Jan Jessen ist Redakteur bei der NRZ und berichtet für die Funke-Mediengruppe aus den Krisen- und Kriegsgebieten dieser Welt. Am Mittwochabend war er zu Gast in der Cubus-Kunsthalle und präsentierte Fotos aus dem Ukrainekrieg.
Seine persönlichen Eindrücke zum Krieg in der Ukraine, die dazugehörigen Bilder und die Hintergrundinformationen zu ihrer Entstehung machte diese Veranstaltung, im Zusammenspiel mit der seiner politischen Analyse, zu einem besonders spannenden und informativen Event.
So fühlt sich Krieg an
Etwa 50 Gäste waren am Mittwoch anwesend und folgten gespannt den Worten von Jan Jessen. Felix Banaszak (MdB, Bündnis90/Die Grünen) hatte zu dieser Veranstaltung eingeladen und moderierte an diesem Abend.
Die Fotos und die Geschichten dahinter gingen unter die Haut. Zum Beispiel das Foto von Olga Zhuchenko, eine Mutter von drei Kindern. Ihre Schwester wohnt in Russland. Im März 2022, kurz nach dem Beginn des Krieges, explodierte eine Granate auf ihrem Balkon. Ihre Nachbarin stirbt, ihr Rückenmark wird verletzt. Auch ihr Arm kann, trotz medizinischer Versorgung in Hannover, nicht gerettet werden.
Ein anderes Foto zeigt Danylo, ein Sohn von Olga, der gegen die russischen Invasoren kämpft. 20 Jahre jung. Bei dem Foto tauchen die berühmten beiden Fotos von Eugen Stepanovich Kobytev in meinem Kopf auf. Die Zeit des Krieges ist Danylo auf dem Foto von Jan Jensen anzusehen. Er schaut durch den Kameramann hindurch. Danylo war bei den letzten Verteidigern von Mariupol im Asow-Stahlwerk als er verletzt wurde. Jan Jensen berichtet, dass Danylo die Geräusche vom Metallsägen, mit denen Menschen in seiner Umgebung die Gliedmaßen amputiert wurden, nicht mehr aus seinem Kopf bekommt.“
Es folgen viele weitere Bilder die den Schrecken des Krieges zeigen: Die Exhumierung von Leichen, Bergung von russischen Blindgängern, Bilder die den Alltag im Krieg zeigen. Wenige Tage zuvor ist, einige hundert Meter vom Veranstaltungsentfernt, der hässliche Duisburger Ableger der Friedensbewegung marschiert und rief in Sprechchören „NATO raus aus der Ukraine! Keine Waffen für die Ukraine!“ – was in Anbetracht der Fotos und der Berichte von Jan Jessen an diesem Abend besonders absurd erscheint.
In Erstaunen versetzt mich ein Bild von Jan Jessen, das um Weihnachten rum entstanden ist. Auf Eisenbahnwaggons heraus wurden Kinder mit Geschenken bedacht. Ich musste nachfragen: Das Foto wurde nicht mit Photoshop bearbeitet. Jan Jessen: Diese Geschichte der ukrainischen Eisenbahn ist sowieso sensationell. Die haben bislang über zwölftausendfünfhundert Beschädigungen der Bahninfrastruktur repariert. – trotzdem hat die Bahn es geschafft 4 Millionen Menschen und über 125000 Haustiere zu evakuieren. Darunter, wie man Jan Jessen berichtet hat, ein Krokodil.
In der Fragerunde nach der Präsentation kamen aus dem Podium Fragen zum Thema Waffenstillstandsverhandlungen, Stop der Waffenlieferungen, Rechtsextremismus in der Ukraine. Putins dreitägige Spezialoperation wurde schließlich durch das russische Regime mit der Entnazifizierung der Ukraine begründet.
Jan Jessen sieht die Unterstützung der Ukraine alternativlos: Wenn man jetzt für die Unterstützung für die Ukraine einstellen würde, wäre das auch ein „Feuer frei“ für alle Autotrakten. Und wenn man sieht, dass man mit möglichst viel Brutalität seien politischen Interessen durchsetzen kann, ist das kein gutes Zeichen für die Welt. Und ich glaube, deswegen ins es wichtig, dass der Westen jetzt einfach mal klare Kante zeigt.
Überraschend für mich die Einschätzung zur Stimmung in der Ukraine gegenüber den Deutschen. Die Debatte um die Waffenlieferungen spielt hier wohl keine Rolle. Man ist dankbar für die Unterstützung aus Deutschland.
„Entnazifizierung“ der Ukraine
Interessant auch die persönlichen Erfahrungen, die Jan Jessen zum Thema „Faschismus in der Ukraine“ liefert. Bei den letzten Parlamentswahlen in der Ukraine scheiterten die Rechtsextremisten deutlich an der 5% Hürde, konnten aber ein Mandat im erringen. Ein geringer Anteil, bei über 400 Sitzen im Parlament.
Der Faschismus in der Ukraine war Thema bei einer Story, die Jan Jessen über Odessa gemacht hat. Sein Interviewpartner war Roman Schwarzmann:
Roman Schwarzmann ist Holocaust-Überlebender. Odessa hatte mal mit die große jüdische Community in irgendeiner Großstadt in der Ukraine. Über die Hälfte der Bevölkerung waren Jüdinnen und Juden. Bis zum Zweiten Weltkrieg. Und jetzt ist das jüdische Leben wieder aufgeblüht in Odessa. In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten. Ich hab dann Roman Schwarzmann gefragt, wie es für ihn ist von Putin vom ukrainischen Nazitum befreit zu werden.
Roman Schwarzmann hat dazu eine klare Meinung: „Also wenn es jemand schafft, die Juden auch diesmal wieder zu vertreiben, dann ist das der russische Faschismus“
Weil über die Hälfte der jüdischen Bevölkerung Odessa verlassen musste.
Von den Friedensaktivisten, die ich am Samstag begleiten durfte, war am Mittwoch niemand bei der Veranstaltung. Russische Kriegsverbrechen und das Gegenbild zum „faschistischen Regime in Kiew“, das auf dem Ostermarsch propagiert wurde, passen wohl nicht ins Weltbild.
Ein großes Danke an Jan Jessen und Felix Banaszak für diese informative und spannende Veranstaltung.