Dieses eine Bild von iranischen Schülerinnen, die den verhassten Hijab absetzen und den großen Revolutionsführern, die da in ihrem Klassenzimmer zu hängen haben, einfach nur den Finger zeigen, fasst eigentlich zusammen, was diese Revolution ausmacht. Von unserem Gastautor Thomas von der Osten-Sacken.
Wenn es so weit ist, wenn nur noch der Finger bleibt, dann mögen die an der Macht da noch ein wenig bleiben, weil sie Polizei, Schläger, Armee, Gefängnisse und alles mögliche zu ihrer Verfügung haben.
Nur eines haben sie nicht mehr: Irgendwelche Legitimität.
Sie hatten und haben solche Angst vor Weiblichkeit und weiblicher Sexualität und ausgerechnet die buddelt ihnen nun ihr Grab bzw. Erdloch, in das sie alle gehören.
Und weil es passt dazu und schon 2009 die große Hoffnung bestand, dass der Sturz des Regimes gelingen möge, zitiere ich an dieser Stelle aus der Einleitung des von mir mit herausgegeben Buches „Verratene Freiheit, Der Aufstand im Iran und die Antwort des Westens“. Möge es diesmal gelingen.
„Längst sind im Iran landesweit Mode und Kleidung zum Ausdruck einer ungeheuer nachhaltigen, jugendlichen Revolte geworden, einer Revolte, die sich überhaupt weniger in Formen einer spezifisch politischen Ideologie äußert, sondern vielmehr auf der oft brachialen Suche nach einer Individualität ist, die dem Körper zu seinem Recht verhilft. Heimlich ausgeübter promiskuitiver Sex heißt so viel wie Freiheit in der „Islamischen Republik Iran“, gerade für die Frauen. Nicht mehr und nicht weniger.
Denn was gerade im Westen gern als Ausdruck besonders liebevoll gepflegter kultureller Selbstunterdrückung verkauft wird, ist bloß ein Dystopia, wo speziell der Körper der Frau zum Schlachtfeld der politischen Ideologie geworden ist. Individuelle menschliche Köper, deren genormte Verhüllung mit unzähligen Vorschriften erzwungen werden muss – wer, der noch alle Sinne beieinander hat, möchte das verteidigen? Und warum auch? Doch auch wo schlechte Gedanken herrschen, erkämpft sich Freiheit ihren Raum. Dann werden eben enge Jeans, Männer ohne Bart oder ein immer weiter nach hinten geschobenes Kopftuch zum kämpferischen Symbol einer Dissidenz, die die Sehnsucht nach Freiheit deutlicher zum Ausdruck bringt als alle Politslogans zusammen.
Im Iran, wie in anderen Ländern des Nahen Ostens, ging und geht es also um Freiheit, den Wunsch nach einer ganz unmittelbaren Freiheit, die sich anarchisch äußert und kein Parteiprogramm vorzuweisen hat. Die Protagonisten dieser Freiheit wissen oftmals selbst nicht so genau, wie das, was sie wollen, genauer zu formulieren wäre – außer, dass die Gängelung, die Bevormundung und die Repression ein Ende haben müssen. Diese Menschen wollen einfach freier sein – und damit auch frei, in ihrer Freiheit eigene Erfahrungen und eigene Fehler zu machen. Gerade das macht diese Revolte so einzigartig und sympathisch. Sie braucht keinen Führer, kein Programm und keine Partei. Sie ist sich selbst genug.“
Der Text erschien bereits in der Jungle World