Irgendwo zwischen Schnitzelantideutschland und Schawarmaantideutschland – ein Reisebericht

Demobeginn vor dem Rostocker Hauptbahnhof 2007 Foto: Alex1011 Lizenz:
CC BY-SA 3.0

Ein Beitrag unserer Gastautorin Britt Stadler

2007, die G8 treffen sich in Heiligendamm. Ich war 17 und absolvierte ein Praktikum bei einem lokalen Radiosender. Es war DAS Event für Linke jener Zeit. Das „Ums Ganze“ Bündnis gründete sich. Sie traten an, Kritik an der verkürzten Kapitalismuskritik des  Anti G8 Bündnisses zu üben. Justus Wertmüller, Chefredakteur der Zeitschrift Ba’hamas, gab Radio Corax ein Interview, in dem er den regressiven Kern dieser Bewegung in Grund und Boden kritisierte.

Beides hatte einen großen Einfluss auf mein damaliges Denken. Die Flyer des „Ums Ganze“ Bündnisses brachten mich das erste Mal mit Kapitalismuskritik in Berührung, die ihren Namen auch verdiente, und das Interview gab mir den nötigen Inhalt, um meinem Abgrenzungsbedürfnis Geltung zu verleihen. So richtig verstand ich damals noch nicht, was das alles eigentlich wirklich bedeutete, aber es genügte, um mich zu positionieren und gegen die linke Szene zu rebellieren, die mich mit ihren Zwängen in Sprache und Codes in meiner persönlichen Freiheit doch stark einschränkte.

Nachdem ich nach dem Gipfel wieder nach Hamburg kam, war alles anders. Die einen erzählten von ihren Erlebnissen während der Gipfelproteste, als seien sie  Gardisten der Roten Armee in Stalingrad gewesen, und die anderen organisierten Solipartys für die Inhaftierten. Ich entfremdete mich zusehends von diesen Menschen, ihren Positionen und ihrer Praxis. Ich fand es unbehaglich und musste immerzu an Wertmüllers Worte denken.

Während dieser Zeit fielen mir immer mal wieder Ausgaben der Zeitschrift Ba‘hamas in die Hände und ich las sie. Welche Texte das waren, daran erinnere ich mich heute kaum noch. Was ich aber erinnere ist, dass diese eine Faszination auf mich ausübten, in ihrer unerbitterlichen Kritik und dem schönen Ausdruck.

Für mich war das damals eher ein willkommenes Identitätsangebot als wirkliche politische Theorie – meine Praxis war immer eher antifaschistisch motiviert und da gab es Ende der Nullerjahre viel zu tun. Ich erinnere mich noch an Begegnungen mit Menschen, die Anarcho, vegan, und so weiter waren, die nach langer Zeit zu mir kamen und mir eine etwas verklausulierte Gretchenfrage stellten: „Ich habe gehört, du bist jetzt antideutsch?“.

Der Kürze des Artikels wegen verrate ich die Pointe jetzt direkt. Einer von ihnen sprach nie wieder ein Wort mit mir. Ich vermisste ihn auch nie, fand es aber schon komisch, dass man nicht mehr mit mir redete, weil ich nun eine abweichende politische Meinung vertrat. Bis heute begreife ich nicht, wie man politische Meinung und private Beziehung in einem gewissen Rahmen abstrahieren kann. Aus privaten Gründen zog ich mich dann aus diesem ganzen Sumpf zurück und traf jemanden, der mir half, meinen  Blickwinkel etwas zu liberalisieren. Vermutlich wurde ich aber auch einfach nur älter und fing an alles etwas differenzierter zu betrachten.

Bald fing ich an alles zu lesen, dass mir in die Hände kam an politischer Analyse und Kritik. Alles, was mir in die Hände kam, und natürlich auch immer wieder die Ba‘hamas. Am spannendsten fand ich die Artikel, in denen linker Antisemitismus kritisiert wurde, da mir Scheinheiligkeit und dieses ewige „Ich kann ja gar kein Antisemit sein, weil ich links bin“ schon immer ziemlich gegen den Strich gingen. Wenn ich heute so manchen Artikel von damals lese, wird mir immer bewusster, dass diese Artikel bis heute kaum an Aktualität und Wichtigkeit verloren haben.

