Innenminister Jäger legt konkrete Zahlen auf den Tisch – NRW hat weiterhin ein großes Problem mit Rechtsextremismus

Nazidemo am 20.08.2014
Nazidemo in Dortmund am 20.08.2014, Foto: Ulrike Märkel

Eine traurige Bilanz ergibt sich aus der Antwort von Innenminister Jäger auf die Anfrage der Grünen im Landtag NRW zu den rechtsmotivierten Straftaten in NRW im 1. Halbjahr 2014. Die Zahlen sind ernüchternd, Nordrhein-Westfalen hat weiterhin ein erhebliches Problem mit Rechtsextremismus. Das Ranking der Städte geht vor allem für Dortmund schlecht aus. Die Stadt im Ruhrgebiet bleibt weiterhin, ungeachtet des beachtlichen bürgerschaftlichen Engagements, der Blockaden gegen Naziaufmärsche und zahlreichen Aktionsplänen gegen Rechts, die nordrhein-westfälische Nazi-Hochburg. Auf die aktuell vorliegenden Zahlen sollte eine fundierte Ursachen-Analyse im Innenministerium, bei den ermittelnden Behörden und in den einzelnen Kommunen folgen. Denn die Frage ist weiterhin unbeantwortet, warum es trotz der zahlreichen Bemühungen nicht zu einer spürbaren Eindämmung des Rechtsextremismus in NRW gekommen ist.

Nazis begingen in NRW im 1. Halbjahr insgesamt 1.307 Straftaten im Feld der politisch motivierten Kriminalität (PMK). Es wurden 79 Gewaltdelikte verübt, davon waren 69 Körperverletzungen. Es kam zu 849 Verstöße gegen §§ 86, 86a StGB (verfassungswidrige Handlungen durch Parolen und Grußformeln oder das Verwenden von verfassungswidrigen Symbolen). Dazu kommen 127 Volksverhetzungen, 117 Beleidigungen und 101 Sachbeschädigungen. Vergessen sollte man dabei nicht, dass eine Dunkelziffer unerkannter oder nicht angezeigter Straftaten hinzukommt.

Interessant ist, dass bei 657„allgemein-kriminellen“ Straftaten in NRW die Tatverdächtigen gleichzeitig Tatverdächtige im Bereich rechtsmotivierter Straftaten waren. Statistisch gesehen stehen demnach 657 Nazis im Verdacht, neben ihrer rechten Gesinnung ganz normale Kriminelle zu sein, obwohl sie auf Demonstrationen immer wieder harte Strafen für angeblich „kriminelle“ Ausländer fordern.

Themenfelder der politisch rechtsmotivierten Krminalität

Die statistische Erfassung politisch motivierter Straftaten erfolgt laut Antwort von Innenminister Jäger „auf Grundlage eines bundesweit einheitlich festgelegten Themenkatalogs“. Die Taten können so bestimmten Themenfeldern zugeordnet werden. Auch wenn manche Taten mehreren Themenfeldern zuzuordnen sind (Mehrfachnennung), geben die Zahlen Aufschluss über Häufigkeit und Motiv.

Im Bereich der so genannten Hasskriminalität gab es im 1. Halbjahr 2014 in NRW insgesamt 402 Fälle, davon waren 324 mit einem ausländerfeindlichen Hintergrund. Im Bereich Nationalsozialismus / Sozialdarwinismus waren es 945 Delikte, 936 fielen in das Themenfeld Verherrlichung / Propaganda.

Angesicht dieser Zahlen erstaunt es ein wenig, dass laut Innenmister Jäger nur 12 Personen wegen Straftaten mit rechter Motivation festgenommen wurden. Dafür wurden aber insgesamt 1.692 Ermittlungsverfahren eingeleitet. Allerdings kam es nur bei 273 Tatverdächtigen zu einer Anklageerhebung. 185 Verfahren endeten mit einer Verurteilung der Täter. Die anderen 1.169 Verfahren wurden eingestellt.

Auch Antisemitismus bleibt in NRW weiterhin ein erhebliches Problem: Nach Angaben des LKA kam es im 1. Halbjahr diesen Jahres zu insgesamt 84 Straftaten mit antisemitischen Hintergrund, davon 4 Gewaltdelikte. Es gab nur 1 Festnahme aufgrund einer antisemitischen Straftat. Insgesamt wurden 157 Ermittlungsverfahren wegen antisemitischer Straftaten eingeleitet. In 19 Fällen erfolgte eine Verurteilung, 118 Verfahren wurden eingestellt.

