Kathrina Talmi, eine Kollegin aus dem ‚Sprachanalytischen Forum‘, einem Gesprächskreis, der das Rückgrat des Duisburger AutorenVerlag Materns ausmacht, beschäftigt sich seit einiger Zeit mit dem Kapitalismus aus philosophischer Perspektive. Der Grund liegt in der gesellschaftlich stärker gewordenen Kritik, besonders aus soziologischer und politikwissenschaftlicher Sicht. Inzwischen wird sogar das Ende des Kapitalismus prognostiziert, wenn auch äußerst vage. Erstaunen kann, dass das Wort in erster Linie ein umgangssprachliches ist, keineswegs ein Fachbegriff, sieht man von der marxistischen Terminologie einmal ab, die aufgrund ihrer heilsgeschichtlichen Orientierung vielleicht eher einer altertümlichen Theologie zuzurechnen wäre. Fragt man, was Kapital sei, landet man bei Investitionsvorhaben und all dem, was investiert werden kann. Es muss sich keineswegs nur um private Vorhaben handeln, auch von einem Staats-‚Kapitalismus‘ ist unlängst die Rede. Doch die im Zuge der industriellen Revolution entstandenen Produktionsstätten, die für eine auffällige historische Veränderung in den zuvor landwirtschaftlich und durch Handel geprägten Landschaften sorgten, waren keineswegs die ersten Investitionsresulate. Ob Karawanen oder Schiffe, sie waren nicht umsonst zu haben.
Durchaus änderte sich im Laufe der Zeit etwas. Bereits mittelalterliche Ritterorden hatten umfangreiche Geldgeschäfte getätigt. Die doppelt Buchführung wurde in der italienischen Renaissance eingeführt. Lediglich die Erfindung und das Phänomen Dampfmaschine vorweisen zu können, um von einem abgrenzbaren Kapitalismus zu sprechen, ist doch etwas wenig.
Auch die aktuellen gesellschaftlichen Debatten sind primär sonderbar geprägt. Fragte man sich, was unter ‚Neoliberalismus‘ verstanden werden könnte, mal von den vielen Emotionsausdrücken abgesehen, würde man auf eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik stoßen, die einen Keynesianismus (nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik) ablöste, weil man unter Schröder (SPD) keine andere politische Lösung sah. Und Schröder, als hätte er etwas verwechselt, gefiel sich in der Rolle eines Selfmade-Managers!
Um es zum Schluss separat zu betonen, es geht derzeit keineswegs um ‚Kapitalismus‘, sondern schlicht um eine geeignete ‚Wirtschaftspolitik‘, die sich im Bund anderes ausmacht, als z.B. in einer niedergerungenen Region wie dem Ruhrgebiet.
Um den Unterschied zwischen Kapitalismus und Sozialismus zu verstehen, braucht man nur zu vergleichen, wie 1989 Altbauten und Fabriken in West- und Ostdeutschland ausgesehen haben und in welche Richtung die Menschen strömten, als die Mauer geöffnet wurde.
Braucht man, um Altbauten und Fabriken in politisch unterschiedlichen Ordnungen vergleichen zu können, Worte wie 'Kapitalismus' und 'Sozialismus'. In der ehemaligen DDR wurde nicht investiert, hatte auch zu wenig, um zu investieren. Dies würde ausreichen, um den ökonomischen Unterschied zu erläutern. Politische Fragen wären andere … Übrigens gibt es auch in Westdeutschland 'Schrottimmobilien'. Duisburg hat derzeit damit zu kämpfen.
"Erstaunen kann, dass das Wort in erster Linie ein umgangssprachliches ist, keineswegs ein Fachbegriff, sieht man von der marxistischen Terminologie einmal ab, die aufgrund ihrer heilsgeschichtlichen Orientierung vielleicht eher einer altertümlichen Theologie zuzurechnen wäre."
Die Analyse und Herleitung eines Kapitalismusbegriffes im Kapital ist weder 'heilssuchend' noch in irgend einer Form 'theologisch', sondern entspricht bis heute höchsten Standards wissenschaftlicher Argumentation. So lange es, wie der Autor feststellt, keine anderen Kapitalismusbegriffe gibt, wäre es vielleicht angebracht, sich mit dem von Marx mal kritisch auseinanderzusetzen, anstatt, wie hier, wahllos und vage zu vermuten, dass das irgendwas mit Geld und Investitionen zu tun habe. Vielen Dank, aber die Geschichte des Kapitalismus ist aus solch phänomenologischen Perspektiven bereits hinreichend ausgeleuchtet worden.
@ #3 Ich habe tatsächlich nicht über eine "Analyse und Herleitung eines Kapitalismusbegriffes im Kapital" gesprochen, sondern wie sie richtig zitierten, über eine heilsgeschichtliche Orientierung marxistischer Terminologie. Dies ist ein Unterschied, oder nicht? Der Grund ist einfach: auch ein altorietalischer Karawanenführer konnte sich keine Verluste leisten, war darauf angewiesen, nicht nur vom Ertrag zu leben, sondern auch Gewinne reinvestieren zu können. Das alles ist überhaupt nichts Besonderes. Worauf ich aufmerksam machen wollte und machte, endlich mal zur Sache zu kommen, anstatt über 'Kapitalismus' und sein mögliches Ende zu palavern, konkret Wirtschaftspolitik zu thematisieren!
[…] Beitrag wurde zuerst bei den Ruhrbaronen […]
Für konkrete Wirtschaftspolitik könnte es nützlich sein, sich mit dem Gegenstand dieser Politik noch wieder grundsätzlich theoretisch auseinanderzusetzen. Die gängige Wirtschaftswissenschaft, die den Begriff vom Kapitalismus zugunsten des Begriffes von der Marktwirtschaft abgeschafft hat, steht nämlich in aller Regelmäßigkeit vor den Trümmern der nach ihren Modellvorstellungen betriebenen Politik.
