Infektionsschutzgesetz: Deutsche Hybris – Berlin zwischen politischer Bankrotterklärung und völligem Wahn

Der Bundestag in Berlin. Foto: Robin Patzwaldt

Wohl nie zuvor ist ein derartig komplexes und weitreichendes Gesetz in derartig kurzer Zeit durch das Parlament, den Bundesrat und schließlich über den Tisch des Bundespräsidenten zur Unterschrift gegangen. Und sicher ist wohl auch, dass sich zahlreiche Gerichte mit dem Werk auseinandersetzen werden. Angesichts der weitreichenden Kritik sämtlicher Oppositionsparteien und den immer wieder durchklingenden Zweifeln von Abgeordneten der beiden Regierungsparteien SPD und CDU sind Zweifel an der Verfassungskonformität des Gesetzes durchaus angebracht. Auch ist es völlig legitim, die Geschwindigkeit, mit der das Gesetz verabschiedet wurde, als höchst fragwürdig zu titulieren.

Am Ende ist die Neufassung des Infektionsschutzgesetzes auch eine politische Bankrotterklärung der Regierung. Neun Monate ist es nun her, dass die Coronakrise die Welt und somit auch Deutschland erfasst hat. Neun Monate, in denen viel Zeit für parlamentarische Debatten gewesen wäre, für Diskussionen und inhaltlichen Streit. Neun Monate, in denen die Regierung täglich vor einer zweiten Welle warnte. Neun Monate, in denen der Bevölkerung viel zugemutet wurde. Und wer die Infektionszahlen in Deutschland mit dem Rest Europas vergleicht muss anerkennen, dass sich ein erheblicher Teil der deutschen Bevölkerung um die Bekämpfung der Pandemie verdient macht. So sehr die Fallzahlen aktuell auch steigen, relevante Intensivkapazitäten sind in Deutschland in hohem Maße vorhanden. Hier ist Deutschland so gut aufgestellt, dass sogar Patienten aus dem Ausland aufgenommen werden können. Dies ist ein riesiger Verdienst, der im wahrsten Sinne des Wortes Leben rettet.

Strukturell aber trägt die nun offenkundige Not und die daraus abzuleitende Notwendigkeit einer Gesetzesnovelle die Handschrift des Versagens. Weder sind Schulen umfassend auf eine zweite Welle vorbereitet worden, noch wurden Taskforces zur gezielten Unterstützung von überlasteten Gesundheitsämtern geschaffen und auch eine einheitliche Regelung von Maßnahmen auf Bundesebene wurde weit verfehlt. Umso mehr wirkte der Lockdown-Light, auch auf Befürworter der Coronamaßnahmen, wie ein halbgarer Versuch, schnell wieder Ordnung in das eigene Chaos zu bringen.

Es ist eine Stärke der parlamentarischen Demokratie, dass sie in Notlagen zeitnah auf neue Herausforderungen reagieren kann. Wenn diese Notlage aber auch im Scheitern der Akteure begründet liegt, droht sie das Vertrauen der Bevölkerung zu verspielen. Dass die Maßnahmen der Bundes- und Landesregierungen auf juristisch wackeligen Füßen stehen, ist keine Erkenntnis der vergangenen Wochen. Die Wut und Verzweiflung der Bevölkerung, zu der diese Unsicherheit und Unklarheit führt, ist folgerichtig und verständlich.

Und so aufsehenerregend die Vorgänge im Parlamentssaal am 18.11.2020 auch waren, der eigentliche Skandal spielte sich vor dem Saal und auf den Straßen Berlins ab. Dass Menschen gegen Gesetze, Verordnungen und politisches Handeln friedlich demonstrieren dürfen, ist elementarer Bestandteil einer funktionierenden Demokratie und auch die Bundesregierung hatte zuletzt immer wieder bekräftigt, dass sie das Demonstrationsrecht außerordentlich schützen werde.

Dass auf der Demonstration demonstrativ weder Masken getragen noch Abstand eingehalten wurde, war wenig überraschend und hätte, wie in den Wochen zuvor, wohl zu einer Auflösung der Demonstration, aber kaum zu mehr geführt. Was gestern aber in Berlin ablief, machte einmal mehr durch menschliche Ausfallerscheinungen von sich Reden, die sich zuletzt in einer völligen Radikalisierung und rhetorischen Verwahrlosung angekündigt hatten. Nicht nur auf Demonstrationen, sondern auch in einschlägigen Telegram-Gruppen wähnen sich zunehmend mehr Demonstranten wahlweise in der Rolle der weißen Rose oder aber als Nachfolger des Leids der Juden im Nationalsozialismus. Wie völlig anstandsbefreit hier das Andenken an den Holocaust und die Verfolgung Oppositioneller missbraucht wird, bedarf keines Kommentars.

Um sich vor möglichen Gegenreaktionen der Polizei zu schützen, hatten Demoteilnehmerinnen und Teilnehmer in Telegram-Gruppen dazu aufgerufen, Kinder mit zur Demonstration zu bringen, wohlwissend, dass diese einen formidablen Schutzwall abgeben. Sie taten dies mit Erfolg – während die Polizistinnen und Polizisten Angriffe mit Steinen, Flaschen und Böllern ertragen mussten. Gewalt zu verüben oder zu dulden, während man sich hinter Kindern verschanzt, ist eine bewährte Strategie, die man sonst unter anderem von der Hamas im Gazastreifen kennt.