Spätestens seit dem Anfang des arabischen Frühlings begann die Geopolitik, und gerade die Betrachtung Syriens, einen hohen Stellenwert in meinem Lieblingsfachblatt für angenehme Kritik am Antisemitismus, einzunehmen. Ich fand den arabischen Frühling erstmal sympathisch, da mir diese ganzen autoritären Herrscher und islamischen Despoten schon immer zu wider waren.  Eine genauere Analyse bekam ich dann aus mehreren Ecken, die sich zum Teil  wiedersprachen, aber dennoch ein gutes Bild abgaben: durch Ba‘hamas, Thomas von der Osten-Sacken und die Publikationen zum Thema der Antideutschen Aktion Berlin. Dazu ein wenig Eigenrecherche und ich war in der Lage, diese Diskussionen auch nachvollziehen zu können.

Was dann logischerweise aus dem arabischen Frühling resultieren musste, waren nicht nur die Menschen, die vor Krieg flüchteten, sondern auch die innerszenischen Debatten. Da fand ich mich dann in Diskussionen zwischen den Positionen bedingungsloser Solidarität mit der PKK und ihrem Ableger der YPG auf der einen Seite, Kritik an der PKK und ihrem Ableger und der Maximalforderung Syrien von Assad zu befreien. Zu guter Letzt die Position die FSA als islamistisch abzulehnen, die Kurden nicht zu erwähnen und Assad an seinem Platz zu lassen. Diese Aufzählung will keinen Anspruch auf Wahrheit erheben, sondern ist eher aus der Erinnerung heraus zusammengefasst.

Dann kam das Jahr 2015 und die sogenannte „Grenzöffnung“.  Es hatte etwas Sissihaftes, weil es im Grunde das Schicksalsjahr, quasi das 9/11 meiner Generation Antideutscher war. Ich fand damals die Öffnung der Grenzen gut. Asyl sollte jedem gewährt werden. Heute betrachte ich das etwas differenzierter, was aber nicht den Abbruch tut, dass das Recht auf Asyl nicht mit einem in Deutschland nicht existenten  Einwanderungsgesetz zu verwechseln ist.

Ich finde zwar den Islam zum Kotzen, es ist mir aber egal, ob Araber meine Nachbarn sind oder Schweden– Deutsche sterben ja eh aus, habe ich im Internet gelesen. Es ging hin und her, ich polemisierte gegen All-Refugees-Welcome-Ideologen, gegen ungefähr alles, was irgendwie in postfaktischer Weise Affekte gegen von ihm ausgemachte Rechte ausstieß  und fand Gefallen an amerikanischen Meme-Seiten. Facebook war für mich schon immer  vielmehr popkulturelles Vehikel für politische Inhalte als ein großartiges Medium politischer Diskussionen. Parallel dazu schien sich ein unheimlicher Hass auf die Ba’hamas breit zu machen. Vielleicht nahm ich ihn auch nur eher wahr, da Facebook vieles schneller sichtbar macht als früher, als man noch ins örtliche AJZ musste, um überhaupt etwas mitzubekommen. Worum es genau ging, konnte ich bis heute nicht herausfinden. Aber auf jeden Fall ging es um Teambuilding, Identität und Zugehörigkeit. Auf beiden Seiten.

Auch ich hielt die AfD zweitweise für eine Partei mit Mitgliedern, die geistigen Dünnschiss verbreiteten und dafür ganz bestimmt bald rausfliegen würden, oder in der sich der bürgerliche Flügel in Zukunft  durchsetzen könne. Da habe ich das mit dem deutschen Sonderweg sonderbar ignoriert und die Hoffnung war größer als die Realität. Mittlerweile ist es mir schleierhaft wie man Gauland, der eine proisraelische Rede im Bundestag hält und aus dem NS einen Vogelschiss der Geschichte macht, gut finden kann. Das Argument, das von den Verteidigern dieser Rede angeführt wird, ist, dass auf diese Weise  israelsolidarische Positionen im Bundestag überhaupt sichtbar seien. Sichtbarkeit lasse ich bei Postcolonial-Studenten mit Queerfemofimmel nicht gelten und dementsprechend auch nicht bei Schnitzelantideutschen mit Gaulandfimmel.

Genau genommen fand mein Umdenken aber schon früher statt.  Erdogan nahm Afrin ein und dazu existierten innerhalb der antideutschen Szene vor allem zwei Positionen: bedingungslose Solidarität mit allen Kurden oder Solidarität mit den Kurden, aber nicht mit den Stalinisten der YPG. Da meine Intuition mir schon immer sagte, dass autoritäre Gruppierungen zu kritisieren sind, fand ich mich eben bei der Solidarität mit den Kurden ohne YPG wieder (die im Übrigen auch einfach das bessere Argument hatte). Im Grunde genommen eine kritische Solidarität.

