„Dschihadist aus Dinslaken“, vor kurzem noch hätte man so eine Zeile für einen Funny-van-Dannen-Song gehalten, jetzt liest man, es seien ein paar Tausend Europäer, die ein paar Tausend Kilometer reisen, um an gottverlassenen Orten einen „Märtyrertod“ zu suchen. Und die Religionskritik? Sortiert sich die Welt entlang just jener Götter, von denen sie eben noch dachte, dass es sie nicht gibt. Weit hinter der Türkei schlagen sie aufeinander ein? It’s the religion, stupid. Im Orient schlachten sie einander ab? Steht so im Koran. In Afrika toben Kämpfe? Auch irgendwie religiös gestimmt, das Gemetzel. Unterm Strich: Nirgends kein Schöpfer, aber die Kriege, die hat er gemacht. Hier eine andere These: Was die Gewalt befeuert, ist nicht der Glaube, sondern der Zweifel an ihm. Von unserem Gastautor Thomas Wessel.
Zur Begründung ein Blick an die „Grenzen der Aufklärung“, so haben HORKHEIMER/ADORNO ihre Analysen des Antisemitismus untertitelt. Die verschiedenen Elemente, die sie beschreiben, ergeben keine geschlossene Theorie, machen aber gerade deshalb deutlich, wie wandlungsfähig das antisemitische Weltbild ist: Links-deutsch gesprochen ist es die fortgeschrittenste Form falschen Bewusstseins, immer auf der Höhe der Zeit. Darin aufgehoben immer auch Religion, der Gedankengang von Horkheimer/Adorno geht so:
Wie alles Denken ist Religion ein Risiko – man kennt den Weg, kann aber nicht sicher sagen, ob es das Ziel überhaupt gibt. So unverbindlich das Ziel, so ungewiss der Weg dahin. Das macht die Schönheit des religiösen Denkens aus: keiner ist nie angekommen, nichts ist nie vollendet, der Zweifel Zwilling des Glaubens. Just hier aber, in dieser „Unverbindlichkeit des geistlichen Heilsversprechens“, die immense Kreativität frei setzen kann, just hier orten Horkheimer/Adorno den „religiösen Ursprung des Antisemitismus“. Warum? Weil es Juden gewesen sind, die den Zweifel verkörpert haben: Jüdische Theologie hat die blamiert, die Menschenopfer dargebracht haben – auch in der Antike waren das so ziemlich alle – und hat dann, den Christen gegenüber, so reagiert wie ein chassidischer Rabbi noch Jahrhunderte später: Als das Gerücht aufkam, der Messias sei gekommen, trat er ans Fenster und sah hinaus – „Da ist keine Erlösung.“
Diesen Zweifel am versprochenen Heil nennen Horkheimer/Adorno das „jüdische und negative Moment in der christlichen Doktrin“, es ist die Kritik der Religion in der Religion. Diejenigen aber, und das ist der Punkt, die solchen Zweifel verdrängten und „mit schlechtem Gewissen das Christentum als sicheren Besitz sich einredeten, mussten sich ihr ewiges Heil am weltlichen Unheil derer bestätigen, die das trübe Opfer der Vernunft nicht brachten. Das ist der religiöse Ursprung des Antisemitismus.“
Und das ist die Gedankenfigur: Es geht um den Zweifel im eigenen Kopf, um den sich selber nicht gewissen Glauben. Im frühen Christentum war es daher entscheidend, die Juden zu erniedrigen, sie aber am Leben zu lassen, damit sie die eigene Seligkeit bestätigen. Interessant ist nun, dass Horkheimer/Adorno dieselbe Gedankenfigur nutzen, um sich „die organisierten RaubMÖRDER“ zu erklären, die Nazis: Auch hier, sagen sie, waren die, die von hohen Dingen gefaselt haben, kaum wohl getrieben vom Glauben an höhere Werte und höherwertige Rassen, wohl aber von der bösen Ahnung, dass alles nichts nützt. Es wusste doch jeder, der denken wollte, dass es nichts werden würde mit Weltherrschaft und alledem: „Die Tat wird wirklich autonomer Selbstzweck, sie bemäntelt ihre eigene Zwecklosigkeit.“
Glauben wollen, es aber nicht können: Horkheimer/Adorno nehmen diese Gedankenfigur auch im letzten Abschnitt ihrer „Elemente des Antisemitismus“ auf, das ist der, der mit dem Satz eröffnet „Aber es gibt keine Antisemiten mehr“. Soll heißen: Der Hass hat sich abgelöst von jeder konkreten Erfahrung, von jedem greifbaren Grund, er ist abgekühlt. Was er hasst, muss er sich allererst erschaffen und darum auch die Gründe, warum er etwas hasst. Die Gründe werden nachgeschoben, es sind die Trümmer der alten Ideologie – „Kindermörder“, „Agenten des Imperialismus“, „Weltverschwörung“, „jüdischer Rachegott“, „Jüdische Wall Street“ und dgl. Das „Fundament“, das so entsteht, ist zusammen geklaubt aus Bruchstücken, die, von der Kritik und eigener Einsicht längst zerlegt, zurückgelassen worden sind. Eben dies befeuert den inneren Konflikt: „Als bereits zersetzte schaffen sie dem Neo-Antisemiten das schlechte Gewissen und damit die Unersättlichkeit des Bösen.“
Es ist der Zweifel, der die Wut nährt, er muss beständig niedergeschlagen werden. Die neo-religiösen Schläger, ob sie „Juden jagen“ oder „Fidschis klatschen“, treibt eben kein gutes Gewissen an, sondern ihr schlechtes. Und dieses Phänomen – dass Ideologie das ist, was man nicht glauben kann, es aber will – durchläuft derzeit eine weitere Veränderung, die hat mit Globalisierung zu tun, mit der freien Zirkulation auch von Ideen. Wie eingangs der Religionskritik liegen hier wieder die ganze Schönheit freien Denkens und sein Absturz beieinander, kurzer Schwenk zu OLIVIER ROY:
Der französische Politikwissenschaftler hat untersucht, wie sich unter den Bedingungen der Globalisierung „die Beziehungen zwischen Religion und Kultur neu ordnen und was das für unser Verständnis des Religiösen bedeutet“. Seine These: Religion, die frei zirkuliert, löst sich ab von der Kultur, in die sie eingebunden war, von ihrer Einbettung in Alltagserfahrung. Sie erscheint als etwas Reines, ein „rein Religiöses“, an keine Orte, Vollzüge, Diskurse gebunden, darum als etwas, das „außerhalb des Wissens zirkuliert“ in einem Raum, „der nicht mehr territorial und damit nicht mehr der Politik unterworfen ist“.
Roy hat diese These am Beispiel der Konversionen entwickelt, der Wanderbewegungen zwischen den Religionen, einem neuen und durchaus rätselhaften Phänomen [„Warum wollen Zigtausende Muslime in Mittelasien Christen oder Zeugen Jehovas werden?“]. Vor allem aber eine Headline wie „Dschihadist aus Dinslaken“ gibt Roy recht – der dieses Phänomen übrigens beharrlich mit der RAF vergleicht – wenn er sagt, dass eine religiöse Überzeugung mehr als je zuvor das „Ergebnis individueller Entscheidung“ ist, und das bedeutet:
Die individuelle Freiheit, die sich durch Globalisierung und Internet eröffnet, kann den intrinsischen Stress massiv erhöhen. Es geht ja nicht um Seifen, sondern um Sinn, die Fragen werden quälender: Wenn man sich entscheiden kann, muss man es dann nicht tun? Und wenn man sich entschieden hat, war die Entscheidung richtig? Hält sie Widersprüchen stand, hält sie Widersprüche aus, wie lässt sich der Zweifel im eigenen Kopf besänftigen? Islamismus, die Terror-Religion, hält hier die ultimative Besänftigung bereit, den Suizid.