Dass die AfD offenbar Sympathien für die Coronademos zu zeigen scheint, zeigte sich zeitgleich im deutschen Bundestag. Höchstwahrscheinlich von der AfD, die hierzu das Besuchsrecht des deutschen Bundestags ausgenutzt zu haben scheint, eingeschleuste Coronagegner bedrängten Politikerinnen und Politiker verschiedener Fraktionen. Auf Twitter ist zu sehen, wie Peter Altmaier von zwei Personen angegangen wird. Nachdem dieser sichtlich genervt, aber ruhig reagiert rufen diese ihm nach:

„Was für ein Arschloch. Aufgeblasener kleiner Wannabe-König.“

Es ist der vorläufige, traurige Höhepunkt einer Protestbewegung, die sich zunehmend in Extremen, Wahn und Gewaltbereitschaft zu verlieren scheint. Wie sich der Vorwurf, die Bundesregierung handle undemokratisch, mit einem solchen Vorgehen in Einklang bringen lässt, muss jede Demonstrationsteilnehmerin und jeder Demonstrationsteilnehmer für sich selbst beantworten. Der Schaden an der Demokratie äußert sich auch dadurch, dass sie die Bemühungen all jener untergraben, die inhaltliche, sachliche Kritik im Rahmen der gesetzlich vorgesehenen Wege am Kurs der Bundesregierung äußern.

Dir gefällt vielleicht auch:

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
6 Comments
Oldest
Newest
Inline Feedbacks
View all comments
Angelika, die usw.
Angelika, die usw.
4 Jahre zuvor

Nun, diese Schnelligkeit, diese Hektik, dieses eilige Handeln scheint mir eine Reaktion auf eine Art Bremsklotz-Föderalismus zu sein.

Walter Stach
Walter Stach
4 Jahre zuvor

Ergänzend zum o.a. Kommentar von Daniel Bleich:

"Die Verfassungsfeinde und ihre Mitläufer mögen ihren Frust herausplärren, es wird ihnen nichts bringen.
Sie mögen skandieren, sie seien "das Volk". Sie sind es nicht, sie sind eine aufgeblasene Minderheit, die sich weit überschätzt.
Sie mögen schreien, wir lebten in einer Diktatur. Das tun wird nicht. Wir leben in einer Demokratie, die sich den Herausforderungen einer Pandemie stellen muß. Sie wird diese Bewährungsprobe bestehen: mit grimmiger Gelassenheit."

Zitat.
Inhalt des letzten Absatz eines Kommentars
von
Stefan Kuzmany
18.11. 2020
Spiegel-online

Susanne Scheidle
Susanne Scheidle
4 Jahre zuvor

Gestern in der Aktuellen Stunde war im Zusammenhang mit den "Demonstrationen" in Berlin von einer Studie der Uni Leipzig die Rede, der zufolge über 30% der Deutschen zumindest einigen Verschwörungsmythen zustimmen. Auch wenn anzunehmen ist, dass die ganz krass Verstrahlten tatsächlich eine ganz krasse Minderheit sind – über 30% finde ich doch ziemlich bedenklich.

Man merkt es ja auch teilweise im Bekanntenkreis, da ruft man jemanden an um in Kontakt zu bleiben und hört plötzlich en passent einige Bemerkungen, die an Grenzwertigkeit über das strunzdumme "kennst Du jemanden, der an Corona erkrankt ist? deutlich hinaus gehen…

Berthold Grabe
Berthold Grabe
4 Jahre zuvor

Nun ja, kommt man so weiter, in demn man die diversen Ausfälle heute so bewertet?
Wer die Demos 68 oder gegen Atomkraft miterlebt hat, weiss, das sie an Dümmlichkeiten und dreisten Beleidigungen ebenso wenig überbietbar waren.
Trotzdem waren diese Beleidigungen nie im Zentrum der Betrachtung.
Ich frage mich ob das heute nicht der größte Unterschied zwischen dem heutigen rechten Protest und dem damaligen linken Protest ist.
Damalsverzichtete die etablierte Politik auf Gegenbeldigungen uind Herabwürdigungen ( z.B. Convidioten) obwol der konkrete Protest kaum weniger doof war als heute und auch die Aktivisten im Dannenröder Forst wohl mitFfug und Recht als Ökologioten bezeichnet werden könnten

thomas weigle
thomas weigle
4 Jahre zuvor

#4 "Die Studenten benehmen sich wie Tiere,auf die die für Menschen gemachten Gesetze nicht anwendbar sind." Franz Strauß, 1969 Bamberg. "Ihr seid die besten Schüler Joseph Goebbels", derselbe in Essen 1980 zu Gegnern auf einer Wahlkampfveranstaltung. Und es gab viele kleine Strauße in allen Parteien. Ähnliche Äußerungen gab es v.a. in Westberlin auch von SPD-Politikern, die systematisch Ende der 60er Stimmung gegen Langhaarige( Gammler) und Studenten machten. Damals wurde sehr oft der Vergleich Studenten-SA gezogen. Später kamen dann die Berufsverbote, die in ihrer Wirkung natürlich schlimmer als Beschimpfungen waren, ihre Wirkung aber nicht verfehlten. Ihre Behauptung ist schlicht und ergreifend unwahr, ob nun aus Unwissenheit oder mit der Absicht die Gegner der "Coronarebellen"zu diskreditieren. Haben sie einen Beleg dafür, dass die Politik Corvidioten Corvidioten nennen? Frau Merkel, die Herren Spahn und Lauterbach etwa?

Emscher-Lippizianer
Emscher-Lippizianer
4 Jahre zuvor
Werbung