Ich wurde dann als Erdogan-Sympathisantin bezeichnet, obwohl ich einfach nur die YPG kritisierte. Diesen Vorwurf konnte ich aber innerhalb einer Diskussion ausräumen. Allerdings blieb der fade Beigeschmack, dass die Kurden fast schon zu den neuen Juden hochstilisiert wurden. Das Resultat meiner Position war, dass mir eine SMS von einer mir unbekannten Nummer zugesendet wurde, in der der Fraktion der bedingungslosen Kurdensolidarität recht gegeben wurde. Dies verursachte bei mir einen unglaublichen Schreck. Da wurde eine rote Linie überschritten.

Da Öffentlichkeit bei sowas immer die beste Strategie ist, verfasste ich einen Post, in dem ich den Vorgang mehr trotzig, rotzig schilderte und wurde daraufhin für meine Wortwahl kritisiert. Da war es dann doch irgendwie final für mich vorbei. Auch wenn es gilt, an allem und jedem Kritik zu üben, so hätte ich mich dennoch gefreut, wenn die Kommentatoren an dem Punkt meinen eigentlichen Punkt, nämlich das Kundtun dieser SMS und dem, Schreck erkannt hätten und vielleicht einfach mal das Kommentieren sein gelassen hätten. die Grenzüberschreitung des SMS-Schreibers anerkannt worden wäre und man mir Solidarität ausgesprochen. Daraufhin beendete ich den bereits Monate zuvor begonnenen Löschprozess und verabschiedete mich von den verbliebenen Szenebekanntschaften.

Nicht von allen, da manche noch relativ vernünftig schienen, aber genug, um wieder atmen zu können. Ein paar Wochen später kam der erste Rundumschlag gegenüber Thomas Osten-Sacken, ein Publizist mit dem Schwerpunkt „Naher Osten“. Dieser glich eher dem Ausmachen eines Häretikers als einer Kritik, die dem Kritisierten die Möglichkeit lässt, sich zu korrigieren oder zu erklären. Auf beiden Seiten versicherten sich dann die Fans gegenseitig ihre Zugehörigkeit zur richtigen Seite und so war der Bandenkrieg perfekt.

Für mich ist das ja besser als „Mitten im Leben“, allerdings tun mir alle Beteiligten irgendwie auch etwas leid. Ich glaube, dass sowas einen ziemlich mitnehmen kann. Egal, ob man Teil des Mobs ist, der mit Mistgabeln und Fackeln die Sau durchs Dorf treibt, oder ob man die Sau selbst ist. Und da  Facebook eine Neverending Story ist, ging es dann wie üblich weiter. Da gab es ein Statement von Thomas Osten Sacken (Ich schließe mich nicht dem Trend an, „TOS“ zu schreiben, bis mir mal jemand erklärt, was das eigentlich soll).  darauf folgte ein Shitstorm, in dem sich auch diesmal beide Seiten nicht sonderlich mit Ruhm bekleckerten. Lange Rede, kurzer Sinn, es gab einen Scheiterhaufen, auf dem Thomas dann verbrannt wurde, und der Mob stand daneben und applaudierte.

Zu allem Überfluss hatte ich dann noch das Vergnügen mit einem Kommentator, dem es leidtat, dass ich Geld für die Ba’hamas bezahle. Mir tut das  allerdings nicht leid. Auch heute nicht, nachdem ein Ba’hamas Autor von „globalistische(n) Freunde(n) islamischer Massenintegration“ schwadronierte, und meines Erachtens nach in übelster Tradition* einem Juden vorwarf, an der Zersetzung des Abendlandes mitzuwirken. Ich habe mal gelernt, dass genau das Antisemitismus ist. Autoren, denn es sprang ihm ein weiterer bei, derjenigen Zeitschrift, die zurecht immer linken Antisemitismus kritisiert hatte, scheinen auf dem anderen Auge blind zu sein. Dabei weiß man doch: mit dem Zweiten sieht man besser.

