„Die COVID-19-Pandemie hat uns seit zweieinhalb Jahren fest im Griff. Auch wenn wir auf die Endphase der Pandemie zusteuern, wird sie bis zum Herbst nicht vorbei sein“, warnt Ruhrbarone-Gastautor FDP-Gesundheitsexperte Andrew Ullmann in seinem Gastbeitrag.
Daher hat die Bundesregierung mit der Fortentwicklung des Infektionsschutzgesetzes ein umfassendes Paket auf den Weg gebracht, um besser auf die kalte Jahreszeit vorbereitet zu sein.
Doch welche Rolle spielen in der Endphase der Pandemie noch staatlich verpflichtende Regelwerke oder die eigene Gesundheitskompetenz im Sinne der Eigenverantwortlichkeit und Entscheidungsfreiheit. Und mindestens genauso wichtig, was ist mit der gesellschaftlichen Verantwortung Maßnahmen freiwillig oder staatlich verpflichtend einzuhalten? Der Staat wird es nicht schaffen, jeden vor Infektionen zu schützen. Denn die Verfassung gibt uns lediglich vor (Art 2 Abs. 2 GG Satz (2)), dass jeder das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit hat.
Der Staat ist ebenfalls, zumindest moralisch, verpflichtet Medikamente und Vakzine zur Verfügung zu stellen. Und der Staat sollte dafür Sorge tragen, entsprechend transparent und kohärent die Öffentlichkeit aufzuklären. Infektionskrankheits- bzw. Gesundheitsschutz ist im Grundgesetz und Infektionsschutzgesetz verankert, doch wie weit der Staat gehen muss, ist bereits an anderer Stelle breit diskutiert worden. Staatliche Maßnahmen müssen verhältnismäßig und immer das mildere Mittel sein.
Nun scheint es so zu sein, dass wir in die Endphase der Pandemie kommen. Weniger virulente Stämme sind im Umlauf und treffen auf eine Bevölkerung mit einer gewissen Immunität. Das heißt aber nicht, dass die Pandemie vorbei ist und alle Vorsichtsmaßnahmen fallengelassen werden können. Denn gerade vulnerable Menschen brauchen speziellen Schutz und hier sind Vorgaben wichtig. Viele wichtige Entscheidungen liegen bereits in der Hand der Menschen, wie die Impfung und die Einnahme einer antiviralen Therapie. Masken helfen, das ist unstrittig und FFP-2 Masken geben, wenn richtig getragen, einem guten Selbstschutz.
Die Situation in der Pandemie hat sich verändert. Im Frühjahr 2020 war das vorrangige Ziel, die Ausbreitung des Virus zu verhindern. Schließlich traf das neue und unbekannte Virus auf eine nicht immunisierte Bevölkerung. Durch restriktive Maßnahmen wurde wertvolle Zeit erkauft. Das war wichtig, denn so haben wir der medizinischen und pharmazeutischen Forschung die Zeit gegeben, die sie brauchten. Es gibt nun neben der Impfung Medikamente, die das Virus direkt angreifen können. Wir haben Antikörper, die wir immungeschwächten Personen vorbeugend verabreichen können, um schwere Verläufe zu verhindern.
Zudem haben wir eine Bevölkerung, die allem Anschein nach immunologisch zu 90% bereits Kontakt mit dem Coronavirus hatte. In so einer Situation ist es unangebracht, bei COVID-19 weiter mit staatlich fixierten Isolationsregelungen zu arbeiten, die zu Beginn der Pandemie die richtigen waren. Wir sollten nun stattdessen dazu übergehen, wie früher, individuell die medizinische Krankschreibung ohne staatliche Fristen festzulegen.
Auch in Vorbereitung auf den kommenden Herbst wird voraussichtlich eine Form der Omikron-Variante vorherrschend sein. Die Ansteckungszahlen werden wieder steigen und vielleicht einen neuen Höchstwert erreichen. Die Krankenhäuser werden erneut wegen stationären COVID-19 Fällen nicht überfordert sein. Mit den bestehenden Isolationsregeln können wir Gefahr laufen, in ein hausgemachtes Versorgungsproblem zu laufen. Kritische Infrastruktur und wirtschaftliche Kreisläufe werden dann nicht mehr nur vom Coronavirus, sondern auch von falschen politischen Vorgaben bedroht.