Städte -“Ranking“ der Städte in Nordrhein-Westfalen

Auf die einzelnen Städte verteilt, ergibt sich folgendes Bild der PKM-Straftaten in Nordrhein-Westfalen im 1. Halbjahr 2014 (hier sind nur die Straftaten bis 23 aufgezählt):

Dortmund 115 (davon 10 Gewaltdelikte)
Köln 67 (davon 3 Gewaltdelikte)
Düsseldorf 62 (davon 3 Gewaltdelikte)
Essen 48 (davon 3 Gewaltdelikte)
Wuppertal 38 (davon 3 Gewaltdelikte)
Bochum 29 (davon 1 Gewaltdelikt)
Bonn 27 (davon 4 Gewaltdelikte)
Oberhausen 24 (davon 2 Gewaltdelikte)
Aachen 23 (davon 1 Gewaltdelikt)

Diese Zahlen geben einen Überblick über die Situation in Bezug auf rechte Straftaten in NRW. Eine Vergleichstabelle zur politisch rechts motivierten Kriminalität in NRW seit 2011 zeigt aber auch, dass in der Entwicklung der letzten drei Jahre von wahrnehmbaren, tiefgreifenden Verbesserungen nicht die Rede sein kann. Im Bereich Rassismus und Fremdenfeindlichkeit stiegen die Zahlen sogar.

Aufatmen kann man daher leider nicht. Hintern den nüchternen Zahlen stehen Menschen, die beleidigt wurden, deren Würde verletzt wurde, die öffentlich herabgesetzt wurden und deren Recht auf körperliche Unversehrtheit mit Springerstiefeln getreten wurde. NRW hat im Kampf gegen Rechts noch sehr viel zu tun.

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Jürgen
Jürgen
10 Jahre zuvor

Dortmund hatte vor 30 Jahren ein Problem mit Neonazis, Dortmund hat dieses Problem immer noch. wer von den Stadtoberhäuptern das nicht sieht, verweigert sich der Realität.

Ich werde mich ein Leben daran erinnern, wie wir beim Trampen neben einer britischen Kaserne (mit Sandsackverhau und daraus hervorlugendem Gewehr) am Ostrand Dortmunds, von einem Dortmunder Neonazi, der, nach dem er bereits an uns vorbeigefahren war, mit quietschenden Reifen zurücksetzte und uns so mir nichts dir nichts innerhalb von fünf Sekunden umgehauen hat.

Hubi
Hubi
10 Jahre zuvor

„Auch Antisemitismus bleibt in NRW weiterhin ein erhebliches Problem: Nach Angaben des LKA kam es im 1. Halbjahr diesen Jahres zu insgesamt 84 Straftaten mit antisemitischen Hintergrund, davon 4 Gewaltdelikte. Es gab nur 1 Festnahme aufgrund einer antisemitischen Straftat.“

Das wundert mich aber bei den ganzen Anti-Israel Demos in NRW, oder waren die alle im 2. Halbjahr 2014?

Stefan Laurin
Admin
10 Jahre zuvor
Reply to  Hubi

@Hubi: Die Anti-Israel-Demos begannen im Juli.

Gerd
Gerd
10 Jahre zuvor

Das sollte man im Auge behalten! Ob die diversen judenfeindlichen Straftaten dieses Sommers auch in der offiziellen Statistik als solche auftauchen werden? Ich bin mir da alles andere als sicher, denn in die Kategorie rechtsextreme Delikte kann man sie nicht packen.

Klaus
Klaus
10 Jahre zuvor

Solche absoluten Zahlen finde ich immer problematisch. Deswegen habe ich die Zahlen mal auf Straftaten je 100.000 Einwohner berechnet:

Dortmund 19,97
Oberhausen 11,48
Wuppertal 11,06
Düsseldorf 10,36
Aachen 9,52
Bonn 8,67
Essen 8,42
Bochum 8,02
Köln 6,48

keineEigenverantwortung
keineEigenverantwortung
10 Jahre zuvor

Interessant ist auch die hohe Quote der eingestellten Verfahren.
Gab es nur geringe Verfehlungen, war die Beweislage zu schwach …

Wenn ich an die großen Angriffe der letzten Jahre denke, kann ich mich auch nicht an spürbare Verurteilungen erinnern. Oft fehlten Beweise, obwohl es oft über Tage Berichte in der Presse gab. Oft muss die Staatsanwaltschaft auch erst prüfen, ob Straftaten vorliegen. Das dauert dann schon mal……

Insgesamt erzeugt die Statistik bei mir mehr Fragen als sie Antworten liefert. Diese Statistik wie auch viele andere Kriminalitätsstatistiken erzeugen bei mir eher den Eindruck, dass der Staat lieber zusieht als eingreift.

AlNitaq
AlNitaq
10 Jahre zuvor

#4 Gerd 17. Oktober 2014 um 14:23
>>_“[…] denn in die Kategorie rechtsextreme Delikte kann man sie nicht packen.“

Warum nicht? Weil Faschos ‚par ordre du mufti‘ nur autochthone Deutsch-Spacken sein können?