Ich habe so einige Unterhaltungen darüber geführt, was das denn jetzt nun sei, einige sagten mir, sie wollen ihr Abo kündigen. Ich finde nicht, dass das die Lösung ist. Hätte ich eines, ich würde es nicht tun. Denn ich möchte ungern Autoren, deren Texte ich nicht nur im Magazin, sondern auch auf Facebook oder in anderen Publikationen schätze, nicht in Sippenhaft nehmen. Texte von Jan Gerber oder Rajko Eichkamp sind für mich immer wieder mit einem Erkenntnisgewinn verbunden und Justus Wertmüllers Expertise zur Türkei sind für mich von unschätzbarem Wert.

Manch anderer Autor steht für mich vielleicht nicht in hoher Gunst, bringt aber immer wieder auch gute Argumente Wiederum andere haben weniger gute Argumente, ziehen aber dafür die richtigen Konsequenzen. In jedem Fall aber werde ich angeregt, weiter zu denken. Auch, wenn ich mit immer weniger d’accord gehe, kann und möchte ich anerkennen, dass die Ba’hamas diejenigen sind, die in mir viel Denken auslösen und die den Diskurs wesentlich mitprägen. Danke für die letzten elf Jahre, liebe Redaktion.

*Passage auf Wunsch des Herausgebers geändert.

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Stefan Walfort
Stefan Walfort
6 Jahre zuvor

Ein Hypotaxen-Marathon nach dem anderen als "schöne(r) Ausdruck"? Allen Ernstes?

Stefan Laurin
Admin
6 Jahre zuvor

Ich rate jedem, sich das Youtube-Video mit Wertmüller anzuschauen. Ganz großes Kino – witzig, wortgewaltig und in weitesten Teilen wahr.

nussknacker56
nussknacker56
6 Jahre zuvor

Toller Artikel von Britt Stadler, bei dem ich mich an etlichen Stellen wiederfinde. Danke dafür. Das Interview mit Justus Wertmüller ist eine dazu passende schöne Zugabe.

paule t.
paule t.
6 Jahre zuvor

Strange Sektenstreitigeiten, jedenfalls für mich als Außenstehenden. Dass es solche sind, kann man daran sehen kann, dass eine politische Standortbestimmung an ganz vielen höchst verschiedenen politischen Fragen erzählt werden kann, die eher eben dieser Standortbestimmung der Beteiligten im Sinne einer Frontenbildung dienen als als zu berbeitende politische Fragen gesehen werden. Schön, dass sich die Autorin davon eher freimacht.

Reika
Reika
6 Jahre zuvor

"Immer noch" scheitert das Auseinandersetzen mit der Redaktion daran, dass schon der Einstieg solch hahnebüchenen Inhalt transportiert, dass er nicht mehr als bloße Polemik gewertet werden kann und jegliche Motivation für eine ernsthafte Beschäftigung mit dem was auch immer danach folgen mag zunichte macht. Bezüglich des Videos.

Bezüglich des Textes: Diese Zeitschrift finanziell nicht mehr zu unterstützen könnte doch die brauchbaren Autoren dazu nötigen sich Publikationsplattformen zu suchen/ zu schaffen, über die sie nicht noch Leute mitfinanzieren, welche genauso gut auf Identitärenkongressen Rhetorikseminare mit Pirincci und Seehofer geben könnten?

abraxasrgb
abraxasrgb
6 Jahre zuvor

Hey, es gibt ja doch noch satisfaktionsfähige "Linke" 😉
Wobei die nur noch nicht erkannt haben, dass sie libertär sind …

Pewterschmidt
Pewterschmidt
6 Jahre zuvor

"…dass schon der Einstieg solch hahnebüchenen Inhalt transportiert…"

Darüber kann man geteilter Meinung sein, und noch dazu differenzieren. Das ist allerdings anstrengender als Begründungsfrei zu diskreditieren. Die Gefahr sich eine hauchdünne Pelle anzuschaffen bleibt dafür vergleichsweise gering.

Interessant auch die YT-Kommentare zum Video; eine Vorstellung der postmodernen Roten Garden im Full-Aggro Modus. Da passt in der Tat kein Blatt Papier mehr zwischen die Honks vom rechten und linken Rand.
Schade, eigentlich.

Miguel Campeador
Miguel Campeador
3 Jahre zuvor

Gastautorin Britt Stadler beweist mit diesem ausführlichen Artikel eine außergewöhnliche Fähigkeit zu differenzieren und zu abstrahieren, wann man in der linken Szene leider immer mehr vermißt. Großartig. Ich hoffe auf neue Betrachtungen Britts in Zukunft.

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