Auf Bochum warten in den kommenden Jahren Haushaltsdefizite im dreistelligen Millionenbereich. Der Wunsch vieler nach einem Ende des Wirtschaftswachstums hat sich erfüllt. Nun werden sie die Konsequenzen zu spüren bekommen.
Es war ein schöner Spätsommertag. Damals, im September 2019, zogen fast 10.000 Menschen durch Bochum und demonstrierten für eine radikalere Klimapolitik und natürlich ein Ende des Wirtschaftswachstums.
Mit dabei waren Mitarbeiter der städtischen Wirtschaftsförderung und des Theaters. Die zumindest habe ich erkannt. Wahrscheinlich haben noch viele andere aus der Stadtverwaltung an diesem Freitag die Gelegenheit genutzt, dem wunderbaren Wetter für die gebärende Person Erde auf die Straße zu gehen. Es war wirklich kein guter Tag, um ihn im Büro zu verbringen. Ich erinnere mich daran, einen der Wirtschaftsförderer gefragt zu haben, ob er es mit seinem Job vereinbar hält, gegen Wachstum zu protestieren. Und als ich die Theaterleute sah, fragte ich mich, ob sie wirklich verstanden haben, was es für sie bedeutet, wenn die Wirtschaft nicht mehr wächst und die Einnahmen der Stadt sinken.
Nun, bald werden sie es lernen: Wie die WAZ unter der treffenden Überschrift „Die fetten Jahre sind vorbei“ berichtet, droht schon im Haushaltsjahr 2025/26 eine Finanzierungslücke von 154 Millionen Euro. Da sich der Wunsch der Demonstranten nach einem Ende des Wirtschaftswachstums erfüllt hat, sind die Gewerbesteuereinnahmen gesunken. Gestiegen sind dafür die Zinsen, die Bochum für seine Kredite aufbringen muss. In anderen Städten sei die Lage nicht besser, sagt Stadtkämmerin Eva Hubbert der Zeitung. Selbst im reichen Düsseldorf sähe es düster aus. Dort würden sogar 300 Millionen fehlen.
In Bochum hat heute offiziell das Praxissemester Postwachstumsökonomie begonnen, auch in anderen Städten wird es bald losgehen. Ein ganzes Milieu fand es in den vergangenen Jahren schick, von einer Welt ohne Wachstum zu schwärmen. Das Geld kam vom Staat und es kam reichlich, floss in die Taschen von buntiggrünen Kulturinitiativen, Theatern und Orchestern. Dass dieses Geld von anderen erarbeitet wurde, war vielen von ihnen entfallen.
Bald werden sie es lernen. Sicher nicht die Mitarbeiter der Wirtschaftsförderung, aber viele andere, die in den vergangenen Jahren für eine Politik des Wachstumsverzichts auf die Straße gingen. In ihren Bereichen kann am einfachsten und schnellsten gespart werden. Ob in der Galerie Automatique ein weiteres „(queer)feministisches Vernetzungstreffen“ stattfinden kann oder nicht, werden die meisten Bürger ebenso wenig mitbekommen wie ausgefallene Diskussionsrunden mit „Gäst*innen“ im Schauspielhaus zum Thema Klima. Es wird für viele bitter sein, sich der eigenen Überflüssigkeit bewusst zu werden und sich eingestehen zu müssen, dass man nicht mehr als Pausenclowns sind, die sich eine reiche Gesellschaft leistet und dem eine arme Stadt schnell die Mittel kürzen kann. Wer weiß, vielleicht gibt es ja bald Demonstrationen für mehr Wirtschaftswachstum.
Hallo Herr Laurin,
Ich glaube nicht, dass die Mehrheit der Menschen der radikalen Postwachstumsökonomie anhängen. Das ist m.M.n. eine Vereinfachung.
Ich glaube die Mehrheit strebt eher nach einem Modell, das man mit „nachhaltige sozialstaatliche Green Economy“ umschreiben könnte. Das heißt: (bedingtes) Wirtschaftswachstum bei gleichzeitiger Ressourcenschonung und sozialem Ausgleich.
Die Leute sagen also: „Wir wollen Wirtschaftswachstum aber nicht überall und nicht zu jedem Preis“. Dabei wird es natürlich Verlierer geben (die Kohleindustrie usw.) – jedoch auch viele Gewinner (jedes nachhaltige Geschäftsmodell). Das wäre glaube ich eine Utopie, mit der sich viele der dort demonstrierenden anfreunden könnten.
Liebe Grüße!