Das muss man sich einfach klar machen: Diese Form von Religion – oder, um Roys Vergleich mit der RAF aufzunehmen: diese Form von Ideologie – ist extrem selbstbezüglich. Je lauter solche Leute einen Gott anbrüllen, der größer sei, umso lauter die Stimme in deren Kopf, „das schlechte Gewissen und damit“, so Horkheimer/Adorno, „die Unersättlichkeit des Bösen.“
Womit, etwas unerwartet, am Ende der Religionskritik eine elementar religiöse Vorstellung – das Böse – steht und die Möglichkeit der Freiheit auf dem Spiel, aber das ist ein anderes Thema. Hier noch der Hinweis, dass eine Religions- und Ideologiekritik wie oben auch eine ganz schöne Einsicht zur Folge hat: Sie gilt für alle, was immer wer immer für Wahrheit hält.
Thomas Wessel ist Pfarrer an der Christuskirche Bochum/Kirche der Kulturen
„It’s the religion, stupid“
No, it´s the internet, stupid !
Das ist doch alles so extrem geworden, weil ein Märtyrer am nächsten Tag direkt auf einem Facebook-Video zu sehen ist.
Wieviel Dinslakener sind wohl vor 10 Jahre in den islamische Kampf gezogen ?
Hier muss man ansetzen: Islamistische Websiten konsequent sperren und fertig !
Danke für den Beitrag Thomas. Ich habe ihn aber nicht ganz begriffen.Wenn ich das alles richtig verstanden habe, sind also die die glauben wollen aber nicht können die Bösen und die die ohne Zweifel glauben die Guten. Nicht der Glauben als solcher ist am Hass auf andere schuld, sondern wie man glaubt, ist dafür entscheidend. Aber Könnte es unter der gleichen Maßgabe nicht auch andersherum sein? Wer ohne Zweifel glaubt ist der gefährliche Gläubige, während der Zweifeler unter den Religiösen der gute Gläubige ist?
@ Erkan | Völlig d’accord. Umsomehr die Frage, was an solchen Videos so dermaßen attraktiv ist, dass man dafür sein Leben riskiert. Für was? Für 3 min Öffentlichkeit?
@ Arnold | Nicht was einer glaubt, sondern wie – das wird entscheidend werden, ja. Sehe ich auch so. Es braucht in Religionen, in allen Denksystemen, Formen, in denen sich Widerspruch, der eigene Zweifel, ausdrücken kann. Was wiederum mit Öffentlichkeit zu tun.
Wenn Öffentlichkeit sich aber, wie Erkan #1 sagt, inzwischen so bildet, dass ein Facebook-Video das eigene Dasein aufwiegen kann … hat das noch irgendwas mit Paradies-Versprechungen oder dgl. zu tun?
Adorno/Horkheimer orten im Zweifel den religiösen Ursprung des AS. Naja, ich bezweifele, dass viele überhaupt so weit denken.
„Christusmörder“ sind sie halt, das hält doch viele auf Trab, bis heute. Und zeigen damit, dass sie den Sinn, die Sinngebung ihrer eigenen Religion nicht verstanden haben. Wer „Christusmörder“ denkt, hält sich gewiss nicht mit exegetischen Auslegungen über Zweifel irgendwelcher Art auf, sondern schreitet zur („gottgewollten“) Tat.
Ich habe an dem Satz „Nicht was einer glaubt, sondern wie – das wird entscheidend werden“ nichts auszusetzen, nur ist er erst in der Diskussion aufgetaucht. Im Text dagegen steht allerdings als Ausgangsthese: „Was die Gewalt befeuert, ist nicht der Glaube, sondern der Zweifel an ihm.“
Daran reibe ich mich, denn er beinhaltet zwar auch „Nicht was einer glaubt, sondern wie – das wird entscheidend werden“, der Satz ist praktisch eine Teilmenge davon, aber er läßt den Eindruck entstehen, daß der Zweifler an einer Religion die Schuld trägt an der religiös begründeten Gewalt, die wir zur Zeit erleben. In dieser mißverständlichen Absolutheit erinnert er mich an Geißlers „Pazifismus habe Auschwitz erst möglich gemacht“
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-14017903.html
Gewiß wird er von Thomas Wesel so platt nicht gemeint sein. Immerhin bin ich Theologen gegenüber, Geißler ist ja Theologe, dem lediglich das Gelübnis fehlt, immer äußerst mißtrauisch eingestellt, daß ich nicht umhin kann, auf diese sprachliche Ungenauigkeit hinzuweisen.
@ Thomas Weigle, Helmut Junge | „Was die Gewalt befeuert, ist der Glaube.“ Würde der Satz da oben stehen, würden alle Köpfe nicken, das hält man für logisch.
Wohl auch deswegen, weil ein solcher Satz beruhigt: Die Tat scheint aufgeklärt, der Glaube war’s. Ich gebe auch zu, dass es schön wäre, wenn es so wäre, es hieße ja: Einfach den falschen Gedanken isolieren, schon fällt die böse Tat aus; dann noch das richtige denken, und alles wird gut.
Aber ob das nicht ein etwas frommer Wunsch bleibt? Ob das, was ein Mensch tut und warum er es tut, sich dem mechanistischen Weltbild – hier Ursache, da Wirkung – nicht doch entzieht?
@ Helmut Junge: Von „Schuld“ oder moralischen Kategorien ist nirgends die Rede. Auch von keiner Person, die, wie Sie schreiben, „der Zweifler“ hieße. Noch weniger von einer, die als „der Zweifler“ einer Person namens „der Glaubende“ gegenüber stünde. Das Drama spielt im eigenen Kopf, den hat jeder.
@ Helmut # 5
Dieser von die aufgezeigte Widerpruch hat mich erst zu meinen Verständnisfragen an Thomas veranlasst. Der Umgang der Kirchen mit dem Zweifel ist ja ein ganz spezieller. Der Zweifel wird zwar bei den aufgeschlossenern Kirchvertretern nicht geleugnet, aber Ziel der Diskussion über ihn ist doch seine Aufhebung und nicht seine Forcierung. Der Zweifelnde soll zurück in den Schoß der Gkaubensgemeinschaft geführt werden, und nicht, seinem Zweifel folgend, aus ihr heraus.
Der Zweifel als Prinzip der Vernunft wird dagegen in keiner Glaubensgemeinschaft gepredigt. Im Gegenteil, er wird in der Regel verdammt, ja als Versuchung des Teufels diffamiert. Er findet also keineswegs nur in den Köpfen der Gläubigen als unabhängige individuelle Gedankenarbeit statt sondern als öffentlicher Glaubenskampf mit den entsprechenden innerkirchlichen Druckmitteln. Das verharmlost Thomas hier ganz systematisch.
@Arnold, Thomas
Wer ohne zu Zweifeln glaubt, der muss unter Umständen damit rechnen, dass er ans Kreuz geschlagen, gefoltert und ermordet wird. Jesus, dem das so ergangen ist, fiel dann auch nichts anderes mehr ein, als seinen Gott in Frage zu stellen:
„Oh mein Gott, wieso hast Du mich verlassen?“ (Mt/Mk)
Im Angesicht des Todes fängt selbst er an zu zweifeln, was höchste Zeit wurde, ihm persönlich allerdings nicht sonderlich hat weiter helfen können, aber unter Umständen jenen, die nach ihm kommen sollten.
Käßmann wahrscheinlich weniger, denn der erginge es vermutlich ähnlich wie Jesus, würde sie versuchen in Syrien und im Nordirak den ISIS Kämpfern mit Worten statt mit Waffen zu begegnen. Dabei bräuchte sie sich das gar nicht antun, schließlich ist Jesus für uns, oder besser gesagt für seine Christlichen Anhänger und damit auch für sie gestorben. Weg mit dem Märtyrertum. Die Welt braucht niemanden mehr, der meint, für seinen Gott sterben zu müssen. Der Tod des einen Verrückten da vor 2000 Jahren hat gereicht.
