Südwestfalen ist das industrielle Herz Nordrhein-Westfalens. Die Arbeitslosigkeit ist niedrig, die Städte sind reich und die Mittelständler auf dem Weltmarkt erfolgreich. Ob das so bleibt, werden die kommenden Jahre entscheiden.
Hügel, Wald, bewaldeter Hügel, eine Brücke mit Baustelle, Wald und wieder ein Hügel. Wer die A45 von Dortmund kommend nach Frankfurt fährt, wird kaum das Gefühl haben, das links und rechts der Autobahn eine der wichtigsten Industrieregionen der Bundesrepublik liegt. Über 46 Prozent aller Beschäftigten in Südwestfalen, im Sauer- und Siegerland, arbeiten in der Industrie. Nur im baden-württembergischen Villingen-Schwenningen und Heidenheim an der Brenz sind es noch etwas mehr.
Hunderte von mittelständischen Unternehmen sorgen hier für Arbeit und Wohlstand. Der Wohlstand dieses Landes, in Städten wie Olpe, Attendorn und Freudenberg wird er zu einem wesentlichen Teil erarbeitet.
In Freudenberg, hat die Albrecht Bäumer GmbH & Co. KG ihren Sitz. Das Unternehmen stellt Maschinen her, mit denen Schaumstoffe bearbeitet werden. Produziert wird mit 350 Mitarbeitern im Siegerland. „Vieles ist hier bei uns anders als in Großunternehmen“, sagt Nina Patisson, geschäftsführende Gesellschafterin von Bäumer . „Wir kennen unsere Mitarbeiter noch persönlich, auch wenn das bei über 300 Menschen eine Herausforderung ist.“ Wer aus einem der großen Konzerne zu Bäumer kommt wundert sich dann auch darüber, dass er einfach in Patissons Büro kommen kann, wenn er eine Frage hat. Die Fragen, mit denen sich die Geschäftsführerin beschäftigt, sind allerdings dieselben wie in allen vom Export abhängigen Unternehmen: Der Brexit erschwert das Geschäft genauso wie es die gestiegenen Zölle tun. In China hat Bäumer zuletzt weniger Umsatz gemacht und die Krise der Automobilbranche trifft auch den Schaumstoffmaschinenhersteller. Ein weiteres großes Problem sind Fachkräfte: „Im kaufmännischen Bereich, bekommen wir alle Ausbildungsstellen besetzt, in den technischen Berufen sieht das leider anders aus.“ Wie viele Unternehmen ist Bäumer dabei, Arbeitsabläufe zu digitalisieren. Im Siegerland eine besondere Herausforderung, denn die Internetverbindungen sind oft miserabel. Patisson fand eine Lösung: „Wir haben unser Glasfaserkabel selbst gelegt.“
Ein Glaserfaserkabel verbindet auch die beiden Standorte von Ohm und Häner. Die Olper Gießerei, die seit 1961 Aluminiumteile für den Maschinen- und Gerätebau sowie die Automobilindustrie herstellt, ist darauf angewiesen, große Datenmengen auszutauschen. „Da die Telekom seit sechs Monaten nicht in der Lage ist, die Glasfaserleitung anzuschließen, fahren wir Datenträger zwischen unseren Werken hin und her“, sagt Dr. Ludger Ohm, einer der beiden geschäftsführenden Gesellschafter des Unternehmens. In der Zeitung liest er, dass immer mehr kleine Ortschaften im Sauerland nun schnelles Internet haben. „Das ist schön, aber daran, die Gewerbegebiete vorrangig anzuschließen, hat niemand gedacht.“