Für den weiteren Verlauf der Pandemie sollte deshalb die Dauer der Krankschreibung und somit die Dauer des Zuhausebleibens wieder in die Hände der behandelnden Ärztinnen und Ärzte gelegt werden. Bei allen anderen Infektionskrankheiten wird es ebenso gehandhabt und ist mit einer Selbstisolation gleichzusetzen. Nach dem Prinzip, wer krank ist, muss daheim bleiben. Die Krankschreibung bei COVID-19 ist als individuell medizinische Maßnahme gezielter und umsetzbarer als eine pauschale Isolationsverpflichtung einer Bundesbehörde. Und das gilt erst recht für Personen, die asymptomatisch sind und sich einem anlasslosen Test unterzogen haben.
Es ist wichtig diese Debatte zu führen, andere europäische Länder haben es bereits unaufgeregter vorgemacht und das mit einem eigenverantwortlichen Regelwerk unterlegt. Es geht hierbei sicherlich nicht um einen Freedom Day, Lässigkeit oder Fahrlässigkeit, sondern die nächsten Stufen in einer Pandemie, die wir gemeinsam gehen müssen. Die Debatte entwickelt sich zu einer gesellschaftlichen Fragestellung, wie viel Staat wir weiterhin benötigen, um verhältnismäßig und verantwortungsvoll mit Infektionskrankheiten umzugehen. Es bedarf situativ angepasster, effektiver und verhältnismäßiger Maßnahmen. Die Bevölkerung hat ein Recht auf Aufklärung und Schutz.
Wir brauchen Mut und Zuversicht, dass wir alle Verantwortung zeigen und diese gesellschaftliche Herausforderung und Realität meistern. Streifen wir die staatlichen Stützräder ab und fahren wir gemeinsam durch diese Pandemie mit Sinn, Verstand, Wissenschaft, Verantwortung und Verständnis füreinander. Es braucht Mut und Willen und keine Furcht vor der Zukunft. Wir werden uns schrittweise in einer neuen Normalität wiederfinden.
Denn Fehler beim Pandemiemanagement müssen adressiert und nachhaltig beseitigt werden, damit wir bei einer potentiellen neuen Pandemie besser vorbereitet sind.
In Berlin gilt Prof. Dr. Andrew Ullmann als Exot. Denn er sitzt nicht nur als Abgeordneter im Bundestag, am Universitätsklinikum Würzburg leitet er zudem die Infektiologie in Teilzeit. Solche Kombinationen gibt es in den Reihen der Bundespolitik nur selten. Ullmann, Facharzt für Innere Medizin und Universitäts-Professor, wurde am 2. Januar 1963 in Los Angeles geboren. Seine Kindheit verbrachte er in den USA, bis er 1972 mit seiner Familie zurück nach Deutschland zog. Nach dem Abitur 1981 am Reichenbach-Gymnasium in Ennepetal studierte er an der Ruhr-Universität Bochum Humanmedizin und schloss das Studium 1987 mit dem medizinischen Staatsexamen ab. Ullmann ist Sektionssprecher der Infektiologie beim Berufsverband Deutscher Internisten und Beisitzer in der Arbeitsgemeinschaft Infektionen in der Hämatologie und Onkologie der DGHO. Seit 2017 gehört der verheiratete Familienvater als Abgeordneter dem Bundestag an; seit Mai 2022 ist Ullmann gesundheitspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion.
Wir sind niedrigste Lohnsklaven. Selbst Amazon DE beschränkt toilettenzeiten. Der Arbeitgeber bestimmt ob ich Covid bekomme – oder der Staat hilft uns…
Bei einer Pandemie ist es extrem dumm, auf die Idee zu kommen, dass ansteckende Personen nicht in die Isolation gehen müssen.