Auch wenn es jetzt intim wird. Für mich persönlich ist diese Erkenntnis eine der entscheidenden Momente im neunen Testament und wohl der Grund, wieso ich mit dem Chistentum noch etwas anfangen kann. Es erlaubt nämlich zu zweifeln. Es fordert das Zweifeln förmlich ein.
„Zum Glück gibt es das nicht, was viele Christen für Gott halten“ hat Karl Rahner mal gesagt und um die Verwirrung komplett zu machen noch eine schöne Erkenntnis des evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer: „Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht.“
Wir leben in einer Gottlosen Welt. Mit dieser, meiner Meinung, stimme ich der Einschätzung „Nirgends kein Schöpfer, aber die Kriege, die hat er gemacht.“ ausdrücklich zu. Aber der folgenden These: „Was die Gewalt befeuert, ist nicht der Glaube, sondern der Zweifel an ihm.“, widerspreche ich.
Glaube und Zweifel sind überhaupt nicht voneinander zu trennen; die gesamte wissenschaftliche Theologie ist im Grunde zumindest im Christentum* nichts anderes als der Versuch, dem Zweifel aus der menschliche Vorstellungskraft übersteigenden Handlungsoffenbarung (Wunderheilung? Auferstehung? WTF?) irgendwie mit philosophischer Logik – wenn X gilt, und daraus Y folgt muss wohl auch Z gelten usw. – beizukommen und dies immer wieder zu überprüfen.
* Im Judentum ist es glaube ich ähnlich; keine Ahnung wie es im Islam aussieht, wobei dort die Überzeugung der wortwörtlichen Textoffenbarung durch Allah persönlich dem vermutlich eher entgegensteht.
Ob Religion, eine Idee, eine Verpflichtung.
Wie extreme Gruppen funktionieren und welche Charaktere angezogen werden wurde in der 2. Hälfte des letzten Jahrhunderts untersucht und mehrfach in Experimenten und in der Welt demonstriert.
Wenn ich an die Panik bzgl. des Terrorismus in den 70er Jahren denke, erscheint mir der aktuelle Staat zu tolerant bzw. zu wenig interessiert, seine Komfort-Zone zu verlassen.
@Thomas Wessel, Sie weichen auf ein anderes Feld aus. Ich habe den Satz: „Was die Gewalt befeuert, ist nicht der Glaube, sondern der Zweifel an ihm.“ kritisiert. Diesen Satz haben Sie als these aufgestellt.
Der Zweifel am Glauben befeuert nach Ihrer These die Gewalt. Soweit ich die deutsche Sprache beherrsche, läßt nicht jede, aber eine bestimmte Auslegung dieses Satze zu, daß der Zweifler am glauben die besondere Form der Gewalt, über die wir seit einiger Zeit diskutieren „befeuert“. Auch wenn Sie das so nicht gemeint haben, es läßt sich so verstehen.
Ich verstehe es jedenfalls so, und wie dem Thread zu entnehmen ist, bin ich nicht allein.
Es ist zum VERZWEIFELN mit dem ZWEIFEL. Grundsätzlich stimme ich Arnold zu, der Zweifel führt aus der Gemeinschaft der Gläubigen heraus, bzw. der Zweifler oder Ketzer wird hinaus geführt. Die Methoden sind den jeweiligen Umständen geschuldet, hierorts ists im Augenblick (noch) recht moderat, es kommt aber zunehmend wieder etwas Unversöhnliches aus gewissen Glaubensformen. Herr Rahner steht bzw. stand nun aber nicht unbedingt in der Mitte der Kirche, was die Rolle Bonhoeffers angeht, so bezieht er seine Reputation doch eher aus seiner Rolle als Widerständiger gegen die Nazibarberei, hinter der sich gut verstecken lässt, dass große Teile der Lutheraner fröhlich am Mittun waren in den 1000 Jahren. Wenn es ihn nicht gegeben hätte, hätte man ihn erfinden müssen!
@10 KE Fein beobachtet, wenn ich an den Deutschen Herbst denke, als sich die Bonner Republik faktisch im Ausnahmezustand befand, ist der Unterschied mit Händen zu greifen. Das mag sich aber schnell ändern, sollte es hier zu Gewaltakten kommen, Bombenexplosionen etwa.
@ Helmut Junge #11 | “Was die Gewalt befeuert, ist nicht der Glaube [des Glaubenden], sondern [sein eigener] Zweifel an ihm.” Wäre das unmissverständlicher? – Der Satz, der ohne Bedenken abgenickt wird [„Glaube befeuert Gewalt“], ist hier lediglich gespiegelt.
@ Arnold #7 | Ich hab kein Wort über keine Organisation keines Glaubens verloren, am wenigsten darüber, wie die Kirchen [Plural] in verschiedenen Jahrhunderten [Plural] mit Widersprüchen denkend umgegangen sind oder mit Widersprechenden praktisch oder eben, was noch mal eine Unterscheidung wert wäre, mit sog. Häresien resp. Häretikern. Ist ein komplett anderes Thema. Nicht mogeln.
@ Andie @ Arnold | Was ebenfalls ein eigenes Thema wäre, Heilige [oder eben: „heilige“] Schriften und der Zweifel:
Ich kenn mich mit einer halbwegs aus, und durch die Bibel, sonderlich die hebräische, zieht sich der Zweifel als roter Faden – der Zweifel an Gott, seiner Vernunft, am Bund mit ihm, seinen Geboten, seinen Priestern, deren Kult und Ordnung usw.. Und das, diese Dauerkritik, ist eben keine „Versuchung des Teufels“, sondern die Stimme von Einzelnen. Die von Amos bsp.weise oder einem der anderen, deren Kritik es in die Bibel gebracht hat als Kritik eben jener Ordnung, die Macht & Mehrheit just für göttlich hielten.
Interessant in diesem Zusammenhang: dass auch der Koran – dem man das zurzeit ja nicht zuzutrauen sich traut – eine hohe „Ambiguitätstoleranz“ freisetzen kann. Einfach mal „Die Kultur der Ambiguität“ googeln [ist im selben Verlag erschienen, der auch Ulrich Beck veröffentlicht, also: keine Angst, alles kritisch.]
@ DdA | [Ist das eigentlich Zufall, dass das Kürzel dem für „Dialektik der Aufklärung“ entspricht?]
Kreuzigung wurde als Strafe für Verbrechen gegen den Staat verhängt, und dem Staat war der theologische Disput schon damals egal. Gekreuzigt wurde, was staatliche Autorität in Frage gestellt hat, und es wurde viel gekreuzigt im Reich der Römer, der großen Zivilisatoren.
Der Rest war, aus deren Sciht, eine Lappalie, ein Disput unter Juden, es ging wie immer um die richtige Auslegung, worum auch sonst – nebenbei: DARAN hängt alles, an einer Interpretation, die niemals richtig = endgültig sein wird – und im Zuge dieser Debatte hat, das ist jetzt jüdisch gedacht, Jesus eine Spielregel verletzt, eine elementare: Er hat sich selber zum „Sohn Gottes“ erklärt. Als ob er für seine eigene Meinung nicht nur höhere, sondern höchste Autorität reklamieren wollte. Biblisch gesehen ist das ein unzulässiges Argument aus dem einfachen Grund: Der Zweifel wäre eliminiert.
@ all | Was mich doch ein wenig wundert: Es geht oben im Text nicht um diese oder jene Religion, sondern um die Frage, wie sowas wie eine „Weltanschauung“ heute zustande kommt. Welche auch immer. Das Beispiel der Nazis – oder, auf andere Weise, das der RAF – macht es definitiv unmöglich, diese Frage an Gott-Religion-&-Kirche weg zu delegieren.
