Wir tun Dinge, die uns wie selbstverständlich erscheinen. Wir stehen morgens auf, weil wir es können. Wir ziehen uns an, weil wir es können. Wir steigen in ein Auto und fahren zur Arbeit. Wir arbeiten am PC und lesen Mails. Wir gehen einkaufen. Wir gehen zu Abend Essen. Und wir gehen schlafen. Weil wir es können. Das alles sind für uns kaum körperliche Herausforderungen, nicht anders als für andere auch. Und wir machen uns keinen Kopf. Von unserem Gastautor Robert Basic.
Was ist aber, wenn wir das alles nicht mehr einfach so erledigen können? All diese Dinge des Alltags? Weil wir alt geworden sind. Weil wir nicht mehr in der Lage sind, ohne größte Mühsal und Körperbeschwerden, diese banalen Alltagsdinge zu erledigen.
Wie aber sollen wir das wissen, was es heißt „alt“ zu sein? Woher sollen wir wissen, was Ältere im Alltag behindert? Woher sollen wir – wenn wir dazu in der Lage sind – in Unternehmen Entscheidungen – sei es beim Design eines Produktes bis hin zum Verfassen einer Produktbeschreibung – treffen, die auch Älteren keine Probleme bereiten?
Wir können es nicht. Und daher scheitern wir! Wir scheitern darin, Ältere zu berücksichtigen. Und dabei wäre es sehr einfach. Dürfen Senioren nicht ebenso wie wir „Jungspunte“ Anspruch darauf haben, dass das Produkt in ihren Händen genauso gut funktioniert wie in unseren Händen? Das ist zwar gegeben, doch die Bedienbarkeit ist eine ganz andere. Senioren haben es nicht mehr so mit scharfen Augen, einem guten Geruchs- und Geschmackssinn. Ebenso ist ihr Tastsinn eingeschränkt. Die Beweglichkeit ist teilweise ein Fluch für sich. Je nachdem wie fit ein Senior geblieben ist, werden all die Alterungserscheinungen früher oder später dennoch eintreten.
Was wir hören? Die Gesellschaft “altert”. Diese Aussage betrifft soweit ich informiert bin alle europäischen Länder. Die Bevölkerung schrumpft, der Anteil der Senioren steigt logischerweise. Damit ändern sich die auch die Bedürfnisstrukturen bei den Konsumenten. In Japan ist es schon längst Realtität, einen großen Augenmerk beim Design der Produkte auf die Altersgerechtigkeit zu legen. Nach dem Motto “was dem Alten gut ist, muss auch dem Jungen schmecken“. Den Unternehmen, denen es gelingt, diesen Anspruch marktgerecht umzusetzen, erfreuen sich über eine breitere Käuferschicht.
Wie aber soll ein 25 Jahre junger Softwareingenieur oder ein 35 Jahre alter Waschmaschineningenieur wissen, wie es ist, ein Produkt auch für ältere Menschen mit körperlichen Einschränkungen zu designen? Ob wir heute ein Auto, einen Computer, ein Smartphone, eine Software, eine Waschmaschine oder was auch immer erblicken, können wir uns dann sicher sein, dass die Verantwortlichen die Belange der Senioren beim Produktdesign berücksichtigt hatten?
Indem er sich möglicherweise in einen Altersanzug zwängt? Indem alle verantwortlichen Mitarbeiter diesen für mindestens 1 Stunde tragen und ihr eigenes Produkt schmecken, bedienen, lesen, erfassen, in die Hände nehmen müssen. Ich wette, dass die meisten förmlich ausrasten werden, was sie da für einen Mist gebaut haben. Sie werden die Tasten nicht drücken können oder richtig einstellen können. Sie werden feinmotorische Produktfunktionen erst beim x-ten Versuch umsetzen können. Wieso sind die Knöpfe so klein? Warum ist die Beschriftung so winzig? Sie werden sich nur mit größter Mühsal in oder aus einer sitzenden Position zwingen. Wo sind die verdammten Haltegriffe? Wieso ist das so verdammt eng? Wieso höre ich Audio-Feedback beim Ansprechen von Funktionen nicht? Wieso spricht und piept das Gerät so leise?
All dies und noch viel mehr wird man erfahren, wenn man sich in dieses Mistding namens “Altersanzug” zwängt. Und um 30 bis 40 Jahre auf einen Schlag altert. Genau das habe ich beim Ford Entwicklungszentrum in Aachen erleben dürfen.
Es ist ätzend, wenn man sich kaum noch bewegen kann. Das Atmen fällt schwer. Das Tasten und Hören ist ein Graus. Nach den Schuhen greifen und auch noch anziehen? Puh… das ist eine Qual pur. Irgendwelche Winz-Icons auf einem iPhone treffen? Ähem… wie soll das gehen, wenn man kaum noch was sieht. Die Haut ist eh zu trocken, damit die Screensensorik auf Gesten anspricht.
Tausend Dinge, die einem so einfach erscheinen, verlassen die Banalität und werden zu einer sportlichen Herausforderung. Nicht nur, dass mein Respekt vor älteren Menschen ob dieser Einschränkungen und der Art, wie sie es dennoch im Alltag meistern, sehr gestiegen ist (einfach, weil man sich keine Gedanken macht). Auch ist mein Ärger gegenüber Produktmanagern, die Belange von Senioren ignorieren, vielleicht verständlich.
Ist es dann überhaupt eine Frage, wenn man einfordert, dass es Alterstests für Produkte geben muss? Eignungstest? Zertifikate? Nennt es, wie Ihr wollt. Aber das ist eine Sache, die mir persönlich noch arg fehlt. Es gibt für alles Mögliche Siegel, Zeichen und Zertifikate. Doch ein Wesentliches fehlt. Altersgerechtigkeit. Punkt.
Robert Basic betreibt das Blog Buzzriders.
Das Problem ist m.E. nach nicht gelöst, wenn die Produktdesigner und Ingenieure usw. mal solch einen Anzug tragen. Deren Argumente werden einfach überhört, wenn die Manager von ihren Produkten begeistert sind – und hohe Tiere werden sich niemals ein einen solchen Anzug zwängen!
guter Einwand. Das wird wohl nur dann was, wenn man sich die Absatzchancen für ältere Kunden ausrechnet und dagegenrechnet, was man womöglich an Jüngeren verliert, sollte man das Produktdesign verändern.
Ich glaube irgendwie nicht einmal, dass man viele Jüngere verliert, wenn das Produktdesign an eingeschränkte Nutzer angepasst wird. Viele Jüngere sind auch mit Smartphone & Co. überfordert, würden das aber nie zugeben.
Gleichwohl kann ich das natürlich nicht belegen. 🙂