@ # 6 Dem würde ich zustimmen (sehe ich mal vom Kapitalismusbegriff ab). Die alten Rezepte (Angebots-bzw. Nachfrageorientgierung greifen kaum noch. Die Schwierigkeit ist, dass menschliches Verhalten zu berücksichtigen ist, nicht irgendwelche 'Marktgesetze', die ja kaum mehr als Hypothesen über ein Markverhalten sein können. Eventuell sind sogar unterscheidbare konkrete Märkte separat zu behandlen, auch ökonomisch. Eine theoretische Auseinandersetzung wäre nicht einfach 😉
Ein Jahrzehnt enthemmter Finanzmarktökonomie entpuppt sich als das erfolgreichste Resozialisierungsprogramm linker Gesellschaftskritik. So abgewirtschaftet sie schien, sie ist nicht nur wieder da, sie wird auch gebraucht. Die Krise der sogenannten bürgerlichen Politik, einer Politik, die das Wort Bürgertum so gekidnappt hat wie einst der Kommunismus den Proletarier, entwickelt sich zur Selbstbewusstseinskrise des politischen Konservatismus.
Diese Sätze stammen nicht von mir, sondern von Frank Schirrmacher, dem leider viel zu früh verstorbenen FAZ-Herausgeber. Sein Essay ist bereits 5 Jahre alt und wer sich heute seriös mit einer modernen Kapitalismuskritik befassen will, sollte nicht hinter Schirrmacher zurückfallen.
Sein Essay trägt die schöne Headline: "Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat."
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buergerliche-werte-ich-beginne-zu-glauben-dass-die-linke-recht-hat-11106162.html
Günther Mittag: "Um jeden Preis". Nach der Lektüre ist man ein wenig klüger, begreift man, warum die realsozialistische Wirtschaftsvariante vor die Wand fahren musste. Ob linke Konzepte, die ja auch immer planwirtschaftliche Elemente enthalten, da helfen?
Vielleicht sollte man sich einfach mal die Mühe machen, die Gedanken von Schirrmacher und anderen wertkonservativen wie sozialistischen Kritikern des Weltkapitalismus, die durchaus den Zeitgeist spiegeln, zu widerlegen, anstatt sich der allzu leichten Aufgabe zu unterziehen, einen alten Stalinisten wie Günther Mittag zum tausendsten Male auf die historische Müllkippe zu werfen.
Mann, wie mich die alten Schlachten langweilen. Sie sind geschlagen und werden auch nicht wieder kommen. Und das Wort von den planwirtschaftlichen Instrumenten findet man in den Sc hriften der Ordoliberalen um Eucken und Ehrhardt ebenso wie in denen der katholischen Soziallehre. Sie sind keinesfalls eine sozialistische Erfindung.
Die Planwirtschaft à la Zentralverwaltungswirtschaft sowjetischer Prägung ist ja nicht nur wirtschaftlich vor die Wand gefahren, sondern leistete auch einen erheblichen Beitrag dazu, das sozialistische Projekt als Projekt gesellschaftlicher Emanzipation zu beerdigen. Die Bereitschaft in der Linken sich mit dieser Problematik auseinanderzusetzen scheint eher gering zu sein. Dabei wäre das wichtig, gerade angesichts neuer Formen des staatlich gelenkten Kapitalismus, z.B. in China und Russland.
Zwischen dem parteidiktatorisch gelenkten Staatskapitalismus in China und dem sowjetischen System der sogenannten Zentral- und Planwirtschaft liegen ganze Welten. Das eine Modell ist aus naheliegenden und längst ausreichend analysierten Gründen untergegangen, das andere dient heute als modernes und damit gefährliches Vorbild für einen autoritären Kapitalismus, der sich zunehmend in Konkurrenz zur westlichen Verbindung von Demokratie und Kapitalismus entwickelt.
Wer sich mit diesen autoritären Kapitalismus-Modellen in China, Russland oder auch Saudi-Arabien auseinandersetzen will, dem wird mit einem Rückgriff auf die Sowjetunion schnell die Puste ausgehen. Eine breite kapitalistische Mittelschicht und eine kapitalistische Elite mit Zügen des Geldadels inmitten einer grobkommunistischen Einparteiendiktatur, das ist ziemlich neu und bisher auch kaum analysiert. In Deutschland schwankt die China-Literatur zwischen ökonomischer Euphorie und moralischem Zeigefinger. Vielleicht ändert sich das jetzt endlich mal, da Chinas Wachstums- und sozial-ökonomische Probleme immer offensichtlicher werden.
@ #8 leoluca: Danke für den Hinweis, doch mehr als ein allgemeiner, dubioser Verweis auf 'die Linke' und die Aufforderung zur bürgerlichen Kritik am Wirtschaftsgebaren ist bei Schirrmacher nicht zu finden. Zum Ausdruck kommt primär Ärger 😉 Damit ist nichts gewonnen, lediglich was abgelassen 😉
@Reinhard Matern
Das ist alles, was Ihnen dazu einfällt? Herrje.
[…] der grundsätzlichen, sprachlich orientierten Frage, ob ‚Kapitalismus‘ nur eine Chimäre ist, denn anders als sprachlich ließe keine Frage gestellen, allenfalls vermeiden, kommen nun weitere […]
Schirrmachers Beitrag war für das publizistische Umfeld durchaus etwas Besonderes, dafür ist ihm allemal zu danken 😉
[…] der grundsätzlichen, sprachlich orientierten Frage, ob ‚Kapitalismus‘ nur eine Chimäre ist, denn anders als sprachlich ließe sich keine Frage stellen, allenfalls vermeiden, kommen nun […]