Märtyrer aller Art hat es genügend gegeben, das kann als gesicherte Erkenntnis gelten. Nur was treibt die, die es immer noch gibt oder schon wieder, was treibt sie an? Und was würde sie hindern? Und was hätte das mit dem zu tun, was wir hier machen: mit Öffentlichkeit?
Der einzige Hinweis dazu kam bisher von Erkan #1: Internet-Zensur. Keine Proteste?
„Was die Gewalt befeuert, ist nicht der Glaube, sondern der Zweifel an ihm.“
Dieser Satz ist sehr unglücklich formuliert. Er hört sich so an, als ob Nichtgläubige und Skeptiker an der Gewalt schuld seien.
„Was die Gewalt befeuert, ist nicht der Glaube, sondern der Zweifel am eigenen Glauben.“
Wäre wesentlich besser.
„Das macht die Schönheit des religiösen Denkens aus: keiner ist nie angekommen, nichts ist nie vollendet, der Zweifel Zwilling des Glaubens. Just hier aber, in dieser “Unverbindlichkeit des geistlichen Heilsversprechens”, die immense Kreativität frei setzen kann,“
Na, das ist aber ziemlich aus den Fingern gesogen und ein Schönreden der Tatsache, dass ein Gott oder Götter extrem unwahrscheinlich sind. Für viele ist der Zweifel sehr bedrückend und lähmend. Und Kreativität? Die war 1000 Jahre lang komplett verschollen und kam erst nach dem Zurückdrängen des Christentums in der Renaissance zu Tage.
Thomas, sie selbst haben den Zweifel als zentrale Kategorie ins Spiel gebracht. Sie können danach schwerlich Jemanden verbieten, ihn auch als solche zu betrachten und diesbezüglich über ihre Auslassungen dazu hinaus zu denken, geschweige sollten sie ihn deswegen des Mogelns bezichtigen.
Im übrigen nützt den jetzt ihm Namen Allahs Verfolgten die von ihnen gesehene „hohe Ambiguitätstoleranz“ im Koran sehr wenig. Auch die Salafisten die ihn jedem überreichen wollen, der nicht bei drei auf den Bäumen ist, scheinen sie noch nicht wahrgenommen zu haben, obwohl ihre Anführer ihn in und auswendig zu kennen scheinen.
ICH ZWEIFELE! ALSO BIN ICH?
@Thomas Weigle
Ich weiß nicht, wo sie die Mitte der Kirchen verorten, aber wer sich wie Karl Rahner als stimmberechtigter Sachverständiger in ein vatikanisches Konzil einbringen kann, der steht bestimmt nicht abseits oder am Rande seiner Kirche. Und auch Bonhoeffer scheinen Sie zu unterschätzen, wenn Sie ihn nur mit dem Protestantismus in Deutschland in Verbinung bringen können. In Mittel- und Südamerika ist Bonhoeffer ein geschätzter und bewunderter Befreiungstheologe, neben Leornado Boff, Ernesto Cardenale, Luis Espinal und vielen anderen. Nur dass die Christen dort eher katholisch, als protestantisch sind.
@ Thomas Weigle #15
Wenn ich Thomas Wessel in seinem letzen Kommentar endlich richtig verstanden habe (
“Was die Gewalt befeuert, ist nicht der Glaube [des Glaubenden], sondern [sein eigener] Zweifel an ihm.” ) dann müsste es nach ihm heißen:
ICH ZWEIFELE ALSO WERDE ICH GEWALTTÄTIG.
@Thomas Wessel, ja, jetzt verstehe ich überhaupt erst, was Sie meinen. Mit dieser Einschränkung begrenzen Sie das Phänomen auf religiöse Personen und klammern die Nichtreligiösen aus. So entspricht es auch der zeitgenössischen Wirklichkeit.
Ich fase noch einmal zusammen, wie ich ihren korrigierten Satz verstehe.
Also der Zwiespalt des an sich Gläubigen, der Zweifel an seinem Glauben führt diesen gelegentlich in einen Zustand, der Gewalt befeuert.
Vermutlich meinen Sie so einen Zusammenhang.
Und das kann sogar sein. Es ist für mich schwierig, mich in die Psychologie solcher Menschen hineinzuversetzen, denn ich glaube, daß nur ein als strafend gedachter Gott, Ängste verursacht, die solche emotionalen Abgründe öffnen. Das muß aber so ähnlich funktionieren, denn sonst wäre das Mittelalter kaum erklärbar.Das heutige Christentum verkündet nicht mehr den strafenden Gott, folglich gibt es nur noch in kleineren Sekte solche persönlichen Entwicklungen einzelner oder vieler gläubigen Sektenmitglieder. Und es ist auch im Kopf des Gläubigen eine andere Religion entstanden.
Ist es das, was Sie sagen wollen?
Das heutige Christentum verkündet nicht mehr den strafenden Gott, Helmut? Doch, sonst müsste es auf den Begriff der Hölle verzichten. In meiner Kindheit gabe es sogar noch die Todsünde, sprich die automatische Höllenfahrt, sofern man stirbt bevor der katholische Pfarrer einem nicht die Absolution erteilt hat.
Arnold, damals sind die Kinder aus Mischehen nicht katholisch getauft worden und landeten falls sie starben, im Fegefeuer. Das mit der Taufe hat erst Johannes 23 geändert. das Fegefeuer ist mittlerweile wohl auch abgeschafft. Ich bin überhaupt nur in der evangelischen Schule gelandet, weil ich zu den „Opfern“ der Taufverweigerung gehörte. Meine Mutter hat damals sogar geweint. Ich hatte das nach meiner Erinnerung aber nie ernst genommen. Später kam der gleiche katholische Priester, der mich erst nicht getauft hat und erklärte mir, daß ein neuer Papst da wäre und jetzt dürfte ich getauft werden. Als er hörte, daß ich zum Katechumenenunterricht ging, begann er Luther als Verbrecher zu bezeichnen. Ich, damals voll indoktriniert, habe ihn dafür empört rausgeschmissen. Meine Mutter saß wortlos dabei.
Was ich damit sagen will ist, daß es in erster Linie darauf ankommt, was die Gläubigen glauben. Den Teufel haben sie jahrzehntelang icht erwähnt, weil sowieso niemand daran geglaubt hatte. Im Mittelalter wurde der Teufel sogar als Gegenspieler Gottes aufgewertet, was das christentum zeitweise zu eier dualistischen Religion werden ließ. Also, solche Glaubenssachen verändern sich fortlaufend. problematisch kann es werden, wenn einem haltlosem Gläubigen ein Text aus älteren Zeiten in die Finger fällt, wenn er das nicht verarbeiten kann.
@ Helmut Junge #19 | Sie kehrt im Text immer wieder, „die Gedankenfigur: Es geht um den Zweifel im eigenen Kopf, um den sich selber nicht gewissen Glauben“. Das ist die These.
Und ist eben kein spezifisch „religiöser“ Konflikt mehr, keiner, der nur für Glauben im eigentlich-religiösen Sinne gelten würde, sondern einer, der jeden Glauben eignet, jede Form von Weltgewissheit. Was man am Antisemitismus als ihrer wohl „modernsten“, weil extrem wandlungsfähigen Form lernen kann bzw. muss:
dass religiöse Motive im engeren Sinn – solche wie „Christusmörder“ @Thomas Weigle #4 – niemanden zu nichts mehr antreiben. Auch solche Motive wie „höherwertige Rasse“ oder was immer bringen niemanden dazu, sich selber in die Luft zu jagen. Das alles sind nur nachgeschobene, mega-edle Gründe dafür, dass man keine hat. Und es trotzdem tut. Oder eben: deswegen.
