Die Dortmunderin Birgit Rydlewski ist Landtagsabgeordnete der Piraten in NRW und hat in den vergangenen Tagen die Besetzung der ehemaligen Hauptschule in der Bärendelle in Essen begleitet. Der Text unserer Gastautorin erschien bereits auf ihrem Blog.
Von ungefähr Sonntag Nacht/Montag früh an hatte eine Gruppe junger Menschen (Plenum Bärendelle) das seit einigen Jahren leer stehende (und mangels Investor langsam verfallende) Gebäude der Hauptschule Bärendelle in Essen besetzt.
Gestern früh erfolgte die Räumung durch ein massives Aufgebot an Polizei.
Ich habe seit Montagnachmittag viele Stunden vor Ort verbracht. Aus mehreren Gründen:
- Ich fühle mich der Antifa verbunden.
- Ich bin der Auffassung, dass es dem Ruhrgebiet gesamt sehr gut tun würde, alternative, selbstverwaltete Projekte für Menschen zu fördern.
- Ich kann mir vorstellen, dass eine Stadt ein leer stehendes Gebäude für eine Zwischennutzung frei gibt.
Was ich vor Ort erlebte:
Die Menschen dort waren allesamt friedlich und politisch hoch engagiert. Ich habe Gespräche verfolgt über feministische Sicht auf Filme, über Literatur und Kunst. All das gibt mir das Gefühl: Das sind Menschen, die das Zeug hätten, ein kulturelles, bildendes, politisches Projekt zu initiieren und zu betreiben. Die Atmosphäre dort war sehr angenehm. Musik, Kerzen, Gespräche. Und der einende Wunsch nach einem Ort, der dafür auch weiterhin verwendet werden kann.
Auf Twitter wurde mir vereinzelt „fehlendes Unrechtsbewusstsein“ vorgeworfen. Es gehe nicht, dass Menschen sich „ein Objekt der Begierde“ einfach nehmen würden. (Dass gerade „Piraten“ das so sehen, entbehrt nicht einer gewissen Komik.)
Ich bin etwas anderer Ansicht. Sicher. Es ist strafrechtlich relevant, in das Eigentum der Stadt Essen einzudringen. Auf der anderen Seite habe ich den Eindruck, dass es durchaus ein wirkungsvoller Protest war, um auf Missstände aufmerksam zu machen (mit friedlichen Mitteln). Ich war selber nicht im Gebäude und kann also nichts dazu sagen, ob es dort Sachbeschädigungen durch die Besetzer*innen gegeben hat. Allerdings habe ich die staatlich legitimierte Sachbeschädigung durch die Polizei am Eingangsbereich gesehen und deren Kettensägen etc.
Ich war gestern Nacht vor Ort. Der Abend verlief wie zuvor friedlich und entspannt. (Man mag darüber streiten, ob es sinnvoll ist, laute Musik zu hören nachts im Park vor der Schule, weil ich es taktisch nicht klug finde, die Anwohner*innen zu verärgern. Aber das waren nicht unmittelbar die Menschen vom Plenum Bärendelle, sondern nach meiner Wahrnehmung eher solidarische Gruppen im Park.)
Gegen Ende der Nacht gab es dann zunehmend Berichte darüber, dass die Polizei die Schule bald räumen würde. Ein Räumpanzer fuhr dann auch mal vorbei (zunächst zum Bahnhof dort, wo sich die Polizeikräfte sammelten.) Wie vermutet wurde es dann gegen 6 Uhr ernst. (Meine Nachfrage ob einer bevorstehenden Räumung wurde aus „polizeitaktischen Gründen“ von den dann kurze Zeit später abgezogenen Polizist*innen direkt vor Ort nicht beantwortet.)
