In einer Woche wird in Frankreich gewählt. Die aktuellen Umfragen und die inhaltliche Aufstellungen lassen nichts Gutes verheißen. Von unserem Gastautor Jérôme Buske.
Die liberale Regierung unter dem amtierenden Präsidenten Emmanuel Macron wird, laut einer aktuellen Umfrage (Ifop) wohl doch nicht mit voller Sicherheit wiedergewählt. La République kommt auf 28%. Die Rechtspopulistin Marine Le Pen (Front National) liegt in der Umfrage mit 21% auf dem zweiten Platz. Dahinter folgt der Linksradikale Jean-Luc Mélenchon (La France insoumise) mit 15,5 % und der rechte Antisemit Éric Zemmour mit 11%. Dahinter befindet sich die konservative Kandidatin Valérie Pécresse. Die Kandidatin Anne Hidalgo der einst große Parti Socialiste liegt in der Umfrage weit abgeschlagen bei 2%.[1]
Für Wähler, die sich auf die Werte Freiheit, Gleichheit und Solidarität beziehen, sich zur Westbindung und gegen Antisemitismus bekennen, machen die Kandidaten kein Politikangebot. Vielmehr bezieht sich die Mehrheit der Kandidaten auf historisch gescheiterte Ideologien und bieten lediglich autoritäre Lösungsstrategien für die drängenden politischen Probleme in Frankreich an.
Nachdem bei der letzten Wahl die Parti Socialiste unter François Hollande mit einem Stimmenanteil von gerade einmal sechs Prozent eine historische Niederlage erlitt und aus Geldnöten sogar ihre historische Parteizentrale verkaufen musste, ist die ehemals stolze sozialistische Partei von der politischen Landkarte verschwunden.
Darauf folgte 2017 der Wahlsieg der liberalen und proeuropäischen Partei La République en Marche. Macrons Präsidialregierung setzte den sozialpolitischen Kurs seiner Vorgänger fort und forcierte einen weiteren Rückbau des Sozialstaates: Erst im Oktober 2021 wurde die Erwerbslosenversicherung gegen den Widerstand der Gewerkschaften „reformiert“. Demzufolge wird Arbeitslosen die finanzielle Unterstützung durch den Staat verweigert, wenn sie innerhalb von zwei Jahren nicht mindestens ein halbes Jahr gearbeitet haben. Zudem erhöhten die Liberalen das Renteneintrittsalter auf 65. Im Zuge der Corona Krise haben sich die sozialen Spannungen in der französischen Gesellschaft noch weiter verstärkt. Während der Ausgangssperren und Ladenschließungen waren die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten gut geschützt, während Beschäftigte im Niedriglohnsektor und Selbstständige aus der sozialen Absicherung fielen.
Michaël Zemmour, resümierte in dem Paper „Sozialpolitik und COVID-Pandemie in Frankreich“ im Jahr 2020:
„Die französische Sozialpolitik hat somit zu einer widersprüchlichen Situation geführt: Die meisten französischen Haushalte waren während der Krise gut geschützt; die ärmeren oderweniger gut abgesicherten Haushalte (junge Menschen, Zeitarbeiter_innen, bedürftige Familien) erhielten hingegen weniger oder erst viel später Unterstützung als z. B. die ärmeren Haushalte in den USA.“[2]
Anders als in der Sozialpolitik stellt Macrons „La République en Marche“ in der Außen-und Sicherheitspolitik jedoch das kleinste Übel dar. Vor der russischen Invasion der Ukraine war Gefährdung der inneren Sicherheit durch den islamistischen Terror eins der wichtigsten Wahlkampfthemen, welches aber aufgrund der aktuellen Entwicklungen in den Hintergrund geraten ist. Der Liberale profiliert sich in der aktuellen außenpolitischen Krise: Seit dem Einmarsch russischer Truppen in der Ukraine findet der Präsident klare Worte gegenüber Putin, bekennt sich zur westlichen Staatengemeinschaft sowie zur NATO und unterstützte Selenskyj von Anfang an mit Waffenlieferungen. Iwan Fedorow, ehemaliger Bürgermeister der ukrainischen Stadt Melitopol bezeichnet Macron deshalb als „guten Lobbyisten für die Ukraine“.
Und auch beim Thema „Antisemitismus“ und dem Verhältnis zu Israel findet Macron oft die richtigen Worte. Bei seinem ersten Staatsbesuch in Israel warnte er bei einer Rede in Yad Vashem anlässlich des 75. Jahrestags der Befreiung von Auschwitz im Jahr 2020, dass sich der Antisemitismus „wie eine Seuche über Europa und Frankreich“ ausbreite. Zudem sprach er die Problematik des steigenden Israelhasses an und resümierte:
„Wenn man die Existenz Israels als Staat ablehnt, dann ist Antizionismus automatisch auch Antisemitismus“.
Analysiert man die politischen Verlautbarungen der politischen Gegner, verdichtet sich insbesondere im Bereich der Außen-, Sicherheits- und Geschichtspolitik ein ganz anderes Bild:
Die beiden rechten Kandidaten Marine Le Pen und Éric Zemmour galten jahrelang als Putin -Apologeten. Le Pen druckte im Wahlkampf Flyer auf denen sie mit dem Kremlchef abgelichtet wurde und träumte, so die Journalistin Annika Joeres in der Zeit von einem „französischen Putin“. Die Front National sprach sich seit ihrer Gründung ferner für eine „christliche Allianz“ mit Russland aus und war in mehrere Skandale mit der russischen Regierung verwickelt.