Es verändert sich etwas, es gibt keine „Glaubenskrieger“ mehr, stattdessen Leute, die glauben wollen, es aber nicht – und das ist Grundvoraussetzung des Glaubens! – es nicht aushalten, wenn sich die Wirklichkeit nicht daran hält. [Deswegen wohl auch die Videos: Wirklichkeitssimulation.]
Während wir, die wir uns sicher sind, auf der richtigen Seite zu stehen, uns sicher sind, dass die Wirklichkeit das ist, was wir an Öffentlichkeit produzieren. Ist das eine Bank? Wie gesagt, Olivier Roy vergleicht die ungläubigen Glaubenskrieger mit der RAF, Adorno mit den Nazis – das Problem scheint nicht weit weg von uns zu sein und erheblich aufgeklärter als wir es wünschen würden. Es gibt keine Antisemiten mehr.
DDA Mein Fehler, habe Barth und Rahner verwechselt, es ist einfach schon zu lange her, das Studium und ernsthafte Beschäftigung mit Glauben und Zweifeln, was das Ganze überhaupt soll!
Als ich mich Anfang der 70er mit der Befreiungstheologie beschäftigte, kann ich mich eher nicht an den Namen Bonhoeffer erinnern. Da scheint sich einiges getan zu haben. Aber vielleicht ist es auch das Alter, das Vergessen „schenkt“.
Arnold, lieber eine scharfe Höllenfahrt als eine langweilige Himmelfahrt. Die interessanteren Leute triffst du eh unten, das ist doch klar. Also keinen Pfaffen ans Sterbebett. Mit den Zweifeln, die zur Gewalttätigkeit führen können, hast du in vielen Fällen Recht, allerdings ich möchte doch weiterhin gewaltfrei zweifeln. Und weiterhin mit gewaltfreien Zweiflern zweifeln. So wie gerade eben jetzt!!
@Thomas Wessel:
Somit haben Sie ein weiteres Gewaltphänomen auf einen psychologischen Abwehrmechanismus zurückgeführt: Die Projektion.
http://de.wikipedia.org/wiki/Projektion_(Psychoanalyse)
Die, die am lautesten schreien, meinen sich selbst.
Danke für die Aufklärung 🙂
@ Thomas Wessel #22
Es gibt keine Glaubenskrieger mehr, Thomas? Leute die Glauben wollen, aber nicht können sind keine Gläubigen? So kann man sich die Welt auch zu recht biegen und die Religion im wahrsten Sinne des Wortes aus der Schusslinie bringen. Man definiert Begriffe und Verhältnisse einfach so um, dass man mit dem Finger auf andere zeigen kann anstatt auch auf sich selbst.
Ohne den Willen und den Wunsch zum Glauben kann es keine Gläubigkkeit geben. Die Frage ob man dazu dann auch fähig ist, ist dafür völlig unerheblich und kann letztlich auch nur von dem beurteilt werden, der glaubt. Genauso wie du bei anderen die Glaubensfähigkeit bezweifelst, könnten sie es nämlich auch bei dir tun, Thomas. Für mich zählt also nur, was einer selbst über seine Glauben sagt.
Glauben ist nämlich per se subjektiv und das ist für mich als Atheist überhaupt der Grund, den Glauben eines Menschen ernst zu nehmen.Ansonsten könnte ich es genauso machen wie du. Ich unterstelle ihm das was m i r aus meiner Position als Erklärungsmodell für sein Verhalten in den Kram passt. Was ich aus meiner Denke für plausibel halte.
Das kann und darf man natürlich tun. Aber es ändert nichts weil es sich eben um den Glauben und nicht um das Wissen eines Menschen handelt. Nur weil er aus seinem Glauben heraus Dinge tut die du und ich nicht machen würden, kannst du ihm nicht einfach seinen Glauben absprechen, bzw. ihn zu einem Menschen erklären der nicht wirklich glaubt.
Deine Argumentation dient, obwohl sie psychologisch vielleicht sogar stimmem mag, nur deiner eigenen Entlastung als Gläubigem. Denn selbst für die Wissenschaft der Psychologie gilt, dass der Mensch der sich selbst betrügt, kein Betrüger ist sondern nicht anders handeln kann, sprich dass man ihn trotzdem ernst nehmen muss.
Es gibt aber selbst in der Psychologie zur Rolle des Zweifels eine Gegenthese zu der deinigen, die der Kabarettist Dieter Nuhr bezüglich der religiösen Selbstmordattentäter auf seine geradezu umwerfend treffende Weise mit einem 4-Worte-Satz auf den Punkt gebracht hat: „Wer zweifelt detonniert nicht“. Sprich: Nur wer zweifelt zögert, nur wer fest glaubt handelt.
P.S. Die Videos der IS sind keine Wirklichkeitsimulation sondern für die Menschen deren Leid dort gezeigt wird pure und allerbitterste Realität.Selbst ein minimalstes Zögern der Täter ist dabei übrigens nirgendwo zu sehen.
Tja Helmut, sind die Lutheraner besser gewesen? Ich habe es 72 in Bethel erlebt, dass ein Kommilitone des Wohnheimes verwiesen wurde, weil seine Freundin bei ihm übernachtet hatte. Patienten, die Gefühle füreinander hatten, hatten es noch tw. bis Mitte/Ende der 70er schwer, diese in geschlossenen Betheler Räumen auszuleben, noch 1978 wurde ein mir bekannter Diakon vor die Wahl gestellt: „Strafkolonie“Freistatt im niedersächsischen Moor oder Entlassung. Grund:Scheidung.
Kirche/Diakonie und Dogmatik/Moral…….
@ Frank # 24
Aber selbst wenn diese Erkenntnis stimmen würde, nützt sie dir nichts, denn sie bringen dich im Ernstfall trotzdem um. 🙁
@Thomas Wessel#22Nein, sie mögen sich vielleicht nicht selbst in die Luft sprengen, obwohl…Teile der SS-Divisionen hatten im Vergleich zu Wehrmachtseinheiten horrende Verlustzahlen, weil sie nach Berichten von Beobachtern besonders todesverachtend für ihre Überzeugung kämpften. Die Hitlerjungen, die in den letzten Tagen voller Begeisterung in einen aussichtslosen Kampf zogen, für nichts und wieder nichts starben, sog. Rammjäger, die Kamikazeangriffe an der Oder flogen. Ich sehe da durchaus Parallelen zu Selbstmordattentaten.
@ Arnold | Ganze Sätze bitte ganz lesen, er lautete:
„Es gibt keine ‚Glaubenskrieger‘ mehr, stattdessen Leute, die glauben wollen, es aber nicht – und das ist Grundvoraussetzung des Glaubens! – es nicht aushalten, wenn sich die Wirklichkeit nicht daran hält.“
Das hat ja nun offenkundig nichts damit zu tun, „die Religion aus der Schusslinie“ zu nehmen, sondern damit, sie in ihrem aktuellen Zustand zu begreifen. Was sich da augenscheinlich verändert hat: Dass man – zunehmend auch in der arabischen Welt – nicht mehr in eine Religion hinein geboren wird, in keine religiöse Alltagskultur, sondern sich für eine religiöse [oder eben a-religiöse] Überzeugung entscheiden kann, mehr noch: sich entscheiden muss.
Und das ist ein neues Phänomen, es bedeutet den Verlust von Selbstevidenz, den eine Religion hat, und es kehrt das Verhältnis von Subjekt und Objekt sich um: Man hat sich seinen Gott selbst gewählt, ist also gerade nicht erwählt worden.
Das hat dann – @Frank #24 – viel auch mit Projektionen zu tun, damit, sich seinen „personal Jesus“ oder „Mein Gott ist größer“ selber zu basteln. Wenn man so will, ist das die methodische Frage, die Wertwahl selber aber unterliegt einer scheinbar freien persönlichen Entscheidung.
