Missstände.

Na so was
Na so was
14 Jahre zuvor

#1 schreibt:

„Es geht hier nicht um “nuklearen Schrott”, der in Deutschland nicht gelagert werden kann,“

=> er kann also in in Deutschland gelagert werden.

#1 schreibt:

„Die angesprochenen Brennstäbe sind aus einem DDR-Forschungsreaktor und werden derzeit in Ahaus zwischengelagert.“

=> Es ist also z.T. deutscher Atommüll, der russische Menschen kanzerogen verstrahlt, für Missbildungen bei Neugeborenen sorgt usw.

#1 schreibt:

„hier würde eine billige Möglichkeit genutzt, nach und nach den “deutschen Atommüll” (Zitat) nach Russland zu exportieren.“

=> Zumindest für einen Teil des deutschen Atommülls gilt das ja nachweislich, s. oben. Wenn es sich bisher und in Zukunft auf den konkret benannten deutschen Atommüll aus dem DDR-Forschunksreaktor beschränken sollte, dann liegt das möglicherweise daran, dass Journalisten wie Joeres über diese Dinge und die ungeheuerlichen Folgen für die Menschen dort berichten.

Frank (Frontmotor)
Frank (Frontmotor)
14 Jahre zuvor

@BfS: Das ist kein entlastendes Argument, dass die Brennstäbe aus Russland stammen. Wir rechnen die CO2-Emissionen polnischer, australischer oder südafrikanischer Steinkohle ja auch nicht diesen Förderländern an.

Es kommt darauf an, wo die Brennstäbe genutzt wurden. Und das ist Deutschland. Und deshalb ist das deutscher Atommüll.

trackback

[…] “Ihr verstrahlt unsere Bevölkerung”: Der russische Umwelt-Aktivist Vladimir Slivyak klagt an: Weil Deutschland nach mehr als 50 Jahren Atomenergie seinen nuklearen Schrott immer noch nicht lagern kann, transportiert die deutsche Atomindustrie ihren radioaktiven Müll nach Russland … ruhrbarone […]

depp98
depp98
13 Jahre zuvor

sollen die russen halt ne bessere anlage bauen

PH
PH
12 Jahre zuvor

In Majak passierte am 29.09.1957 der „Kytschym-Unfall“ (so genannt, um ihn auch nach der Bekanntgabe geheim zuhalten).

Das ist nach Tschernobyl und Fukushima der drittschwerste Nuklearunfall der Geschichte.

Dabei explodierte äußerst nachlässig gelagerter ausgetrockneter Atommüll.

200 Menschen starben sofort, ein Wald, über den die radioaktive Wolke zog, verlor sofort seine Blätter und war tot, 270.000 Menschen waren betroffen.

Die riesige Kontaminationsspur wird Osturalspur genannt.

Dieser Unfall wurde erst durch Recherchen des ausgewiesenen, russischen Dissidenten Medwedjew 1976 im Westen bekannt. Niemand glaubte ihm, man hielt es für ein Ablenkungsmanöver vom KGB.

1989 gab Russland diesen Unfall endlich gegenüber die IAEA zu.

Auf dem Gelände der heutigen „Wiederaufbereitungsanlage“ Majak gibt es den Karatschai – See. In ihm wurde unter freiem Himmel Jahrzehnte lang hoch radioaktive Abfääle eingeleitet. Mittlerweile versucht man den See zu zubetonieren. Wenn man eine Stunde an diesem See steht ist man wegen der hohen radioaktiven Strahlung tot.

Im Film

„Albtraum Atommüll“ Teil 4 kann man den See sehen:

https://www.youtube.com/watch?v=EtoNkZo_Jlg

Der LKW-Fahrer im Film darf nur 12 Minuten an den See heran fahren, weil die Strahlung so hoch ist.

Der Film ist insgesamt sehr empfehlenswert um sich über die nuklaere Verseuchung von Hanford Site (USA), Majak und La Hague zu informieren.

Umweltminister Röttgen hat glücklicherweise nach Information durch russische NGO’s die TRansporte dahin gestoppt.

Wir hätten uns sonst, ohne es zu wissen, an der nuklearen Verseuchung der Bewohner des Gebietes dort beteiligt und hätten ihren Tod mit beschleunigt.

Majak sollte sofort geschlossen werden und, soweit überhaupt noch möglich, endlich entkontaminiert werden.

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