Analog zum Israelbild der hiesigen AfD pflegen Le Pens Rechtspopulisten ein instrumentelles Verhältnis zum jüdischen Staat. Die Themen Israel und Antisemitismus werden nur thematisiert, wenn sich daraus eine restriktivere Einwanderungspolitik ableiten lässt.
Der Rechtradikale Éric Zemmour spricht sich währenddessen für einen NATO-Austritt aus. Betrachtet man die politischen Äußerungen Zemmours, wird deutlich, dass er einem geschlossenen antisemitischen Weltbild anhängt: In der Vergangenheit relativierte er die Rolle des Vichy Regimes bei der Deportation französischer Juden, forderte die Abschaffung französischer Gesetze die judenfeindliche Äußerungen bestrafen und hängt Konspirationsvorstellungen an. Bei einer Diskussionsveranstaltung mit dem französischen Oberrabbiner Gilles Bernheim sagte Zemmour im Jahr 2016:
„Damals hatte man das Gefühl, dass die Juden zu viel Macht übernommen hatten, dass sie zu viel Macht hatten, dass sie die Wirtschaft, die Medien, die französische Kultur, wie in Deutschland und Europa, übermäßig dominierten.“[3]
Doch was ist mit dem Linksradikalen Jean-Luc Mélenchon? Ist er wählbar? Betrachtet man die politischen Aussagen des derzeitigen Europaabgeordneten finden sich leider viele Gemeinsamkeiten zu seinem rechtsradikalen Kontrahenten: Mélenchon bezeichnet die USA als „Kriegstreiber“, fordert wie Zemmour einen Austritt aus der westlichen Sicherheitsarchitektur und fordert eine Annäherung an autoritäre Regime wie Venezuela und Kuba.[4] In Putin sieht er eine „legitimen Präsidenten.“ Und auch Mélenchon machte in der jüngeren Vergangenheit mit einer revisionistischen Geschichtspolitik und einem Antisemitismus linker Provenienz auf sich aufmerksam:
Für die Wahlniederlage seines britischen Genossen Jeremy Corbyn im Jahr 2019 seien konstruierte Antisemitismus-Vorwürfe verantwortlich. Die Wahlniederlage sei das Resultat einer Kampagne des englischen Oberrabbiners und der israelischen Likud-Partei. Zusätzlich solidarisierte er sich im Jahr 2021 mit israelfeindlichen Demonstrationen anlässlich der Eskalation im Nahen Osten. 2017 kritisierte er Macron aufgrund seiner Anerkennung der französischen Teilverantwortung für den Holocaust.[5]
Der linke französische Schriftsteller Édouard Louis hat in seinen beeindruckenden autobiographischen Roman „Wer hat meinen Vater umgebracht?“ die Verwerfungen neoliberaler Sozialpolitik und die Homophobie der französischen Gesellschaft literarisch verarbeitet und kritisiert. Am Ende des Romans, der die psychosozialen Auswirkungen des Sozialabbaus auf seinen alkoholkranken Vater thematisiert, folgt die Abrechnung mit den politisch Verantwortlichen : Chirac sei ein „Verbrecher“, da er Leistungen der gesetzliche Krankenversicherung gestrichen hat. Sarkozy sei, so Louis, ein „Verbrecher“, da er mit seinen Reformen Kranke und Alte zur Arbeit gezwungen hat. Marcron sei ein „Verbrecher“, da er dem Proletariat die Löhne kürzt und den Sozialstaat abbaut.
Angesichts der Geschichtspolitik, dem Antisemitismus und der Annäherung der Links- und Rechtsradikalen an autoritäre Regime, stellt die erneute Wahl der neoliberalen Partei Macrons das kleinste Übel dar. Insgesamt sind es bedrückende politische Zeiten, wenn man einem ein „Verbrecher“ eine eingeschränkte Wahlempfehlung ausdrücken muss. Ob sich Macron im zweiten Wahlgang gegen die Rechtspopulistin Le Pen durchsetzen kann, bleibt abzuwarten.
[1] Kathrin Müller-Lancé: Präsidentschaftswahl in Frankreich: Die Extremisten legen zu, in: Süddeutsche.de, https://www.sueddeutsche.de/politik/frankreich-praesidentschaftswahl-umfragen-1.5558789 [06.04.2022].
[2] Michaël Zemmour: Sozialpolitik und COVID-Pandemie in Frankreich. Soziale Schieflage trotz umfassender Mobilisierung des sozialstaatlichen Instrumentariums, in: Friedrich-Ebert-Stiftung Paris, 2020,http://library.fes.de/pdf-files/bueros/paris/16362.pdf, [06.04.2022].
[3] Paris Grand Synagogue slammed for hosting far-right historian, in: Jewish Telegraphic Agency, 2016, https://www.jta.org/2016/07/22/global/paris-grand-synagogue-slammed-for-hosting-far-right-historian [06.04.2022].
[4] Vgl. Jean-Luc Mélenchon (@JLMelenchon) / Twitter, in: Twitter, https://twitter.com/JLMelenchon [06.04.2022].
[5] Vgl. Far-left French leader slams Macron for accepting French complicity in Holocaust – Europe – Haaretz.com, https://www.haaretz.com/world-news/europe/melenchon-slams-macron-for-accepting-french-complicity-in-holocaust-1.5431187 [06.04.2022].