Bei Ohm und Häner sind die Umsätze in letzter Zeit zurückgegangen. Von Leiharbeitern hat sich das Unternehmen getrennt, sein Stammpersonal von 650 soll gehalten werden. „Wir haben zwar keine Krise, wir haben aber nach fast zehn Jahren Hochkonjunktur eine spürbare Abkühlung. Seit dem Sommer gibt es von der Auftragslage her eine Seitwärtsbewegung.“ Sowas kommt vor, damit kann Ohm umgehen. Was das Unternehmen belastet, sei neben immer mehr behördlichen Doppel-, ja Dreifach-Kontrollen ein und desselben Sachverhaltes sowie immer mehr Bürokratie die Energiefrage: „2005 haben wir für eine Kilowattstunde Strom noch sechs Cent gezahlt, heute sind es inklusive aller Umlagen achtzehn Cent. Allein diese Mehrkosten machen drei Millionen Euro im Jahr aus. Bei einem Umsatz von 100 Millionen Euro entspricht das der Größenordnung des Gewinns des Unternehmens.“ Doch bald, wenn erst Kern- und dann auch Kohlekraftwerke abgestellt werden, wird Strom nicht nur teuer, sondern, fürchtet Ohm, auch unsicher sein: „Wir hatten solange es das Unternehmen gibt nur einen Stromausfall. Als der Orkan Kyrill über das Sauerland fegte, fiel drei Stunden lang der Strom aus. Wir konnten zwei Tage nicht produzieren. Passiert sowas in Zukunft häufiger, haben wir ein großes Problem.“ Die Politik, das ist sein Eindruck, interessiert sich jenseits von Sonntagsreden nicht für die Belange der Industrieunternehmen. „Dabei ist es die Industrie, die für den Wohlstand sorgt.“ Was die Grünen auf ihrem Parteitag beschlossen haben, macht Ohm Sorgen: „Wenn das umgesetzt wird, wird es für die gesamte Industrie und vor allem für energieintensive Unternehmen wie Gießereien noch schwerer.“ Die nächsten Jahre, da ist sich Ohm sicher, werden er und die anderen Unternehmer standhalten. „Doch wenn der Strom ausfällt, die versprochenen Datenautobahnen auf sich warten lassen, EEG-Umlage und CO²-Abgaben steigen bzw. eingeführt werden, Straßen nicht mehr befahren werden können und die oft in Aussicht gestellten bürokratischen Erleichterungen ausbleiben, kann das in fünf oder zehn Jahren anders sein.“
91 Prozent der Industrieunternehmen in Siegen-Wittgenstein und Olpe haben kein Vertrauen in die Energiepolitik der Bundesregierung. Für Klaus Gräbener, den Hauptgeschäftsführer der IHK Siegen, beschreiben diese Zahlen ein stramme Herausforderung für die Politik: „Das Misstrauen gegenüber der eigenen Regierung ist in diesem Themenfeld massiv. Dahinter steht die Sorge, dass eine Politik der schleichenden Deindustrialisierung politisch mehrheitsfähig wird.“ Dabei ist die Energie nur eines der großen Probleme der Unternehmen im Sauer- und Siegerland. Ein weiteres ist der Verkehr. Viele Unternehmen in der Region würden große Maschinen und Anlagen herstellen. „Etliche dieser Produkte wiegen über 200 Tonnen“, sagt Gräbener, „und sind auf genehmigungspflichtige Schwertransporte angewiesen, die nur über ausgewählte Routen fahren dürfen.“ Und die werden immer länger und komplizierter. Für zahlreiche Brücken und Straßen wurden die Traglasten herabgesetzt. Sie dürfen nicht mehr von Schwertransporten befahren werden. „Früher dauerte eine Fahrt vom Siegerland zum Hamburger Hafen einen Tag, heute sind es drei bis vier.“ Allein im Kreis Siegen-Wittgenstein sind jede Nacht bis zu 15 dieser Transporte unterwegs. 10.000 Jobs hängen im südlichsten Kreis Nordrhein-Westfalens an den Schwertransporten. Immerhin habe die Politik mittlerweile die Bedeutung des Schwerlastverkehrs erkannt: „Als wir Verkehrsminister Hendrik Wüst angerufen haben, kam er sofort, setzte sich mit unseren Logistikfachleuten an einen Tisch und nahm sich des Themas an. Das war neu, das kannten wir so nicht.“