Die Räumung:
Die Polizei fuhr mit allerlei Gerät auf. Ich habe die Menge der Polizist*innen und Fahrzeuge plus Räumpanzer plus Hunde als recht bedrohlich und übertrieben empfunden. Es gab drei ähnlich lautende Ansagen durch die Polizei, bevor dann geräumt wurde. Den Besetzer*innen wurde dabei bewusst über den Mund und in ihre Erklärung gefahren. Menschen nicht ausreden zu lassen, ist auch Demonstration von Macht. Gleich zu Beginn haben Polizist*innen mit Helm etc. solidarische Menschen auch gleich mal aus dem Weg geschubst.
Zu mir war die Polizei weitgehend freundlich. Ich musste zwar gefühlte x Male meinen Ausweis zeigen, wurde aber dann auch im gesperrten Bereich toleriert. Bis eine Polizistin kam und mich gar nicht ausreden ließ. Sie hat mich hinter die Absperrung verwiesen, weil ich dort in ihrem Arbeitsbereich stehen würde. (Ich stand neben dem Zaun zum Sportplatz in sicherer Entfernung zum Eingang. Da war also kein direkter Arbeitsbereich.) Sie hat zur Kenntnis genommen, dass ich MdL bin und argumentiert, sie könne meine Anwesenheit dort nicht rechtfertigen vor den Menschen, die hinter der Absperrung bleiben müssten. Ihre vermummte Kollegin hat es dann aber gar nicht mehr mit Reden versucht, sondern mich einfach gewaltsam Richtung Absperrung gedrängt. Meinen rechten Arm hat sie auch nach mehrfacher Aufforderung (auch durch ihre Kollegin) nicht losgelassen. (Ich denke, dass jemand hinter mir das gefilmt haben müsste.) Ich selber habe mehrfach gesagt, dass ich Mitglied des Landtages sei und sie kein Recht hätten, mich dort wegzudrängen. Ich habe den Ausweis der Polizistin auch nach mehrfacher Aufforderung nicht zu sehen bekommen. Den Namen habe ich. Ich habe kein Interesse, das weiter zu verfolgen, aber interessant war, zu sehen, wie viel Spaß die Dame an dem Machtkampf hatte. Ich bin nach der Auseinandersetzung wieder nach vorne in die Nähe der Eingangstür gegangen. Ich spiele solche Privilegien nicht gerne aus. Aber an der Stelle ist es vielleicht auch einfach wichtig, Präsenz zu zeigen. Zu zeigen, dass die Polizei auch beobachtet wird. Zu zeigen, dass es mich interessiert, wie bei einer Räumung mit Menschen umgegangen wird.
Irgendwann dann kamen wohl auch Vertreter*innen der Stadt (Frau Kern? und weitere mir nicht bekannte Personen, die zum Teil auch mit der vor Ort anwesenden Presse sprachen.)
Was mich traurig macht: Formulierungen wie „Die Stadt will“, „Der Stadt gehört“ etc. Solche Formulierungen nehmen Beteiligten die Verantwortung. Da steht dann kein Mensch direkt hinter, sondern ein wenig greifbares Kollektiv. Zudem hätte ich es mutiger gefunden, wenn Vertreter*innen der Stadt den Kontakt mit den Menschen vom Plenum Bärendelle gesucht hätten (und zwar ohne Polizeischutz). Nach meinem Kenntnisstand ist das bis zuletzt nicht wirklich passiert. Man mag darüber streiten, ob es von Seiten der Besetzer*innen klüger gewesen wäre, selber offensiver den Kontakt zu suchen. Eine Mail zu schreiben, sollte aber auch von Seiten der Stadt möglich sein. Ebenfalls wenig glaubhaft fand ich die Begründung der Stadt beim Abstellen des Wassers. (Diese kenne ich allerdings nur aus Gerüchten.) Zu sagen, man hätte das gemacht, weil das Gebäude nicht mehr genutzt würde, ist zu wenig klar. Im Grunde ging es doch darum, den Besetzer*innen das Leben schwer zu machen im Haus, weil sie dort nicht erwünscht waren.
Ich finde zusammenfassend, dass sich der Protest gelohnt hat. (Und ja: Ich finde die Menschen, die das organisiert haben, mutig.)
