Inseln im Konsum: Künstler im Gespräch zum Ruhr-Atoll 2010

Schlagzeilen um das Projekt auf dem Baldeneysee, das heute eröffnet wird. Aus 20 Projekten wurden viereinhalb, vermodernde Äpfel mit Ölrand schmecken dem RWE nicht und das Wetter ist auch nur 20 Grad besser als bei der Eröffnungsparty zur Kulturhauptstadt. Kurz: Alle reden über Geld und Politik und vermeiden so die Auseinandersetzung mit der Kunst. Das Gespräch mit Norbert Bauer, dem Kopf hinter dem Ruhr-Atoll und auf dem oberen Foto links, ist hier, die Künstler sprechen hier:

Jens Kobler (auch obere Fotos) ? : Im Laufe der Zeit wurden ja einige Ursprungskonzepte sowohl im Rahmen des Gesamtprojektes als auch die einzelner Inseln verändert. Über Ihre Arbeit, den „Iceberg“, hatte ich noch von der Pressekonferenz im letzten Jahr in Erinnerung, es sollten Originaltöne aus einem Labor im Südpol zu hören sein. Wie sieht es Mitte Mai 2010 aus?

Andreas Kaiser (2.v.l. auf der Kabakov-Insel): Die Idee hat sich verändert. Am Anfang war die Idee des Eisbergs mit dem Forscher- oder auch Künstlerzelt obendrauf. Und das ist ja auch eine Metapher: Dieser Eisberg mit dem Zelt, und da kommen Geräusche heraus. Es kam als Nächstes die Idee, das wissenschaftlich zu fundieren, mit einem Forscher oder Wissenschaftler zusammen zu arbeiten. So traf ich Lars Kindermann und kam auf ein Forscherlabor mit abrufbaren Daten. Aber das hat sich dann immer weiter abstrahiert, weil ich dieses typische Bild des Forschers nicht bedienen wollte. Wir alle haben dieses Bild von einem total chaotischen Labor und einem Wissenschaftler, der leicht neben der Spur ist. Und das Labor sah auch bei einem ersten Besuch bei Lars Kindermann so aus, weil da gerade ein Paket aus der Antarktis angekommen war, das er untersuchen musste. Aber beim zweiten Besuch war es dann gar nicht so, sondern sehr aufgeräumt und ordentlich. Also fragte ich mich, welche Bilder ich da eigentich transportieren will; und wir haben dann bald gesagt, dass wir reduzieren und abstrahieren. Daher gibt es im Inneren des Eisberges jetzt Bilder, die man abrufen kann. Dabei geht es darum, was der Mensch benutzt oder tut, um Natur nachzubilden, um die Datenströme im Sinne von Sound und um die anschließende Datenspeicherung, also die Frage, wie wir die Natur als Daten aufbewahren und verwerten.

?: Das erinnert mich an die Field Recordings aus der Antarktis von Chris Watson, die ich letztens einmal gehört habe: Sich verschiebende Eisplatten und Ähnliches. Wie klingt so etwas denn für einen Physiker bzw. habe ich mir nun vorzustellen, dass Sie hier beim Ruhr-Atoll nur an Statik und so etwas denken oder wie vertragen sich bei Ihnen Kunst, Ästhetik und Wissenschaft?

Lars Kindermann (l.): Ich hatte nach einiger Zeit halt auch Bilder im Kopf und erzählte dann auch Andreas Kaiser von meinen eigenen, recht abstrusen Ideen. Einiges davon ist vielleicht umgesetzt worden, manches war vielleicht zu abstrus. (lacht) In meiner Arbeit begegnen mir aber tatsächlich viele Dinge, insbesondere Töne, von denen kein Mensch weiß, was sie bedeuten. Ich sitze also den ganzen Tag in meinem Labor und höre im Hintergrund Geräusche aus dem Antarktischen Ozean. Und dabei entstehen einfach Bilder im Kopf, und das ist für meine Arbeit genau der Teil, den ich eben nicht einfach ausrechnen kann. Das ist vielleicht das Ziel, dass ich das irgendwann kann, also einen Algorithmus schaffe, der jedem dieser Klänge etwas zuordnet. Aber bis dahin ist immer noch die Imagination gefordert, und das ist doch sehr, sehr nahe an einer künstlerischen Tätigkeit.

?: Herr Katase, Herr Wilkens. In der hierzulande dominierenden Kultur wird ihrer Insel, dem „Teehaus“ (Grafik: Ruhr2010), ja quasi als Nachteil ausgelegt, dass es nicht begehbar, nicht kurzzeitig in Besitz zu nehmen ist. Ich kann mir vorstellen, dass das nicht nur Ihren Vorstellungen von Eigentum, sondern auch von Kontemplation widerspricht.

Kazuo Katase atmet auf: Ja, danke.

Michael Wilkens: In Venedig zum Beispiel gibt es wunderschöne Gärten, die auch nicht zu betreten sind, was dann vielleicht neidisch macht, aber auch inspiriert. Man kann das dann in Phantasie genießen, und darum geht es bei dem Teehaus sehr stark. Wenn das alles so in Besitz genommen werden könnte, so á la „Komm, lass uns da mal ne Party machen!“, dann verliert etwas diesen Reiz, dieses Reizen der Phantasie.

Kazuo Katase: Das Ganze ist ja auch ein Entwurf, ein Bild. Jeder und jede möchte dieses und jenes, aber es ist nicht erlaubt, nicht gewollt, man ist manchmal nicht privilegiert, dieses oder jenes zu haben. Als Künstler oder Architekt hat man aber die Chance, diese Möglichkeiten zu realisieren oder auch einfach nur darzustellen. Dabei geht es eben nicht automatisch darum, etwas konsumfähig zu machen, sondern eher darum, Realität und Phantasie gleichberechtigt nebeneinander zu stellen, auf eine Ebene. Wir haben diese Insel etwas versperrt und gesagt: „Stop. Vorsicht, bitte.“ Und ich denke, das ist notwendig, weil heutzutage so unglaublich vieles anzutatschen und umzulaufen ist, mit der Begründung, genau das sei nun eine freie Gesellschaft, eine Demokratie oder was weiß ich.

?: Kunst im öffentlichen Raum oder auch Architektur ist ja im Grunde eben nicht immer grundsätzlich begehbar oder benutzbar. Es gibt also auch im Alltag hier sehr viele Formen dieser anderen Form von Interaktivität, die eben nicht auf Betreten, Benutzen, symbolische Inanspruchnahme beruht, sondern auch mit Tabus und Phantasien arbeitet. Gleichzeitig werden über die Medien zusätzliche Begehrlichkeiten geweckt, und so weiter. In Bezug auf Ihr Werk gab es doch sicherlich Versuche, es der üblichen Verfügbarkeit zuzuführen?

Kazuo Katase: Darüber haben wir diskutiert, schon weil uns tatsächlich einige Angebote bezüglich unserer Insel gemacht wurden. Letztlich haben wir gesetzlich verfügen lassen, dass das Teehaus eben nicht auf diese Art benutzt werden kann. Und das hat auch Geld gekostet. Jemand wollte dort Tai-Chi spielen oder Yoga – genau das wollte ich nicht. Nicht diese Beliebigkeit,sondern ein bisschen etwas von einem Ideal.

Ab heute: Ruhr-Atoll 2010 auf dem Essener Baldeneysee.

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