Wünscht sich Gräbener eine Sieger- oder Sauerlandkonferenz mit einem großen Maßnahmenkatalog, wie ihn die Landesregierung nach der Ruhrkonferenz vorgestellt hat? Der IHK-Hauptgeschäftsführer winkt ab: „So etwas brauchen wir nicht. Wir wollen keine Subventionen, sondern lediglich bessere Straßen, schnellere Netze und mehr Gewerbeflächen. Würde sich die Politik hierum kümmern, statt eine soziale Wohltat nach der anderen zu erörtern, wären wir schon zufrieden.“ Die Infrastruktur müsse stimmen, den Rest erledigten dann schon die Unternehmen. Krisentreffen hält er für unnötig. „Natürlich erleben wir gerade Auftragsrückgänge, insbesondere bei vielen Automobilzulieferern.“ Ob es nur eine Delle ist oder der Auftakt zu einer längeren Krise, könne man derzeit noch nicht abschließend beurteilen. „Wenn die Rahmenbedingungen stimmen, werden die Unternehmen schon damit fertig. Sie sind innovativ, haben schon viele Umbrüche erlebt und sind darin geübt, sich immer wieder neu zu erfinden.“
Der Artikel erschien in ähnlicher Form bereits in der Welt am Sonntag
Ich lese aus dem Artikel vier wesentliche Aspekte:
1. weiter zunehmende verwaltungstechnische Anforderungen, die von Seiten der Unternehmen zu erfüllen sind – gibt es nicht ständig auf Seiten der Politik das Gerede von Bürokratieabba?
2. sichere und günstige Energieversorgung muss gewährleistet sein – kann das durch die Konzentration auf Großprojekte und die damit verbundenen Großproteste wirklich sicher gestellt werden?
3. Infrastruktur – trotz Gerede passiert in diesem Bereich zu wenig, um die bestehende Infrastruktur in Schuss zu halten (insbesondere in Bezug auf die Verkehrsinfrastruktur)
4. Die offizielle Politik folgt zu sehr den Big Playern, sei es VW, Daimler, BMW, Tesla, Siemens, usw. Der wahre Schatz und die wahren Wertschöpfer des Landes, wie die Unternehmen im Sauer- und Siegerland, fallen hinten runter. Man kann sagen, diese Unternehmen leisten trotz der schlechten Politik in Düsseldorf und Berlin gute Arbeit
Bitte mehr von solchen Berichten.
Endlich mal ein Situationsbericht außerhalb der Großstadtmenschen-Blase!
Auch die Maschinenbauer in der Region haben dank der maroden Brücken etc. riesige Probleme.
Erschreckender finde ich, dass sich die Verwaltung und der Bürojob immer weiter selber Aufgaben schafft.
Dies ist nur nachvollziehbar. Die Jugend strebt in die Verwaltung. Möglichst noch in den öffentlicher Dienst als Beamter. Worklife-Balance und Pension müssen stimmen. Natürlich zu Spitzenlöhnen.
Die FFF Demos fordern Lösungen und hoffen, dass irgendwelche asiatischen Ingenieure die Lösungen günstig entwickeln, die sie dann in ihrem Traumjob als Beauftragter für Genderfragen, Gleichstellung, Diversität etc. nutzen können. Natürlich zu Mondlöhnen.
Dann gibt es hier diese Berichte von Industrie-Lobbyisten wie Herrn Laurin, die zeigen, dass produzierenden Werke, die nur Natur zerstören, auch notwendig sein sollen.
Dabei weiß doch jedes Kind heute, dass wir Klimanotstand haben und dass die Zukunft zerstört wird, wenn Werke produzieren.
Was für eine verrückte Welt. Vermutlich müssen mehr Journalisten auch mal das reale Leben beobachten. Das gilt auch für Parteisoldaten, die sich noch nie dem Wähler stellen mussten, noch nie in der freien Wirtschaft gearbeitet haben, aber Karriere gemacht haben.
[…] ist Südwestfalen, das industrielle Zentrum Nordrhein-Westfalens, von den großen Häfen und Wirtschaftsräumen abgeschnitten. Hier gibt es noch Hunderte der viel […]