Wir haben die Parteitagsrede von Herrn Lindner gesehen. In dem Zustand bspw als Zahnarzt arbeiten?
Das würde mich nicht beruhigen.
Es ist auch einfach nur dumm durch eine unkontrollierte Ausbreitung des Virus hohe Krankenstände mit unbekannten Langzeitfolgen zu verursachen.
Schon jetzt ist die Isolationsregelung optimistisch ausgelegt.
Es bleibt mir ein Rätsel, wieso die aktuelle Politiker Generation der FDP es nicht schafft Freiheit intelligent und mit gesellschafl. Verantwortung umzusetzen.
Aktuell sterben in einer Woche ungefähr so viele Menschen mit Covid, wie im Verkehr in einem Jahr.
Die Abwägungen im Text sind zu einem guten Teil diskutabel. Völlig verfehlt ist aber das Stichwort „Eigenverantwortung“ im Titel: Eigenverantwortung ist dann eine Option, wenn die Folgen eines Handelns auch im Wesentlichen auf die handelnde Person selbst zurückfallen. Dann kann man darüber diskutieren, ob die Bürger:innen für ein bestimmtes Risiko selbst die Verantwortung übernehmen sollten oder ob die Solidargemeinschaft auch dieses Risiko absichern sollte.
Bei Infektionskrankheiten ist aber das genaue Gegenteil der Fall: Von den Folgen der Entscheidung, sich impfen zu lassen oder nicht, eine Maske zu tragen oder nicht, zur Arbeit zu gehen oder nicht usw. sind nicht nur, ja nicht einmal hauptsächlich die Handelnden selbst betroffen, sondern auch und gerade andere Personen, die bestenfalls zur Hälfte des Risikos die Möglichkeit zur Eigenverantwortung haben, wenn überhaupt. In so einer Situation ist es sinnlos, von Eigenverantwortung zu sprechen. Vielmehr muss die Gemeinschaft überlegen, ob und welche Regeln notwendig sind, und dabei abwägen zwischen den berechtigten Interessen und Rechten bezüglich des Schutzes vor Krankheiten auf der einen Seite und den Freiheitsrechten auf der anderen Seite.
In solchen Situationen, in denen der Begriff „Eigenverantwortung“ gar keinen Sinn hat, verkommt das Wort bei vielen Politikern (meist der Partei des Autors) leider zu einem Bullshit-Wort mit dem Zweck, Regeln generell zurückzuweisen, auf dass die Rücksichtslosen und die Unternehmen und vor allem die rücksichtslosen Unternehmen gerade keine Verantwortung für ihr Handeln übernehmen müssen.
Der Text ist weitgehend viel sinnvoller (auch wenn ich nicht mit allem einverstanden bin) als die Verwendung dieses Stichworts. Hätte der Autor das mal im Phrasenarsenal liegen lassen.
Natürlich sind wir einer Phase der Eigenverantwortung angekommen. Mit einer FFP2-Maske kann man sich wirkungsvoll schützen.
@ #4: … und der Schutz wird noch einmal so groß, wenn auch potenzielle Überträger die Maske tragen. Mutatis mutandis gilt das für alle Schutzmaßnahmen. Und einige Schutzmaßnahmen kann nicht jeder anwenden, wie sich etwa nicht jeder impfen lassen kann. Deshalb schrieb ich, dass andere Personen „bestenfalls zur Hälfte des Risikos die Möglichkeit zur Eigenverantwortung haben, wenn überhaupt.“ Und deswegen ist es Kappes, bei so einem Thema von Eigenverantwortung zu sprechen. Man muss als _Gemeinschaft_ entscheiden, welche Maßnahmen noch notwendig und angemessen sind und welche nicht.
„Eigenverantwortung“ heißt in so einer Situation: Wir lassen die gefährdeten Gruppen mit einem Risiko allein, dass sie nur begrenzt beeinflussen können. Letztlich also zynisch: Wir fordern Eigenverantwortung von Leuten, die dazu nur sehr begrenzt überhaupt in der Lage sind.