Puck
Puck
10 Jahre zuvor

Man kann nicht oft genug hervorheben, wie viele Rechtsradikale sich nicht nur mit politischen Straftaten hervortun sondern gleichzeitig an nicht politisch motivierten Straftaten beteiligt – will heißen nebenbei auch ganz gewöhnliche Kriminelle sind. Damit immer wieder in Erinnerung gerufen wird, wer da nach „Recht und Ordnung“ krakeelt und Ausländern pauschal genau die kriminelle Energie unterstellt, die bei diesen Zeitgenossen selbst in reichlichem Maß vorhanden ist.

Klaus Lohmann
Klaus Lohmann
10 Jahre zuvor

Solange ein mehrfach vorbestrafter Nazi-Gewalttäter wie SS-Siggi vor Gerichten weiter mit Bewährungsstrafen davonkommt (http://www.derwesten.de/staedte/dortmund/ex-ratsherr-und-neonazi-borchardt-verpruegelte-taxi-fahrer-bewaehrungsstrafe-id9942396.html) und trotzdem in einer Bezirksvertretung sitzt, ohne dass irgendetwas von den „Parteien“ in Dortmund dazu verlautbart wird, können wir leider getrost davon ausgehen, dass eine *ernsthafte* Beschäftigung mit Nazis abseits von Fredenbaum-Luftballondemos oder lustigen Aufklebern für Laternen den dumpfen SPD-Malocherwähler und den welt-entschwebten Grünen-Wähler, den heimlich klatschenden CDUler und den eher mit partei-eigenem Antisemitismus kämpfenden Linken einen Sch…dreck interessiert.

Ich verspreche mir dazu schon lange nichts mehr von der Dortmunder Parteienlandschaft oder von Institutionen wie dem BvB, dazu war der Pilskonsum der letzten 30 Jahre in diesen Kreisen wohl wirkungsvoll genug, um die Augen gründlich zu verkleistern.

Ich erinnere als Beispiel für dieses kollektive Nichts-Sehen immer wieder gern an ein vor ein paar Jahren gemachtes WDR-TV-Interview mit dem pädagogischen Leiter des BvB-Fanprojekts, in dem dieser allen Ernstes in die Kamera schwadronierte, dass es jetzt ja kein großes Problem mit Nazis im Stadion mehr gäbe und seine Arbeit ganz doll war, denn es seien doch kaum noch Bomberjacken, Glatzen oder Springerstiefel zu sehen…. Ohne Worte, leider.

Gerd
Gerd
10 Jahre zuvor

#7 AlNitaq

So sieht es doch leider aus. Linker Antisemitismus wird zu moralisch bedenkenlosem Antizionismus und islamischer Antisemitismus ist angeblich eine „Reaktion auf die Besetzung Palästinas“.

Es würde mich garnicht wundern, wenn die anti jüdische Dimension der Straftaten diese Sommers unterschlagen wird.

keineEigenverantwortung
keineEigenverantwortung
10 Jahre zuvor

@10:
Bei der Justiz in NRW ist es für mich nachvollziehbar, dass wir beim Extremismus und bei den Straftaten ganz weit vorne liegen.
Reaktionen des Staates müssen schnell, spürbar und angemessen erfolgen. Bei vielen Urteilen sehen das wohl nur NRW-Juristen und die politisch Verantwortlichen als gegeben an.
Ein Beispiel:
http://www.derwesten.de/staedte/bochum/mildes-urteil-fuer-ebay-serienbetrueger-aus-bochum-id7657754.html

Thomas Weigle
Thomas Weigle
10 Jahre zuvor

@ Puck Das war schon in der Weimarer Republik so, trotzdem krakeelten Adolf Nazi und Konsorten von der bösen Systemjustiz. Es sei nur an den im Zuhältermilieu tätigen Horst Wessel erinnert.

Rainer Möller
Rainer Möller
10 Jahre zuvor

Thomas Weigle,

Das Problem der Weimarer Republik war nicht eine übermäßig rigorose Justiz. Es war aber eine politisierte Justiz, die zwischen Liberalität und Rigorosität hin und her schwankte, ohne klare, einsichtige und durchgehaltene Linie. Die SPD-Politiker verstanden sich oft selbst als revolutionäre Machthaber und hatten dem Anspruch der NSDAP auf eine „zweite Revolution“ nichts entgegenzusetzen als das factum brutum ihrer Staatsgewalt. Und Staatsgewalt als factum brutum wird eben „gewaltförmiger“ empfunden als Staatsgewalt mit klarer und glaubhafter, entpolitisierter und überparteilich-ethischer Begründung.

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