Es gibt das, was Du, Arnold, den „Wille und Wunsch zum Glauben“ nennst, aber es ist ein historisch neues Phänomen, das ich mir nicht ausgedacht habe [debattiert wird darüber spätestens seit Max Weber], sondern das mit der Aufklärung und ihren Säkularisierungstendenzen in die Welt gekommen ist. Und dieses Phänomen, auch darauf habe ich oben immer wieder hingewiesen, ist eben kein spezifisch religiöses, sondern eines, das jede Wahl jeder Überzeugung bestimmt.
Um also – @ Thomas Weigle #28 – den Terror-Horden in Syrien und anderswo das vertraute Beispiel beizugesellen, die Wehrmacht: Von einem Zögern und Zaudern beim Massenerschießen wurde nirgends berichtet, heißt das wirklich, die Wehrmachtssoldaten waren Glaubenskrieger? Ideologisch geerdet, 100 % Nazi-Ideologie? Die Täterforschung kommt da zu anderen Ergebnissen als Dieter Nuhr.
Thomas Wessel Ich sprach von SS-Einheiten als Glaubenskrieger, nicht von Wehrmachtstruppenteilen, obwohl gewiss nicht auszuschließen ist, dass es da auch Glaubenskrieger gegeben hat. !4-16 jährige, die bereitwillig in einen sinnlosen Tod gehen, würde ich auch in dieser Kategorie einordnen wollen.
„dass religiöse Motive im engeren Sinn – solche wie „Christusmörder“ @Thomas Weigle #4 – niemanden zu nichts mehr antreiben. Auch solche Motive wie „höherwertige Rasse“ oder was immer bringen niemanden dazu, sich selber in die Luft zu jagen. Das alles sind nur nachgeschobene, mega-edle Gründe dafür, dass man keine hat. Und es trotzdem tut. Oder eben: deswegen. “
Nur, weil Sie die Gründe der Suicide Bomber nicht verstehen können oder wollen, heißt das nicht, dass sie eigentlich gar keine haben. Die Gründe, die von Terroristen selbst genannt werden, erklären sich zu leidglich vorgeschobenen Bebilderungen ihrer eigentlichen Zweifel am Glauben, der Welt und sich selbst. Das ist Quatsch. Dass es sich genau umgekehrt verhält wurde hier schon dargelegt. Diese Menschen haben den unerschütterlichen(!) Glauben daran für Allah und ihre Glaubensbrüder in einem heiligen Krieg, um Leben und Tod, zu kämpfen. Die heiligste Tat, das größte Opfer besteht in diesem krieg dann notwendigerweise darin das eigene Leben zu opfern, mehr hat man nicht was man noch geben könnte. Das geschiet auch nicht notgedrungen, sondern ist der von einer Todessehnsucht getriebene Wunsch der „Märtyrer“. Diese Todessehnsucht kommt auch nicht vom Zweifel. Sie wird schlicht nicht als solche wahrgenommen, sondern zur Tugend im Djihad verklärt. Als Aufoperungsbereitschaft für die heilige Sache, als Beweis dafür zu 100%, mit Leib, Leben und Seele. der Sache ergeben zu sein. Also das genaue Gegenteil von Zweifel.
Auch ich habe den Eindruck, dass hier ein Mann des Glaubens versucht, den guten (weil zweifelsfreien) Glauben, gegen den nur „eigentlichen“, bösen, eben mit Zweifel behafteten Glauben zu verteidigen. Dabei sind religiöse Hilfsorganisationen und der heilige Krieg bloß die 2 Seiten ein und der selben Medaille.
„Was mich doch ein wenig wundert: Es geht oben im Text nicht um diese oder jene Religion, sondern um die Frage, wie sowas wie eine „Weltanschauung“ heute zustande kommt. Welche auch immer. “
Das lässt sich pauschal nicht sagen, sondern hängt immer von der jeweiligen Ideologie ab. Der Islamist ist ein überzeugter Gläubiger, der die Stellung seiner Religion bedroht sieht und meint, dass die „Missstände“, welche er in der Welt wahrnimmt von zu wenig Glaube, zu wenig Religion kommen. Würde es streng nach Sharia zugehen, gäbe es diese Probleme nicht. Also muss ein Kampf gegen alles was die Religion bedroht geführt werden, um ihr wieder zu der ihr gebührenden Rolle zu verhelfen und mit den Zumutungen der Moderne aufzuräumen.
Beim Nazi ist es ähnlich. Hier ist es jedoch nicht die Religion an der es mangelt, sondern die Nation und an dem Bekentniss zu ihr. Verantwortlich für Misstände sind dann die, die nicht zur Nation gehören. Verhält sich ein deutscher undeutsch, ist er eigentlich gar kein Deutscher, sondern Agent einer feindlichen Macht.
Im Detail kommt dann bei beiden noch eine Mystische, Verschwörungstheoretische Komponente dazu, sowie der Antisemitismus, der beide Ideologien eint.
Dass wer Zweifelt, auf Menschenjagd geht, um mit dem eigenen Zweifel aufzuräumen (um seinen Zweifel an der Realität zu widerlegen und umgekehrt den Wahn zu bestätigen), ist eine psychologische Komponente, die es geben mag, jedoch stellt diese keineswegs das konstituierende Moment solcher Ideologien und ihrer Anhäger dar. Sie ist viel mehr psychologische Nebenwirkung dieser Ideologien und impliziert darüber hinaus eine weitergehende psychologische Funktion der Ideologie für ihren Anhänger. Wer im Wahn lebt und agiert, zweifelt nicht, da der Wahn diese Zweifel gar nicht zulässt und sich die Realität entsprechend verklärt.
Die Theorie vom Zweifel blendet den jeweiligen Inhalt der Ideologie welcher der angeblich Zweifelnde anhängt komplett aus. Das im Wahn verhaftete Dinge Tun, um ihren Wahn bestätigt zu sehen ist nichts Neues, das hat jedoch nichts mit Zweifeln zu tun, sondern ist Produkt des Wahns selbst, wer das allerdings zum Hauptmotiv für Gewalttaten erklärt, der realtiviert die dahinter stehende Ideolgie.
Wenn ich das richtig verstehe, ist es dann aber doch weniger der Zweifel, der zum Hass treibt, sondern vielmehr die Unfähigkeit, mit ihm umzugehen. Also entweder den Widerspruch irgendwie auszuhalten, oder aber den Glauben aufzugeben.
Diese Unfähigkeit liegt wiederum durchaus auch im Wesen von Religion, welche für die meisten Menschen nie das Niveau einer entfalteten Theologie ereichen kann.
@NRK Richtig, der Zweifler stellt für den Gläubigen eine Bedrohung seiner Heilsgewissheit (Gott, Rasse, Glaube, Weltanschauung, Verein) dar. Und bevor der Zweifel übermächtig wird, den Gläubigen zu ergreifen, zu überwältigen droht….
Sola Gratia? Da ist schon eine Menge evangelischer Theologie im Text 😉
Die Betrachtung individueller Motivationen löst allerdings auch keine sozialen Konflikte … denn es handelt sich nicht um punktuelle Konflikte zwischen Individuen, sondern um Konflikte zwischen Gruppen.
Ich halte die methodische Konstruktion von Thomas Wessel für nicht besonders tragfähig, denn in den Fällen ideologischer oder eben auch religiös motivierter Gewalt gegen „Andersgläubige“ spielen diese Ideologien (Kommunismus, Faschismus, Religion) eben doch eine gravierende Rolle. Denjenigen, die sich auf solche Motive berufen, ein „falsches Bewusstsein“ zu unterstellen, ist zwar „Frankfurter Schule Stil“, geht aber prinzipiell immer und überall, ist mithin also willkürlich und damit eigentlich nichts aussagend bzw. erklärend.
Bei den marxistischen Theoretikern finde ich Ernst Blochs Begriff der Ungleichzeitigkeit wesentlich weiter führend.
