Angeblich gilt die Aufmerksamkeit der Initiative GG 5.3 Weltoffenheit den „Marginalisierten“ und ausgeblendeten Stimmen. Doch gerade diese Menschen interessieren die Mitglieder der Initiative nicht. Ihre Stimmen würden die postmoderne Kulturschickeria irritieren.
Warum muss man Antisemiten, die von der Vernichtung der Juden träumen und mit der BDS-Kampagne eine Initiative unterstützen, die, wenn auch erfolglos, auf dieses Ziel hinarbeitet? Niemand ist so dumm zu sagen, dass es darum geht, auch in Deutschland wieder staatlich finanziert den Holocaust so relativieren möchte, wie es in postkolonialen und postmodernen Kreisen in vielen Ländern, vor allem in den USA und Großbritannien, üblich ist? Durch den Beschluss des Bundestages, dem sich zahlreiche Bundesländer und Städte angeschlossen haben, Veranstaltungen mit Unterstützern der BDS-Kampagne in öffentlichen Räume zu untersagen, sind die deutschen Kulturinstitutionen vom Wanderzirkus der postmodernen Antisemiten abgekoppelt worden. Das stört, das verletzt die Eitelkeit und weil man das so nicht sagen kann, muss man blumige Begründungen finden. Eine, die immer gut klingt, ist: „Unsere besondere Aufmerksamkeit gilt dabei auch marginalisierten und ausgeblendeten Stimmen, die für kulturelle Vielfalt und kritische Perspektiven stehen.“ und sie findet sich auch im gestern veröffentlichten Plädoyer der Gruppe.
Das ist natürlich geheuchelt. Zu keinem Zeitpunkt standen die „marginalisierten und ausgeblendeten Stimmen“ im Interesse der vom Staat alimentierten Kulturmanager. Sie haben in all ihren Theatern und Museen immer die Chance gehabt, Menschen, die auch in den Medien kaum vorkommen, Raum zu geben, um sich mitzuteilen: Die Migrantenkids mit Spaß an Autos, und das sind nicht wenige, finden sich im Rap wieder und nicht auf den Theaterbühnen. Das Leben von Teenagern, die ihre Freiheit genießen, für eine Party nach Mallorca zu fliegen, ist dort ebenso wenig ein Thema, wie die Liebe der vielen Helene Fischer Fans, die für ihre Konzerttickets sparen müssen, da diese Karten nicht öffentlich bezuschusst werden. Und natürlich käme keiner der Unterzeichner der „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ auf die Idee zu fordern, dies zu ändern. Die Weltoffenheit, um die es geht, ist nur die Offenheit gegenüber der eigenen, kleinen Welt.
Das ist auch so, wenn es um den globalen Süden geht: „Es ist unproduktiv und für eine demokratische Öffentlichkeit abträglich, wenn wichtige lokale und internationale Stimmen aus dem kritischen Dialog ausgegrenzt werden sollen, wie im Falle der Debatte um Achille
Mbembe zu beobachten war.“ Achille Mbembe ist sicher eine wichtige Stimme im postmodernen Wanderzirkus, ob er in Afrika auf die Menschen einen großen Einfluss hat, darf bezweifelt werden. Das Vorbild viele junger Afrikaner ist jedenfalls nicht der Philosoph und Historiker Mbembe, sondern Strive Masiyiwa aus Zimbabwe. Masiyiwa hat ein Telekommunikationsunternehmen aufgebaut, ist Milliardär und gilt als das afrikanische Gegenstück zu Bill Gates, mit dem er befreundet ist. Als die Ärzte in seinem Heimatland Anfang des Jahres vom Staat kein Geld mehr erhielten, zahlte er ihre Gehälter. Gut, das imponiert jemanden wie dem Chef des Goethe-Instituts oder dem Intendanten eines Tanztheaters PACT-Zollverein wahrscheinlich nicht besonders, aber viele junge Afrikaner sehen das, verständlicherweise, anders.
Ohnehin darf bezweifelt werden, dass die „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ begeistert davon wäre, was die große Mehrheit der „marginalisierten und ausgeblendeten Stimmen“ aus Afrika sagen würden. Folgt man den Ergebnissen des World Values Surveys, der auch Menschen in Afrika fragt, was ihnen wichtig ist und für welche Werte sie eintreten, ergibt sich für Freunde postmodernen Denkens ein Bild des Grauens: Die große Mehrzahl der Afrikaner, egal ob Christen oder Muslime, ist streng gläubig. Sie haben einen großen Stolz auf ihre noch jungen Nationen. Ihren Kindern wollen sie vor allem Werte wie Fleiß und Gehorsam mitgeben. Neben Homosexuellen zu wohnen lehnen die meisten von ihnen ebenso ab wie Alkoholiker oder Drogenabhängige in ihrer Nachbarschaft.