Was nun?
Ich wünsche mir aber, dass es nun nicht vorbei ist. Ich habe die Hoffnung, dass jetzt Gespräche aufgenommen werden, die vielleicht sogar die Nutzung eines Gebäudes der Stadt für ein Autonomes Zentrum ermöglichen. Ich behaupte, damit wäre allen geholfen: Den Menschen, die sich politisch engagieren und Kunst und Kultur organisieren wollen. Der Stadt, die damit neue Freiräume schaffen könnte. Und dem Ruhrgebiet, dem viele Freiräume für derlei fehlen. In allen Städten.
Vorab: danke, dass du da warst und auch das ganze beobachtet hast!
Was ich aber los werden möchte ist, dass du den Vorfall mit der Polizistin, die dich hinter die Absperrung gedrängt hat, weiter verfolgst.
Mir ist soetwas schon des öfteren passiert, genauso wurde mir auch schon des öfteren grundlos ins Gesicht geschlagen. (z.B. zuletzt in Berlin, als ich die Straße überquerte um zu einem Kiosk zu gelangen)
Jedoch hatte ich nie die Möglichkeit einen Namen o.Ä. zu erlangen und mich dagegen zu wehren.
Manche Polizisten nutzen ihre Position aus um ihren Machthunger mit Gewalt zu stillen. Wenn man die Möglichkeit hat, muss man dagegeben angehen! Nächste mal hat vielleicht einer keinen Ausweis und wird dann nicht „nur“ hinter die Barrikade begleitet.
Ich wollte auch nur nochmal dafür pledieren jeden Polizisten der sein Amt missbraucht zumindest versuchen anzuzeigen. Damit wenigstens dieser Polizist nicht denkt das er das nächste mal noch härter reagieren kann. Grenzen aufzeigen wo man kann!!! Habe schon zuviel geseshen und gehört als das ich glauben könnte das nur wenige vereinzelte Polizisten so sind.
Hi Birgit! Tolle Aktion. Aber: Christian, mein Vor-Kommentator hat recht.
Polizeiübergriffe darf man nicht „auf sich“ beruhen lassen. Und schon mal gar nicht, wenn man das Privileg hat, dagegen etwas Wirksames unternehmen zu können.
„Ich habe seit Montagnachmittag viele Stunden vor Ort verbracht“. Aha. Hoffentlich bleiben Blogs und andere Medien von dem Pseudo-Eindruck verschont, dass unsere „Twitterheldin“ gleich die ganze Aktion selbst geplant und alleine durchgeführt hatte. Obwohl – dann hätte man ja wenigstens für Polizei und Staatsanwaltschaft eine zentrale, ladbare Anschrift wegen Hausfriedensbruch…
Übrigens – hat auf dieses „Mimimi, böser Bulle hat mich angefasst!“-Rührstück nicht Wolfgang Thierse das Copyright?
@Klaus: Birgit Rydlewski hat sich während der ganze Besetzung zurückgehalten und nie in den Vordergrund gespielt. Sowohl der Gastbeitrag als auch ihre Stellungnahme in der Berichterstattung auf diesem Blog gingen auf meine Anfrage zurück.
In Berlin hat man übrigens schon fast 1 Jahr (!) eine Schule besetzt:
https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/fluechtlingscamp-in-berlin-kreuzberger-proteste-sind-lang-12277826.html
Seit Oktober vergangenen Jahres hausen auf dem Oranienplatz Flüchtlinge in Zelten. Sie halten eine Schule besetzt, um gegen Abschiebungen, das Leben in Sammelunterkünften und die Residenzpflicht zu protestieren. Die Bezirkspolitik hält die Hand über das „Refugee Camp“.
[…] It’s not over – Besetzung der Hauptschule Bärendelle in Essen (Ruhrbarone) – Bericht von der Dortmunder Landtagsabgeordneten Birgit Rydlewski (siehe auch hier) von der […]