Der angesprochene Zweifel wird im Zweifelsfall dann eben in der Gruppe durch die gemeinsamen Taten ausgeräumt und nicht seelisch ausgehalten, wie bei einem „richtig Gläubigen“.
Ein Punkt, dem ich zustimme: Religionen sind nicht „kausaler“ Grund für viele Konflikte, aber viele Konflikte korrelieren soziologisch mit Gruppen religiöser Tradition (ob neu oder alt, spielt keine Rolle).
Die Lösung von Konflikten liegt bestimmt nicht im „richtig praktizierten Glauben“ …
Wie schon erwähnt schließen sich tatsächlicher, also von Vernunft geleiteter, Zweifel (also die Erkenntnis: Mein Bild von der Realität stimmt nicht mir ihr überein) und Wahn wechselseitig aus. Wer im Wahn des heiligen Krieges lebt, dem kommen keine Zweifel daran für eine gerechte Sache zu kämpfen, wenn anstatt des Gegners die eigenen Leute, durch das eigene Handeln, direkt oder indirekt, zu Schaden kommen. Diese werden dann zu Märtyrern verklärt und damit hat sich die Sache.
Wer meint, die Natur eines Deutschen sei es für Deutschland zu sein, der zweifelt nicht an dieser Theorie wenn Landsleute sich „antideutsche Umtriebe“ leisten, sondern verklärt sie zu entwurzelten von Fremden Mächten verführte oder in Wahrheit einer Fremden Macht angehörigen.
Zweifel, also das Festellen einer Differenz von subjektiver Wahrnehmung und objektivem Gehalt einer Sache, kann nur da entstehen wo das Individuum sich noch nicht vollends im Wahn verhaftet befindet oder der Wahn beginnt zu brökeln. Da wo noch ein kümmerlicher Rest von Vernunft und Rationalität vorhanden ist und der Zweifel die zur eigenen Identiät gewordene Ideologie in Frage stellt, sieht das Individuum nicht nur seine Gedanken bedroht, sondern gleich die eigene Subjektivität und damit die eigene Person. Dieser unaushaltbare Widerspruch muss aufgelöst werden, indem man gegen den Zweifel vorgeht. Das passiert entweder auf theoretisch-psychologischer Ebene, mit Projektionen, Verklärungen und Ähnlichem, oder aber man schickt sich an das den Zweifel hervorrufende Phänomen, Objekt, was auch immer, aus der Welt zu schaffen.
@HMM
Alles halbwegs schlüssig, mit Ausnahme des letzten Satzes. Der Zweifel, den etwa der Antisemit bekämpft, indem er Juden verfolgt, wird ja nicht von diesen hervorgerufen, sondern nur auf sie projiziert.
@NRK
Redest du vom modernen Antisemiten per se (dann würde ich gerne wissen woran dieser zweifelt) oder bist du bei dem Beispiel aus der Dialektik der Aufklärung?
Ich schrieb doch auch davon, dass ein Mittel gegen den Zweifel die Projektion ist. Mir ging es abstrakt um das Verhältnis von Wahn und Zweifel an Selbigem und da ist es so, dass es für den Zweifel einen Auslöser gibt, der notwendigerweise nicht im Wahn selbst liegen kann, sondern auf einem Rest von Vernunft oder einem letzten Funken logischen Denkens beruht. An einem beliebigen, tatsächlichen Ereignis stellt man fest, dass das wovon man überzeugt ist, nicht mit der Realität in Einklang zu bringen ist, sucht sich neue Bebilderungen und Projektionsflächen und entwickelt sich zu einem wahnsinnigen Irren.
Der Zweifel kann als Erklärung für Gewalt überhaupt nur da etwas leisten, wo der Zweifel projeziert wird, ist das der Fall redet man nicht mehr vom Zweifel, sondern wenn als Projektionsfläche bspw. Jüdinnen und Juden herangezogen werden, vom Antisemitismus. Der Zweifler (an was auch immer) wird überzeugter Antisemit. So wie im Beispiel der Dialektik der Aufklärung. Der Glaube bringt den Zweifel mit sich, das Judentum wird als Verkörperung dieses Zweifels am Glauben wahrgenommen und deshalb verfolgt.
Wo sich hier viele so sicher sind, dass sich die „Gotteskrieger“ alle sicher seien in dem, was sie tun und warum sie es tun, wäre doch einmal die Frage zu klären, warum sie, die für ihren Gott morden, andauernd die ermorden, die an denselben Gott glauben.
Die Antwort müsste – das war die Ausgangsfrage – erklären können, warum einer aus Dinslaken loszieht, um Glaubensbrüder zu morden, und ein anderer – derselbe Glaube, dieselbe Konfession, Erziehung, soziale Lage, Schulbildung usw. – tut es nicht.
Die jeweilige Antwort wiederum müsste, soviel Sport muss sein, beitragen zu einer Erklärung, warum einer Anfang der 70er als Killer zur RAF gegangen ist und ein anderer – selbe Partei, selbe Splittergruppe, selbes Studienfach, Sozialmilieu, Musikinstrument usw. – als Fachbereichsleiter zur VHS. [War es Dieter Nuhr, der damals sagte: Wer zweifelt doziert nicht?]
Also: Guter Glaube, schlechter Glaube, wer was? Richtiger „Wahn“ oder „falscher“ Wahn? Und @ HMM: Ist das eine belastbare Behauptung, die anderen hätten einen an der Schüssel, man selber sehe es glasklar?
Ich begreife nicht, wie jemand die Spekulationen von Horkheimer oder Roy so völlig unbefragt glauben kann. (Bei Wessel gibt’s nicht mal den berühmten „methodischen Zweifel“, mit dem doch die ganze Aufklärung anfängt!)
Ich kann mir auch stundenlang solche tiefenpsychologischen Erklärungen ausdenken, und ich bin auch versatil genug, um dann hineinfühlen zu können. Aber deshalb hat doch noch nicht alles, was ich mir ausdenke, eine relevante Entsprechung in der objektiven Wirklichkeit!
Wenn orthodoxe Siedlerjungen sich feindselig zu Moslems verhalten, müssen wir das wirklich damit erklären, dass die Siedlerjungen unterschwellig an ihrem Judentum zweifeln? (Und bedeutet das im Umkehrschluss, agnostische oder atheistische israelischen Juden seien grundsätzlich freundlicher zu Moslems?)
Auf tiefenpsychologische Spekulationen fallen vor allem Leute rein, die selber nicht die Gabe haben, sich solche Sachen auszudenken. (Wie gesagt, ich kann das selber stundenlang – deshalb beeindruckt es mich nicht.) Die Wissenschaft fängt erst da an, wo man versucht zu überprüfen, ob der vermutete tiefenpsychologische Prozess überhaupt bei irgend jemand vorliegt – und wenn ja, bei wie vielen Leuten.
@ Stugumber | Warum beantworten Sie sich Ihre Fragen denn nicht? Ich bin mir sicher, Sie kämen von selber auf ein paar „objektive Wirklichkeiten“.
Etwa auf die, dass „orthodoxe Siedlerjungen“ nicht quer durch die Welt jetten, um sich, wo immer sie landen, einer mordenden Truppe anzuschließen usw. Vielleicht kämen Sie sogar dahinter, dass es da – in Israel, nicht etwa in einem der Länder nebenan – ein Problem gibt im Verhältnis der Orthodoxen zur Armee. Versuchen Sie es einfach mit dem methodischen Zweifel, man wird nicht berühmt damit, aber schlauer.
@HMM
Ich glaube jetzt nicht, dass sich die modernen Antisemiten großartig von denen unterscheiden, deren Weltbild in der Dialektik der Aufklärung analysiert wird. Woran die nun genau glauben wollen, es aber nicht können, ist sicher von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Der gemeinsame Nenner ist wohl Sinnstiftung in der Sinnlosigkeit, also Ideologie.