Die durchschnittliche Afrikanerin, deren Stimme im Westen tatsächlich nicht gehört, wird, diskutiert mit ihrem Ehemann abends am Essentisch eher selten über die Thesen von Judith Butler und Achille Mbembe sondern häufiger über die Schulnoten der Kinder, die letzte Predigt des Pfarrers oder den versoffenen Nachbarn.
Nein, keiner der Unterzeichner will wirklich, dass diese Stimmen gehört werden. Wäre die Initiative GG 5.3 Weltoffenheit ehrlich, würde sie bekennen: Wir wollen wieder Teil des postmodernen Wanderzirkus sein, endlich wieder die antisemitischen Wortakrobaten einladen können und der Staat soll sie bezahlen. Dass sie Juden hassen und Israel vernichten wollen, ist uns vollkommen egal. Und nun lasst uns machen, was wir wollen. Haltet die Klappe und zahlt die Rechnungen.“
Mal schauen, ob sie damit durchkommen.
In der heutigen Ausgabe der "Le Monde diplomatique" steht unter der Überschrift "Wer wen wählt…In der Tat findet die konservative Rhetorik zu Themen wie Einwanderung, Polizeiarbeit und kriminalität bei Afroamerikanern und Latinos ebenso viel Anklang wie bei konservativen weißen Wählern. Beide Gruppen ebenso wie ein beträchtlicher Teil der Asian Americans sind bei bestimmten Themen, insbesondere religiösen, konservativer eingestellt wie die progressiven weißen Wähler, die den größten Teil der der demokratischen Wählerschaft ausmachen." Also nicht nur in Afrika und wnn man in den Fernen Osten schaut, stellt sich die Frage, ob es dort überhaupt nennenswerte linksliberale Parteien gibt. Weiß da wer mehr?
Thomas Weigle,
jedenfalls könnte das Lesen und das Bedenken des Inhaltes des von Dir angesprochenen Beitrages in "Le Monde…." dazu beitragen, die eigene Meinung über den politischen Zustand in den USA und dessen Ursachen kritisch zu hinterfragen, insbesondere die eigene Meinung über die "Trump-Wähler" und deren Motivation.
Das gilt auch für den in "Le Monde…." zugleich erschienen Beitrag "Joe Bidens bitterer Sieg".
Insbesondere "Links-Liberalen" -wer auch immer sich aus welchen Gründen auch immer als "solcher versteht"- könnten in den beiden Beiträgen Bedenkenswertes "über den Tag hinaus" , auch mit Blick auf die derzeitige politische Verfaßtheit der Gesellschaft in Deutschland und mit Blick auf deren Zukunft finden, nicht nur, aber eben vor allem bezogen auf ein angenommenes (oder unterstelltes ?-)gesellschaftspolitisches Selbstverständnis ""Links-Liberalen" und /oder vermeintlicher -oder "tatsächlich"?- links-liberaler Parteine.
Thomas Weigle,
"links-liberal" ist eine politische Zuordnung, die sehr geläufig , aber ebenso so sein wage und unbestimmt erscheint.. Das gilt für politisch agierende "linksliberale" Individuen, z.B. für mich, und folglich in besonderem Maße dann, wenn eine politischen Gruppierung,, zum Beispiel eine Partei, sich als "links-liberal" definiert und/oder so von Dritten definiert -oder diskreditiert?-wird. Insofern, meine ich, wird es "die" Antwort auf Deine abschließend gestellte Frage nicht geben bwz. nicht geben können.
Der Beitrag wäre eindrucksvoller, wenn er nicht neben seinen inhaltlichen Argumenten so stark auf einen albernen Anti-Intellektualismus setzen würde, wie er zB in der penetranten (viermal!) Herabwürdigung intellektueller Diskussio als "Wanderzirkus" zum Ausdruck kommt.
@ Walter Stach Ich denke bei linksliberal fast automatisch an die sozialliberale Koalition, Dass ist sicherlich nur ein Teil dessen, was du mit vage umschreibst und richtig liegst. Unverständlich ist mir, dass linksliberal in den USA so heftige Gegenreaktionen auslöst, oftmals mit Kommunismus in Verbindung gebracht wird. Gibt es in den USA überhaupt eine nennenswerte Anzahl Anhänger dieser totalitären Ideologie? Während die Anhänger der anderen totalitären Ideologie mancherorts Diskussion und Straße beherrschen., schwer bewaffnet häufig, ist von Kommunisten dort nix zu sehen
Was marginalisiert angeht, so frage ich mich, ob damit etwa diejenigen gemeint sind, die von Murx und Bengels menschenverachtend Lumpenproletariat genannt wurden?
[…] Laurin, Staatskünstler wollen mehr Antisemitismus wagen, in: Ruhrbarone, 10. Dezember 2020; ders., Initiative GG 5.3 Weltoffenheit: Die geheuchelte Sorge um die “Marginalisierten”, in: Ruh…. Zum Wandel der Kunst zum politischen Kunsthandwerk sei exemplarisch die Leiterin der documenta-13 […]