Im Ruhrgebiet bekommt man bald einen Vorgeschmack auf die Mobilitätswende

Eingangshalle Bahnhof Wattenscheid (Foto: Roland W. Waniek)


Im kommenden Jahr wird die Bahnstrecke zwischen Essen und Dortmund für sieben Wochen gesperrt. Da eine Autobahnbrücke der A42 eventuell monatelang nicht genutzt werden darf, droht in der Fünf-Millionen-Region ein Verkehrskollaps. Am besten schränkt man sich ein und verlässt den eigenen Stadtteil nicht mehr. Genau das ist das Ziel der Mobilitätswende.

„Warum in die Ferne schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah“, sagte Goethe einmal und könnte damit aktueller sein, als es vielen lieb ist. Nicht nur, dass eine warme und hell erleuchtete Wohnung, ja, eine eigene Wohnung schlechthin, zum Luxus wird, im Zuge einer Klimapolitik, die nicht nur auf Technik, sondern auch auf Verzicht und Verarmung setzt. Die Menschen sollen nach Möglichkeit auch ihren Stadtteil nicht verlassen. Das neue Ideal ist die 15-Minuten-Stadt, in der man fast alles erledigen kann, ohne sich zu Fuß oder mit dem Rad weiter als eine Viertelstunde Wegzeit von den eigenen vier Wänden entfernen zu müssen. Ob man dafür ein Auto mit Elektroantrieb, Verbrennungsmotor oder die Bahn nutzt, steht nicht im Zentrum dieser Idee.  Entwickelt wurde das Konzept 2016 von dem Stadtplaner Carlos Moreno und von seinen grüninspirierten Kollegen wurde es begeistert aufgenommen. Die 15-Minuten-Stadt soll die Menschen glücklicher machen, Verkehr vermeiden und gut für die Umwelt sein. Der Faktenfuchs des Bayerischen Rundfunks belehrt uns, dass alle, die dahinter die Umsetzung einer Idee sehen, die zur Einschränkung von Freiheit führt, Verschwörungstheoretiker sind. Niemand, der sich dem Wunsch des grünen Adels widersetzt, den Pöbel an seine Quartiere zu fesseln, kann schließlich klar bei Sinnen sein.

Es könnten aber auch Menschen sein, die einen weiten Weg zur Arbeit haben, sich um Verwandte kümmern müssen, die auf dem Land leben oder den Kontakt zu Freunden nicht abreißen lassen wollen, die nicht um die Ecke wohnen. Das Recht und die Möglichkeit, sich von einem Ort zum anderen bewegen zu können, hat durchaus mehr mit Freiheit zu tun als das Recht, den Bayerischen Rundfunk finanzieren zu müssen. Wer das nicht glaubt, kann einfach mal jemanden fragen, der die DDR noch erlebt hat.

Die Verbalakrobaten von Agora-Verkehrswende, die die Essener Stiftung Mercator vollmundig als „Berliner Thinktank“ bezeichnet und finanziell fördert, unterscheiden sehr genau zwischen Verkehr und Mobilität: „Menschen haben den Wunsch nach Mobilität, weil sie bestimmte Bedürfnisse nicht an ihrem aktuellen Aufenthaltsort befriedigen können. Mobilität ist aber nicht gleichzusetzen mit Verkehr, der lediglich das Mittel zum Zweck darstellt: dem Zweck der Distanzüberwindung. Tatsächlich kann Mobilität mit kurzen oder mit langen Wegen verbunden sein, sie kann großen Verkehrsaufwand verursachen oder geringen, sie kann mit hohem Energie- und Umweltverbrauch einhergehen oder mit niedrigem. Jedenfalls sind zurückgelegte Kilometer kein Maßstab für Mobilität.“

Die Einwohner des Ruhrgebiets werden im kommenden Jahr die Gelegenheit haben, sich erneut als die wahre Avantgarde der Republik fühlen zu können: Nachdem sie durch verwahrloste Innenstädte, hohe Arbeitslosigkeit und niedrigen Einkommen gezeigt haben, zu welchen segensreichen Fortschritten die Deindustrialisierung führt, gehen sie nun beim Thema Verkehr voran: Wenn bald gleichzeitig die Bahnlinie zwischen Essen und Dortmund und eine Brücke der A42 gesperrt sind, droht dem Ruhrgebiet mit seinen fünf Millionen Einwohnern ein massives Verkehrschaos. Das hat niemand gewollt. Es ist das Ergebnis von über Jahrzehnten ausgebliebenen Investitionen in die Infrastruktur des Landes. Deutschland, Nordrhein-Westfalen und das Ruhrgebiet zerbröseln einfach. Nicht dass kein Geld dagewesen wäre, das zu verhindern, aber die Regierungen im Bund und Land haben es lieber für andere Dinge ausgegeben wie die Energiewende, den Ausbau der Bürokratie, den Staat der Hamas in Gaza oder Entwicklungshilfe für China. Es ist wie mit der Deindustrialisierung: Außer ein paar grünnahen und vom Staat mit Steuermitteln unterstützten Thinktanks will die niemand, aber sie ist wie die Bröselbrücken und Rostschienen einfach die Folge dummer und kurzsichtiger Politik.

In den kommenden Monaten können sich im Ruhrgebiet alle glücklich schätzen, die in ihrem Alltag keine weiten Wege haben. Sie können die Freuden der 15-Minuten-Stadt genießen. Wer nicht zu dieser Gruppe gehört, wird Stunden im Schienenersatzverkehr oder in Staus verbringen.

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el_emka
el_emka
1 Jahr zuvor

Wie auch immer es kommt, es bleibt immer die Gewissheit: Die Grünen sind schuld.

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