Naja, ansonsten geben Sie mir ja recht: die phyische Aggression dessen, der mit seinen Zweifeln nicht leben kann, richtet sich nicht etwa gegen die Ursache dieser Zweifel (die eigene Restvernunft nämlich, welcher er zu diesem Zeitpunkt längst zum Schweigen gebracht hat), sondern gegen Unbeteiligte.
@Thomas Wessel #38
Der Grund dafür, dass die meisten Dinslakener Muslime nicht in den Dschihad ziehen, lässt sich nur schwer bestimmen. Ihre tiefe, über alle Zweifel erhabene Frömmigkeit ist aber m.E. kein Spitzenkandidat.
Dschihadisten ermoden andere Muslime unter anderem aus einer Motivation heraus, die der der Inquisition ähnelt: zur Rettung ihrer Seelen, sowie zur Rettung der Gemeinschaft der Gläubigen. Dies lässt sich zwar als Reaktionsweise auf nicht bewältigte Zweifel deuten, aber diese Reaktionsweise ist, zumal im Islam, ins Fundament des Glaubens eingeschrieben, als innerer und äußerer Dschihad.
Und so gibt es ihn natürlich auch, den schlechten Glauben und den weniger schlechten, vielleicht sogar den guten. Ein mögliches Unterscheidungsmerkmal wäre z.B. der Umgang mit den unvermeidbar auftretenden Zweifeln.
@ NRK | Alles in Ordnung bei Ihnen? Die IS mordet, weil sie die Seelen der Ermordeten retten will?
Und das soll gleichzeitig erklären, warum [was für ein Dada-Satz:] „die meisten Dinslakener Muslime nicht in den Dschihad ziehen“?
Obwohl sie – die Seelen, die meisten Dinslakener und der Dschihad – obwohl sie „ins Fundament des Glaubens eingeschrieben“ seien?
Meine Güte.
@NRK
Das konkrete Beispiel, um das es ging, war ja der christliche, rein religiös motivierte Antisemitismus. Der ist nunmal etwas anderes, als der moderne Antisemitismus. Woran zweifelt einer, der Israel mit Nazivergleichen auf die Pelle rückt? Ich bin mir nicht sicher wie bruchlos sich der Gedanke vom „glauben wollen aber nicht können“ auf aktuelle Phänomene übertragen lässt. Mir schint es nicht treffend den Zweifel als Erklärung einfach auf alles andere zu übertragen. Das verklärt jegliches selbstbewusstes Handeln zur Psychopatholgie des Individuums, alles nur Selbtvergewisserung. Der IS will mit Gewalt ein Kaliphat errichten? Die Zweifeln doch nur an ihrem Glauben. Die Hamas schießt Raketen auf Israel? Die Zweifeln doch nur. Irgendwo in Deutschland brennt eine Flüchtlingsunterkunft? Da müssen Zweifelnde am Werk gewesen sein. Tatsächliche, von den Tätern selbst vorgetragene Gründe zählen hier gar nicht mehr.
So wie Horkheimer und Adorno es in diesem Kapitel der Dialektik der Aufklärung ausführen macht es durchaus Sinn, allerdings geht es vor allem um die christliche Variante des Antisemitismus, diese Spezifik wird auch betont „Der Fortschritt über das Judentum ist mit der Behauptung erkauft, der Mensch Jesus sei Gott gewesen. Gerade das reflektive Moment des Christentums, die Vergeistigung der Magie ist schuld am Unheil.“.
@Thomas Wessels
„Ist das eine belastbare Behauptung, die anderen hätten einen an der Schüssel, man selber sehe es glasklar?“
Das bezieht sich worauf?
@ Thomas Wessels @ Stogumber
der Artikel hat den Charakter einer Behauptung, oder „Spekulation“ –
Stogumber hat Recht, Zitat Stogumber:
„Wissenschaft fängt erst da an, wo man versucht zu überprüfen, ob der VERMUTETE tiefenpsychologische Prozess überhaupt bei irgend jemand vorliegt – und wenn ja, bei wie vielen Leuten.“
Das wäre neu, dass muslimische Fanatiker morden um Seelen zu retten, dass ist doch eher die christliche Variante, die mit dem reinigenden Feuer. Selbiges wurde ja lange nicht nur zur Seelenrettung eingesetzt, sondern auch zur vermeintlichen Säuberung von ganz realen Wunden bspw bei Amputationen.
Nicht jeder, der aus „Glaubensgründen“ mordet, tut dies, weil einer zweifelt. Dieses Motiv rangiert, da bin ich mir sicher, weit oben in der Rangliste, es gibt gewiss auch einige profanere Gründe oder eine Mischung derselben: Mordlust, Hass oder Gier bspw.
nun ja. ich bin 1989 als dinslakener auch zumindest in den bochumer kultur- und klassenkampf gezogen!
„Nicht jeder, der aus “Glaubensgründen” mordet, tut dies, weil einer zweifelt. Dieses Motiv rangiert, da bin ich mir sicher, weit oben in der Rangliste, es gibt gewiss auch einige profanere Gründe oder eine Mischung derselben: Mordlust, Hass oder Gier bspw.“
Wow. Einer der loszieht und mordet tut das, weil er er die Lust dazu verspürt (Mordlust) und/oder seine Opfer hasst. Diese Erkenntnis ist wirklich bemerkenswert.
Woher kommen denn Mordlust und Hass? Könnte das vllt. etwas mit der jeweiligen Ideologie der täter zu tun haben, von der sie aus irgendeinem Grund nicht reden wollen?
@ HMM # 44 | Was Sie machen: Sie nehmen die Gedankenfigur – dass sich die „Unersättlichkeit des Bösen“ aus keinem guten Gewissen speise, sondern dem Gewissenskonflikt, dem Widerstreit im eigenen Kopf – und klammern sie ein: Das Ganze sei ein „Wahn“.
Und dann geht es los, der eine, schreiben Sie, besitze „noch einen kümmerlichen Rest von Vernunft“, der andere sei „vollends im Wahn“, kurz darauf rufen bereits die ersten – @ Stogumber, @ Andreas Lichte – nach der Couch und erzählen was von „tiefenpsychologischen Prozessen“ usw.
Ich kann mit solchen Pathologisierungen nichts anfangen, Sie verhängen Ihre Diagnose leichterhand über Ungezählte. Sicher, die Wahrscheinlichkeit, bei IS oder Hamas auf Leute zu treffen, die komplett irre sind, ist hoch, aber diese Banalität trägt nichts bei zur Analyse des Phänomens, im Gegenteil, es verniedlicht die Sache.
[Jedenfalls dann, wenn man die Diagnose, die über das Denken anderer ausgestellt wird, nicht auch fürs eigene Denken in Betracht zieht: Das eben ist, wie Horkheimer/Adorno es machen. Was sie – zumal am Antisemitismus – zu verstehen suchen, ist „die rastlose Selbstzerstörung der Aufklärung“.]
Es war übrigens Hitler, der, irgendwann in den 20ern, den „Antisemitismus der Vernunft“ eingefordert hat.
@ Thomas Weigle | „Mordlust, Hass, Gier“ – das ergibt sicherlich tragfähige Motive, macht es aber nur rätselhafter, warum sich einer dafür auf Gott beruft. Wie oben gesagt: Die für ihren Gott morden, ermorden andauernd die, die an denselben Gott glauben. An diesem Widerspruch kommt kein Dschihadist aus Dinslaken vorrbei, im Gegenteil: Er reist mit voller Absicht mitten hinein.
@ Höppner | Udo, Du zweifle nie an Dir!
@ #49 | Thomas Wessel
ich „rufe nicht nach der Couch“, ich sage wie „Stogumber“, daß Sie sich Ihren Artikel zusammen-phantasiert haben (bzw. Phantasien von Horkheimer/Adorno abgeschrieben haben)